«ß çíàþ, ÷òî òû ïîçâîíèøü, Òû ìó÷àåøü ñåáÿ íàïðàñíî. È óäèâèòåëüíî ïðåêðàñíà Áûëà òà íî÷ü è ýòîò äåíü…» Íà ëèöà íàïîëçàåò òåíü, Êàê õîëîä èç ãëóáîêîé íèøè. À ìûñëè çàëèòû ñâèíöîì, È ðóêè, ÷òî ñæèìàþò äóëî: «Òû âñå âî ìíå ïåðåâåðíóëà.  ðóêàõ – ãîðÿùåå îêíî. Ê ñåáå çîâåò, âëå÷åò îíî, Íî, çäåñü ìîé ìèð è çäåñü ìîé äîì». Ñòó÷èò â âèñêàõ: «Íó, ïîçâîí

Liebe deinen N?chsten / Âîçëþáè áëèæíåãî ñâîåãî. Êíèãà äëÿ ÷òåíèÿ íà íåìåöêîì ÿçûêå

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Àâòîð:
Òèï:Êíèãà
Öåíà:187.00 ðóá.
Èçäàòåëüñòâî: ÊÀÐÎ
Ãîä èçäàíèÿ: 2017
ßçûê: Íåìåöêèé
Ïðîñìîòðû: 383
Ñêà÷àòü îçíàêîìèòåëüíûé ôðàãìåíò
ÊÓÏÈÒÜ È ÑÊÀ×ÀÒÜ ÇÀ: 187.00 ðóá. ×ÒÎ ÊÀ×ÀÒÜ è ÊÀÊ ×ÈÒÀÒÜ
Liebe deinen N?chsten / Âîçëþáè áëèæíåãî ñâîåãî. Êíèãà äëÿ ÷òåíèÿ íà íåìåöêîì ÿçûêå Ýðèõ Ìàðèÿ Ðåìàðê Ë. Ì. Áóçèíîâà ×òåíèå â îðèãèíàëå (Êàðî)Moderne Prosa Ýðèõ Ìàðèÿ Ðåìàðê (1898–1970) – çíàìåíèòûé íåìåöêèé ïèñàòåëü.  åãî ðîìàíàõ çàïå÷àòëåíû àíòèôàøèçì è ñîöèàëüíàÿ êðèòèêà ñ ãóìàíèñòè÷åñêèõ ïîçèöèé, ñòðåìëåíèå «ïîòåðÿííîãî ïîêîëåíèÿ» íàéòè îïîðó â äðóæáå, ôðîíòîâîì òîâàðèùåñòâå è ëþáâè. «Âîçëþáè áëèæíåãî ñâîåãî» (1940) – ýòî ðîìàí î íåìåöêèõ ýìèãðàíòàõ, âûíóæäåííûõ ñêèòàòüñÿ ïî ïðåäâîåííîé Åâðîïå. Îíè ñêðûâàþòñÿ, ãîëîäàþò, òàéêîì ïåðåñåêàþò ãðàíèöû, ìíîãèå èõ ðîäíûå è áëèçêèå â êîíöëàãåðÿõ. Ïîòåðÿâ ðîäèíó è ïðèâû÷íûé óêëàä æèçíè, ïîäâåðãàÿñü ñìåðòåëüíîé îïàñíîñòè, ãåðîè âñå æå íàõîäÿò â ñåáå ñèëû äëÿ ñîñòðàäàíèÿ è ëþáâè.  êíèãå ïðåäñòàâëåí íåàäàïòèðîâàííûé òåêñò íà ÿçûêå îðèãèíàëà, ñíàáæåííûé ñëîâàðåì è êîììåíòàðèÿìè. Àäðåñîâàíà ñòóäåíòàì ÿçûêîâûõ âóçîâ è âñåì èíòåðåñóþùèìñÿ íåìåöêèì ÿçûêîì. Erich Maria Remarque / Ýðèõ Ìàðèÿ Ðåìàðê Liebe deinen N?chsten / Âîçëþáè áëèæíåãî ñâîåãî. Êíèãà äëÿ ÷òåíèÿ íà íåìåöêîì ÿçûêå Âïåðâûå îïóáëèêîâàíî íà íåìåöêîì ÿçûêå êàê “Liebe deinen N?chsten” von Erich Maria Remarque © Erich Maria Remarque,1941 © Kiepenheuer&Witsch, 1978, 1991, 1998 © Èçäàòåëüñêî-ïîëèãðàôè÷åñêèé öåíòð ÊÀÐÎ, 2011 Erster Teil Man braucht ein starkes Herz, um ohne Wurzel zu leben — 1 Kern fuhr mit einem Ruck aus schwarzem, brodelndem Schlaf empor und lauschte. Er war, wie alle Gehetzten, sofort ganz wach, gespannt und bereit zur Flucht. W?hrend er unbeweglich, den schmalen K?rper schr?g vorgeneigt, im Bette sa?, ?berlegte er, wie er entkommen k?nnte, wenn der Aufgang schon besetzt w?re. Das Zimmer lag im vierten Stock. Es hatte ein Fenster nach der Hofseite, aber keinen Balkon und kein Gesims, von denen aus die Dachrinne zu erreichen gewesen w?re. Nach dem Hofe zu war eine Flucht also unm?glich. Es gab nur noch einen Weg: ?ber den Korridor zum Dachboden und ?ber das Dach hinweg zum n?chsten Hause. Kern sah auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr. Es war kurz nach f?nf. Das Zimmer war noch fast finster. Grau und undeutlich schimmerten die Laken der beiden anderen Betten durch die Dunkelheit. Der Pole, der an der Wand schlief, schnarchte. Vorsichtig glitt Kern aus dem Bett und schlich zur T?r. Im selben Augenblick r?hrte sich der Mann, der im mittleren Bette lag. „Ist was los?“ fl?sterte er. Kern gab keine Antwort; er hielt das Ohr an die T?r gepresst. Der andere richtete sich auf. Er w?hlte in den Sachen, die am Pfosten des eisernen Bettgestells hingen. Eine Taschenlampe blitzte auf und fing in ihrem fahlen, zitternden Lichtkreis ein St?ck der braunen, abgebl?tterten T?r und die Gestalt Kerns, der mit wirrem Haar und zerdr?cktem Unterzeug am Schl?sselloch lauschte. „Verdammt, sag, was los ist!“ zischte der Mann im Bett. Kern richtete sich auf. „Ich wei? nicht. Bin aufgewacht, weil ich irgendwas geh?rt habe. „Irgendwas! Was irgendwas, du Dummkopf?“ „Irgendwas unten. Stimmen, Schritte oder so was.“ Der Mann stand auf und kam zur T?r. Er hatte ein gelbliches Hemd an, unter dem im Schein der Taschenlampe ein Paar stark behaarte, muskul?se Beine hervorkamen. Er horchte eine Weile. „Wie lange wohnst du schon hier?“ fragte er dann. „Zwei Monate.“ „War in der Zeit schon mal ’ne Razzia?“ Kern sch?ttelte den Kopf. „Aha! Wirst dich dann wohl verh?rt haben. Ein Furz im Schlaf klingt ja manchmal wie ein Donnerschlag.“ Er leuchtete Kern ins Gesicht. „Na ja, knapp zwanzig, was? Emigrant?“ „Nat?rlich.“ „Jesus Christus tso siem stalo…“ gurgelte pl?tzlich der Pole in der Ecke. Der Mann im Hemd lie? den Lichtkreis hin?berwandern. Ein schwarzes Bartgestr?pp mit aufgerissener Mundh?hle und aufgerissenen Augen unter buschigen Brauen tauchte aus dem Dunkel auf. „Halt’s Maul[1 - Halt’s Maul… (gespr.) – Nicht reden! Still sein!] mit deinem Jesu Christo, Polack“, knurrte der Mann mit der Taschenlampe. „Der lebt nicht mehr. Ist als Kriegsfreiwilliger an der Somme[2 - Somme, die – Fluss in Frankreich]gefallen.“ „Tso?“ „Da ist es wieder!“ Kern sprang zum Bett. „Sie kommen von unten! Wir m?ssen ?bers Dach!“ Der andere drehte sich wie ein Kreisel. Man h?rte T?ren klappen und ged?mpfte Stimmen. „Verflucht! ’raus! Polski, ’raus! Polizei!“ Er riss seine Sachen vom Bett. „Wei?t du den Weg?“ fragte er Kern. „Ja. Rechts, den Korridor entlang! Die Treppe hinter dem Ausguss ’rauf!“ „Los!“ Der Mann im Hemd ?ffnete lautlos die T?r. „Matka boska!“ gurgelte der Pole. „Halt’s Maul! Verrat nichts!“ Der Mann zog die T?r zu. Kern und er huschten den schmalen, schmutzigen Korridor entlang. Sie liefen so leise, dass sie den schlecht zugedrehten Wasserhahn ?ber dem Ausguss tr?pfeln h?rten. „Hier ’rum!“ fl?sterte Kern, bog um die Ecke und rannte gegen etwas. Er taumelte, sah eine Uniform und wollte zur?ck. Im gleichen Augenblick bekam er einen Schlag auf den Arm. „Stehenbleiben! H?nde hoch!“ kommandierte jemand aus dem Dunkel. Kern lie? seine Sachen zu Boden rutschen. Sein linker Arm war taub von dem Schlag, der den Ellenbogen getroffen hatte. Der Mann im Hemd sah eine Sekunde lang so aus, als wolle er sich in das Dunkel auf die Stimme st?rzen. Aber dann blickte er auf den Lauf des Revolvers, der ihm von einem zweiten Beamten gegen die Brust gehalten wurde, und hob langsam die Arme. „Umdrehen!“ kommandierte die Stimme. „Ans Fenster stellen!“ Die beiden gehorchten. „Sieh nach, was in den Taschen ist“, sagte der Polizist mit dem Revolver. Der zweite Beamte untersuchte die Kleider, die auf dem Boden lagen. „F?nfunddrei?ig Schilling[3 - Schilling, der – eine ?sterreichische W?hrungseinheit. Von 1925 bis 1938 und 1945 bis 1998 war der Schilling Buch- und Bargeld, ab 1999 bis zur Bargeldeinf?hrung des Euros gab es den Schilling nur als Bargeld.] – eine Taschenlampe – eine Pfeife – ein Taschenmesser – ein Lauskamm – sonst nichts…“ „Keine Papiere?“ „Paar Briefe oder so was…“ „Keine P?sse?“ „Nein.“ „Wo habt ihr eure P?sse?“ fragte der Polizist mit dem Revolver. „Ich habe keinen“, erwiderte Kern. „Nat?rlich!“ Der Polizist stie? dem Mann im Hemd den Revolver in den R?cken. „Und du? Muss man dich extra fragen, du Hurenbankert?[4 - du Hurenbankert (vulg.) – ein Schimpfwort]“ sagte er. Die beiden Polizisten sahen sich an. Der ohne Revolver fing an zu lachen. Der andere leckte sich die Lippen. „Ah, da schau her, ein feiner Herr!“ sagte er langsam. „Exzellenz, der Stromer! General Stinktier!“ Er holte pl?tzlich aus und schlug dem Mann die Faust gegen das Kinn. „H?nde hoch!“ br?llte er, als der andere taumelte. Der Mann sah ihn an. Kern glaubte noch nie einen solchen Blick gesehen zu haben. „Dich meine ich, du Schei?er![5 - du Schei?er (vulg.) – ein Schimpfwort]“ sagte der Polizist. „Wird’s bald? Oder soll ich dir dein Gehirn noch einmal aufsch?tteln?“ „Ich habe keinen Pass“, sagte der Mann. „Ich habe keinen Pass“, ?ffte der Polizist nach. „Nat?rlich, Herr Hurenbankert hat keinen Pass. Konnte man sich ja wohl denken! Los, anziehen, aber flott!“ Eine Gruppe Polizisten lief den Korridor entlang. Sie rissen die T?ren auf. Einer mit Schulterst?cken kam heran. „Was habt ihr denn da?“ „Zwei V?gel, die ?bers Dach verduften wollten.“ Der Offizier betrachtete die beiden. Er war jung. Sein Gesicht war schmal und blass. Er trug einen sorgf?ltig gestutzten, kleinen Schnurrbart und roch nach Toilettewasser. Kern erkannte es; es war Eau de Cologne 4711. Sein Vater hatte eine Parf?mfabrik gehabt, daher wusste er so etwas. „Die beiden werden wir uns besonders vornehmen“, sagte der Offizier. „Handschellen!“ „Ist es der Wiener Polizei erlaubt, bei Verhaftungen zu schlagen?“ fragte der Mann im Hemd. Der Offizier sah auf. „Wie hei?en Sie?“ „Steiner. Josef Steiner.“ „Er hat keinen Pass und hat uns bedroht“, erkl?rte der Polizist mit dem Revolver. „Es ist noch viel mehr erlaubt, als Sie denken“, sagte der Offizier kurz. „Marsch, ’runter!“ Die beiden zogen sich an. Der Polizist holte Handschellen hervor. „Kommt, ihr Lieblinge! So, jetzt seht ihr schon besser aus. Passen wie nach Ma?.“ Kern sp?rte den Stahl k?hl an seinen Gelenken. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er gefesselt wurde. Die Stahlreifen hinderten ihn beim Gehen nicht sehr. Aber ihm schien, als fesselten sie mehr als nur seine H?nde. Drau?en war es fr?her Morgen. Vor dem Hause hielten zwei Polizeiautos. Steiner verzog das Gesicht. „Begr?bnis erster Klasse! Nobel, was, Kleiner?“ Kern antwortete nicht. Er versteckte die Handschellen, so gut es ging, unter seinem Rock. Ein paar Milchkutscher standen neugierig auf der Stra?e. Gegen?ber in den H?usern waren Fenster offen. Gesichter schimmerten wie Teig aus den dunklen ?ffnungen. Eine Frau kicherte. Ungef?hr drei?ig Verhaftete wurden auf die Wagen gebracht. Es waren offene Polizeiflitzer[6 - Flitzer, der (ugs.) – kleines, schnelles Fahrzeug]. Die meisten der Leute stiegen ohne ein Wort hinauf. Auch die Besitzerin des Hauses war darunter, eine dicke, hellblonde Frau von etwa f?nfzig Jahren. Sie war die einzige, die erregt protestierte. Seit einigen Monaten hatte sie zwei leerstehende Etagen ihres bauf?lligen Hauses auf billigste Weise in eine Art Pension verwandelt. Es hatte sich bald herumgesprochen, dass man dort schwarz schlafen konnte, ohne bei der Polizei gemeldet zu werden. Die Frau hatte nur vier richtige Mieter mit polizeilicher Anmeldung – einen Hausdiener, einen Kammerj?ger und zwei Huren. Die ?brigen kamen abends, wenn es dunkel wurde. Fast alle waren Emigranten und Fl?chtlinge aus Deutschland, Polen, Russland und Italien. „Los, los!“ sagte der Offizier zu der Vermieterin. „Sie k?nnen das alles auf der Wache erkl?ren. Da haben Sie Zeit genug dazu.“ „Ich protestiere!“ schrie die Frau. „Protestieren k?nnen Sie, soviel Sie wollen. Vorl?ufig kommen Sie mit.“ Zwei Polizisten fassten die Frau unter die Arme und hoben sie auf den Wagen. Der Offizier wandte sich zu Kern und Steiner. „So, jetzt diese beiden. Extra aufpassen auf sie.“ „Merci[7 - Merci = Danke]“, sagte Steiner und stieg auf. Kern folgte ihm. Die Autos fuhren los. „Auf Wiedersehen!“ kreischte eine Frauenstimme aus den Fenstern. „Schlagt das Emigrantenpack tot!“ br?llte ein Mann hinterher. „Dann spart ihr das Futter.“ Die Polizeiautos fuhren ziemlich schnell, denn die Stra?en waren noch fast leer. Der Himmel hinter den H?usern wich zur?ck, er wurde heller und weiter und durchsichtig blau, aber die Verhafteten standen dunkel auf den Wagen wie Weiden im Herbstregen. Ein paar Polizisten a?en belegte Brote. Sie tranken Kaffee aus flachen Blechflaschen. In der N?he der Aspernbr?cke kreuzte ein Gem?seauto die Stra?e. Die Polizeiwagen bremsten und zogen dann wieder an. Im gleichen Augenblick kletterte einer der Verhafteten ?ber den Rand des zweiten Wagens und sprang ab. Er fiel schr?g auf den Kotfl?gel, verfing sich mit dem Mantel und schlug mit einem trockenen Knack auf das Pflaster. „Anhalten! Hinterher!“ schrie der F?hrer. „Schie?t, wenn er nicht stehenbleibt!“ Der Wagen bremste scharf. Die Polizisten sprangen herunter. Sie liefen zu der Stelle, wo der Mann hingefallen war. Der Chauffeur sah sich um. Als er bemerkte, dass der Mann nicht fl?chtete, fuhr er den Wagen langsam zur?ck. Der Mann lag auf dem R?cken. Er war mit dem Hinterkopf auf die Steine geschlagen. In seinem offenen Mantel lag er da, mit ausgebreiteten Armen und Beinen, wie eine gro?e heruntergeklatschte Fledermaus. „Bringt ihn ’rauf!“ rief der Offizier. Die Polizisten b?ckten sich. Dann richtete sich einer auf. „Er muss sich was gebrochen haben. Kann nicht aufstehen.“ „Nat?rlich kann er aufstehen! Hebt ihn hoch!“ „Gebt ihm einen geh?rigen Tritt, dann wird er schon munter“, sagte der Polizist, der Steiner geschlagen hatte, tr?ge. Der Mann st?hnte. „Er kann tats?chlich nicht aufstehen“, meldete der andere. „Blutet auch am Kopf.“ „Verflucht![114 - Verflucht! (KCI.) – verwendet, um gro?en ?rger auszudr?cken]“ Der F?hrer kletterte herunter. „Dass sich keiner von euch r?hrt!“ schrie er zu den Verhafteten hinauf. „Verdammte Bande! Nichts als Scherereien!“ Der Wagen stand jetzt dicht neben dem Verungl?ckten. Kern konnte ihn von oben genau sehen. Er kannte ihn. Es war ein schm?chtiger polnischer Jude mit sch?tterem, grauem Bart. Er erinnerte sich deutlich des alten Mannes, wie er morgens in aller Fr?he, die Gebetsriemen ?ber den Schultern, am Fenster gestanden und gebetet hatte, w?hrend er den K?rper leise hin- und herwiegte. Er hatte mit Garnrollen, Schn?rriemen und Zwirn gehandelt und war schon dreimal aus ?sterreich ausgewiesen worden. „Aufstehen! Los!“ kommandierte der Offizier. „Wozu springen Sie denn vom Wagen? Zuviel auf dem Kerbholz[8 - etw. auf dem Kerbholz (haben) (ugs.) – etw. auf dem Gewissen (haben)], wie? Gestohlen, und wer wei? was noch!“ Der alte Mann bewegte die Lippen. Seine Augen waren gro? auf den Offizier gerichtet. „Was?“ fragte der. „Hat er was gesagt?“ „Er sagt, es w?re aus Angst gewesen“, erwiderte der Polizist, der neben ihm kniete. „Angst? Nat?rlich aus Angst! Weil er was ausgefressen hat! Was sagt er?“ „Er sagt, er h?tte nichts ausgefressen.“ „Das sagt jeder. Aber was machen wir jetzt mit ihm? Was hat er denn?“ „Man sollte einen Arzt holen“, sagte Steiner vom Wagen herab. „Seien Sie ruhig!“ schnauzte der Offizier nerv?s. „Wo soll man denn um diese Zeit einen Arzt herkriegen? Er kann doch nicht solange auf der Stra?e liegen. Nachher hei?t es dann wieder, wir h?tten ihn so zugerichtet. Geht ja immer alles auf die Polizei!“ „Er geh?rt ins Krankenhaus“, sagte Steiner. „Sogar schnell!“ Der Offizier war verwirrt. Er sah jetzt, dass der Mann schwer verletzt war und verga? dar?ber, Steiner den Mund zu verbieten. „Krankenhaus! Da nehmen sie ihn doch – nicht einfach so auf. Dazu braucht er doch einen ?berweisungsschein. Ich kann das auch gar nicht allein machen. Ich muss ihn erst zum Rapport bringen.“ „Bringen Sie ihn zum j?dischen Krankenhaus“, sagte Steiner. „Da nehmen sie ihn ohne ?berweisungsschein und Rapport. Sogar ohne Geld.“ Der Offizier starrte ihn an. „Woher wissen Sie denn das, Sie?“ „Man sollte ihn zur Rettungsgesellschaft bringen“, schlug einer der Polizisten vor. „Da ist immer ein Sanit?ter oder ein Arzt. Die k?nnten dann weitersehen. Damit w?ren wir ihn auch los.“ Der Offizier hatte seinen Entschluss gefasst. „Gut, hebt ihn auf! Wir fahren bei der Rettungswache vorbei. Dann bleibt einer mit ihm da. Verdammte Schweinerei!“ Die Polizisten hoben den Mann hoch. Er st?hnte und wurde sehr blass. Sie legten ihn auf den Boden des Wagens. Er zuckte und ?ffnete die Augen. Sie gl?nzten unnat?rlich in dem verfallenen Gesicht. Der Offizier biss sich auf die Lippen. „So ein Bl?dsinn! ’runterspringen, solch ein alter Mann! Los, langsam fahren!“ Unter dem Kopf des Verletzten bildete sich langsam eine Blutlache. Die knotigen Finger scharrten ?ber das Bodenholz des Wagens. Die Lippen zogen sich allm?hlich von den Z?hnen zur?ck und gaben sie frei. Es sah aus, als lache hinter der geisterhaft verschatteten Maske des Schmerzes jemand anders lautlos und voll Hohn. „Was sagt er?“ fragte der Offizier. Der Polizist von vorher kniete wieder neben den Alten hin und hielt ihm beim Rattern des Wagens den Kopf fest. „Er sagt, er h?tte zu seinen Kindern gewollt. Sie m?sste jetzt verhungern“, berichtete er. „Ach, Unsinn! Werden nicht verhungern. Wo sind sie denn?“ Der Polizist beugte sich herunter. „Er will es nicht sagen. Sie w?rden dann ausgewiesen. H?tten alle keine Aufenthaltserlaubnis.“ „Das sind doch Phantasien. Was sagt er jetzt?“ „Er sagt, Sie m?chten ihm verzeihen.“ „Was?“ fragte der Offizier erstaunt. „Er sagt, Sie m?chten ihm verzeihen wegen der Scherereien, die er macht.“ „Verzeihen? Was soll denn das nun wieder?“ Kopfsch?ttelnd starrte der Offizier den Mann am Boden an. Der Wagen hielt vor der Rettungswache. „Tragt ihn ’rein!“ kommandierte der Offizier. „Aber vorsichtig. Und Sie, Rohde, bleiben bei ihm, bis ich telefoniere.“ Sie hoben den Verungl?ckten hoch. Steiner b?ckte sich. „Wir finden deine Kinder. Wir werden ihnen helfen“, sagte er. „Verstehst du, Alter?“ Der Jude schloss die Augen und ?ffnete sie wieder. Dann trugen ihn drei Polizisten in das Haus. Seine Arme hingen herunter und schleiften widerstandslos ?ber das Pflaster, als w?ren sie schon ohne Leben. Nach einiger Zeit kamen zwei Polizisten zur?ck und stiegen wieder auf. „Hat er noch etwas gesagt?“ fragte der Offizier. „Nein. Er war schon ganz gr?n im Gesicht. Wenn’s die Wirbels?ule ist, macht er’s nicht mehr lange.“ „Na ja, halt ein Jud weniger“, sagte der Polizist, der Steiner geschlagen hatte. „Verzeihen“, murmelte der Offizier. „So was! Komische Menschen…“ „Besonders in diesen Zeiten“, sagte Steiner. Der Offizier straffte sich. „Halten Sie’s Maul gef?lligst, Sie Bolschewist!“ br?llte er. „Ihnen werden wir Ihre Frechheiten schon austreiben!“ Man brachte die Verhafteten zur Polizeistation an der Elisabethpromenade. Steiner und Kern wurden die Handschellen abgenommen, dann kamen sie zu den andern in einen gro?en, halbdunklen Raum. Die meisten sa?en schweigend herum. Sie waren gewohnt zu warten. Nur die dicke blonde Wirtin lamentierte unentwegt weiter. Gegen neun Uhr wurde einer nach dem andern heraufgeholt. Kern wurde in ein Zimmer gef?hrt, in dem sich zwei Polizisten, ein Schreiber in Zivil, der Offizier und ein ?lterer Polizeioberkommiss?r befanden. Der Oberkommissar sa? in einem h?lzernen Sessel und rauchte Zigaretten. „Personalien“, sagte er zu dem Mann am Tisch. Der Schreiber war ein schmaler, pickliger Mensch, der an einen Hering erinnerte. „Name?“ fragte er mit einer ?berraschend tiefen Stimme. „Ludwig Kern.“ „Geboren?“ „30. November 1914 in Dresden.“ „Also Deutscher?“ „Nein. Staatenlos. Ausgeb?rgert.“ Der Oberkommiss?r blickte auf. „Mit einundzwanzig? Was haben’s denn angestellt?“ „Nichts. Mein Vater ist ausgeb?rgert worden. Da ich damals minderj?hrig war, ich auch.“ „Und weshalb Ihr Vater?“ Kern schwieg einen Augenblick. Ein Jahr Emigration hatte ihn Vorsicht mit jedem Wort bei Beh?rden gelehrt. „Er wurde zu Unrecht als politisch unzuverl?ssig denunziert“, sagte er schlie?lich. „Jude?“ fragte der Schreiber. „Mein Vater. Meine Mutter nicht.“ „Aha!“ Der Oberkommiss?r schnippte die Asche seiner Zigarette auf den Boden. „Warum sind Sie denn nicht in Deutschland geblieben?“ „Man hat uns unsere P?sse abgenommen und uns ausgewiesen. Wir w?ren eingesperrt worden, wenn wir geblieben w?ren. Und wenn wir eingesperrt werden mussten, wollten wir es lieber in einem anderen Lande als in Deutschland.“ Der Oberkommiss?r lachte trocken. „Kann ich verstehen. Wie sind Sie denn ohne Pass ?ber die Grenze gekommen?“ „An der tschechischen Grenze gen?gte damals f?r den kleinen Grenzverkehr ein einfacher Einwohner-Meldeschein. Den hatten wir noch. Man konnte damit drei Tage in der Tschechoslowakei bleiben.“ „Und nachher?“ „Wir bekamen drei Monate Aufenthaltserlaubnis. Dann mussten wir fort.“ „Wie lange sind Sie schon in ?sterreich?“ „Drei Monate.“ „Warum haben Sie sich nicht bei der Polizei gemeldet?“ „Weil ich dann sofort ausgewiesen worden w?re.“ „Na, na!“ Der Oberkommiss?r schlug mit der flachen Hand auf die Sessellehne. „Woher wissen Sie das so genau?“ Kern verschwieg, dass er und seine Eltern sich das erste Mal, als sie ?ber die ?sterreichische Grenze gegangen waren, sofort bei der Polizei gemeldet hatten. Sie waren am gleichen Tage ?ber die Grenze zur?ckgeschoben worden. Als sie dann wiederkamen, hatten sie sich nicht mehr gemeldet. „Ist es vielleicht nicht wahr?“ fragte er. „Sie haben hier nicht zu fragen; Sie haben nur zu antworten“, sagte der Schreiber grob. „Wo sind Ihre Eltern jetzt?“ fragte der Oberkommiss?r. „Meine Mutter ist in Ungarn. Sie hat dort eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, weil sie ungarischer Herkunft ist. Mein Vater ist verhaftet und ausgewiesen worden, als ich nicht im Hotel war. Ich wei? nicht, wo er ist!“ „Was sind Sie von Beruf?“ „Ich war Student.“ „Wovon haben Sie gelebt?“ „Ich habe etwas Geld.“ „Wieviel?“ „Ich habe zw?lf Schilling hier. Das andere habe ich bei Bekannten.“ Kern besa? nicht mehr als die zw?lf Schilling. Er hatte sie verdient durch Handel mit Seife, Parf?m und Toilettewasser. H?tte er das jedoch zugegeben, w?re er auch wegen verbotener Arbeit strafbar gewesen. Der Oberkommiss?r erhob sich und g?hnte. „Sind wir durch?“ „Es ist noch einer unten“, sagte der Schreiber. „Wird auch dasselbe sein. Viel Gescher und wenig Wolle.[9 - Ìíîãî âîçíè è íèêàêîãî òîëêà!]“ Der Oberkommiss?r warf einen schiefen Blick auf den Offizier. „Alles Leute, die illegal eingereist sind. Sieht nicht nach kommunistischem Komplott[10 - Komplott, das – ein geheimer Plan, gemeinsam etwas zu tun, das jemandem (besonders einer Regierung) schadet] aus, was? Wer hat denn die Anzeige gemacht?“ „Jemand, der auch so eine Bude hat. Nur mit Wanzen“, sagte der Schreiber. „Gesch?ftsneid wahrscheinlich.“ Der Oberkommiss?r lachte. Dann sah er, dass Kern noch im Zimmer war. „Bringt ihn hinunter. Sie wissen ja, was es gibt: vierzehn Tage Haft und Ausweisung.“ Er g?hnte nochmals. „Na, ich geh’ auf ein Gulasch und ein Bier.“ Man brachte Kern in eine kleinere Zelle als vorher. Au?er ihm befanden sich noch f?nf der Verhafteten darin; darunter der Pole, der mit im Zimmer geschlafen hatte. Nach einer Viertelstunde brachte man auch Steiner. Er setzte sich neben Kern. „Das erstemal im Kasten, Kleiner?“ Kern nickte. „Und? F?hlst dich wie ein M?rder, was?“ Kern verzog die Lippen. „Ungef?hr. Gef?ngnis – ich habe da noch so Vorstellungen von fr?her her.“ „Das hier ist nicht Gef?ngnis“, belehrte Steiner ihn. „Es ist Haft. Gef?ngnis kommt sp?ter.“ „Warst du schon drin?“ „Ja. Wirst es dir das erstemal zu Herzen nehmen. Dann nicht mehr. Besonders im Winter nicht. Hast wenigstens Ruhe w?hrend der Zeit. Ein Mensch ohne Pass ist eine Leiche auf Urlaub. Hat sich eigentlich nur umzubringen, sonst nichts.“ „Und mit Pass? Mit Pass bekommst du doch auch nirgendwo im Ausland Arbeitserlaubnis.“ „Nat?rlich nicht. Du hast damit nur das Recht, in Ruhe zu verhungern. Nicht auf der Flucht. Das ist schon viel.“ Kern starrte vor sich hin. Steiner schlug ihm auf die Schulter. „Kopf hoch, Baby! Du hast daf?r das Gl?ck, im zwanzigsten Jahrhundert zu leben – im Jahrhundert der Kultur, des Fortschritts und der Menschlichkeit.“ „Gibt es hier eigentlich nichts zu essen?“ fragte ein kleiner Mann mit einem Glatzkopf, der in der Ecke auf einer Pritsche sa?. „Keinen Kaffee wenigstens?“ „Sie brauchen nur dem Kellner zu klingeln“, erwiderte Steiner. „Er soll die Karte bringen. Es gibt hier vier Men?s zur Auswahl. Kaviar ? discretion selbstverst?ndlich.“ „Essen s?rr[11 - s?rr – falsche Aussprache von sehr]schlecht hierr“, sagte der Pole. „Ach, da ist ja unser Jesu Christo!“ Steiner betrachtete ihn interessiert. „Bist du Professional hier?“ „S?rr schlecht“, wiederholte der Pole. „Und so wenig…“ „O Gott!“ sagte der Glatzkopf in der Ecke. „Und ich habe ein gebratenes Huhn in meinem Koffer. Wann werden sie uns hier blo? ’rauslassen?“ „In vierzehn Tagen“, erwiderte Steiner. „Das ist die ?bliche Strafe f?r Emigranten ohne Papiere. Nicht wahr, Jesu Christo? Du kennst das doch!“ „Vierzehn Tage“, best?tigte der Pole. „Od?rr[12 - od?rr – falsche Aussprache von oder] l?nger. Essen s?rr wennig. S?rr schlecht. D?nne Suppe.“ „Verflucht! In der Zeit ist das Huhn verfault.“ Der Glatzkopf st?hnte. „Mein erstes Poulet[13 - Poulet, das = H?hnchen] seit zwei Jahren. Zusammengespart, Groschen f?r Groschen. Heute mittag wollte ich es essen.“ „Warten Sie bis heute abend mit Ihrem Schmerz“, sagte Steiner. „Dann k?nnen Sie annehmen, Sie h?tten es schon gegessen, und Sie haben es leichter.“ „Was? Was reden Sie da f?r Unsinn?“ Der Mann starrte Steiner aufgew?hlt an. „Das soll dasselbe sein, Sie Quatschkopf[14 - Quatschkopf, der – jemand, der viel Unsinn redet]? Wenn ich es doch nicht gegessen habe? Und au?erdem h?tte ich mir eine Keule noch f?r morgen fr?h aufgehoben.“ „Dann warten Sie bis morgen mittag.“ „F?rr mich das nicht schlimm“, mischte sich der Pole ein. „Esse nie Poulet.“ „F?r dich kann’s doch auch nicht schlimm sein. Du hast doch keins gebraten im Koffer liegen“, schimpfte der Mann in der Ecke. „Auch wenn ich h?tte, nicht schlimm! Esse nie derselbe! Vertrage nicht Poulet. Kotze hinterher!“ Der Pole sah sehr zufrieden aus und str?hlte seinen Bart. „F?rr mich gar nicht schlimm, der Poulet!“ „Mann Gottes, das will ja niemand wissen!“ schrie der Glatzkopf ?rgerlich. „Sogar wenn Poulet hierr – ich demselben nicht essen!“ verk?ndete der Pole triumphierend. „Herrgott! Hat man so was schon mal geh?rt!“ Der Besitzer des Huhns im Koffer dr?ckte verzweifelt die H?nde gegen die Augen. „Mit gebratenen Poulets kann ihm scheinbar nichts passieren“, sagte Steiner. „Unser Jesu Christo ist da immun. Ein Diogenes der Brath?hner. Wie ist es denn mit Suppenhuhn?“ „Auch nicht“, erkl?rte der Pole fest. „Und Paprikahuhn?“ „Ibberhaupt[15 - Ibberhaupt– falsche Aussprache von ?berhaupt] kein Huhn!“ Der Pole strahlte. „Ich werde verr?ckt!“ heulte der gemarterte Besitzer des Poulets. Steiner drehte sich um. „Und Eier, Jesu Christo? H?hnereier?“ Das Strahlen verschwand. „Eierchen. Ja! Eierchen g?rne[16 - g?rne – falsche Aussprache von gerne]!“ Ein Schimmer von Sehnsucht umflog den zerrauften Bart. „S?rr g?rne.“ „Dem Himmel sei Dank! Endlich ein Loch in der Vollkommenheit!“ „Eierchen s?rr g?rne“, beteuerte der Pole. „Vierr St?ck, sechs St?ck, zw?lf St?ck, gekocht sechs St?ck, andere gebraten. Mit Bratkartoffelchens. Bratkartoffelchens mit Speck.“ „Ich kann das nicht mehr mit anh?ren! Schlagt ihn ans Kreuz, den gefr??igen Christus!“ tobte das Huhn im Koffer. „Meine Herren“, sagte eine warme Bassstimme mit russischem Akzent, „wozu so viel Aufregung um eine Illusion. Ich habe eine Flasche Wodka mit durchgebracht. Darf ich anbieten? Wodka w?rmt das Herz und beruhigt das Gem?t.“ Der Russe entkorkte die Flasche, trank und reichte sie Steiner. Der nahm einen Schluck und gab sie an Kern weiter. Kern sch?ttelte den Kopf. „Trink, Baby“, sagte Steiner. „Geh?rt dazu. Musst es lernen.“ „Wodka s?rr gutt!“ best?tigte der Pole. Kern nahm einen Schluck und gab die Flasche an den Polen, der sie mit ge?btem Griff in die Gurgel schwenkte. „Er s?uft sie aus, der Eierfetischist!“ knurrte der Mann mit dem Poulet und entriss ihm die Flasche. „Es ist nicht mehr viel drin“, sagte er bedauernd zu dem Russen, nachdem er getrunken hatte. Der wehrte ab. „Macht nichts. Ich komme sp?testens heute abend ’raus.“ „Sind Sie dessen so sicher?“ fragte Steiner. Der Russe machte eine kleine Verbeugung. „Leider, m?chte ich fast sagen. Ich besitze als Russe einen Nansenpass[17 - Nansenpass, der – ein Pass f?r staatenlose Fl?chtlinge und Emigranten. Er wurde 1922 vom Hochkommisar des V?lkerbundes f?r Fl?chtlingsfragen Fridtjof Nansen entworfen. Der Nansenpass war von 52 Staaten anerkannt.].“ „Nansenpass!“ wiederholte das Poulet ehrf?rchtig. „Da geh?ren Sie nat?rlich zur Aristokratie der Vaterlandslosen.“ „Es tut mir leid, dass es bei Ihnen noch nicht soweit ist“, sagte der Russe h?flich. „Sie hatten den Vorrang“, erwiderte Steiner. „Sie waren die ersten. Sie hatten das gro?e Mitleid der Welt. Wir haben nur noch das kleine. Man bedauert uns; aber wir sind l?stig und unerw?nscht.“ Der Russe hob die Schultern. Dann reichte er die Flasche dem letzten Mann in der Zelle, der bisher schweigend dagesessen hatte. „Bitte, nehmen Sie doch auch einen Schluck.“ „Danke“, sagte der Mann ablehnend. „Ich geh?re nicht zu Ihnen.“ Alle sahen ihn an. „Ich besitze einen g?ltigen Pass, ein Vaterland. Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis.“ Alle schwiegen. „Verzeihen Sie die Frage“, sagte der Russe nach einer Weile z?gernd, „weshalb sind Sie denn dann hier?“ „Wegen meines Berufes“, erwiderte der Mann hochm?tig. „Ich bin kein windiger Fl?chtling ohne Papiere. Ich bin ein anst?ndiger Taschendieb und Falschspieler mit vollem B?rgerrecht.“ Mittags gab es d?nne Bohnensuppe ohne Bohnen. Abends dasselbe, nur hie? es diesmal Kaffee, und es gab ein St?ck Brot dazu. Um sieben Uhr klapperte die T?r. Der Russe wurde abgeholt, wie er es vorausgesagt hatte. Er verabschiedete sich wie von alten Bekannten. „Ich werde in vierzehn Tagen ins Caf? Sperler schauen“, sagte er zu Steiner. „Vielleicht sind Sie dann schon dort und ich wei? schon etwas. Auf Wiedersehen!“ Um acht Uhr war der Vollb?rger und Falschspieler reif f?r den Anschluss. Er holte eine Schachtel Zigaretten hervor und lie? sie herumgehen. Alle rauchten. Die Zelle bekam durch die D?mmerung und die gl?henden Zigaretten fast etwas Heimatliches. Der Taschendieb erz?hlte, dass man nur nachforsche, ob er im letzten halben Jahr einen Coup[18 - Coup, der – eine riskante, ?berraschende, oft illegale Handlung] gemacht habe. Er glaube nicht, dass man etwas f?nde. Dann schlug er vor, ein Spiel zu machen und zauberte aus seinem Jackett ein Paket Karten. Es war dunkel geworden, und das elektrische Licht wurde nicht angez?ndet. Der Falschspieler war darauf vorbereitet. Er zauberte noch einmal – eine Kerze und Streichh?lzer. Die Kerze wurde auf einen Mauervorsprung geklebt. Sie gab ein mattes, flakkerndes Licht. Der Pole, das Poulet und Steiner r?ckten heran. „Spielen ohne Geld, nicht wahr?“ sagte das Poulet. „Selbstverst?ndlich.“ Der Falschspieler l?chelte. „Spielst du nicht mit?“ fragte Steiner Kern. „Ich kann nicht Karten spielen.“ „Musst du lernen, Baby. Was willst du sonst abends machen?“ „Morgen. Heute nicht.“ Steiner drehte sich um. Das schwache Licht grub tiefe Furchen in sein Gesicht. „Ist was los mit dir?“ Kern sch?ttelte den Kopf. „Nein. Nur etwas m?de. Lege mich auf die Pritsche da.“ Der Falschspieler mischte bereits die Karten. Er hatte eine knatternde, elegante Manier, sie ineinanderschie?en zu lassen. „Wer gibt?“ fragte das Poulet. Der Vollb?rger reichte die Karten herum. Der Pole zog eine Neun, das Poulet eine Dame, Steiner und der Falschspieler jeder ein As. Der Falschspieler sah kurz auf. „Stechen.“ Er zog. Wieder ein As. Er l?chelte und gab das Paket an Steiner. Der warf nachl?ssig die unterste Karte des Spiels auf – das Kreuz-As. „So ein Zufall!“ Das Poulet lachte. Der Falschspieler lachte nicht. „Woher kennen Sie den Trick?“ fragte er Steiner betroffen. „Sind Sie aus der Branche?“ „Nein, Amateur. Da freut einen die Anerkennung des Fachmannes doppelt.“ „Es ist nicht das!“ Der Falschspieler sah ihn an. „Der Trick stammt n?mlich von mir.“ „Ach so!“ Steiner zerdr?ckte seine Zigarette. „Ich habe ihn in Budapest gelernt. Im Gef?ngnis vor meiner Ausweisung. Von einem gewissen Katscher.“ „Katscher! Jetzt verstehe ich!“ Der Taschendieb atmete auf. „Daher also! Katscher ist ein Sch?ler von mir. Sie haben das gut gelernt.“ „Ja“, sagte Steiner, „man lernt allerhand, wenn man unterwegs ist.“ Der Falschspieler ?bergab ihm das Spiel Karten und blickte pr?fend in die Kerzenflamme. „Das Licht ist schlecht – aber wir spielen nat?rlich nur zum Vergn?gen, meine Herren, nicht wahr? Ehrlich…“ Kern legte sich auf die Pritsche und schloss die Augen. Er war voll von einer nebelhaften, grauen Traurigkeit. Seit dem Verh?r morgens hatte er ununterbrochen an seine Eltern denken m?ssen; – seit langer Zeit zum erstenmal wieder. Er sah seinen Vater vor sich, als er von der Polizei zur?ckkam. Ein Konkurrent hatte ihn wegen staatsgef?hrlicher Reden bei der Gestapo denunziert, um sein kleines Laboratorium f?r medizinische Seifen, Parf?me und Toilettewasser zu ruinieren und es dann f?r nichts zu kaufen. Der Plan gelang wie tausend andere um diese Zeit. Kerns Vater kam v?llig gebrochen nach sechs Wochen Haft zur?ck. Er sprach nie dar?ber; aber er verkaufte seine Fabrik f?r einen l?cherlichen Preis an den Konkurrenten. Bald darauf kam die Ausweisung, und damit begann die Flucht ohne Ende. Von Dresden nach Prag; von Prag nach Br?nn; von da nachts ?ber die Grenze nach ?sterreich – am n?chsten Tag durch die Polizei zur?ck in die Tschechei – heimlich ein paar Tage sp?ter wieder ?ber die Grenze nach Wien – die Mutter mit einem nachts gebrochenen Arm, notd?rftig im Walde mit zwei Astst?cken geschient – von Wien nach Ungarn; ein paar Wochen bei Verwandten der Mutter – dann wieder Polizei; der Abschied von der Mutter, die bleiben konnte, weil sie ungarischer Herkunft war – wieder die Grenze; wieder Wien – das erb?rmliche Hausieren mit Seife, Toilettewasser, Hosentr?gern und Schn?rsenkeln – die ewige Angst, angezeigt oder erwischt zu werden – der Abend, an dem der Vater nicht wiederkam – die Monate allein, von einem Versteck zum andern… Kern drehte sich um. Dabei stie? er jemand an. Er ?ffnete die Augen. Auf der Pritsche neben ihm lag wie ein schwarzes B?ndel in der Dunkelheit der letzte Bewohner der Zelle, ein Mann von etwa f?nfzig Jahren, der sich den ganzen Tag noch kaum ger?hrt hatte. „Entschuldigung“, sagte Kern. „Ich habe Sie nicht gesehen…“ Der Mann antwortete nicht. Kern bemerkte, dass er die Augen offen hatte. Er kannte die Art von Zust?nden; er hatte sie oft unterwegs gesehen. Es war am besten, den Mann in Ruhe zu lassen. „Verdammt!“ schrie pl?tzlich in der Ecke der Kartenspieler das Poulet auf. „Ich Ochse! Ich unerh?rter Ochse!“ „Wieso?“ fragte Steiner ruhig. „Die Herzdame war genau richtig!“ „Das meine ich ja nicht! Aber dieser Russe h?tte mir doch mein Poulet schicken k?nnen! Herrgott, ich d?mlicher Ochse! Ich einfach wahnsinniger Ochse!“ Er sah sich um, als ob die Welt untergegangen w?re. Kern merkte auf einmal, dass er lachte. Er wollte nicht lachen. Aber er konnte pl?tzlich nicht mehr aufh?ren. Er lachte, dass er sich sch?ttelte, und er wusste nicht weshalb. Irgend etwas in ihm lachte und warf alles durcheinander – Traurigkeit, Vergangenheit und alle Gedanken. „Was ist los, Baby“ fragte Steiner und blickte von seinen Karten auf. „Ich wei? nicht. Ich lache.“ „Lachen ist immer gut.“ Steiner zog den Pick?nig und trumpfte dem sprachlosen Polen einen todsicheren Stich ab. Kern griff nach einer Zigarette. Alles erschien ihm auf einmal ganz einfach. Er beschloss, morgen Karten spielen zu lernen, und er hatte das merkw?rdige Gef?hl, als ?ndere dieser Entschluss sein ganzes Leben. 2 Nach f?nf Tagen wurde der Falschspieler entlassen. Man hatte nichts gegen ihn finden k?nnen. Steiner und er schieden als Freunde. Der Falschspieler hatte die Zeit dazu ben?tzt, die Methode seines Sch?lers Katscher bei Steiner zu vollenden. Zum Abschied schenkte er ihm das Spiel Karten, und Steiner begann mit dem Unterricht Kerns. Er brachte ihm Skat[19 - Skat – Kartenspiel f?r drei Spieler, das mit 32 Karten gespielt wird.], Jass[20 - Jass – Kartenspiel, das vor allem in der deutschsprachigen Schweiz, in Liechtenstein, wie teilweise im S?den Deutschlands verbreitet ist. Beim Jass wird ?blicherweise mit vier Spielern und 36 Karten gespielt.], Tarock[21 - Tarock – in verschiedenen Formen gespieltes, alt?berliefertes Kartenspiel zu dritt.] und Poker bei – Skat f?r Emigranten; Jass f?r die Schweiz; Tarock f?r ?sterreich und Poker f?r alle anderen F?lle. Nach vierzehn Tagen wurde Kern heraufgeholt. Ein Inspektor f?hrte ihn in einen Raum, in dem ein ?lterer Mann sa?. Das Zimmer erschien Kern riesig gro? und so hell, dass er blinzeln musste; er war schon an die Zelle gew?hnt. „Sie sind Ludwig Kern, staatenlos, Student, geboren 30. November 1914 in Dresden?“ fragte der Mann gleichg?ltig und blickte in ein Papier. Kern nickte. Er konnte nicht sprechen. Seine Kehle war pl?tzlich trocken. Der Mann sah auf. „Ja“, sagte Kern heiser. „Sie haben sich ohne Papiere und unangemeldet in ?sterreich aufgehalten…“ Der Mann las rasch das Protokoll herunter. „Sie sind zu vierzehn Tagen Haft verurteilt, die inzwischen verb??t worden sind. Sie werden aus ?sterreich ausgewiesen. Jede R?ckkehr ist strafbar. Hier ist der gerichtliche Ausweisungsbeschluss. Und hier haben Sie zu unterschreiben, dass Sie den Ausweisungsbeschluss zur Kenntnis genommen haben und wissen, dass jede R?ckkehr strafbar ist. Hier rechts.“ Der Mann z?ndete sich eine Zigarette an. Kern sah wie gebannt auf die etwas schwammige Hand mit den dicken Adern, die das Streichholz hielt. Dieser Mann w?rde in zwei Stunden seinen Schreibtisch abschlie?en und zum Abendessen gehen – nachher w?rde er vielleicht ein Tarock spielen und ein paar Gl?ser Heurigen trinken – gegen elf Uhr w?rde er g?hnen, seine Zeche zahlen und erkl?ren: „Ich bin m?de. Ich gehe nach Hause. Schlafen.“ Nach Hause. Schlafen. Um dieselbe Zeit w?rde die Dunkelheit dicht ?ber den W?ldern und Feldern an der Grenze liegen, die Dunkelheit, die Fremde, die Angst, und verloren darin, allein, stolpernd, m?de, mit Sehnsucht nach Menschen und Angst vor Menschen, das winzige, flackernde F?nkchen Leben Ludwig Kern. Und all das nur, weil ihn und den gelangweilten Beamten hinter dem Schreibtisch ein St?ck Papier trennte, Pass genannt. Ihr Blut hatte die gleiche Temperatur, ihre Augen hatten die gleiche Konstruktion, ihre Nerven reagierten auf die gleichen Reize, ihre Gedanken liefen in den gleichen Bahnen – und doch trennte sie ein Abgrund, nichts war gleich bei ihnen, das Behagen des einen war die Qual des andern, sie waren Besitzender und Ausgesto?ener, und der Abgrund, der sie trennte, war nur ein kleines St?ck Papier, auf dem nichts weiter stand als ein Name und ein paar belanglose Daten. „Hier rechts“, sagte der Beamte. „Vor- und Zuname.“ Kern riss sich zusammen und unterschrieb. „An welche Grenze wollen Sie gestellt werden?“ fragte der Beamte. „An die tschechische.“ „Gut. In einer Stunde geht’s los. Es wird Sie jemand hinbringen.“ „Ich habe noch ein paar Sachen in dem Hause, wo ich gewohnt habe. Kann ich die vorher abholen?“ „Was f?r Sachen?“ „Einen Koffer mit W?sche und so was.“ „Gut. Sagen Sie es dem Beamten, der Sie an die Grenze bringt. Sie k?nnen vorbeigehen.“ Der Inspektor f?hrte Kern wieder hinunter und nahm Steiner mit hinauf. „Was war los?“ fragte das Poulet neugierig. „In einer Stunde kommen wir ’raus.“ „Jesus Christus!“ sagte der Pole. „Geht Schei?e dann wieder los.“ „M?chtest du hier bleiben?“ fragte das Poulet. „Wenn Essen bess?rr – und kleine Posten als Kalfaktor – g?rrne.“ Kern nahm sein Taschentuch hervor und rieb seinen Anzug sauber, so gut es ging. Sein Hemd war sehr schmutzig geworden in den vierzehn Tagen. Er drehte die Manschetten um. Er hatte sie die ganze Zeit geschont. Der Pole sah ihm zu. „In ein, zwei Jahren das dirr ganz eggal“, prophezeite er. „Wohin gehst du?“ fragte das Poulet. „Tschechei. Und du? Nach Ungarn?“ „Schweiz. Hab’s mir ?berlegt. Komm mit. Von da lassen wir uns dann nach Frankreich schieben.“ Kern sch?ttelte den Kopf. „Nein, ich will sehen, dass ich nach Prag komme.“ Ein paar Minuten sp?ter wurde Steiner wieder hereingebracht. „Wei?t du, wie der Polizist hei?t, der mich bei der Verhaftung ins Gesicht geschlagen hat?“ fragte er Kern. „Leopold Sch?fer. Er wohnt Trautenaugasse 27. Sie haben es mir aus dem Protokoll vorgelesen. Nat?rlich nicht, dass er mich geschlagen hat. Nur dass ich ihn bedroht h?tte.“ Er sah Kern an. „Glaubst du, dass ich den Namen und die Adresse vergessen werde?“ „Nein“, sagte Kern. „Bestimmt nicht.“ „Das meine ich auch!“ Ein Kriminalbeamter in Zivil holte Steiner und Kern ab. Kern war aufgeregt. Vor der T?r blieb er unwillk?rlich stehen. Das Bild, das er sah, prallte wie ein weicher, s?dlicher Wind gegen seine Stirn. Der Himmel war blau und ein wenig d?mmerig ?ber den H?usern, die Giebel leuchteten im letzten, roten Schein der Sonne, der Donaukanal schimmerte, und auf der Stra?e schoben sich begl?nzte Autobusse durch den Strom heimkehrender und spazierender Menschen. Eine Schar M?dchen in hellen Kleidern dr?ngte lachend und eilig dicht vorbei. Kern glaubte, noch nie etwas so Sch?nes gesehen zu haben. „Los, gehen wir“, sagte der Kriminalbeamte. Kern zuckte zusammen. Besch?mt sah er an sich herunter. Er bemerkte, dass ein Vorbeigehender ihn ungeniert musterte. Sie gingen durch die Stra?en, der Beamte in der Mitte. Die Caf?s hatten Tische und St?hle herausgestellt, und ?berall sa?en fr?hliche, plaudernde Menschen. Kern senkte den Kopf und begann, schneller zu gehen. Steiner sah ihn mit gutm?tigem Spott an. „Na, Kleiner, ist nichts f?r uns, was? Das da.“ „Nein“, erwiderte Kern und presste die Lippen zusammen. Sie kamen zu ihrer Pension. Die Wirtin empfing sie mit einer Mischung von ?rger und Mitleid. Sie gab ihnen ihre Sachen gleich heraus. Es war nichts gestohlen worden. Kern hatte in der Zelle die Absicht gehabt, ein sauberes Hemd anzuziehen, aber jetzt, nachdem er durch die Stra?en gegangen war, tat er es nicht. Er nahm den zersto?enen Koffer unter den Arm und bedankte sich bei der Wirtin. „Es tut mir leid, dass Sie solche Unannehmlichkeiten hatten“, sagte er. Die Wirtin wehrte ab. „Lassen Sie sich’s nur gut gehen. Und Sie auch, Herr Steiner. Wo soll’s denn hin?“ Steiner machte eine ziellose Geste. „Den Weg der Grenzwanzen. Von Geb?sch zu Geb?sch.“ Die Wirtin stand einen Augenblick unentschlossen. Dann trat sie mit energischem Schritt an ein Wandschr?nkchen aus Nussbaumholz, das in Form einer mittelalterlichen Burg gearbeitet war. „Nehmen Sie noch einen auf den Weg…“ Sie holte drei Gl?ser und eine Flasche hervor und schenkte ein. „Sliwowitz[22 - Sliwowitz, der – Pflaumenschnaps]?“ fragte Steiner. Sie nickte und bot dem Beamten auch ein Glas an. Der wischte sich den Schnurrbart. „Unsereins tut schlie?lich nur seine Pflicht“, erkl?rte er. „Nat?rlich!“ Die Wirtin goss sein Glas wieder voll. „Warum trinken Sie denn nicht?“ fragte sie Kern. „Ich kann nicht. So auf den leeren Magen…“ „Ach so!“ Die Wirtin blickte ihn pr?fend an. Sie hatte ein schwammiges, kaltes Gesicht, das jetzt unversehens w?rmer wurde. „Gott ja, er w?chst wohl noch“, murmelte sie. „Franzi“, rief sie dann. „Ein belegtes Brot!“ „Danke, das ist nicht n?tig“, Kern err?tete. „Ich habe keinen Hunger.“ Die Kellnerin brachte ein gro?es doppeltes Schinkenbrot. „Zieren Sie sich nicht“, sagte die Wirtin. „Vorw?rts.“ „Willst du nicht die H?lfte?“ fragte Kern Steiner. „Es ist zuviel f?r mich.“ „Rede nicht! I?!“ erwiderte Steiner. Kern a? das Schinkenbrot auf und trank ein Glas Sliwowitz. Dann verabschiedeten sie sich. Sie fuhren mit der Stra?enbahn zum Ostbahnhof. Im Zug f?hlte sich Kern pl?tzlich sehr m?de. Das Rattern des Wagens schl?ferte ihn ein. Er sah die H?user wie im Traum vor?bergleiten, Fabrikh?fe, Stra?en, Wirtsg?rten mit hohen Nussb?umen, Wiesen, Felder und die sanfte, blaue D?mmerung des Abends. Er war satt, das wirkte auf ihn wie ein Rausch. Seine Gedanken wurden unscharf, sie verloren sich in Tr?umen – von einem wei?en Hause zwischen bl?henden Kastanien, von einer Deputation feierlicher Menschen in Gehr?cken, die ihm einen Ehrenb?rgerbrief ?berreichten, und von einem uniformierten Diktator, der ihn weinend knief?llig um Entschuldigung bat. Es war fast dunkel, als sie am Zollhaus ankamen. Der Kriminalbeamte ?bergab sie der Zollwache und stapfte dann zur?ck durch die fliederfarbene D?mmerung. „Es ist noch zu fr?h“, sagte der Zollbeamte, der die Automobile abfertigte. „So um halb zehn ist die beste Zeit.“ Kern und Steiner setzten sich vor die T?r auf eine Bank und sahen zu, wie die Automobile ankamen. Nach einiger Zeit kam ein zweiter Zollbeamter heraus. Er f?hrte sie rechts vom Zollhaus einen Fu?weg entlang. Sie kamen durch Felder, die stark nach Erde und Tau rochen, an ein paar H?usern mit erleuchteten Fenstern und einem Waldstreifen vorbei. Nach einiger Zeit blieb der Beamte stehen. „Geht hier weiter und haltet euch links, damit ihr durch die B?sche gedeckt seid, bis ihr an die March kommt. Sie ist jetzt nicht tief. Ihr k?nnt leicht hindurchwaten.“ Die beiden gingen. Es war sehr still. Nach einer Weile sah Kern sich um. Die schwarze Silhouette des Beamten hob sich vom Horizont ab. Er beobachtete sie. Sie gingen weiter. An der March zogen sie sich aus. Sie packten ihre Kleider und ihr Gep?ck zu einem B?ndel zusammen. Das Wasser war moorig und schimmerte braun und silbern. Es waren Sterne und Wolken am Himmel, und der Mond brach manchmal durch. „Ich werde vorangehen“, sagte Steiner. „Ich bin gr??er als du.“ Sie wateten durch den Flu?. Kern f?hlte das Wasser k?hl und geheimnisvoll an seinem K?rper hochsteigen, als wollte es ihn nie mehr freigeben. Vor ihm tastete sich Steiner langsam und vorsichtig vorw?rts. Er hielt seinen Rucksack und seine Kleider ?ber den Kopf. Seine breiten Schultern waren wei? vom Mond ?berschienen. In der Mitte des Flusses blieb er stehen und sah sich um. Kern war dicht hinter ihm. Er l?chelte und nickte ihm zu. Sie kletterten ans gegen?berliegende Ufer und trockneten sich mit ihren Taschent?chern fl?chtig ab. Dann zogen sie sich an und gingen weiter. Nach einer Weile blieb Steiner stehen. „Jetzt sind wir ?ber die Grenze“, sagte er. Seine Augen waren hell und fast gl?sern in dem durchscheinenden Licht. Er sah Kern an. „Wachsen die B?ume anders? Riecht der Wind anders? Sind es nicht dieselben Sterne? Sterben die Menschen anders?“ „Nein“, sagte Kern. „Das nicht. Aber ich f?hle mich anders.“ Sie suchten sich einen Platz unter einer alten Buche, wo sie vor Sicht gesch?tzt waren. Vor ihnen lag eine langsam abfallende Wiese. In der Ferne schimmerten die Lichter eines slowakischen Dorfes. Steiner band seinen Rucksack auf, um nach Zigaretten zu suchen. Dabei sah er auf Kerns Koffer. „Ich habe gefunden, dass ein Rucksack praktischer ist als ein Koffer. Er f?llt nicht so auf. Man h?lt dich f?r einen harmlosen Wandervogel.“ „Wanderv?gel revidiert man auch“, erwiderte Kern. „Alles, was arm aussieht, revidiert man. Ein Auto w?re das beste.“ Sie z?ndeten sich Zigaretten an. „Ich gehe in einer Stunde zur?ck“, sagte Steiner. „Und du?“ „Ich will versuchen, nach Prag zu kommen. Die Polizei ist da besser. Man bekommt leicht ein paar Tage Aufenthaltserlaubnis, und dann muss man weitersehen. Vielleicht finde ich auch meinen Vater, und er kann mir helfen. Ich habe geh?rt, er w?re da.“ „Wei?t du, wo er wohnt?“ „Nein.“ „Wieviel Geld hast du?“ „Zw?lf Schilling.“ Steiner kramte in seiner Rocktasche. „Hier hast du etwas dazu. Das reicht ungef?hr bis Prag.“ Kern blickte auf. „Nimm’s ruhig“, sagte Steiner. „Ich habe noch genug f?r mich.“ Er zeigte ein paar Scheine. Kern konnte es im Schatten der B?ume nicht sehen, was f?r welche es waren. Er zauderte einen Augenblick. Dann nahm er das Geld. „Danke“, sagte er. Steiner erwiderte nichts. Er rauchte. Die Zigarette glomm auf, wenn er zog, und beleuchtete sein verschattetes Gesicht. „Weshalb bist du eigentlich unterwegs?“ fragte Kern z?gernd. „Du bist doch kein Jude!“ Steiner schwieg eine Zeitlang. „Nein, ich bin kein Jude“, sagte er endlich. Es raschelte im Geb?sch hinter ihnen. Kern sprang auf. „Ein Hase oder ein Kaninchen“, sagte Steiner. Dann wandte er sich Kern zu. „Damit du daran denken kannst, Kleiner, wenn du mal verzweifelst. Du bist drau?en, dein Vater ist drau?en, deine Mutter ist drau?en. Ich bin drau?en – aber meine Frau ist in Deutschland. Und ich wei? nichts von ihr.“ Es raschelte wieder hinter ihnen. Steiner dr?ckte seine Zigarette aus und lehnte sich an den Stamm der Buche. Es begann zu wehen. Der Mond hing ?ber dem Horizont. Ein Mond, kreidig und unbarmherzig wie in jener letzten Nacht. Nach seiner Flucht aus dem Konzentrationslager hatte Steiner sich eine Woche lang bei einem Freunde verborgen gehalten. Er hatte in einer abgeschlossenen Dachkammer gesessen, immer bereit, ?ber das Dach zu fliehen, wenn er ein verd?chtiges Ger?usch h?ren w?rde. Nachts brachte ihm der Freund Brot, Konserven und ein paar Flaschen Wasser. In der zweiten Nacht ein paar B?cher. Steiner las sie tags?ber immer wieder, um sich abzulenken. Seine Notdurft musste er in einen Topf verrichten, der in einem Pappkarton verborgen war. Der Freund holte ihn nachts herunter und brachte ihn wieder hinauf. Sie mussten so vorsichtig sein, dass sie kaum miteinander fl?sterten; die Dienstm?dchen, die nebenan schliefen, h?tten sie h?ren und verraten k?nnen. „Wei? Marie es?“ fragte Steiner in der ersten Nacht. „Nein. Das Haus ist bewacht.“ „Ist ihr etwas passiert?“ Der Freund sch?ttelte den Kopf und ging. Steiner fragte immer dasselbe. Jede Nacht. In der vierten Nacht brachte der Freund endlich die Nachricht, dass er sie gesehen habe. Sie wisse jetzt, wo er sei. Er habe es ihr zufl?stern k?nnen. Morgen s?he er sie wieder. Auf dem Wochenmarkt im Gedr?nge. Steiner verbrachte den n?chsten Tag damit, ihr einen Brief zu schreiben, den der Freund ihr zustecken sollte. Abends zerriss er ihn. Er wusste nicht, ob man sie beobachtete. Nachts bat er aus demselben Grunde den Freund, sie nicht mehr zu treffen. Er blieb noch drei N?chte in der Kammer. Endlich kam der Freund mit Geld, einer Fahrkarte und einem Anzug. Steiner schnitt sich das Haar und wusch es mit Wasserstoffsuperoxyd hell. Dann rasierte er sich den Schnurrbart ab. Vormittags verlie? er das Haus. Er trug eine Monteurjacke und einen Kasten mit Werkzeug. Er sollte sofort aus der Stadt hinaus; aber er wurde schwach. Es war zwei Jahre her, dass er seine Frau gesehen hatte. Er ging zum Wochenmarkt. Nach einer Stunde kam sie. Er fing an zu zittern. Sie ging an ihm vor?ber, aber sie sah ihn nicht. Er folgte ihr, und als er dicht hinter ihr war, sagte er: „Sieh dich nicht um! Ich bin’s! Geh weiter! Geh weiter!“ Ihre Schultern zuckten, und sie warf den Kopf zur?ck. Dann ging sie weiter. Aber es war, als w?re sie nur noch ein einziges Lauschen nach r?ckw?rts. „Hat man dir etwas getan?“ fragte die Stimme hinter ihr. Sie sch?ttelte den Kopf. „Beobachtet man dich?“ Sie nickte. „Jetzt?“ Sie z?gerte. Dann sch?ttelte sie den Kopf. „Ich gehe jetzt gleich. Will versuchen, durchzukommen. Ich kann dir nicht schreiben. Es ist zu gef?hrlich f?r dich.“ Sie nickte. „Du musst dich von mir scheiden lassen.“ Die Frau verhielt eine Sekunde den Schritt. Dann ging sie weiter. „Du musst dich von mir scheiden lassen. Du musst morgen hingehen. Du musst sagen, dass du dich wegen meiner Gesinnung scheiden lassen willst. Du h?ttest das alles fr?her nicht gewusst. Hast du es verstanden?“ Die Frau r?hrte den Kopf nicht. Sie ging steif aufgerichtet weiter. „Versteh mich doch“, fl?sterte Steiner. „Es ist nur, damit du in Sicherheit bist! Es w?rde mich verr?ckt machen, wenn sie dir was t?ten! Du musst dich scheiden lassen – dann lassen sie dich in Ruhe!“ Die Frau antwortete nicht. „Ich liebe dich, Marie“, sagte Steiner leise, zwischen den Z?hnen hindurch, und die Augen flimmerten ihm vor Erregung. „Ich liebe dich, und ich gehe nicht weg, wenn du es nicht versprichst! Ich gehe zur?ck, wenn du es nicht versprichst! Verstehst du mich?“ Nach einer Ewigkeit, schien ihm, nickte die Frau. „Versprichst du es mir?“ Die Frau nickte langsam. Ihre Schultern sanken zusammen. „Ich biege jetzt ab und komme den Gang rechts herauf. Geh links herum und komme mir entgegen. Sprich nichts, tu nichts! Ich will dich nur noch einmal sehen. Dann gehe ich. Wenn du nichts h?rst, bin ich durchgekommen.“ Die Frau nickte und ging rascher. Steiner bog ab und ging die Gasse rechts hinauf. Sie war einges?umt von den Buden der Schl?chter. Frauen mit K?rben feilschten vor den St?nden. Das Fleisch gl?nzte blutig und wei? in der Sonne. Es roch unertr?glich. Die Schl?chter schrien. Aber pl?tzlich versank alles. Das Hacken der Beile auf den Holzkl?tzen wurde zum feinen Dengeln von Sensen. Eine Wiese war da, ein Kornfeld, Freiheit, Birken, Wind und der geliebte Schritt und das geliebte Gesicht. Ihre Augen fassten sich und lie?en sich nicht los, und in ihnen war alles: Schmerz und Gl?ck und Liebe und Trennung, das Leben schwankend hoch ?ber ihren Gesichtern, voll und s?? und wild, und der Verzicht, das rasende Kreisen der tausend flimmernden Messer. Sie gingen und standen still zugleich, und sie gingen und wussten es nicht. Dann st?rzte die Leere grell in Steiners Augen, und erst nach einer Weile unterschied er wieder die Farben und das Kaleidoskop, das sinnlos vor seinen Aug?pfeln abrollte und nicht eindrang. Er stolperte weiter, dann ging er rasch, so schnell er konnte, ohne aufzufallen. Er stie? die H?lfte eines geschlachteten Schweines von einem mit Wachstuch belegten Tisch, er h?rte das Schimpfen des Schl?chters wie das Rasseln einer Trommel, er lief um die Ecke der Budengasse und blieb stehen. Er sah sie fortgehen vom Markt. Sie ging sehr langsam. An der Ecke der Stra?e blieb sie stehen und drehte sich um. So stand sie lange Zeit, das Gesicht etwas emporgehoben, die Augen weit offen. Der Wind zerrte an ihren Kleidern und dr?ckte sie gegen ihren K?rper. Steiner wusste nicht, ob sie ihn sah. Er wagte nicht, sich ihr noch einmal zu zeigen. Er ahnte, dass sie vielleicht zur?cklaufen w?rde zu ihm. Nach einer Weile hob sie die H?nde und legte sie um ihre Br?ste. Sie hielt sie ihm hin. Sie hielt sich ihm hin. Sie hielt sich ihm hin in einer schmerzvoll leeren, blinden Umarmung, den Mund ge?ffnet, mit geschlossenen Augen. Dann wandte sie sich langsam ab, und die Schattenschlucht der Stra?e verschluckte sie. Drei Tage sp?ter kam Steiner ?ber die Grenze. Die Nacht war hell und windig, und der Mond stand kreidig am Himmel. Steiner war ein harter Mensch, aber als er die Grenze ?berquert hatte, nass von kaltem Schwei?, drehte er sich um und sagte wie irrsinnig in die Richtung, aus der er kam, den Namen seiner Frau. * * * Er nahm eine neue Zigarette heraus. Kern gab ihm Feuer. „Wie alt bist du?“ fragte Steiner. „Einundzwanzig. Bald zweiundzwanzig.“ „So, bald zweiundzwanzig. Kein Spa?, Baby, was?“ Kern sch?ttelte den Kopf. Steiner schwieg eine Zeitlang. Dann sagte er: „Mit einundzwanzig war ich im Krieg. In Flandern. War auch kein Spa?. Da ist dieses hier hundertmal besser. Verstehst du?“ „Ja.“ Kern drehte sich um. „Es ist auch besser, als tot zu sein. Das wei? ich alles.“ „Dann wei?t du schon viel. Vor dem Kriege wussten nur wenige Leute so was.“ „Vor dem Kriege – das war vor hundert Jahren.“ „Vor tausend. Mit zweiundzwanzig Jahren lag ich im Lazarett. Da habe ich etwas gelernt. Willst du wissen, was?“ „Ja.“ „Sch?n.“ Steiner zog an seiner Zigarette. „Ich hatte nichts Besonderes. Fleischdurchschuss ohne viel Schmerzen. Aber neben mir lag mein Freund. Nicht irgendein Freund. Mein Freund. Ein Splitter hatte ihm den Bauch aufgerissen. Er lag da und schrie. Kein Morphium, verstehst du? Hatten sogar f?r die Offiziere zuwenig. Am zweiten Tag war er so heiser, dass er nur noch st?hnte. Flehte mich an, ein Ende zu machen. H?tte es getan, wenn ich gewusst h?tte, wie. Am dritten Tag gab’s mittags auf einmal Erbsensuppe. Dicke Friedenssuppe mit Speck. Vorher hatten wir nur so eine Art Aufwaschwasser gekriegt. Wir a?en sie. Waren furchtbar hungrig. Und w?hrend ich fra? wie ein hei?hungriges Vieh, selbstvergessen mit Genuss fra?, sah ich ?ber den Rand der Sch?ssel das Gesicht meines Freundes, die zerborstenen, aufgerissenen Lippen, ich sah, dass er unter Qualen starb, zwei Stunden sp?ter war er tot, und ich fra? und es schmeckte mir wie nie in meinem Leben.“ Er machte eine Pause. „Ihr hattet eben schrecklichen Hunger“, sagte Kern. „Nein, das war es nicht. Es war etwas anderes: dass neben dir jemand verrecken kann – und du nichts davon sp?rst. Mitleid, gut – aber die Schmerzen sp?rst du trotzdem nicht! Dein Bauch ist heil, das ist es. Einen halben Meter neben dir geht f?r einen andern die Welt unter in Gebr?ll und Qual – und du sp?rst nichts. Das ist das Elend der Welt! Merk dir das, Baby. Deshalb geht es so langsam vorw?rts. Und so schnell r?ckw?rts. Glaubst du’s?“ „Nein“, sagte Kern. Steiner l?chelte. „Klar. Aber denk mal gelegentlich dran. Vielleicht hilft dir’s.“ Er stand auf. „Ich will los. Zur?ck. Der Z?llner glaubt nicht, dass ich jetzt kommen werde. Er hat die erste halbe Stunde aufgepasst. Morgen fr?h wird er wieder aufpassen. Dass ich inzwischen ’r?berr?cken k?nnte, geht nicht in seinen Kopf. Z?llnerpsychologie. Gottlob[23 - gottlob (veraltend) = Gott sei (Lob und) Dank; gl?cklicherweise] ist der Gejagte meistens nach einiger Zeit kl?ger als der J?ger. Wei?t du warum?“ „Nein.“ „Weil f?r ihn mehr auf dem Spiel steht.“ Er schlug Kern auf die Schulter. „Deshalb sind die Juden das schlaueste Volk der Erde geworden. Erstes Gesetz des Lebens: Gefahr sch?rft die Sinne.“ Er gab Kern die Hand. Sie war gro? und trocken und warm. „Mach’s gut. Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Ich werde abends ?fter im Caf? Sperle sein. Kannst da nach mir fragen.“ Kern nickte. „Also mach’s gut. Und vergiss das Kartenspielen nicht. Es lenkt ab, ohne dass man denken muss. Ein hohes Ziel f?r Leute ohne Bleibe. Du bist nicht schlecht in Jass und Tarock. Im Poker musst du noch mehr riskieren. Mehr bluffen.“ „Gut“, sagte Kern. „Ich werde mehr bluffen. Und ich danke dir auch. F?r alles.“ „Dankbarkeit musst du dir abgew?hnen. Nein, gew?hn sie dir nicht ab. Kommst besser damit durch. Ich meine nicht bei den Leuten, das ist gleichg?ltig. Bei dir. W?rmt dir das Herz, wenn du’s mal sein kannst. Und denk dran: alles besser als Krieg!“ „Und besser als tot.“ „Tot wei? ich nicht. Aber besser als sterben auf jeden Fall. Servus, Baby!“ „Servus[24 - Servus! (s?dd., ?sterr.) – verwendet zur Begr??ung oder zur Verabschiedung besonders unter Freunden oder Kollegen], Steiner!“ Kern blieb noch eine Zeitlang sitzen. Der Himmel war klar geworden und die Landschaft war voll Frieden. Sie war ohne Menschen. Kern sa? schweigend im Schatten der Buche. Das helle durchscheinende Gr?n der Bl?tter bauschte sich ?ber ihm wie ein gro?es Segel – als triebe der Wind die Erde sanft durch den unendlichen blauen Raum – vorbei an den Signallichtern der Sterne und der Leuchtboje des Mondes. Kern beschloss zu versuchen, nachts noch bis Pressburg zu kommen und von da nach Prag. Eine Stadt war immer am sichersten. Er ?ffnete seinen Koffer und nahm das saubere Hemd und ein Paar Str?mpfe hervor, um sich umzuziehen. Er wusste, dass es wichtig war, wenn ihm jemand begegnete. Er wollte es auch, um das Gef?ngnis loszuwerden. Es war ihm sonderbar zumute, als er nackt im Mondlicht dastand. Er kam sich wie ein verlorenes Kind vor. Rasch nahm er das frische Hemd, das im Grase vor ihm lag, und streifte es ?ber. Es war ein blaues Hemd und das war praktisch, denn es schmutzte nicht so leicht. Im Mondlicht sah es fahlgrau und violett aus. Er nahm sich vor, mutig zu bleiben. 3 Kern kam nachmittags in Prag an. Er lie? seinen Koffer am Bahnhof und ging sofort zur Polizei. Er wollte sich nicht melden; er wollte nur in Ruhe nachdenken, was er tun sollte. Dazu war das Polizeigeb?ude der beste Platz. Dort streiften keine Polizisten umher und fragten nach Papieren. Er setzte sich auf eine Bank im Korridor. Gegen?ber lag das B?ro, in dem die Fremden abgefertigt wurden. „Ist der Beamte mit dem Spitzbart noch da?“ fragte er einen Mann, der neben ihm wartete. „Ich wei? nicht. Der, den ich kenne, hat keinen.“ „Aha! Kann sein, dass er versetzt ist. Wie sind sie denn jetzt hier?“ „Es geht“, sagte der Mann. „Ein paar Tage Aufenthalt kriegt man schon. Aber nachher wird’s schwer. Es sind zu viele hier.“ Kern ?berlegte. Wenn er ein paar Tage Aufenthaltserlaubnis erhielt, konnte er beim Komitee f?r Fl?chtlingshilfe f?r ungef?hr eine Woche E?- und Schlafkarten bekommen, das wusste er von fr?her her. Wenn er sie nicht bekam, riskierte er, dass man ihn einsperrte und zur?ck ?ber die Grenze schob. „Sie sind dran“, sagte der Mann neben ihm. Kern sah ihn an. „Wollen Sie nicht vorgehen? Ich habe Zeit.“ „Gut.“ Der Mann stand auf und ging hinein. Kern beschloss abzuwarten, was mit ihm passierte, um sich dann zu entscheiden, ob er selbst hineingehen sollte oder nicht. Unruhig wanderte er auf dem Korridor hin und her. Endlich kam der Mann wieder heraus. Kern ging rasch auf ihn zu. „Wie war es?“ fragte er. „Zehn Tage!“ Der Mann strahlte. „So ein Gl?ck! Und ohne zu fragen. Muss gut gelaunt sein. Oder vielleicht, weil heute nicht so viele da sind. Das letztemal hatte ich nur f?nf Tage.“ Kern gab sich einen Ruck. „Dann werde ich es auch versuchen.“ Der Beamte hatte keinen Spitzbart. Trotzdem kam er Kern bekannt vor. Vielleicht hatte er sich den Bart inzwischen abnehmen lassen. Er spielte mit einem zierlichen Federmesser aus Perlmutter und warf einen m?den Fischblick auf Kern. „Emigrant?“ „Ja.“ „Aus Deutschland gekommen?“ „Ja. Heute.“ „Irgendwelche Papiere?“ „Nein.“ Der Beamte nickte. Er lie? die Klingen seines Messers zuschnappen und klappte den Schraubenzieher auf. Kern sah, dass in der perlmutternen Schale au?erdem noch eine Nagelfeile eingelassen war. Der Beamte begann vorsichtig damit seinen Daumennagel zu gl?tten. Kern wartete. Es schien ihm, als w?re der Nagel des m?den Mannes vor ihm das Wichtigste auf der Welt. Er wagte kaum zu atmen, um ihn nicht zu st?ren und ?rgerlich zu machen. Er presste nur verstohlen die H?nde auf dem R?cken fest aneinander. Der Nagel war endlich fertig. Der Beamte besah ihn befriedigt und blickte auf. „Zehn Tage“, sagte er. „Sie k?nnen zehn Tage hier bleiben. Dann m?ssen Sie ’raus.“ Die Spannung in Kern l?ste sich j?h. Er glaubte, er fiele, aber er atmete nur tief. Dann fasste er sich rasch. Er hatte gelernt, den Zufall festzuhalten. „Ich w?re Ihnen sehr dankbar, wenn ich vierzehn Tage haben k?nnte“, sagte er. „Das geht nicht. Warum?“ „Ich warte darauf, dass mir Papiere nachgeschickt werden. Dazu muss ich eine feste Adresse haben. Ich m?chte dann nach ?sterreich.“ Kern hatte Angst, im letzten Augenblick noch alles zu verderben; aber er konnte nicht mehr zur?ck. Er log glatt und schnell. Er h?tte ebensogern die Wahrheit gesagt, aber er wusste, dass er l?gen musste. Der Beamte dagegen wusste, dass er diese L?gen glauben musste – denn es gab keine M?glichkeit, sie zu kontrollieren. So kam es, dass beide fast glaubten, von der Wahrheit zu reden. Der Beamte lie? den Schraubenzieher seines Messers zuschnappen. „Gut“, sagte er. „Ausnahmsweise vierzehn Tage. Aber es gibt dann keine Verl?ngerung.“ Er nahm einen Zettel und begann zu schreiben. Kern sah ihm zu, als schriebe ein Erzengel. Er konnte kaum fassen, dass alles so geklappt hatte. Bis zum letzten Augenblick erwartete er, dass der Beamte in der Kartothek nachsehen und feststellen k?nnte, dass er schon zweimal in Prag war. Zur Vorsicht gab er deshalb einen anderen Vornamen und falsche Geburtsdaten an. Er konnte dann immer noch behaupten, das damalls sei ein Bruder von ihm gewesen. Aber der Beamte war viel zu m?de, um etwas nachzusehen. Er schob Kern den Zettel hin. „Hier! Sind noch mehr drau?en?“ „Nein, ich glaube nicht. Vorhin wenigstens war niemand mehr da.“ „Gut.“ Der Mann zog ein Taschentuch hervor und begann liebevoll die Perlmutterschalen seines Messers zu putzen. Er merkte kaum noch, dass Kern sich bedankte und dann so rasch hinausging, als k?nne ihm sein Papier noch jetzt wieder abgenommen werden. Erst drau?en vor dem Tor des Geb?udes blieb er stehen und sah sich um. Du s??er Himmel, dachte er ?berw?ltigt, du s??er, blauer Himmel! Ich bin zur?ckgekommen und nicht eingesperrt worden! Ich brauche vierzehn Tage lang keine Angst zu haben, vierzehn volle Tage und vierzehn N?chte, eine Ewigkeit! Gott segne den Mann mit dem Perlmuttermesser! M?ge er demn?chst eins finden, das noch eine versenkbare Uhr und eine goldene Schere enth?lt. Neben ihm vor dem Eingang stand ein Polizist. Kern f?hlte nach dem Ausweis in seiner Tasche. Mit einem Entschluss trat er dann auf den Polizisten zu. „Wie sp?t ist es, Wachtmeister?“ fragte er. Er hatte selbst eine Uhr bei sich. Aber es war ein zu seltenes Erlebnis, einmal vor einem Polizisten keine Angst haben zu brauchen. „F?nf“, brummte der Polizist. „Danke.“ Kern ging langsam die Treppe hinunter. Er w?re am liebsten gelaufen. Jetzt erst glaubte er, dass alles wirklich wahr war. * * * Der Gro?raum des Komitees f?r Fl?chtlingshilfe war ?berf?llt mit Menschen. Trotzdem wirkte er auf eine sonderbare Weise kahl. Die Leute standen und sa?en im Halbdunkel herum wie Schatten. Fast niemand sprach. Jeder hatte alles, was ihn anging, schon hundertmal gesagt und besprochen. Jetzt gab es nur noch eins, zu warten. Es war die letzte Barriere vor der Verzweiflung. ?ber die H?lfte der Anwesenden waren Juden. Neben Kern sa? ein bleicher Mensch mit einem Birnensch?del, der einen Geigenkasten auf den Knien hielt. Auf der andern Seite hockte ein alter Mann, ?ber dessen gebuckelte Stirn eine Narbe lief. Er ?ffnete und schloss ruhelos die H?nde. Daneben sa?en, eng zusammengeschmiegt, ein blonder, junger Mann und ein dunkles M?dchen. Sie hielten die H?nde fest ineinander verschr?nkt, als f?rchteten sie, wenn ihre Aufmerksamkeit nur einen Augenblick nachlie?e, auch hier noch auseinandergerissen zu werden. Sie sahen sich nicht an; sie sahen irgendwohin in den Raum und in die Vergangenheit hinein, und ihre Augen waren leer von Gef?hl. Hinter ihnen sa? eine dicke Frau, die lautlos weinte. Die Tr?nen liefen ihr aus den Augen, ?ber die Wangen und das Kinn auf das Kleid; sie achtete nicht darauf und machte keinen Versuch, sie aufzuhalten. Ihre H?nde lagen schlaff in ihrem Scho?. In dieser schweigenden Ergebenheit und Trauer spielte unbefangen ein Kind. Es war ein M?dchen von ungef?hr sechs Jahren. Lebhaft und ungeduldig, mit gl?nzenden Augen und schwarzen Locken, wanderte es umher. Vor dem Mann mit dem Birnensch?del blieb es stehen. Es blickte ihn eine Zeitlang an; dann zeigte es auf den Kasten, den er auf den Knien hielt. „Hast du eine Geige darin?“ fragte es mit einer klingenden, fordernden Stimme. Der Mann sah das Kind einen Moment an, als verst?nde er es nicht. Dann nickte er. „Zeig sie mir“, sagte das M?dchen. „Warum?“ „Ich m?chte sie sehen.“ Der Geiger z?gerte einen Augenblick; dann ?ffnete er den Kasten und nahm das Instrument heraus. Es war in ein violettes Seidentuch gewickelt. Mit behutsamen H?nden faltete er es auseinander. Das Kind starrte die Geige lange an. Vorsichtig hob es dann die Hand und ber?hrte die Saiten. „Warum spielst du nicht?“ fragte es. Der Geiger antwortete nicht. „Spiel doch etwas“, wiederholte das M?dchen. „Mirjam!“ rief eine Frau, die einen S?ugling auf dem Scho? hatte, von der andern Seite des Raumes leise und unterdr?ckt. „Komm her zu mir, Mirjam!“ Das M?dchen h?rte nicht auf sie. Es schaute den Geiger an. „Kannst du nicht spielen?“ „Ich kann schon…“ „Warum spielst du dann nicht?“ Der Geiger sah sich verlegen um. Seine gro?e, ausgearbeitete Hand umklammerte den Geigenhals. Ein paar Leute in der N?he wurden aufmerksam und sahen ihn an. Er wusste nicht, wohin er blicken sollte. „Ich kann doch hier nicht spielen“, sagte er schlie?lich. „Warum denn nicht?“ fragte das M?dchen. „Spiel doch! Es ist langweilig hier.“ „Mirjam!“ rief die Mutter. „Das Kind hat recht“, sagte der alte Mann mit der Narbe auf der Stirn, der neben dem Geiger sa?. „Spielen Sie doch. Vielleicht lenkt es uns alle etwas ab. Und es wird ja wohl erlaubt sein.“ Der Geiger z?gerte noch einen Augenblick. Dann nahm er den Bogen aus dem Kasten, spannte ihn und setzte die Geige an seine Schulter. Klar schwebte der erste Ton durch den Raum. Es war Kern, als ob ihn etwas anr?hre. Als ob eine Hand etwas in ihm wegschiebe. Er wollte sich wehren, aber er konnte es nicht. Seine Haut war dagegen. Sie fr?stelte pl?tzlich und zog sich zusammen. Dann dehnte sie sich aus und war nichts mehr als W?rme. Die T?r zum B?ro ?ffnete sich. Der Kopf des Sekret?rs erschien. Er kam herein und lie? die T?r hinter sich offenstehen. Sie war hell erleuchtet. Im B?ro brannte schon Licht. Die kleine verwachsene Gestalt des Sekret?rs hob sich dunkel von ihr ab. Es sah aus, als wollte er etwa sagen – doch dann legte er den Kopf schr?g und lauschte. Langsam und lautlos, als dr?cke eine unsichtbare Hand gegen sie, schwang hinter ihm die T?r wieder zu. Nur noch die Geige war da. Sie erf?llte die schwere, tote Luft des Raumes, und es schien, als ver?ndere sich alles – als schmelze sie die stumme Einsamkeit der vielen, kleinen Existenzen, die im Schatten der W?nde kauerten, und sammele sie zu einer gro?en gemeinsamen Sehnsucht und Klage. Kern legte die Arme um seine Knie. Er senkte den Kopf und lie? die Flut ?ber sich hinwegstr?men. Er hatte das Gef?hl, dass sie ihn wegschwemmte, irgendwohin – zu sich selbst und zu etwas sehr Fremdem. Das kleine, schwarzhaarige M?dchen hockte auf dem Boden neben dem Geiger. Es sa? still und reglos und blickte ihn an. Die Geige schwieg. Kern konnte etwas Klavier spielen, und er verstand so viel von Musik, um zu wissen, dass der Mann wunderbar gespielt hatte. „Schumann?“ fragte der Alte neben dem Geiger. Der nickte. „Spiel weiter“, sagte das M?dchen. „Spiel etwas, dass man lachen kann. Hier ist es traurig.“ „Mirjam!“ rief die Mutter leise. „Gut“, sagte der Geiger. Er setzte den Bogen wieder an. Kern blickte sich um. Er sah gebeugte Nacken und zur?ckgelegte, wei? schimmernde Gesichter, er sah Trauer, Verzweiflung und die sanfte Verkl?rung, die die Melodie der Geige f?r einige Augenblicke dar?ber breitete – er sah es, und er dachte an viele ?hnliche R?ume, die er schon gesehen hatte, angef?llt mit Ausgesto?enen, deren einziges Verschulden es war, geboren worden zu sein und zu leben. Das gab es, und diese Musik gab es zu gleicher Zeit. Es schien unbegreiflich. Es war ein unendlicher Trost und ein furchtbarer Hohn zugleich. Kern sah, dass der Kopf des Geigers auf der Geige lag wie auf der Schulter einer Geliebten. Ich will nicht untergehen, dachte er, indes die D?mmerung immer tiefer wurde in dem gro?en Raum, ich will nicht untergehen, das Leben ist wild und s??, ich kenne es noch nicht, es ist eine Melodie, ein Ruf, ein Schrei ?ber fernen W?ldern, ?ber unbekannten Horizonten, in unbekannten N?chten, ich will nicht untergehen! Erst nach einiger Zeit merkte er, dass es still geworden war. „Was war das?“ fragte das M?dchen. „Das waren die deutschen T?nze von Franz Schubert“, sagte der Geiger heiser. Der alte Mann neben ihm lachte auf. „Deutsche T?nze!“ Er strich sich ?ber die Narbe auf seiner Stirn. „Deutsche T?nze“, wiederholte er. Der Sekret?r schaltete das Licht von der T?r her an. „Der n?chste…“, sagte er. Kern bekam eine Anweisung f?r einen Schlafplatz im Hotel Bristol und zehn E?karten f?r die Mensa am Wenzelsplatz. Er lief fast durch die Stra?en, aus Angst, dass er zu sp?t k?me. Er hatte sich nicht geirrt. Alle Pl?tze in der Mensa waren besetzt, und er musste noch warten. Unter den Essenden sah er einen seiner fr?heren Universit?tsprofessoren. Er wollte schon auf ihn zugehen und ihn begr??en; aber dann besann er sich und lie? es. Er wusste, dass viele Emigranten nicht an ihr fr?heres Leben erinnert werden wollten. Nach einer Weile sah er den Geiger kommen und unschl?ssig umherstehen. Er winkte ihm. Der Geiger sah ihn erstaunt an und kam langsam her?ber. Kern wurde verwirrt. Er hatte, als er ihn wiedersah, geglaubt, den Geiger schon lange zu kennen; jetzt fiel ihm ein, dass sie noch nicht einmal miteinander gesprochen hatten. „Entschuldigen Sie“, sagte er. „Ich habe Sie vorhin spielen h?ren, und ich dachte, Sie w?ssten vielleicht nicht Bescheid hier.“ „Das wei? ich auch nicht. Sie?“ „Ja. Ich war schon zweimal hier. Sind Sie noch nicht lange drau?en?“ „Vierzehn Tage. Ich bin heute hier angekommen.“ Kern sah, dass der Professor und jemand neben ihm aufstanden. „Da werden zwei Pl?tze frei“, sagte er rasch. „Kommen Sie!“ Sie dr?ngten sich zwischen den Tischen durch. Der Professor kam ihnen durch den schmalen Gang entgegen. Er blickte Kern zweifelnd an und blieb stehen. „Kenne ich Sie nicht?“ „Ich war einer Ihrer Sch?ler“, sagte Kern. „Ach so, ja…“ Der Professor nickte. „Sagen Sie, wissen Sie vielleicht Leute, die Staubsauger brauchen k?nnten? Mit zehn Prozent Rabatt und Ratenzahlung? Oder Grammophone mit eingebautem Radio?“ Kern war nur einen Augenblick ?berrascht. Der Professor war eine Autorit?t in der Krebsforschung gewesen. „Nein, leider nicht“, sagte er mitleidig. Er wusste, was es hie?, Staubsauger und Grammophone verkaufen zu wollen. „Ich h?tte es mir denken k?nnen.“ Der Professor sah ihn abwesend an. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte er dann, als spr?che er zu jemand ganz anderem, und ging weiter. Es gab Graupensuppe mit Rindfleisch. Kern l?ffelte seinen Teller rasch leer. Als er aufschaute, sa? der Geiger da, die H?nde auf den Tisch gelegt, den Teller unber?hrt vor sich. „Essen Sie nicht?“ fragte Kern erstaunt. „Ich kann nicht.“ „Sind Sie krank?“ Der Birnensch?del des Geigers sah sehr gelb und farblos aus unter dem kalkigen Licht der schirmlosen Deckenlampen. „Nein.“ „Sie sollten essen“, sagte Kern. Der Geiger antwortete nicht. Er z?ndete sich eine Zigarette an und rauchte hastig. Dann schob er seinen Teller beiseite. „So kann man nicht leben!“ stie? er schlie?lich hervor. Kern sah ihn an. „Haben Sie keinen Pass?“ fragte er. „Doch. Aber…“ Der Geiger zerdr?ckte nerv?s eine Zigarette. „So kann man doch nicht leben! So ohne alles! Ohne Boden unter den F??en!“ „Mein Gott!“ sagte Kern. „Sie haben einen Pass, und Sie haben Ihre Geige…“ Der Geiger blickte auf. „Das hat doch nichts damit zu tun“, erwiderte er gereizt. „Begreifen Sie das nicht?“ „Doch.“ Kern war ma?los entt?uscht. Er hatte geglaubt, wer so spielen konnte, m?sste etwas Besonderes sein. Jemand, von dem etwas zu lernen war. Und nun sah er einen verbitterten Menschen da sitzen, der ihm, obwohl er sicher f?nfzehn Jahre ?lter war als er, vorkam wie ein eigensinniges Kind. Erstes Stadium der Emigration, dachte er. Wird schon still werden. „Essen Sie Ihre Suppe wirklich nicht?“ fragte er. „Nein.“ „Dann geben Sie sie mir. Ich bin noch hungrig.“ Der Geiger schob sie ihm hin. Kern a? sie langsam auf. Jeder L?ffel voll war Kraft, dem Elend zu widerstehen, und er wollte nichts davon verlieren. Dann stand er auf. „Ich danke Ihnen f?r die Suppe. Ich h?tte lieber gehabt, Sie h?tten sie selbst gegessen.“ Der Geiger sah ihn an. Sein Gesicht war von Falten zerrissen. „Das verstehen Sie noch nicht“, sagte er ablehnend. „Das ist leichter zu verstehen, als Sie glauben“, erwiderte Kern. „Sie sind ungl?cklich, weiter nichts.“ „Weiter nichts?“ „Nein. Man meint anfangs, es sei etwas Besonderes. Aber Sie werden es schon merken, wenn Sie l?nger drau?en sind. Ungl?ck ist das Allt?glichste, was es gibt.“ Er ging hinaus. Zu seiner Verwunderung sah er drau?en, auf der andern Seite der Stra?e, den Professor hin- und herwandern. Er hatte die charakteristische Haltung, die H?nde auf dem R?cken, den K?rper etwas vorgebeugt, die er annahm, wenn er vor dem Katheder auf- und abschritt, um irgendeine neue verwickelte Entdeckung auf dem Gebiet der Krebsforschung zu erl?utern. Nur, dass er jetzt vielleicht an Staubsauger und Grammophone dachte. Kern z?gerte eine Sekunde. Er h?tte den Professor nie angesprochen. Doch jetzt, nachdem er den Geiger gesehen hatte, ging er zu ihm hin?ber. „Herr Professor“, sagte er, „entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche. Ich h?tte nicht geglaubt, dass ich Ihnen jemals einen Rat geben k?nnte. Aber jetzt m?chte ich es tun.“ Der Professor blieb stehen. „Gerne“, erwiderte er zerstreut. „Sehr gerne. Ich bin f?r jeden Rat dankbar. Wie war doch Ihr Name?“ „Kern. Ludwig Kern.“ „Ich bin f?r jeden Rat dankbar, Herr Kern. Ganz au?erordentlich dankbar, wirklich!“ „Es ist kaum ein Rat. Nur etwas Erfahrung. Sie versuchen, Staubsauger und Grammophone zu verkaufen. Lassen Sie es. Es ist Zeitverschwendung. Hunderte von Emigranten versuchen das hier. Es ist ebenso sinnlos, wie Lebensversicherungen abschlie?en zu wollen.“ „Das wollte ich gerade n?chstens versuchen“, unterbrach ihn der Professor lebhaft. „Jemand hat mir gesagt, es w?re leicht, und es w?re etwas damit zu verdienen.“ „Er hat Ihnen eine Provision f?r jeden Abschluss angeboten, nicht wahr?“ „Ja, nat?rlich, eine gute Provision.“ „Aber sonst nichts? Keine Spesen und kein Fixum?“ „Nein, das nicht.“ „Das kann ich Ihnen auch anbieten. Es bedeutet gar nichts. Herr Professor, haben Sie schon einen Staubsauger verkauft? Oder ein Grammophon?“ Der Professor sah hilflos auf. „Nein“, sagte er sonderbar besch?mt, „aber ich hoffe, in der n?chsten Zeit…“ „Geben Sie es auf“, erwiderte Kern. „Das ist mein Rat. Kaufen Sie eine Handvoll Schn?rsenkel. Oder ein paar B?chsen Stiefelwichse. Oder einige Pakete Sicherheitsnadeln. Kleine Sachen, die jeder brauchen kann. Handeln Sie damit. Sie werden nicht viel daran verdienen. Aber Sie werden ab und zu etwas verkaufen. Auch damit handeln Hunderte von Emigranten. Aber man verkauft Sicherheitsnadeln leichter als Staubsauger.“ Der Professor blickte ihn nachdenklich an. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht.“ Kern l?chelte verlegen. „Das glaube ich. Aber ?berlegen Sie es einmal. Es ist besser. Ich wei? es. Ich habe fr?her auch Staubsauger verkaufen wollen.“ „Vielleicht haben Sie recht.“ Der Professor reichte ihm die Hand. „Ich danke Ihnen. Sie sind sehr freundlich…“ Seine Stimme war pl?tzlich sonderbar leise und fast unterw?rfig, als w?re er ein Sch?ler, der schlecht gelernt hatte. Kern biss sich auf die Lippen. „Ich war in jeder Ihrer Vorlesungen…“, sagte er. „Ja, ja…“ Der Professor machte eine flatternde Geste. „Ich danke Ihnen, Herr… Herr…“ „Kern. Aber es ist nicht wichtig.“ „Doch, es ist wichtig, Herr Kern. Entschuldigen Sie bitte. Ich bin etwas verge?lich in der letzten Zeit. Und haben Sie vielen Dank. Ich glaube, ich werde es versuchen, Herr Kern.“ * * * Das Hotel Bristol war ein bauf?lliger, kleiner Kasten, der von der Fl?chtlingshilfe gemietet worden war. Kern bekam ein Bett in einem Zimmer angewiesen, in dem zwei andere Fl?chtlinge wohnten. Er war nach dem Essen sehr m?de geworden und legte sich gleich schlafen. Die beiden andern waren noch nicht da, und er h?rte auch nicht, dass sie kamen. Mitten in der Nacht wachte er auf. Er h?rte Schreie und sprang sofort empor. Ohne nachzudenken, griff er nach seinem Koffer und seinen Kleidern und rannte aus der T?r, den Korridor entlang. Drau?en war alles still. Am Treppenabsatz blieb er stehen. Er stellte den Koffer ab und lauschte – dann strich er sich mit den F?usten ?ber das Gesicht. Wo war er? Was war los? Wo war die Polizei? Langsam kam ihm die Erinnerung. Er blickte an sich herunter und l?chelte erleichtert und entspannt. Er war in Prag im Hotel Bristol, und er hatte f?r vierzehn Tage eine Aufenthaltserlaubnis. Es gab keinen Grund, so zu erschrecken. Sicher hatte er irgend etwas getr?umt. Er kehrte um. Das darf nicht wieder passieren, dachte er. Es fehlt noch, dass ich nerv?s werde. Dann ist alles aus. Er ?ffnete die T?r und tastete im Dunkeln nach seinem Bett. Es war das rechte an der Wand. Er stellte seinen Koffer leise ab und h?ngte seine Kleider unten ?ber den Bettpfosten. Dann tastete er nach der Decke. Pl?tzlich sp?rte er, gerade als er sich hinlegen wollte, unter seiner Hand etwas Weiches, warm Atmendes und schoss bolzengerade hoch. „Wer ist da?“ fragte eine M?dchenstimme schlaftrunken. Kern hielt den Atem an. Er hatte die Zimmer verwechselt. „Ist jemand da?“ fragte die Stimme noch einmal. Kern blieb stocksteif stehen. Er f?hlte, wie ihm der Schwei? ausbrach. Nach einiger Zeit h?rte er einen Seufzer und dann, wie jemand sich umdrehte. Er wartete noch ein paar Minuten. Als alles still blieb und nur noch das tiefe Atmen im Dunkel zu h?ren war, griff er lautlos nach seinen Sachen und schlich vorsichtig aus dem Zimmer. Auf dem Korridor stand jetzt ein Mann im Hemd. Er stand vor dem Zimmer, in dem Kern wohnte, und starrte ihn durch eine Brille an. Er beobachtete, wie er mit seinen Sachen aus dem Zimmer nebenan kam. Kern war zu verwirrt, um etwas zu erkl?ren. Er ging wortlos durch die offene T?r, an dem Mann vorbei, der ihm keinen Platz machte, packte seine Sachen weg und legte sich zu Bett. Vorher strich er zur Vorsicht ?ber die Decke. Es lag niemand darunter. Der andere Mann stand noch eine Weile im T?rausschnitt. Seine Brille blinkte im schwachen Licht des Korridors. Dann kam er herein und machte die T?r mit einem trockenen Knack zu. Im selben Augenblick fing das Schreien wieder an. Kern verstand es jetzt. „Nicht schlagen! Nicht schlagen! Um Christi willen, nicht schlagen! Bitte, bitte! Oh…“ Das Schreien ging in ein entsetzliches Gurgeln ?ber und erstarb. Kern richtete sich auf. „Was ist denn das?“ fragte er in das Dunkel hinein. Ein Schalter klickte, und es wurde hell. Der Mann mit der Brille stand auf und ging zum dritten Bett. Darin lag ein keuchender, schwei??berstr?mter Mensch mit irren Augen. Der andere nahm ein Glas, f?llte es mit Wasser und hielt es dem im Bett an den Mund. „Trinken Sie das mal. Sie haben getr?umt. Sie sind in Sicherheit.“ Der Mann trank gierig. Der Adamsapfel an seinem d?nnen Halse stieg auf und ab. Dann lie? er sich ersch?pft zur?ckfallen und schloss tief atmend die Augen. „Was ist das?“ fragte Kern noch einmal. Der Mann mit der Brille kam an sein Bett. „Was das ist? Jemand, der tr?umt. Laut tr?umt. Vor ein paar Wochen aus dem Konzentrationslager entlassen. Nerven, verstehen Sie?“ „Ja“, sagte Kern. „Wohnen Sie hier?“ fragte der Mann mit der Brille. Kern nickte. „Ich scheine auch etwas nerv?s zu sein. Vorhin, als er schrie, bin ich hinausgelaufen. Ich dachte, es w?re Polizei im Hause. Da habe ich hinterher die Zimmer verwechselt.“ „Ach so…“ „Entschuldigen Sie, bitte“, sagte der dritte Mann. „Ich werde jetzt wach bleiben. Entschuldigen Sie.“ „Ach, Unsinn!“ Der mit der Brille ging zu seinem Bett zur?ck. „Das bisschen Tr?umen st?rt uns gar nicht. Nicht wahr, junger Mann?“ „Gar nicht“, wiederholte Kern. Der Lichtschalter knackte, und es wurde wieder dunkel. Kern streckte sich aus. Er konnte lange nicht einschlafen. Sonderbar war das gewesen, vorhin, in dem Zimmer nebenan. Die weiche Brust unter dem d?nnen Leinen. Er f?hlte es immer noch… als w?re seine Hand anders geworden dadurch. Sp?ter h?rte er, wie der Mann, der geschrien hatte, aufstand und sich ans Fenster setzte. Sein gebeugter Kopf hob sich schwarz vor dem heraufd?mmernden Grau des Morgens ab – wie das finstere Monument eines Sklaven. Kern betrachtete ihn eine Zeitlang. Dann ?berfiel ihn der Schlaf. Josef Steiner kam leicht ?ber die Grenze zur?ck. Er kannte sie gut und war als alter Soldat das Patrouillegehen gewohnt. Er war Kompanief?hrer gewesen und hatte bereits 1915 f?r eine schwierige Patrouille, von der er einen Gefangenen mitgebracht hatte, das Eiserne Kreuz erhalten. Nach einer Stunde war er au?er Gefahr. Er ging zum Bahnhof. Es waren nicht viele Leute im Wagen. Der Schaffner sah ihn an. „Schon zur?ck?“ „Eine Fahrkarte nach Wien, einfach“, erwiderte Steiner. „Ging ja rasch“, sagte der Schaffner. Steiner blickte auf. „Ich kenne das“, fuhr der Schaffner fort. „Jeden Tag kommen ein paar solcher Transporte – da kennt man die Beamten bald. Es ist ein Kreuz. Sie sind in diesem Waggon herausgefahren, das wissen Sie wohl nicht mehr?“ „Ich wei? ?berhaupt nicht, wovon Sie reden.“ Der Schaffner lachte. „Sie werden es schon wissen. Stellen Sie sich hinten auf die Plattform. Wenn ein Kontrolleur kommt, springen Sie ab. Wahrscheinlich kommt keiner um diese Zeit. Sie sparen so die Fahrkarte.“ „Sch?n.“ Steiner stand auf und ging nach hinten. Er sp?rte den Wind und sah die Lichter der kleinen Weind?rfer vor?berfliegen. Er atmete tief und genoss den st?rksten Rausch, den es gibt: den Rausch der Freiheit. Er f?hlte das Blut in seinen Adern und die warme Kraft seiner Muskeln. Er lebte. Er war nicht gefangen; er lebte, er war entkommen. „Nimm eine Zigarette, Bruder“, sagte er zu dem Schaffner, der nach hinten gekommen war. „Meinetwegen. Ich darf sie nur jetzt nicht rauchen. Dienst.“ „Aber ich darf meine jetzt rauchen?“ „Ja.“ Der Schaffner lachte gutm?tig. „Das hast du mir voraus.“ „Ja“, sagte Steiner und zog den w?rzigen Rauch in die Lungen ein. „Das habe ich dir voraus.“ * * * Er ging zu der Pension, in der die Polizei ihn erwischt hatte. Die Wirtin sa? noch im B?ro. Sie fuhr zusammen, als sie Steiner erblickte. „Sie k?nnen hier nicht wohnen“, sagte sie rasch. „Doch!“ Steiner legte den Rucksack ab. „Herr Steiner, es ist unm?glich! Die Polizei kann jeden Tag wiederkommen. Dann schlie?en sie mir die Pension!“ „Luischen“, sagte Steiner ruhig, „die beste Dekkung, die es im Kriege gab, war ein frisches Granatloch. Es kam fast nie vor, dass es gleich darauf noch einmal hineinschoss. Deshalb ist im Moment Ihre Bude eine der sichersten in Wien!“ Die Wirtin fasste verzweifelt in ihr blondes Haar. „Sie sind mein Untergang!“ erkl?rte sie pathetisch. „Wie sch?n! Das wollte ich immer schon mal sein! Jemandes Untergang! Sie sind eine romantische Natur, Luischen!“ Steiner sah sich um. „Gibt es noch ein bisschen Kaffee? Und einen Schnaps?“ „Kaffee? Und Schnaps?“ „Ja, Luischen! Ich wusste, dass Sie mich verstehen w?rden. Eine so h?bsche Frau! Ist da noch der Sliwowitz im Wandschrank?“ Die Wirtin blickte ihn ratlos an. „Ja, nat?rlich“, sagte sie dann. „Genau das Richtige!“ Steiner nahm die Flasche und zwei Gl?ser heraus. „Nehmen Sie auch einen?“ „Ich?“ „Ja, Sie! Wer sonst?“ „Nein.“ „Doch, Luischen! Tun Sie mir den Gefallen. Allein trinken hat was Herzloses. Hier…“ Er f?llte das Glas und hielt es ihr hin. Die Wirtin z?gerte. Dann nahm sie das Glas. „Gut, meinetwegen! Aber Sie werden nicht hier wohnen, nicht wahr?“ „Nur ein paar Tage“, sagte Steiner beruhigend, „nicht l?nger als ein paar Tage. Sie bringen mir Gl?ck. Ich habe was vor.“ Er l?chelte. „Und nun den Kaffee, Luischen!“ „Kaffee? Ich habe keinen Kaffee hier.“ „Doch, Kind. Da dr?ben steht er ja. Ich wette, dass er gut ist.“ Die Wirtin lachte ?rgerlich. „Sie sind schon einer! Ich hei?e ?brigens nicht Luise. Ich hei?e Therese.“ „Therese ist ein Traum!“ Die Wirtin holte ihm den Kaffee. „Da sind noch die Sachen vom alten Seligmann hier“, sagte sie und zeigte auf einen Koffer. „Was soll ich nur mit denen machen?“ „War das der Jude mit dem grauen Bart?“ Die Wirtin nickte. „Er ist tot, das habe ich geh?rt. Mehr nicht…“ „Das ist auch schon genug f?r einen einzelnen Menschen. Wissen Sie nicht, wo seine Kinder sind?“ „Wie soll ich das wissen? Darum kann ich mich doch nicht auch noch k?mmern! —“ „Das ist wahr.“ Steiner zog den Koffer heran und ?ffnete ihn. Eine Anzahl Garnrollen mit verschiedenfarbenem Zwirn fiel heraus. Darunter lag sauber verpackt ein Paket Schn?rriemen. Dann kamen ein Anzug, ein Paar Schuhe, ein hebr?isches Buch, etwas W?sche, ein paar Bogen mit Hornkn?pfen, ein kleines Leders?ckchen mit Einschillingst?cken, zwei Gebetsriemen und ein wei?er Gebetsmantel, in Seidenpapier eingewickelt. „Nicht viel f?r ein ganzes Leben, was, Therese?“ sagte Steiner. „Manche haben noch weniger.“ „Auch richtig.“ Steiner untersuchte das hebr?ische Buch und fand zwischen den inneren Umschlagseiten einen Zettel eingeklemmt. Vorsichtig zog er ihn heraus. Er enthielt eine mit Tinte geschriebene Adresse. „Aha! Da werde ich mal nachfragen.“ Steiner stand auf. „Danke f?r den Kaffee und den Sliwowitz, Therese. Ich komme sp?t heute. Am besten quartieren Sie mich parterre nach dem Hof zu ein. Da kann ich dann rasch hinaus.“ Die Wirtin wollte noch etwas sagen. Aber Steiner hob die Hand. „Nein, nein, Therese! Wenn die T?r nicht offen ist, komme ich mit der gesamten Wiener Polizei. Aber ich bin sicher, sie wird offen sein! Die Heimatlosen beherbergen ist ein Gebot Gottes. Daf?r gibt es tausend Jahre gr??ter Gl?ckseligkeit im Himmel. Meinen Rucksack lasse ich schon hier.“ Er ging. Er wusste, dass es zwecklos war, das Gespr?ch fortzusetzen, und er kannte die merkw?rdig eindringliche Wirkung zur?ckgelassener Sachen auf b?rgerliche Menschen. Sein Rucksack w?rde ein besserer Quartiermeister f?r ihn sein als alle weiteren ?berredungsversuche. Er w?rde die letzten Widerst?nde der Wirtin durch sein stummes Vorhandensein besiegen. * * * Steiner ging zum Caf? Sperler. Er wollte den Russen Tschernikoff treffen. Sie hatten w?hrend der Haft verabredet, am ersten und zweiten Tag der Freilassung Steiners nach Mitternacht dort aufeinander zu warten. Die Russen hatten als Staatenlose f?nfzehn Jahre Praxis mehr als die Deutschen. Tschernikoff hatte Steiner versprochen, nachzuforschen, ob in Wien falsche Papiere zu kaufen seien. Steiner setzte sich an einen Tisch. Er wollte etwas zu trinken bestellen; aber kein Kellner k?mmerte sich um ihn. Es war nicht ?blich, dass man etwas bestellen musste; die meisten hatten kein Geld daf?r. Das Lokal war die typische Emigrantenb?rse. Es war voll von Menschen. Viele sa?en auf den B?nken und St?hlen und schliefen; andere lagen auf dem Fu?boden, die R?cken gegen die Wand gelehnt. Sie nutzten die Zeit aus, umsonst zu schlafen, bis das Caf? wieder ge?ffnet wurde. Es waren meistens Intellektuelle. Sie konnten sich am wenigsten zurechtfinden. Ein Mann in einem karierten Anzug mit einem Vollmondgesicht setzte sich neben Steiner. Er beobachtete ihn eine Weile mit flinken, schwarzen Augen. „Was zu verkaufen?“ fragte er dann. „Schmuck? Auch alten? Ich zahle bar.“ Steiner sch?ttelte den Kopf. „Anz?ge? W?sche? Schuhe?“ Der Mann blickte ihn dringlich an. „Einen Trauring vielleicht?“ „Schieb ab, du Aasgeier“, knurrte Steiner. Er hasste die H?ndler, die den ratlosen Emigranten ihre wenigen Sachen f?r ein paar Groschen abjagen wollten. Er rief einen vor?berhuschenden Kellner an. „Hallo! Einen Kognak!“ Der Kellner warf einen zweifelnden Blick auf ihn und kam heran. „Sagten Sie Anwalt? Heute sind zwei da. Dr?ben in der Ecke Rechtsanwalt Silber vom Kammergericht Berlin; ein Schilling die Beratung. Am runden Tisch neben der T?r Landgerichtsrat Epstein aus M?nchen; f?nfzig Groschen die Konsultation. Unter uns: Silber ist besser. „Ich will keinen Anwalt, ich will Kognak“, sagte Steiner. Der Kellner hielt die Hand ans Ohr. „Habe ich recht verstanden? Einen Kognak?“ „Ja. Ein Getr?nk, das besser wird, wenn die Gl?ser nicht zu klein sind.“ „Sehr wohl. Verzeihen Sie, ich bin etwas schwerh?rig. Und dann bin ich es nicht mehr gewohnt. Hier wird fast nur Kaffee verlangt.“ „Gut. Dann bringen Sie den Kognak in einer Kaffeetasse.“ Der Kellner holte den Kognak und blieb am Tisch stehen. „Was ist los?“ fragte Steiner. „Wollen Sie zusehen, wie ich trinke?“ „Es muss vorher gezahlt werden. Das geht hier nicht anders. Wir w?rden sonst pleite[25 - pleite – ohne Geld, sodass die Rechnungen nicht mehr bezahlt werden k?nnen – bankrott] gehen.“ „Ach so, richtig!“ Steiner zahlte. „Das ist zuviel“, sagte der Kellner. „Was zuviel ist, ist Ihr Trinkgeld.“ „Trinkgeld?“ Der Kellner schmeckte das Wort f?rmlich ab. „Mein Gott“, sagte er dann ger?hrt. „Das ist das erste seit Jahren hier. Danke vielmals, mein Herr! Da f?hlt man sich ja direkt wieder einmal als Mensch!“ Ein paar Minuten sp?ter kam der Russe durch die T?r. Er sah Steiner sofort und setzte sich zu ihm. „Ich dachte schon, Sie w?ren nicht mehr in Wien, Tschernikoff.“ Der Russe lachte. „Bei uns ist das Wahrscheinliche immer unwahrscheinlich. Ich habe alles herausbekommen, was Sie wissen wollen.“ Steiner trank seinen Kognak aus. „Gibt es Papiere?“ „Ja. Sehr gute sogar. Das Beste, was ich an F?lschungen seit langem gesehen habe.“ „Ich muss ’raus!“ sagte Steiner. „Ich muss Papiere haben! Lieber mit einem falschen Pass Zuchthaus riskieren als diese t?gliche Sorge und Einsperrerei. Was haben Sie gesehen?“ „Ich war in der Hellebarde. Da verkehren die Leute jetzt. Es sind dieselben wie vor sieben Jahren. Sie sind in ihrer Art zuverl?ssig. Das billigste Papier kostet allerdings vierhundert Schilling.“ „Was gibt es daf?r?“ „Den Pass eines toten ?sterreichers. Noch ein Jahr g?ltig.“ „Ein Jahr. Und dann?“ Tschernikoff sah Steiner an. „Im Ausland vielleicht verl?ngerbar. Oder von einer geschickten Hand im Datum zu ?ndern.“ Steiner nickte. „Es gibt noch zwei P?sse von gestorbenen deutschen Fl?chtlingen. Die kosten aber achthundert Schilling jeder. V?llig falsche sind nicht unter f?nfzehnhundert zu haben. Die w?rde ich – Ihnen auch nicht empfehlen.“ Tschernikoff klopfte seine Zigarette ab. „Vom V?lkerbund ist f?r Sie ja vorl?ufig auf nichts zu hoffen. F?r illegal ohne Pass Eingereiste schon gar nicht. Nansen ist tot, der uns unsere P?sse durchgesetzt hat.“ „Vierhundert Schilling“, sagte Steiner. „Ich habe f?nfundzwanzig.“ „Man wird handeln k?nnen. Auf dreihundertf?nfzig, sch?tze ich.“ „Das ist gegen f?nfundzwanzig dasselbe. Aber es hilft nichts; ich muss sehen, dass ich das Geld bekomme. Wo ist die ›Hellebarde‹?“ Der Russe zog einen Zettel aus der Tasche. „Hier ist die Adresse. Auch der Name des Kellners, der die Sache vermittelt. Er ruft die Leute an, wenn Sie ihm Bescheid sagen. Er bekommt f?nf Schilling daf?r.“ „Gut. Ich will sehen, wie ich es mache.“ Steiner steckte den Zettel sorgf?ltig weg. „Herzlichen Dank f?r Ihre M?he, Tschernikoff!“ „Aber ich bitte Sie!“ Der Russe hob abwehrend die Hand. „Man hilft sich doch, wenn es m?glich ist. Man kann ja jeden Tag in dieselbe Lage kommen.“ „Ja.“ Steiner stand auf. „Ich suche mal wieder nach Ihnen hier und sage Ihnen Bescheid.“ „Gut. Ich bin oft um diese Zeit hier. Spiele Schach mit dem s?ddeutschen Meister. Dr?ben der Mann mit den Locken. H?tte nie gedacht, das Gl?ck mit einer solchen Autorit?t in normalen Zeiten zu haben.“ Tschernikoff l?chelte. „Schach ist eine Leidenschaft von mir…“ Steiner nickte ihm zu. Dann stieg er ?ber ein paar schlafende junge Leute weg, die mit offenen M?ndern an der Wand lagen, und ging zur T?r. Am Tisch des Landgerichtsrats Epstein sa? eine gedunsene J?din. Sie hielt die H?nde gefaltet und starrte Epstein, der salbungsvoll dozierte, an wie einen unzuverl?ssigen Gott. Vor ihr auf dem Tisch lagen f?nfzig Groschen. Epsteins haarige linke Hand lag dicht daneben wie eine gro?e lauernde Spinne. * * * Drau?en atmete Steiner tief auf. Die weiche Nachtluft erschien ihm wie Wein nach dem toten Rauch und dem grauen Jammer des Caf?s. Ich muss da ’raus, dachte er, ich muss ’raus um jeden Preis! Er sah nach der Uhr. Es war schon sp?t. Er beschloss, trotzdem noch zu versuchen, den Falschspieler zu treffen. Die kleine Bar, die der Falschspieler ihm als sein Stammlokal genannt hatte, war fast leer. Nur aufgedonnerte M?dchen hockten wie Papageien an der Nickelstange auf den hohen St?hlen. „War Fred hier?“ fragte Steiner den Mixer. „Fred?“ Der Mixer sah ihn scharf an. „Was wollen Sie denn von Fred?“ „Das Vaterunser mit ihm beten, Bruder. Was sonst?“ Der Mixer dachte eine Zeitlang nach. „Er ist vor einer Stunde gegangen“, sagte er dann. „Kommt er nochmals wieder?“ „Keine Ahnung.“ „Sch?n. Da werde ich warten. Geben Sie mir einen Wodka.“ Steiner wartete ungef?hr eine Stunde. Er ?berlegte, was er alles zu Geld machen k?nne. Aber er kam nicht h?her als auf etwa siebzig Schilling. Die M?dchen hatten ihn nur fl?chtig gemustert. Sie sa?en noch einige Zeit herum, dann stelzten sie hinaus. Der Mixer begann mit einem Knobelbecher vor sich hin zu w?rfeln. „Wollen wir einen austrudeln?“ fragte Steiner. „Von mir aus.“ Sie w?rfelten und Steiner gewann. Sie spielten weiter. Steiner warf zweimal nacheinander in zwei W?rfen vier Asse. „Mit Assen scheine ich Gl?ck zu haben“, sagte er. „Sie haben ?berhaupt Gl?ck“, erwiderte der Mixer. „Was sind Sie astrologisch?“ „Das wei? ich nicht.“ „Sie scheinen ein L?we zu sein. Mindestens haben Sie die Sonne im L?wen. Ich verstehe ein bisschen davon. Letzte Runde, was? Fred kommt doch nicht mehr. Er ist noch nie um diese Zeit gekommen. Braucht Schlaf und ruhige H?nde.“ Sie knobelten, und Steiner gewann wieder. „Sehen Sie“, sagte der Mixer befriedigt und schob ihm f?nf Schilling hin?ber, „Sie sind bestimmt ein L?we. Mit starkem Neptun, denke ich. In welchem Monat sind Sie geboren?“ „August.“ „Dann sind Sie ein typischer L?we. Gl?nzende Chancen dieses Jahr!“ „Daf?r nehme ich einen ganzen Urwald voll L?wen auf mich.“ Steiner trank sein Glas aus. „Wollen Sie Fred sagen, dass ich hier war? Steiner h?tte nach ihm gefragt. Ich komme morgen wieder vorbei.“ „Sch?n.“ Steiner ging zur Pension zur?ck. Der Weg war lang, und die Stra?en waren leer. Der Himmel hing voller Sterne, und ?ber die Mauern kam ab und zu der schwere Geruch bl?henden Flieders. Mein Gort, Marie, dachte er, es kann doch nicht ewig dauern… 4 Kern stand in einer Drogerie in der N?he des Wenzelplatzes. Er hatte im Schaufenster ein paar Flaschen Toilettewasser entdeckt, die das Etikett aus dem Laboratorium seines Vaters trugen. „Farr-Toilettewasser!“ Kern drehte die Flasche, die der Drogist vom Regal geholt hatte, in der Hand. „Wo haben Sie denn das her?“ Der Drogist zuckte die Achseln. „Das wei? ich nicht mehr. Es kommt aus Deutschland. Wir haben es schon lange. Wollen Sie die Flasche kaufen?“ „Nicht nur die eine. Sechs…“ „Sechs?“ „Ja, sechs zun?chst. Sp?ter noch mehr. Ich handle damit. Nat?rlich muss ich Prozente haben.“ Der Drogist sah Kern an. „Emigrant?“ fragte er. Kern stellte die Flasche auf den Ladentisch. „Wissen Sie“, sagte er ?rgerlich, „diese Frage langweilt mich allm?hlich, wenn sie von Zivilisten gestellt wird. Besonders, wenn ich eine Aufenthaltserlaubnis in der Tasche habe. Sagen Sie mir lieber, wieviel Prozent Sie mir geben wollen?“ „Zehn.“ „Das ist l?cherlich. Wie soll ich da etwas verdienen?“ „Sie k?nnen die Flaschen mit f?nfundzwanzig Prozent haben“, sagte der Besitzer des Ladens, der herangekommen war. „Wenn Sie zehn nehmen, sogar mit drei?ig. Wir sind froh, wenn wir den alten Kram loswerden.“ „Alten Kram?“ Kern blickte den Mann beleidigt an. „Das ist ein ganz hervorragendes Toilettewasser, wissen Sie das?“ Der Besitzer des Ladens bohrte sich gleichg?ltig einen Finger ins Ohr. „Mag sein. Dann sind Sie sicher auch mit zwanzig Prozent zufrieden.“ „Drei?ig ist das mindeste. Das hat doch nichts mit der Qualit?t zu tun. Sie k?nnen mir drei?ig Prozent geben, und das Toilettewasser kann trotzdem gut sein, oder nicht?“ Der Drogist verzog die Lippen. „Alle Toilettewasser sind gleich. Gut sind nur die, f?r die Reklame gemacht wird. Das ist das ganze Geheimnis.“ Kern sah ihn an. „Reklame wird f?r dieses bestimmt nicht mehr gemacht. Danach ist es allerdings sehr schlecht. Dann w?ren f?nfunddrei?ig Prozent die richtige Provision.“ „Drei?ig“, erwiderte der Besitzer. „Ab und zu wird doch danach gefragt.“ „Herr Bureck“, sagte der Drogist, „ich glaube, wir k?nnen sie ihm mit f?nfunddrei?ig geben, wenn er ein Dutzend nimmt. Der Mann, der ab und zu danach fragt, ist immer derselbe. Er kauft auch nicht; er will uns nur das Rezept verkaufen.“ „Das Rezept? Lieber Gott, das fehlt uns noch!“ Bureck hob abwehrend die H?nde. „Das Rezept?“ Kern horchte auf. „Wer ist denn das, der Ihnen das Rezept verkaufen will?“ Der Drogist lachte. „Irgend jemand, der behauptet, er h?tte fr?her selbst das Laboratorium gehabt. Nat?rlich alles Schwindel! Was die Emigranten sich immer so ausdenken!“ Kern war einen Augenblick atemlos. „Wissen Sie, wo der Mann wohnt?“ fragte er. Der Drogist zuckte die Achseln. „Ich glaube, wir haben die Adresse irgendwo ’rumliegen. Er hat sie uns ein paarmal gegeben. Warum?“ „Ich glaube, es ist mein Vater. Die beiden starrten Kern an. „lst das wahr?“ fragte der Drogist. „Ja, ich glaube, dass er es ist. Ich suche ihn schon lange.“ „Bertha!“ rief der Besitzer aufgeregt zu einer Frau hin?ber, die an einem B?rotisch im Hintergrund der Drogerie arbeitete. „Haben wir noch die Adresse des Herrn, der uns das Rezept f?r Toilettewasser verkaufen wollte?“ „Meinen Sie Herrn Stran oder den alten Quatschkopf, der hier ein paarmal ’rumgestanden hat?“ rief die Frau zur?ck. „Verdammt!“ Der Besitzer des Ladens sah Kern geniert an. „Entschuldigen Sie!“ Er ging rasch nach hinten. „Das kommt davon, wenn man mit seinen Angestellten schl?ft“, erkl?rte der Drogist h?misch hinter ihm her. Der Besitzer kam nach einer Weile schnaufend mit einem Zettel zur?ck. „Hier haben wir die Adresse. Es ist ein Herr Kern. Siegmund Kern.“ „Das ist mein Vater.“ „Tats?chlich?“ Der Mann gab Kern den Zettel. „Hier ist die Adresse. Er war vor etwa drei Wochen das letztemal hier. Entschuldigen Sie die Bemerkung vorhin. Sie wissen ja…“ „Es macht gar nichts. Ich m?chte nur gern gleich gehen. Ich komme dann nachher zur?ck wegen der Flaschen.“ „Nat?rlich! Das hat ja Zeit!“ Das Haus, in dem Kerns Vater wohnen sollte, lag in der Tuzarova ulice, in der N?he der Markthallen. Es war dunkel und muffig und roch nach feuchten W?nden und Kohldunst. Kern stieg langsam die Treppen hinauf. Es war sonderbar, aber er hatte etwas Furcht, seinen Vater nach so langer Zeit wiederzusehen – er war zu sehr gewohnt, dass nie etwas besser wurde. In der dritten Etage klingelte er. Nach einer Weile schlurfte es hinter der T?r, und das Pappschild hinter dem runden Loch des Spions verschob sich. Kern sah ein schwarzes Auge auf sich gerichtet. „Wer ist da?“ fragte eine m?rrische Frauenstimme. „Ich m?chte jemand sprechen, der hier wohnt“, sagte Kern. „Hier wohnt niemand.“ „Doch! Sie wohnen ja schon hier!“ Kern sah auf das Schild an der T?r. „Frau Melanie Ekowski, nicht wahr? Aber Sie m?chte ich nicht sprechen.“ „Na, also.“ „Ich m?chte einen Mann sprechen, der hier wohnt.“ „Hier wohnt kein Mann.“ Kern blickte das runde, schwarze Auge an. Vielleicht stimmte es, und sein Vater war l?ngst ausgezogen. Er f?hlte sich pl?tzlich leer und entt?uscht. „Wie soll er denn hei?en?“ fragte die Frau hinter der T?r. Kern hob voll neuer Hoffnung den Kopf. „Das m?chte ich nicht durchs ganze Haus schreien. Wenn Sie die T?r ?ffnen, werde ich es Ihnen sagen.“ Das Auge verschwand vom Guckloch. Eine Kette rasselte. Das ist ja eine Festung, dachte Kern. Er war ziemlich sicher, dass sein Vater doch noch hier wohnte; die Frau h?tte sonst nicht weiter gefragt. Die T?r ?ffnete sich. Eine kr?ftige Tschechin mit roten Backen und breitem Gesicht betrachtete Kern von oben bis unten. „Ich m?chte Herrn Kern sprechen.“ „Kern? Kenne ich nicht. Wohnt nicht hier.“ „Herrn Siegmund Kern. Ich hei?e Ludwig Kern.“ „So?“ Die Frau musterte ihn misstrauisch. „Das kann jeder sagen.“ Kern zog seine Aufenthaltserlaubnis aus der Tasche. „Hier – sehen Sie sich dieses Papier bitte an. Der Vorname ist aus Versehen falsch geschrieben; aber Sie sehen das andere.“ Die Frau las den gesamten Zettel durch. Es dauerte lange. Dann gab sie ihn zur?ck. „Verwandter?“ „Ja.“ Etwas hielt Kern ab, mehr zu sagen. Er war jetzt fest ?berzeugt, dass sein Vater hier war. Die Frau hatte sich entschieden. „Wohnt nicht hier“, erkl?rte sie kurz. „Gut“, erwiderte Kern. „Dann will ich Ihnen sagen, wo ich wohne. Im Hotel Bristol. Ich bleibe nur ein paar Tage hier. Ich h?tte vor meiner Abreise gern mit Herrn Siegmund Kern gesprochen. Ich habe ihm etwas zu ?bergeben“, f?gte er mit einem Blick auf die Frau hinzu. „So?“ „Ja. Hotel Bristol. Ludwig Kern. Guten Abend.“ Er stieg die Treppen hinunter. Du lieber Himmel, dachte er, das ist ja ein Zerberus, der ihn da bewacht! Immerhin – bewachen ist besser als verraten. Er ging zu der Drogerie zur?ck. Der Besitzer st?rzte auf ihn zu. „Haben Sie Ihren Vater gefunden?“ Er hatte die ganze Neugier eines Menschen im Gesicht, dem jede Sensation in seinem Leben fehlt. „Noch nicht“, sagte Kern, pl?tzlich widerwillig. „Aber er wohnt dort. Er war nicht zu Hause.“ „So was! Das ist doch wirklich ein Zufall, nicht wahr?“ Der Mann legte die Arme auf den Tisch und schickte sich an, breit ?ber sonderbare Zuf?lle im Leben zu reden. „F?r uns nicht“, sagte Kern. „F?r uns ist es eher ein Zufall, wenn etwas mal normal geht. Was ist mit dem Toilettewasser? Ich kann nur sechs Flaschen nehmen, zun?chst. Ich habe nicht mehr Geld. Wieviel Prozent geben Sie mir?“ Der Besitzer ?berlegte einen Augenblick. „F?nfunddrei?ig“, erkl?rte er dann gro?z?gig. „So was kommt ja nicht alle Tage vor.“ „Gut.“ Kern zahlte. Der Drogist packte die Flaschen ein. Die Frau, die Bertha hie?, war inzwischen aus dem Hintergrund herangekommen, um den jungen Mann anzusehen, der seinen Vater wiedergefunden hatte. Sie kaute aufgeregt an etwas Unsichtbarem. „Wissen Sie“, sagte der Besitzer, „was ich noch sagen wollte – das Toilettewasser ist sehr gut. Sehr gut, wirklich.“ „Danke!“ Kern nahm das Paket. „Ich komme dann hoffentlich bald, den Rest abzuholen.“ * * * Er ging zum Hotel. In seinem Zimmer machte er das Paket auf und packte zwei Flaschen mit einigen St?cken Seife und ein paar Flakons billigen Parf?ms in eine Aktentasche. Er wollte gleich versuchen, noch etwas davon zu verkaufen. Als er auf den Korridor trat, sah er, dass jemand das Zimmer nebenan verlie?. Es war ein mittelgro?es M?dchen in einem hellen Kleide, das ein paar B?cher unter dem Arm trug. Kern achtete zun?chst nicht darauf. Er war damit besch?ftigt, die Preise f?r sein Toilettewasser auszurechnen. Aber pl?tzlich fiel ihm ein, dass das M?dchen aus dem Zimmer gekommen war, das er nachts verwechselt hatte, und er blieb stehen. Er hatte das Gef?hl, als k?nne es ihn auch jetzt noch erkennen. Das M?dchen ging, ohne sich umzusehen, die Treppe hinunter. Kern wartete noch eine Weile. Dann ging er rasch den Korridor entlang hinterher. Er war pl?tzlich sehr neugierig geworden, zu wissen, wie sie aussah. Er ging die Treppe hinunter und sah sich unten um; aber das M?dchen war nirgendwo zu sehen. Er ging zum Ausgang und blickte die Stra?e entlang. Sie lag leer im staubigen Licht. Nur ein paar Sch?ferhunde balgten sich auf dem Fahrdamm. – Kern ging ins Hotel zur?ck. „Ist nicht eben jemand fortgegangen?“ fragte er den Portier, der gleichzeitig Kellner und Hausbursche war. „Nur Sie!“ Der Portier starrte ihn an. Er wartete darauf, dass Kern ?ber seinen Witz in ein fassungsloses Gel?chter ausbrechen sollte. Kern lachte nicht. „Ein M?dchen meine ich“, sagte er. „Eine junge Dame.“ „Hier wohnen keine Damen“, erwiderte der Portier m?rrisch. Er war beleidigt, weil er seinen Geist verschwendet hatte. „Nur Frauen.“ „Also ist niemand hinausgegangen?“ „Sind Sie von der Polizei, dass Sie das so genau wissen m?ssen?“ Der Portier war jetzt offen feindlich. Kern sah ihn erstaunt an. Er verstand nicht, was der Mann hatte. Den Witz hatte er gar nicht bemerkt. Er holte ein P?ckchen Zigaretten aus der Tasche und bot sie dem Portier an. „Danke“, erwiderte der frostig. „Ich rauche was Besseres.“ „Das glaube ich.“ Kern steckte die Zigaretten wieder ein. Er blieb noch einen Augenblick stehen und ?berlegte. Das M?dchen musste noch im Hotel sein. Wahrscheinlich war sie dann in der Halle. Er ging zur?ck. Die Halle war ein schmaler, langer Raum, mit einer zementierten Terrasse davor. Sie f?hrte in einen ummauerten Garten, in dem ein paar Fliederb?sche standen. Kern blickte durch die Glast?r. Er sah das M?dchen an einem Tisch sitzen. Es hatte die Ellenbogen aufgest?tzt und las. Au?er ihm war niemand in der Halle. Kern konnte nicht anders; er ?ffnete die T?r und trat ein. Das M?dchen blickte auf, als es die T?r h?rte. Kern wurde befangen. „Guten Abend“, sagte er z?gernd. Das M?dchen sah ihn an. Dann nickte es und las weiter. Kern setzte sich in eine Ecke des Zimmers. Nach einer Weile stand er auf und holte sich ein paar Zeitungen. Er kam sich pl?tzlich ziemlich l?cherlich vor und w?re gern schon wieder drau?en gewesen. Aber es erschien ihm fast unm?glich, jetzt sofort wieder aufzustehen und hinauszugehen. Er faltete die Zeitungen auseinander und begann zu lesen. Nach einiger Zeit sah er, wie das M?dchen nach seiner Handtasche griff und sie ?ffnete. Es nahm ein silbernes Zigarettenetui heraus und klappte es auf. Dann klappte es das Etui wieder zu, ohne eine Zigarette zu nehmen, und schob es zur?ck in die Tasche. Kern legte die Zeitung rasch beiseite und stand auf. „Ich sehe, dass Sie Ihre Zigaretten vergessen haben“, sagte er. „Kann ich Ihnen aushelfen?“ Er zog sein Paket hervor. Er h?tte viel darum gegeben, wenn er jetzt ein Etui gehabt h?tte. Das Paket war zerdr?ckt und an den Enden eingerissen. Er hielt es dem M?dchen hin. „Ich wei? allerdings nicht, ob Sie diese Sorte m?gen. Der Portier hat sie vorhin abgelehnt. Sie waren ihm zu schlecht.“ Das M?dchen blickte auf die Marke. „Ich rauche die gleichen“, sagte sie. Kern lachte. „Es sind die billigsten, die es gibt. Das ist schon fast dasselbe, als h?tte man sich seine Lebensgeschichte erz?hlt.“ Das M?dchen sah ihn an. „Ich glaube, das Hotel erz?hlt sie ohnehin.“ „Das ist wahr.“ Kern z?ndete ein Streichholz an und gab dem M?dchen Feuer. Das schwache, r?tliche Licht beleuchtete ein schmales, br?unliches Gesicht mit starken, dunklen Augenbrauen. Die Augen waren gro? und klar und der Mund voll und weich. Kern h?tte nicht sagen k?nnen, ob das M?dchen sch?n war und ob sie ihm gefiel; er hatte nur das sonderbare Gef?hl einer leisen und fernen Verbundenheit mit ihr – seine Hand hatte auf ihrer Brust gelegen, bevor er sie kannte. Er sah sie atmen; und pl?tzlich, obschon er wusste, dass es t?richt war, steckte er seine Hand in die Tasche. „Sind Sie schon lange drau?en?“ fragte er. „Zwei Monate.“ „Das ist nicht lange.“ „Es ist endlos.“ Kern blickte ?berrascht auf. „Sie haben recht“, sagte er dann. „Zwei Jahre sind nicht lange. Aber zwei Monate sind endlos. Doch das hat immerhin einen Vorteil: sie werden k?rzer, je l?nger es dauert.“ „Glauben Sie, dass es lange dauert?“ fragte das M?dchen. „Ich wei? es nicht. Dar?ber denke ich nicht mehr nach.“ „Ich immer.“ „Das tat ich auch, als ich zwei Monate drau?en war.“ Das M?dchen schwieg. Es hielt den Kopf nachdenklich gesenkt und rauchte langsam, in tiefen Z?gen. Kern betrachtete das starke, etwas gewellte schwarze Haar, von dem das Gesicht umrahmt war. Er h?tte gern etwas Besonderes, Geistvolles gesagt, aber ihm fiel nichts ein. Er versuchte sich zu erinnern, wie die weltm?nnischen Helden mancher B?cher, die er gelesen hatte, in einer ?hnlichen Situation gehandelt h?tten – doch sein Ged?chtnis war wie ausgetrocknet, und die Helden waren auch wohl nie in einem Emigrantenhotel in Prag gewesen. „Ist es nicht zu dunkel zum Lesen?“ fragte er schlie?lich. Das M?dchen fuhr zusammen, als w?ren seine Gedanken woanders gewesen. Dann klappte es das Buch, das vor ihm lag, zu. „Nein. Ich will auch nicht mehr lesen. Es ist zwecklos.“ „Es lenkt einen manchmal ab“, sagte Kern. „Wenn ich irgendwo einen Kriminalroman finde, lese ich ihn in einem Zuge durch.“ Das M?dchen l?chelte m?de. „Dies ist kein Kriminalroman. Es ist ein Lehrbuch der anorganischen Chemie.“ „Ach so! Sie waren an der Universit?t?“ „Ja. In W?rzburg.“ „Ich war in Leipzig. Ich hatte anfangs auch meine Lehrb?cher bei mir. Ich wollte nichts vergessen. Sp?ter habe ich sie dann verkauft. Sie waren zu schwer zum Tragen, und ich habe mir Toilettewasser und Seife daf?r gekauft, um damit zu handeln. Davon lebe ich jetzt.“ Das M?dchen sah ihn an. „Sie machen mir nicht gerade sehr viel Mut.“ „Ich wollte Sie nicht mutlos machen“, sagte Kern rasch. „Bei mir war das etwas ganz anderes. Ich hatte ?berhaupt keine Papiere. Sie haben doch wahrscheinlich einen Pass.“ Das M?dchen nickte. „Einen Pass habe ich. Aber er l?uft in sechs Wochen ab.“ „Das macht nichts. Dann k?nnen Sie ihn sicher verl?ngern lassen.“ „Ich glaube nicht.“ Das M?dchen stand auf. „Wollen Sie nicht noch eine Zigarette rauchen?“ fragte Kern. „Nein, danke. Ich rauche viel zuviel.“ „Jemand hat mir einmal gesagt, eine Zigarette im richtigen Augenblick w?re besser als alle Ideale der Welt.“ „Das stimmt.“ Das M?dchen l?chelte, und auf einmal erschien sie Kern sehr sch?n. Er h?tte viel darum gegeben, weiter mit ihr zu sprechen, aber er wusste nicht, was er tun sollte, damit sie noch bliebe. „Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann“, sagte er schnell, „ich w?rde es gern tun. Ich kenne das hier in Prag. Ich war schon zweimal hier. Ich hei?e Ludwig Kern und wohne in dem Zimmer rechts neben Ihnen.“ Das M?dchen sah ihn mit einem raschen Blick an. Kern glaubte schon, alles verraten zu haben. Aber sie gab ihm unbefangen die Hand. Er sp?rte einen festen Druck. „Ich will Sie gern fragen, wenn ich etwas nicht wei?“, sagte sie. „Danke vielmals.“ Sie nahm ihre B?cher vom Tisch und ging die Treppe hinauf. Kern blieb noch eine Weile in der Halle sitzen. Er wusste pl?tzlich alles, was er h?tte sagen sollen. * * * „Noch einmal Steiner“, sagte der Falschspieler. „Wei? der Himmel, ich bin nerv?ser f?r Ihr Deb?t in der Quetsche dr?ben, als wenn ich selbst im Jockeiklub spiele.“ Sie sa?en in der Bar, und Fred machte Generalprobe mit Steiner. Er wollte ihn in einer Kneipe in der N?he zum erstenmal gegen ein paar kleinere Falschspieler loslassen. Steiner sah darin den einzigen Weg, um vielleicht zu Geld zu kommen – von Diebstahl und schwerem Raub abgesehen. Sie ?bten etwa eine halbe Stunde den Trick mit den Assen. Dann war der Taschendieb zufrieden und stand auf. Er war im Smoking. „Ich muss jetzt los. Oper. Gro?e Premiere. Die Lehmann singt. Bei wirklich gro?er Kunst ist immer was zu tun f?r uns. Macht die Leute geistesabwesend, verstehen Sie?“ Er gab Steiner die Hand. „?brigens – da f?llt mir noch ein – wieviel Geld haben Sie?“ „Zweiunddrei?ig Schilling.“ „Das ist zuwenig. Die Br?der m?ssen gr??eres Geld sehen, sonst bei?en sie nicht an.“ Er griff in die Tasche und zog einen Hundertschillingschein heraus. „Hier, damit zahlen Sie Ihren Kaffee; dann wird schon einer kommen. Geben Sie das Geld dem Wirt zur?ck f?r mich; er kennt mich. Und nun: kurz spielen und aufpassen, wenn die vier Damen kommen! Hals- und Beinbruch![26 - Hals- und Beinbruch! – umgangssprachliche Wunschformel f?r das gute Gelingen eines Vorhabens mit der Bedeutung Viel Gl?ck! (russ. Íè ïóõà íè ïåðà!)]“ Steiner nahm den Schein. „Wenn ich das Geld verliere, kann ich es Ihnen nie zur?ckgeben.“ Der Taschendieb zuckte die Achseln. „Dann ist es eben weg. K?nstlerpech. Aber Sie werden es nicht verlieren. Ich kenne die Leute. Einfache Bauernf?nger. Keine Klasse. Sind Sie nerv?s?“ „Ich glaube nicht.“ „Auch dann haben Sie noch eine Chance. Die dr?ben wissen nicht, dass Sie was wissen. Bis sie es merken, sind sie schon eingeseift und k?nnen nicht mehr viel machen. Also Servus.“ „Servus.“ Steiner ging zu der Kneipe hin?ber. Er ?berlegte unterwegs, dass es sonderbar war: kein anderer Mensch h?tte ihm auch nur ein Viertel des Geldes anvertraut, das ihm der Falschspieler bedenkenlos gegeben hatte. Immer dasselbe. Gott sei Dank! Im vorderen Raum der Kneipe waren ein paar Tarockpartien im Gang. Steiner setzte sich ans Fenster und bestellte einen Schnaps. Umst?ndlich zog er seine Brieftasche, in die er noch ein paar Bogen Papier gesteckt hatte, damit sie voller aussah, und zahlte mit dem Hunderter. Eine Minute sp?ter sprach ihn ein schm?chtiger Mann an und forderte ihn auf, bei einem kleinen Poker mitzuspielen. Steiner lehnte gelangweilt ab. Der Mann redete ihm zu. „Ich habe zuwenig Zeit“, erkl?rte Steiner. „H?chstens eine halbe Stunde, das ist zum Spielen doch zuwenig.“ „Aber wo, aber wo!“ Der Schm?chtige zeigte ein sehr schadhaftes Gebiss. „In einer halben Stunde hat schon mancher sein Gl?ck gemacht, Herr Nachbar!“ Steiner sah die beiden andern am Nebentisch an. Einer hatte ein dickes Gesicht und eine Glatze, der andere war schwarz, stark behaart und hatte eine zu gro?e Nase. Beide blickten ihn gleichg?ltig an. „Wenn es wirklich nur f?r eine halbe Stunde ist“, sagte Steiner scheinbar z?gernd, „k?nnte man es ja mal versuchen.“ „Aber nat?rlich, nat?rlich“, erwiderte der Schm?chtige herzlich. „Und ich kann aufh?ren, wann ich will?“ „Aber klar, Herr Nachbar, wann Sie wollen.“ „Auch wenn ich gewonnen habe.“ Die Lippen des Dicken am Tisch verzogen sich etwas. Er sah zu dem Schwarzen hin?ber: da schien man ein richtiges Spie?b?rgerh?hnchen im Netz zu haben. „Aber gerade, dann gerade, Herr Nachbar!“ meckerte der Schm?chtige fr?hlich. „Also gut.“ Steiner setzte sich an den Tisch. Der Dicke mischte und gab. Steiner gewann ein paar Schilling. Als er selbst mischte, f?hlte er die Kartenr?nder ab. Dann mischte er noch einmal, hob f?r sich an der Stelle ab, wo er etwas sp?rte, bestellte einen Sliwowitz, blickte dabei unter den oberen Pack und sah, dass es die K?nige waren, die etwas beschnitten waren. Dann mischte er wieder gut und gab. Nach einer Viertelstunde hatte er ungef?hr drei?ig Schilling gewonnen. „Ganz gut!“ meckerte der Schm?chtige. „Wollen wir nicht mal etwas h?her ’rangehen?“ Steiner nickte. Er gewann auch den n?chsten Satz, der h?her gereizt war. Dann gab der Dicke. Er hatte rosa Patschh?ndchen, die eigentlich zu klein f?r die Volte waren. Steiner sah, dass er sie trotzdem sehr geschickt machte. Er hob seine Karten auf. Er hatte drei Damen. „Wieviel?“ fragte der Dicke und kaute an seiner Zigarre. „Vier“, sagte Steiner. Er merkte, dass der Dicke stutzte, denn er h?tte nur zwei Karten kaufen d?rfen. Der Dicke schob ihm vier hin. Steiner sah, dass die erste die vierte, fehlende Dame war. Er hatte nat?rlich jetzt kein Blatt und warf mit einem „Verdammt! Verkauft!“ die Karten hin. Die andern drei sahen sich an und passten auch. Steiner wusste, dass er nur etwas machen konnte, wenn er selbst gab. Seine Chancen standen dadurch eins zu drei. Der Taschendieb hatte recht gehabt. Er musste rasch handeln, ehe die andern zuviel merkten. Er machte den As-Trick, aber nur einfach. Der S?ugling spielte gegen ihn und verlor. Steiner sah nach der Uhr. „Ich muss fort. Letzte Runde.“ „Na, na, Herr Nachbar!“ meckerte der Kleine. Die andern beiden sagten nichts. Beim n?chstenmal hatte Steiner vier Damen im ersten Blatt. Er kaufte eine Karte hinzu. Eine Neun. Der behaarte Schwarze kaufte zwei Karten. Steiner sah, dass der Schm?chtige sie mit einer Schleuderbewegung der Hand von unten her gab. Er wusste Bescheid, reizte aber trotzdem bis zu zwanzig Schilling mit und gab dann auf. Der Schwarze schoss ihm einen Blick zu und kassierte den Pott. „Was haben Sie denn f?r eine Karte gehabt?“ bellte der Schm?chtige und warf rasch Steiners Blatt um. „Vier Damen! Und da passen Sie, Mann Gottes? Da war doch alles Geld der Welt drin! Was haben Sie denn gehabt?“ fragte er den Schwarzen. „Drei K?nige“, sagte der mit schiefem Gesicht. „Na, sehen Sie! Sehen Sie! Da h?tten Sie doch gewonnen, Herr Nachbar! Wie hoch w?ren Sie gegangen mit den drei K?nigen?“ „Mit drei K?nigen reize ich bis zum Mond hoch“, erwiderte der Schwarze ziemlich finster. „Ich habe mich versehen“, sagte Steiner. „Dachte, ich h?tte nur drei Damen. Habe die eine f?r einen Buben gehalten.“ „So was!“ Der Schwarze gab. Steiner bekam drei K?nige und kaufte den vierten hinzu. Er reizte f?nfzehn Schilling, dann passte er. Der S?ugling zog schl?rfend die Luft ein. Steiner hatte ungef?hr neunzig Schilling gewonnen, und es gab nur noch zwei Spiele. „Was haben Sie denn gehabt, Herr Nachbar?“ Der Schm?chtige versuchte rasch, die Karten umzuwerfen. Steiner schlug ihm die Hand weg. „Ist das hier Mode?“ fragte er. „Na, entschuldigen Sie nur. Man ist doch neugierig.“ Beim n?chsten Spiel verlor Steiner acht Schilling. Weiter ging er nicht. Dann nahm er die Karten und mischte. Er hatte genau achtgegeben und mischte die K?nige unter das Spiel, so dass er von unten her sie dem Dicken austeilen konnte. Es klappte. Der Schwarze ging zum Schein beim Reizen mit, der Dikke verlangte eine Karte. Steiner gab ihm den letzten K?nig. Der Dicke schl?rfte und wechselte mit den anderen einen Blick. Diesen Moment benutzte Steiner f?r den Trick mit den Assen. Er warf drei seiner Karten weg und gab sich die beiden letzten Asse, die jetzt oben lagen. Der Dicke fing an zu bieten. Steiner legte seine Karten hin und ging z?gernd mit. Der Schwarze verdoppelte. Bei hundertzehn Schilling schied er aus. Der Dicke trieb das Spiel auf hundertf?nfzig. Steiner hielt es. Er war nicht ganz sicher. Dass der Dicke vier K?nige hatte, wusste er. Nur die letzte Karte kannte er nicht. Wenn es der Joker war, war Steiner verloren. Der Schm?chtige zappelte auf seinem Sitz. „Darf man mal sehen?“ Er wollte nach Steiners Karten greifen. „Nein.“ Steiner legte die Hand auf seine Karten. Er war erstaunt ?ber diese naive Frechheit. Der Schm?chtige h?tte sofort dem Dicken Steiners Blatt mit dem Fu? telegrafiert. Der Dicke wurde unsicher. Steiner war so vorsichtig bisher gewesen, dass er ein schweres Blatt haben musste. Steiner merkte es und erh?hte sch?rfer. Bei hundertachtzig h?rte der Dicke auf. Er legte vier K?nige auf den Tisch. Steiner atmete auf und drehte seine vier Asse um. Der Schm?chtige stie? einen Pfiff aus. Dann wurde es sehr still, w?hrend Steiner das Geld einsteckte. „Wir spielen noch eine Runde“, sagte pl?tzlich der Schwarze hart. „Tut mir leid“, sagte Steiner. „Wir spielen noch eine Runde“, wiederholte der Schwarze und schob das Kinn vor. Steiner stand auf. „Das n?chstemal.“ Er ging zur Theke und zahlte. Dann schob er dem Wirt eine zusammengefaltete Hundertschillingnote hin. „Geben Sie das bitte Fred.“ Der Wirt hob ?berrascht die Brauen. „Fred?“ „Ja.“ „Gut.“ Der Wirt grinste, „’reingefallen, die Br?der! Wollten einen Schellfisch fangen und sind an einen Hai gekommen.“ Die drei standen an der T?r. „Wir spielen noch eine Runde“, sagte der Schwarze und versperrte den Ausgang. – Steiner sah ihn an. „So geht das nicht, Herr Nachbar“, meckerte der Schm?chtige. „Ausgeschlossen[27 - ausgeschlossen = unm?glich], Sir!“ „Wir brauchen uns wohl nichts vorzumachen“, sagte Steiner. „Krieg ist Krieg. Man muss auch mal verlieren k?nnen.“ „Wir nicht“, erwiderte der Schwarze. „Wir spielen noch eine Runde.“ „Oder Sie geben ’raus, was Sie gewonnen haben“, f?gte der Dicke hinzu. Steiner sch?ttelte den Kopf. „Es war ein ehrliches Spiel“, sagte er mit einem ironischen L?cheln. „Sie wussten, was Sie wollten, und ich wusste, was ich wollte. Guten Abend.“ Er versuchte, zwischen dem Schwarzen und dem Schm?chtigen hindurchzukommen. Dabei f?hlte er die Muskelstr?nge des Schwarzen. In diesem Augenblick kam der Wirt. „Keinen Radau[28 - Radau, der (berlin.) = L?rm] in meinem Lokal, meine Herren!“ „Ich will auch keinen“, sagte Steiner. „Ich will gehen.“ „Wir gehen mit“, sagte der Schwarze. Der Schm?chtige und der Schwarze gingen voran, dann kam Steiner und hinter ihm der Dicke. Steiner wusste, dass nur der Schwarze gef?hrlich war. Es war ein Fehler, dass er voranging. Im Moment, als er die T?r passierte, trat Steiner nach hinten aus, dem Dicken in den Bauch, und schlug dem Schwarzen die geballte Faust mit aller Kraft wie einen Hammer ins Genick, so dass er die Stufen hinunter gegen den Schm?chtigen taumelte. Mit einem Satz sprang er dann hinaus und raste die Stra?e entlang, ehe die andern sich erholt hatten. Er wusste, dass es seine einzige Chance war, denn auf der Stra?e h?tte er gegen drei Mann nichts mehr machen k?nnen. Er h?rte Geschrei und sah sich im Laufen um – aber niemand folgte ihm. Sie waren zu ?berrascht gewesen. Er ging langsamer und kam allm?hlich in belebtere Stra?en. Vor dem Spiegel eines Modegesch?ftes blieb er stehen und sah sich an. Falschspieler und Betr?ger, dachte er. Aber ein halber Pass… Er nickte sich zu und ging weiter. 5 Kern sa? auf der Mauer des alten j?dischen Friedhofs und z?hlte im Schein einer Stra?enlaterne sein Geld. Er hatte den ganzen Tag in der Gegend des Heiligenkreuzberges gehandelt. Es war ein armes Viertel; – aber Kern wusste, dass Armut mildt?tig ist und nicht nach Polizei ruft. Er hatte achtundrei?ig Kronen verdient. Es war ein guter Tag gewesen. Er steckte sein Geld ein und versuchte, auf dem verwitterten Grabstein, der schief neben ihm an der Mauer lehnte, den Namen zu entziffern. „Rabbi Israel L?w“, sagte er dann, „gestorben in verwischten Zeiten, sicher hochgelehrt einst und nun ein bisschen Knochenerde da unten – was meinst du, was soll ich jetzt tun? Nach Hause gehen, zufrieden sein oder versuchen, zu spekulieren und auf f?nfzig Kronen Verdienst zu kommen?“ Er zog ein F?nfkronenst?ck hervor. „Es ist dir ziemlich gleichg?ltig, Alter, was? Fragen wir also das Schicksal der Emigranten, den Zufall. Kopf ist Zufriedenheit, Schrift Weiterhandeln.“ Er wirbelte das Geldst?ck hoch und fing es auf. Es rollte aus seiner Hand und fiel auf das Grab. Kern kletterte ?ber die Mauer und hob es vorsichtig hoch. „Schrift! Auf deinem Grab! Du selbst r?tst mir also ebenfalls dazu, Rabbi! Dann aber los!“ Er ging auf das n?chste Haus zu, als wollte er eine Festung st?rmen. Im Parterre ?ffnete niemand. Kern wartete eine Zeitlang, dann stieg er die Treppen hinauf. In der ersten Etage kam ein h?bsches Dienstm?dchen heraus. Es sah seine Tasche, verzog die Lippen und machte schweigend die T?r wieder zu. Kern stieg zur zweiten Etage empor. Nach zweimaligem Klingeln erschien dort ein Mann mit offenstehender Weste in der T?r. Kern hatte kaum angefangen zu sprechen, als der Mann ihn emp?rt unterbrach. „Toilettewasser? Parf?m? So eine Frechheit! K?nnen Sie nicht lesen, Mensch? Mir, dem Generalvertreter von Andrea-Parf?merieartikeln, ausgerechnet mir wagen Sie Ihren Mist anzubieten? ’raus!“ Er schmiss die T?r zu. Kern z?ndete ein Streichholz an und studierte das Messingschild an der T?r. Es war Tatsache; Josef Schimek handelte selbst en gros mit Parf?m, Toilettewasser und Seife. Kern sch?ttelte den Kopf. „Rabbi Israel L?w“, murmelte er. „Was hei?t das? Sollten wir uns missverstanden haben?“ Er klingelte in der dritten Etage. Eine freundliche, dicke Frau ?ffnete. „Kommen Sie nur herein“, sagte sie gutm?tig, als sie ihn sah. „Deutscher, nicht wahr? Fl?chtling? Kommen Sie nur herein!“ Kern folgte ihr in die K?che. „Setzen Sie sich“, sagte die Frau, „Sie sind doch sicher m?de.“ „Nicht sehr.“ Es war das erstemal in Prag, dass man Kern einen Stuhl anbot. Er nutzte die seltene Gelegenheit aus und setzte sich. Entschuldige, Rabbi, dachte er, ich war voreilig. Entschuldige, ich bin jung, Rabbi Israel. Dann packte er seine Tasche aus. Die dicke Frau stand beh?big, mit ?ber dem Magen gekreuzten Armen, vor ihm und sah ihm zu. „Ist das Parf?m?“ fragte sie und zeigte auf eine kleine Flasche. „Ja.“ Kern hatte eigentlich erwartet, dass sie sich f?r Seife interessieren w?rde. Er hielt die Flasche hoch wie einen kostbaren Edelstein. „Das hier ist das ber?hmte Farr-Parf?m der Firma Kern. Etwas ganz Besonderes! Nicht so eine Lauge wie zum Beispiel die Produkte der Andreawerke, die Herr Schimek unter uns vertritt.“ „Soso…“ Kern ?ffnete die Flasche und lie? die Frau riechen. Dann nahm er ein Glasst?bchen und strich es ?ber ihre fette Hand. „Versuchen Sie selbst…“ Die Frau schnupperte ihre Hand ab und nickte. „Scheint gut zu sein. Aber haben Sie nur so kleine Flaschen?“ „Hier ist eine gr??ere. Dann habe ich noch eine, die ist sehr gro?. Die hier. Sie kostet allerdings vierzig Kronen.“ „Das macht nichts. Die gro?e ist richtig, die behalte ich.“ Kern glaubte seinen Ohren nicht trauen zu d?rfen. Das waren bare achtzehn Kronen Verdienst. „Wenn Sie die gro?e Flasche nehmen, gebe ich Ihnen noch ein St?ck Mandelseife gratis dazu“, erkl?rte er begeistert. „Sch?n, Seife kann man immer gebrauchen.“ Die Frau nahm die Flasche und die Seife und ging in ein Nebenzimmer. Kern packte inzwischen seine Sachen wieder ein. Aus der halboffenen T?r drang der Geruch von gekochtem Fleisch. Er beschloss, sich nachher ein erstklassiges Abendessen zu g?nnen. Die Suppe aus der Mensa am Wenzelsplatz machte nicht satt. Die Frau kam zur?ck. „Also sch?nen Dank und auf Wiedersehen“, sagte sie freundlich. „Hier haben Sie auch ein Butterbrot auf den Weg!“ „Danke.“ Kern blieb stehen und wartete. „Ist noch was?“ fragte die Frau. „Ja, nat?rlich,“ Kern lachte, „Sie haben mir das Geld noch nicht gegeben.“ „Das Geld? Was f?r Geld?“ „Die vierzig Kronen“, sagte Kern erstaunt. „Ach so! Anton!“ rief die Frau ins Nebenzimmer hinein. „Komm doch mal her! Hier fragt einer nach Geld!“ Ein Mann in Hosentr?gern kam aus dem Nebenzimmer. Er wischte sich den Schnurrbart und kaute. Kern sah, dass er ?ber dem verschwitzten Hemd eine Hose mit Litzen trug, und eine b?se Ahnung stieg pl?tzlich in ihm auf. „Geld?“ fragte der Mann heiser und bohrte in seinem Ohr. „Vierzig Kronen“, erwiderte Kern. „Aber geben Sie mir lieber einfach die Flasche zur?ck, wenn es Ihnen zuviel ist. Die Seife k?nnen Sie dann behalten.“ „Soso!“ Der Mann kam n?her heran. Er roch nach altem Schwei? und gekochtem frischem Schweinebauch. „Komm mal mit, mein Sohn!“ Er ging und ?ffnete die T?r zum Nebenzimmer weiter. „Kennst du das da?“ Er zeigte auf einen Uniformrock, der ?ber einem Stuhl hing. „Soll ich das mal anziehen und mit dir zur Polizei gehen?“ Kern trat einen Schritt zur?ck. Er sah sich bereits vierzehn Tage im Gef?ngnis wegen verbotenen Handels. „Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis“, sagte er so gleichg?ltig, wie er konnte. „Ich kann sie Ihnen zeigen.“ „Zeig mir lieber deine Arbeitserlaubnis“, erwiderte der Mann und starrte Kern an. „Die habe ich im Hotel.“ „Dann k?nnen wir ja mal zum Hotel gehen. Oder soll die Flasche nicht doch lieber ein Geschenk sein, wie?“ „Meinetwegen.“ Kern sah sich nach der T?r um. „Hier, nehmen Sie doch Ihr Butterbrot mit“, sagte die Frau mit breitem L?cheln. „Danke, das brauche ich nicht.“ Kern ?ffnete die T?r. „Sieh einer an! Undankbar ist er auch noch!“ Kern schlug die T?r hinter sich zu und ging rasch die Treppen hinunter. Er h?rte nicht das donnernde Gel?chter, das seiner Flucht folgte. „Gro?artig, Anton!“ prustete die Frau. „Hast du gesehen, wie er t?rmte? Als wenn er Bienen in der Hose h?tte. Noch schneller als der alte Jude heute nachmittag. Der hat dich bestimmt f?r ’n Polizeihauptmann gehalten und sah sich schon im Kasten!“ Anton schmunzelte. „Haben eben alle Angst vor jeder Uniform! Selbst wenn sie einem Brieftr?ger geh?rt. Unser Vorteil! Wir leben nicht schlecht von den Emigranten, was?“ Er griff der Frau an die Br?ste. „Das Parf?m ist gut.“ Sie dr?ngte sich an ihn. „Besser als das Haarwasser von dem alten Juden heute nachmittag.“ Anton zog sich die Hose hoch. „Da schmiere dich heute Abend damit ein; dann habe ich eine Gr?fin im Bett. Ist noch Fleisch im Topf?“ Kern stand auf der Stra?e. „Rabbi Israel L?w“, sagte er ziemlich j?mmerlich zum Friedhof hin?ber. „Sie haben mich ’reingelegt. Vierzig Kronen. Dreiundvierzig sogar mit dem St?ck Seife. Das sind vierundzwanzig Nettoverlust.“ Er ging zum Hotel zur?ck. „War jemand f?r mich da?“ fragte er den Portier. Der sch?ttelte den Kopf. „Kein Mensch.“ „Bestimmt nicht?“ „Nein. Nicht mal der Pr?sident der Tschechoslowakei.“ „Auf den warte ich auch nicht“, sagte Kern. Er stieg die Treppen hinauf. Es war sonderbar, dass er von seinem Vater nichts h?rte. Vielleicht war er wirklich nicht da; oder er war inzwischen von der Polizei gefasst worden. Er beschloss, noch ein paar Tage zu warten und dann noch einmal in die Wohnung der Frau Ekowski zu gehen. Oben in seinem Zimmer traf er den Mann, der nachts schrie. Er hie? Rabe. Er war gerade dabei sich auszuziehen. „Wollen Sie schon zu Bett?“ fragte Kern. „Vor neun schon?“ Rabe nickte. „Es ist das Vern?nftigste f?r mich. Ich schlafe dann bis zw?lf. Das ist die Zeit, wo ich jede Nacht hochfahre. Um Mitternacht kamen sie gew?hnlich, wenn man im Bunker sa?. Dann setze ich mich zwei Stunden ans Fenster. Hinterher nehme ich ein Schlafmittel. So komme ich ganz gut durch.“ Er stellte ein Glas Wasser neben sein Bett. „Wissen Sie, was mich am meisten beruhigt, wenn ich nachts am Fenster sitze? Ich sage mir Gedichte auf. Alte Gedichte aus der Schule.“ „Gedichte?“ fragte Kern erstaunt. „Ja, ganz einfache. Zum Beispiel dieses, das man abends bei Kindern singt: M?de bin ich, geh’ zur Ruh, Schlie?e meine Augen zu, Vater, lass die Augen dein ?ber meinem Bette sein. Hab ich Unrecht heut getan, Sieh es, lieber Gott, nicht an. Deine Gnad und Jesu Blut Machen alle S?nden gut…“ Er stand in seinem wei?en Unterzeug wie ein m?des, freundliches Gespenst im halbdunklen Zimmer und sprach die Verse des Wiegenliedes langsam, mit monotoner Stimme vor sich hin, die erloschenen Augen in die Nacht vor dem Fenster gerichtet. „Es beruhigt mich“, wiederholte er dann und l?chelte. „Ich wei? nicht, wie es kommt, aber es beruhigt mich.“ „Kann sein“, sagte Kern. „Es klingt verr?ckt, aber es beruhigt mich wirklich. Ich f?hle mich dann still und als w?re ich irgendwo zu Hause.“ Kern wurde unbehaglich zumute. Er sp?rte etwas wie eine G?nsehaut. „Ich kann keine Gedichte auswendig“, sagte er. „Ich habe alles vergessen. Mir ist, als w?re es eine Ewigkeit her, seit ich in der Schule war.“ „Ich wusste es auch nicht mehr. Aber jetzt auf einmal kann ich mich an alles erinnern.“ Kern nickte. Dann stand er auf. Er wollte aus dem Zimmer ’raus. Rabe konnte dann schlafen, und er brauchte nicht mehr an ihn zu denken. „Wenn man nur w??te, was man abends machen soll!“ sagte er. „Abends, das ist immer das Verfluchte. Zu lesen habe ich schon lange nichts mehr. Und unten zu sitzen und zum hundertsten Male dar?ber zu reden, wie sch?n es in Deutschland war, und wann es wohl anders werden wird, dazu habe ich auch keine Lust.“ Rabe setzte sich auf sein Bett. „Gehen Sie ins Kino. Das ist das beste, um einen Abend ’rumzukriegen. Man wei? nachher nicht mehr, was man gesehen hat; aber man hat wenigstens an nichts gedacht.“ Er zog die Str?mpfe aus. Kern sah ihm nachdenklich zu. „Kino“, sagte er. Ihm fiel ein, dass er vielleicht das M?dchen von nebenan dazu einladen k?nnte. „Kennen Sie die Leute hier im Hotel?“ fragte er. Rabe legte die Str?mpfe auf einen Stuhl und bewegte seine nackten Zehen. „Ein paar. Warum?“ Er blickte seine Zehen an, als h?tte er sie noch nie gesehen. „Hier nebenan die?“ Rabe dachte nach. „Da wohnt die alte Schimanowska. Sie war vor dem Kriege eine ber?hmte Schauspielerin.“ „Die meine ich nicht.“ „Er meint Ruth Holland, ein junges, h?bsches M?dchen“, sagte der Mann mit der Brille, der als dritter im Zimmer wohnte. Er hatte schon eine Weile in der T?r gestanden und zugeh?rt. Er hie? Marill und war ehemaliger Reichstagsabgeordneter. „Nicht wahr, Kern, Don Juan, so ist es doch?“ Kern err?tete. „Sonderbar“, fuhr Marill fort. „Bei den nat?rlichsten Sachen err?tet der Mensch. Bei den gemeinen nie. Wie war das Gesch?ft heute, Kern?“ „Eine glatte Katastrophe. Ich habe bares Geld verloren.“ „Dann geben Sie noch was dazu. Das ist das beste Mittel, keine Komplexe zu bekommen.“ „Ich bin gerade dabei“, sagte Kern. „Ich will ins Kino gehen.“ „Bravo. Mit Ruth Holland, nehme ich an, nach Ihrer vorsichtigen Fragerei.“ „Ich wei? nicht. Ich kenne sie ja nicht.“ „Man kennt die meisten Menschen nicht. Irgendwann muss man einmal damit anfangen. Immer los, Kern. Mut ist der sch?nste Schmuck der Jugend.“ „Glauben Sie, dass sie mitgehen wird?“ „Nat?rlich. Das ist einer der Vorteile unseres beschissenen Lebens. Zwischen Angst und Langerweile ist jeder dankbar, wenn man ihn ablenkt. Also keine falsche Scham! Losgebraust und nicht gezittert!“ „Gehen Sie ins Rialto“, sagte Rabe aus seinem Bett heraus. „Da spielen sie Marokko. Ich habe gefunden, je fremder die L?nder sind, desto besser wird man abgelenkt.“ „Marokko ist immer gut“, erkl?rte Marill. „Auch f?r junge M?dchen.“ Rabe packte sich seufzend in seine Decke. „Manchmal wollte ich, ich k?nnte zehn Jahre durchschlafen!“ „M?chten Sie dann auch zehn Jahre ?lter sein?“ fragte Marill. Rabe sah ihn an. „Nein“, sagte er. „Dann w?ren meine Kinder ja schon erwachsen.“ * * * Kern klopfte an die T?r nebenan. Eine Stimme von drinnen antwortete etwas. Er ?ffnete die T?r und blieb sofort stehen. Er hatte der Schimanowska ins Auge geblickt. Sie hatte ein Gesicht wie eine Schleiereule. Die wulstigen Falten waren dicht mit wei?em Puder ?berdeckt und wirkten wie eine gebirgige Schneelandschaft. Tief darin, wie L?cher, sa?en die schwarzen Augen. Sie starrte Kern an, als wollte sie ihm im n?chsten Augenblick mit ihren Krallen ins Gesicht fliegen. In den H?nden hielt sie einen zinnoberroten Schal, in dem ein paar Stricknadeln steckten. Pl?tzlich verzerrte sich ihr Gesicht. Kern dachte schon, sie w?rde auf ihn losst?rzen, aber auf einmal glitt eine Art von L?cheln ?ber ihre Z?ge. „Was wollen Sie, mein junger Freund?“ fragte sie mit pathetischer, tiefer Theaterstimme. „Ich m?chte mit Fr?ulein Holland sprechen.“ Das L?cheln verschwand wie weggewischt. „Ach so.“ Die Schimanowska blickte Kern ver?chtlich an und begann, heftig mit ihren Nadeln zu klappern. Ruth Holland hockte auf ihrem Bett. Sie hatte gelesen. Kern sah, dass es das Bett war, an dem er nachts gestanden hatte. Er f?hlte pl?tzlich eine W?rme hinter seiner Stirn. „Kann ich Sie etwas fragen?“ sagte er. Das M?dchen stand auf und ging mit ihm auf den Korridor. Die Schimanowska lie? ihnen ein Schnauben wie von einem verwundeten Pferd folgen. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie mit ins Kino wollen“, sagte Kern drau?en. „Ich habe zwei Karten“, log er hinzu. Ruth Holland sah ihn an. „Oder haben Sie etwas anderes vor? Es kann ja sein…“ Sie sch?ttelte den Kopf. „Nein, ich habe nichts vor.“ „Dann kommen Sie doch mit! Wozu wollen Sie den ganzen Abend im Zimmer sitzen?“ „Daran bin ich schon gew?hnt.“ „Um so schlimmer. Ich war nach zwei Minuten schon froh, wieder drau?en zu sein. Ich dachte, ich w?rde aufgefressen.“ Das M?dchen lachte. Sie wirkte pl?tzlich sehr kindlich. „Die Schimanowska sieht nur so aus. Sie hat ein gutes Herz.“ „Mag sein, aber das sitzt ihr nicht auf den Schultern. Der Film f?ngt in’einer Viertelstunde an. Wollen wir gehen?“ „Gut“, sagte Ruth Holland, und es schien, als fasse sie damit einen Entschluss. An der Kasse ging Kern rasch voraus. „Einen Augenblick, ich hole nur die Karten ab. Sie sind hier hinterlegt.“ Er kaufte zwei Billette und hoffte, dass sie nichts gemerkt hatte. Es war ihm gleich darauf aber auch schon egal – die Hauptsache war, dass sie neben ihm sa?. Der Saal wurde dunkel. Die Kasbah[29 - Die Kasbah – in Marokko wird als Kasbah eine Burganlage innerhalb der Medina (Altstadt) bezeichnet, die der Sitz des Stadtf?rsten war oder aber zum K?nigspalast ausgebaut wurde] von Marrakesch[30 - Marrakesch – eine Stadt im S?dwesten Marokkos] erschien auf der Leinwand, malerisch und von Sonne ?berflirrt, die W?ste gl?nzte auf, und der eint?nige Klang der Fl?ten und Tamburine zitterte durch die hei?e afrikanische Nacht… Ruth Holland lehnte sich in ihrem Sessel zur?ck. Die Musik fiel ?ber sie wie ein warmer Regen – ein warmer, eint?niger Regen, aus dem sich qu?lend die Erinnerung hob… Sie stand am Burggraben von N?rnberg. Es war April. Vor ihr stand in der Dunkelheit der Student Herbert Billing, ein zerkn?lltes Zeitungsblatt in der Hand. „Du verstehst, was ich meine, Ruth?“ „Ja, ich verstehe es, Herbert! Es ist leicht zu verstehen.“ Billing zerknitterte nerv?s das Exemplar des „St?rmer[31 - „St?rmer“ – die N?rnberger nationalsozialistische Zeitung (1923)]“. „Mein Name als Judenknecht in der Zeitung! Als Rassensch?nder! Das ist der Ruin, verstehst du?“ „Ja, Herbert.“ „Ich muss sehen, wie ich da ’rauskomme. Meine ganze Karriere steht auf dem Spiel. In der Zeitung, das liest jeder, verstehst du?“ „Ja, Herbert. Mein Name steht auch in der Zeitung.“ „Das ist ganz was anderes! Was kann dir das ausmachen? Du darfst doch sowieso nicht mehr zur Universit?t.“ „Du hast recht, Herbert.“ „Also Schluss, nicht wahr? Wir sind getrennt und haben nichts mehr miteinander zu tun.“ „Nichts mehr. Und nun leb wohl.“ Sie drehte sich um und ging. „Warte – Ruth – h?r doch, einen Moment!“ Sie blieb stehen. Er kam heran. Sein Gesicht war so dicht vor ihr in der Dunkelheit, dass sie seinen Atem sp?rte. „H?r zu“, sagte er. „Wo gehst du jetzt hin?“ „Nach Hause.“ „Du brauchst doch nicht gleich…“ Er atmete st?rker. „Es ist nat?rlich alles abgemacht, nicht wahr? Das bleibt dann so! Aber du k?nntest doch… wir k?nnten… gerade heute abend ist keiner bei mir zu Hause, verstehst du, und wir w?rden nicht gesehen.“ Er fasste nach ihrem Arm. „Wir brauchen uns ja nicht gerade so zu trennen, so formell meine ich, wir k?nnten doch noch einmal…“ „Geh!“ sagte sie. „Sofort!“ „Aber sei doch vern?nftig, Ruth.“ Er nahm sie um die Schulter. Sie sah das h?bsche Gesicht, das sie geliebt und dem sie gedankenlos vertraut hatte. Dann schlug sie hinein. „Geh!“ schrie sie, w?hrend ihr die Tr?nen herunterst?rzten. „Geh!“ Billing zuckte zur?ck. „Was? Schlagen? Mich schlagen? Du dreckige Judensau willst mich schlagen?“ Er machte Miene, sich auf sie zu st?rzen. „Geh!“ schrie sie gellend. Er sah sich um. „Halt den Mund!“ zischte er. „Willst mir wohl noch Leute auf den Hals hetzen, was? K?nnte dir so passen! Ich gehe, jawohl, ich gehe! Gott sei Dank, dass ich dich los bin!“ „Quand l’amour meurt[32 - „Guand l’amour meurt“ – „Wenn die Liebe stirbt“]“, sang die Frau auf der Leinwand mit ihrer dunklen Stimme durch den L?rm und Rauch des marokkanischen Caf?s. Ruth Holland strich sich ?ber die Stirn. Das andere war wenig dagegen. Die Angst der Verwandten, bei denen sie wohnte – das Dr?ngen des Onkels, abzureisen, damit er nicht hineingezogen w?rde – der anonyme Brief, in dem ihr mitgeteilt wurde, wenn sie nicht in drei Tagen verschwunden sei, werde man sie auf einem Wagen, mit Schildern auf Brust und R?cken und abgeschnittenem Haar als Rassensch?nderin durch die Stadt f?h-ren – der Besuch am Grabe ihrer Mutter – der nasse Morgen vor dem Kriegerdenkmal, von dem man den Namen ihres Vaters, der 1916 in Flandern gefallen war, abgekratzt hatte, weil er Jude war – und dann die hastige, einsame Fahrt mit den paar Schmuckst?cken ihrer Mutter ?ber die Grenze nach Prag… Die Fl?ten und Tamburine setzten auf der Leinwand wieder ein. Dar?ber hinweg wehte der Marsch der Fremdenlegion?re – die eiligen, erregenden Rufe der Clairons ?ber den Kompanien der in die W?ste ziehenden K?mpfer ohne Heimat und Vaterland. Kern beugte sich zu Ruth Holland hin?ber. „Gef?llt es Ihnen?“ „Ja…“ Er griff in die Tasche und schob ihr eine kleine flache Flasche hin?ber. „Eau de Cologne[33 - Eau de Cologne (im Volksmund auch K?lsch Wasser) – die Bezeichnung f?r ein typisches K?lner Duftwasser]“, fl?sterte er. „Es ist hei? hier. Vielleicht erfrischt es Sie etwas.“ „Danke.“ Sie sch?ttelte ein paar Tropfen auf ihre Hand. Kern sah nicht, dass sie pl?tzlich Tr?nen in den Augen hatte. „Danke“, sagte sie noch einmal. Steiner sa? zu zweitenmal im Caf? Hellebarde. Er schob dem Kellner einen F?nfschillingschein hin und bestellte einen Kaffee. „Telefonieren?“ fragte der Kellner. Steiner nickte. Er hatte noch einige Male mit wechselndem Gl?ck in anderen Lokalen gespielt und besa? jetzt etwa f?nfhundert Schilling. Der Kellner legte ihm einen Pack Journale hin und ging. Steiner griff nach einer Zeitung und begann zu lesen. Aber er legte sie bald wieder beiseite; es interessierte ihn wenig,“ was in der Welt los war. F?r jemand, der unter Wasser schwamm, gab es nur eins: wieder hochzukommen… es war ihm gleich, was die Fische f?r Farben hatten. Der Kellner brachte den Kaffee und stellte ein Glas Wasser dazu. „Die Herren kommen in einer Stunde.“ Er blieb am Tisch stehen. „Sch?nes Wetter heute, was?“ fragte er nach einiger Zeit. Steiner nickte und starrte auf die Wand, an der eine Aufforderung hing, durch Malzbiertrinken das Leben zu verl?ngern. Der Kellner schlurfte hinter die Theke zur?ck. Nach einiger Zeit brachte er auf einem Tablett ein zweites Glas Wasser heran. „Bringen Sie mir lieber einen Kirsch“, sagte Steiner. „Gut. Sofort.“ „Trinken Sie auch einen mit.“ Der Kellner verbeugte sich. „Danke, mein Herr. Sie haben Verst?ndnis f?r unsereins. Das findet man selten.“ „Ach wo!“ erwiderte Steiner. „Ich langweile mich nur, das ist alles.“ „Ich habe Leute gekannt, die sind schon auf schlechtere Ideen gekommen, wenn sie sich gelangweilt haben“, sagte der Kellner. Er trank und kratzte sich die Gurgel. „Mein Herr“, sagte er dann vertraulich, „ich wei? doch, worum es sich bei Ihnen handelt – wenn ich Ihnen einen Rat geben d?rfte, w?rde ich Ihnen den toten ?sterreicher empfehlen. Es gibt ja auch noch tote Rum?nen, die sind sogar etwas billiger – aber wer kann schon rum?nisch?“ Steiner sah ihn scharf an. Der Kellner lie? seine Gurgel im Stich und begann, sich den Nacken zu reiben. Er kratzte dazu mit dem Fu? wie ein Hund. „Am besten w?re nat?rlich ein Amerikaner oder ein Engl?nder“, sagte er nachdenklich. „Aber wann stirbt schon mal ein Amerikaner in ?sterreich! Und wenn schon, vielleicht durch einen Autounfall – wie kommt man an den Pass?“ „Ich glaube, ein deutscher ist besser als ein ?sterreichischer“, sagte Steiner. „Schlechter zu kontrollieren.“ „Das schon. Aber Sie kriegen keine Arbeitserlaubnis darauf. Nur Aufenthalt. Mit einem toten ?sterreicher dagegen k?nnen Sie ?berall in ?sterreich arbeiten.“ „Bis man erwischt wird.“ „Ja, nat?rlich! Aber wer wird in ?sterreich schon erwischt? H?chstens der Falsche…“ Steiner musste lachen. „Man kann auch mal der Falsche sein. Es bleibt gef?hrlich.“ „Ach, wissen Sie, mein Herr“, sagte der Kellner, „gef?hrlich soll’s auch sein, wenn man in der Nase bohrt.“ „Ja; aber darauf steht kein Zuchthaus.“ Der Kellner fing an, vorsichtig seine Nase zu massieren. Er bohrte aber nicht. „Ich meine es gut, mein Herr“, sagte er. „Ich habe hier meine Erfahrungen gesammelt. Ein toter ?sterreicher ist noch das Reellste.“ * * * Gegen zehn Uhr kamen die beiden Passh?ndler. Einer von ihnen, ein behender Mensch mit Vogelaugen, f?hrte die Unterhaltung. Der andere sa? nur massig und aufgeschwemmt dabei und schwieg. Der Redner zog einen deutschen Pass hervor. „Wir haben uns bei unseren Gesch?ftsfreunden erkundigt. Sie k?nnen diesen Pass auf Ihren eigenen Namen ausgestellt bekommen. Die Personalbeschreibung wird weggewaschen und Ihre eigene eingesetzt. Bis auf den Geburtsort nat?rlich, da m?ssen Sie schon Augsburg nehmen, weil die Stempel von dort sind. Das kostet allerdings zweihundert Schilling mehr. Pr?zisionsarbeit, verstehen Sie?“ „Soviel Geld habe ich nicht“, sagte Steiner. „Ich lege auch keinen Wert auf meinen Namen.“ „Dann nehmen Sie ihn so. Wir ?ndern nur die Fotografie. Den kleinen Stempelrand, der ?ber das Foto l?uft, machen wir Ihnen gratis dazu.“ „N?tzt nichts. Ich will arbeiten. Mit dem Pass da bekomme ich keine Arbeitserlaubnis.“ Der Redner zuckte die Achseln. „Dann bleibt nur der ?sterreichische. Damit k?nnen Sie hier arbeiten.“ „Und wenn bei der Polizeibeh?rde angefragt wird, die ihn ausgestellt hat?“ „Wer soll anfragen? Wenn Sie nichts ausfressen?“ „Dreihundert Schilling“, sagte Steiner. Der Redner fuhr zur?ck. „Wir haben feste Preise“, erkl?rte er beleidigt. „F?nfhundert, nicht einen Groschen darunter.“ Steiner schwieg. „Bei dem deutschen h?tte man was machen k?nnen, so was kommt ?fter vor. Aber ein ?sterreichischer ist was Rares. Wann hat ein ?sterreicher schon mal einen Pass? Im Lande braucht er keinen, und wann reist er schon ins Ausland? Dazu noch bei der Devisensperre! F?nfhundert ist geschenkt daf?r.“ „Dreihundertf?nfzig.“ Der Redner ereiferte sich. „Dreihundertf?nfzig habe ich selbst der Trauerfamilie gezahlt. Was meinen Sie, was f?r Arbeit dazu geh?rt hat! Dazu die Provisionen und die Spesen. Piet?t[34 - Piet?t, die – die R?cksicht auf religi?se Gef?hle anderer oder auf ihre Trauer um Tote] ist teuer, mein Herr! So frisch vom Grabe weg was zu bekommen, da m?ssen Sie sch?n bare Pimperlinge auf den Tisch z?hlen! Nur bares Geld trocknet die Tr?nen und l??t die Trauer zur?cktreten! Vierhundertf?nfzig meinetwegen, gegen unsere Interessen, weil Sie uns sympathisch sind.“ Sie einigten sich auf vierhundert. Steiner zog eine Fotografie von sich aus der Tasche, die er in einem Automaten f?r einen Schilling hatte machen lassen. Die beiden gingen damit los, und eine Stunde sp?ter brachten sie den Pass zur?ck. Steiner bezahlte ihn und steckte ihn ein. „Viel Gl?ck!“ sagte der Redner. „Und noch einen Tip. Wenn er abgelaufen ist, k?nnen wir ihn verl?ngern. Datum wegwaschen und ?ndern. Sehr einfach. Die einzige Schwierigkeit sind die Visa. Je sp?ter Sie weiche brauchen, um so besser – desto l?nger kann man das Datum verschieben.“ „Das h?tten wir doch jetzt schon tun k?nnen“, sagte Steiner. Der Redner sch?ttelte den Kopf. „Besser f?r Sie so. Sie haben so einen echten Pass, den Sie gefunden haben k?nnen. Eine Fotografie auszutauschen ist nicht so schlimm, wie etwas Schriftliches zu ?ndern. Und Sie haben ja ein Jahr Zeit. Da kann viel passieren.“ „Hoffentlich.“ „Strenge Diskretion nat?rlich, nicht wahr? Unser aller Interesse. H?chstens mal eine seri?se Empfehlung. Sie kennen ja den Weg. Alsdann[35 - alsdann (veraltend ) = dann, sodann, als N?chstes], guten Abend.“ „Guten Abend.“ „Strszecz miecze[36 - „Strszecz miecze“ – „Behalten Sie die Schwerte“]“, sagte der Schweiger. „Er spricht nicht deutsch“, grinste der Redner auf einen Blick Steiners. „Hat aber eine wunderbare Hand f?r Stempel. Streng seri?s nat?rlich.“ Steiner ging zum Bahnhof. Er hatte seinen Rucksack dort in der Gep?ckaufbewahrung gelassen. Am Abend vorher war er aus der Pension ausgezogen. Die Nacht hatte er auf einer Bank in den Anlagen geschlafen. Morgens hatte er sich in der Bahnhoftoilette den Schnurrbart abrasiert und dann die Fotografie machen lassen. Eine wilde Genugtuung erf?llte ihn. Er war jetzt der Arbeiter Johann Huber aus Graz. Unterwegs blieb er stehen. Er hatte noch etwas zu regeln aus der Zeit, als er Steiner hie?. Er ging zu einem Telefonautomaten und suchte im Telefonbuch eine Nummer. „Leopold Sch?fer“, murmelte er, „Trautenaugasse siebenundzwanzig.“ Der Name hatte sich ins Ged?chtnis eingebrannt. Er fand die Nummer und rief an. Eine Frau meldete sich. „Ist der Wachmann Sch?fer zu Hause?“ fragte er. „Ja, ich will ihn gleich rufen.“ „Das ist nicht n?tig“, erwiderte Steiner rasch. „Hier ist die Polizeidirektion Elisabethpromenade. Um zw?lf Uhr ist eine Razzia. Der Wachmann Sch?fer hat sich um dreiviertel zw?lf hier zu melden. Haben Sie verstanden?“ „Ja. Um dreiviertel zw?lf.“ – „Gut.“ Steiner h?ngte ab. Die Trautenaugasse war eine schmale, stille Stra?e, mit kahlen Kleinb?rgerh?usern. Steiner sah sich Haus Nummer siebenundzwanzig genau an. Es unterschied sich in nichts von den andern; aber es erschien ihm besonders widerw?rtig. Dann ging er ein St?ck zur?ck und wartete. Der Wachmann Sch?fer kam eilig und wichtig aus dem Haus gepoltert. Steiner ging ihm so entgegen, dass er ihm an einer dunklen Stelle begegnete. Dort rempelte er ihn mit einem m?chtigen Schultersto? an. Sch?fer taumelte. „Sind Sie besoffen, Mensch?“ br?llte er. „Sehen Sie nicht, dass Sie einen Beamten im Dienst vor sich haben?“ „Nein“, erwiderte Steiner. „Ich sehe nur einen j?mmerlichen Hurensohn! Einen Hurensohn, verstehst du?“ Sch?fer war einen Moment sprachlos. „Mensch“, sagte er dann leise. „Sie m?ssen verr?ckt sein! Das werden Sie mir b??en! Los, mit zur Wache!“ Er versuchte, seinen Revolver zu ziehen. Steiner trat mit dem Fu? gegen seinen Arm, trat blitzschnell heran und tat das Entehrendste, was es f?r einen Mann gibt; er schlug Sch?fer mit der flachen Hand links und rechts ins Gesicht. Der Wachmann r?chelte und sprang auf ihn los. Steiner wich zur Seite und landete einen linken Schwinger auf Sch?fers Nase, die sofort blutete. „Hurensohn!“ knurrte er. „Jammervoller Schei?er! Feiges Aas!“ Er zerschlug ihm mit einem trockenen Geraden die Lippen und f?hlte die Z?hne unter seinen Kn?cheln knacken. Sch?fer taumelte. „Hilfe!“ schrie er dann mit einer fetten, hohen Stimme. „Halt’s Maul!“ knurrte Steiner und setzte einen scharfen Rechten aufs Kinn und gleich darauf die kurz geschlagene Linke genau auf den Solarplexus. Sch?fer gab einen frosch?hnlichen Laut von sich und st?rzte wie eine S?ule zu Boden. Ein paar Fenster wurden hell. „Was ist denn da schon wieder los?“ schrie eine Stimme. „Nichts“, erwiderte Steiner aus dem Dunkel. „Nur ein Besoffener!“ „Der Teufel soll die Saufbr?der holen!“ rief die Stimme ?rgerlich. „Bringen Sie ihn doch zur Polizei!“ „Da soll er gerade hin!“ „Hauen Sie ihm vorher noch ein paar in das versoffene Maul!“ Das Fenster klappte zu. Steiner grinste und verschwand um die n?chste Ecke. Er war sicher, dass Sch?fer ihn mit seinem ver?nderten Gesicht im Dunkel nicht erkannt hatte. Er kreuzte noch ein paar Stra?enecken, bis er in eine belebte Gegend kam. Dann ging er langsamer. Wunderbar und gleichzeitig zum Kotzen, dachte er. So ein bisschen l?cherliche Rache! Aber es wiegt Jahre der Flucht und Geducktheit auf! Man muss die Gelegenheit nehmen, wie sie kommt! Er blieb unter einer Laterne stehen und holte seinen Pass heraus. Johann Huber! Arbeiter! Du bist tot und verfaulst irgendwo in der Erde von Graz – aber dein Pass lebt und ist g?ltig f?r die Beh?rden. Ich, Josef Steiner, lebe; aber ich bin ohne Pass tot f?r die Beh?rden. Er lachte. Tauschen wir, Johann Huber! Gib mir dein papierenes Leben und nimm meinen papierlosen Tod! Wenn die Lebenden uns nicht helfen, m?ssen die Toten es tun! 6 Kern kam Sonntag abend ins Hotel zur?ck. In seinem Zimmer stie? er auf Marill, der sehr aufgeregt war. „Endlich irgend jemand!“ rief er. „Verdammte Bude, in der ausgerechnet heute kein Aas zu finden ist! Alles ausgegangen! Alles unterwegs! Sogar der verfluchte Wirt!“ „Was ist denn los?“ fragte Kern. „Wissen Sie, wo eine Hebamme wohnt? Oder ein Arzt, irgendein Frauenarzt oder so was?“ „Nein.“ „Nat?rlich nicht!“ Marill starrte ihn an. „Sie sind doch ein vern?nftiger Mensch, Kern. Kommen Sie mit. Irgend jemand muss bei der Frau bleiben. Ich werde dann losgehen und eine Hebamme suchen. K?nnen Sie das?“ „Was?“ „Aufpassen, dass sie sich nicht zuviel bewegt! Mit ihr reden. Irgendwas tun!“ Er schleppte Kern, der nicht verstand, was los war, den Korridor entlang in den unteren Stock und ?ffnete die T?r eines kleinen Zimmers, in dem nicht viel mehr als ein Bett stand. Darin lag eine Frau und st?hnte. „Siebenter Monat! Fehlgeburt oder so was! Beruhigen Sie sie, wenn Sie k?nnen! Ich hole einen Arzt.“ Er war drau?en, ehe Kern etwas erwidern konnte. Die Frau im Bett st?hnte. Kern trat auf Zehenspitzen heran. „Kann ich Ihnen etwas geben?“ fragte er. Die Frau st?hnte weiter. Sie hatte klatschnasse, verschwitzte Haare von einem verblichenen Blond und ein graues Gesicht, aus dem dicke Sommersprossen sonderbar dunkel hervorschimmerten. Die Augen waren verdreht; unter den halbgeschlossenen Lidern war fast nur das Wei?e zu sehen. Die d?nnen Lippen waren zur?ckgezogen, die Z?hne gefletscht und fest aufeinandergebissen. Sie leuchteten sehr wei? aus dem Halbdunkel. „Kann ich Ihnen etwas geben?“ fragte Kern noch einmal. Er sah sich um. Ein billiger, d?nner Staubmantel hing ?ber einem Stuhl, wie hingeworfen. Vor dem Bett standen ein Paar ausgetretene Schuhe. Die Frau lag mit ihren Kleidern im Bett, wie hineingest?rzt. Auf dem Tisch stand eine Flasche mit Wasser und neben dem Waschtisch ein Koffer. Die Frau st?hnte. Kern wusste nicht, was er tun sollte. Die Frau warf sich hm und her. Er erinnerte sich an das, was Marill ihm gesagt hatte, und an das wenige, was er von dem einen Jahr an der Universit?t wusste, und versuchte, die Schultern der Frau festzuhalten. Aber es war, als wollte er eine Schlange festhalten. W?hrend er sich bem?hte und sie ihm entglitt und ihn wegstie?, riss sie pl?tzlich die H?nde hoch und krallte sich augenblicklich mit aller Kraft an seinen Armen fest. Er stand wie festgeschmiedet. Er h?tte nie geglaubt, dass die Frau eine solche Kraft haben k?nnte. Sie drehte den Kopf langsam, als w?re er eine Schraube, und st?hnte grauenvoll, als k?me ihr Atem aus der Erde. Der K?rper zuckte, und pl?tzlich sah Kern unter der Bettdecke, die sich verschoben hatte, einen schwarzroten Fleck hervorkriechen, das Leintuch entlang, gr??er werden und sich ausbreiten. Er versuchte, sich loszumachen, aber die Frau hielt ihn eisern fest. Wie gebannt starrte er auf den Fleck, der zu einem breiten Streifen wurde, bis er die Kante des Leintuchs erreichte und von da zur Erde tropfte und eine schwarze Lache bildete. „Loslassen! Lassen Sie los!“ Kern wagte nicht die Arme zu bewegen, weil er dann den K?rper der Frau gesch?ttelt h?tte. „Loslassen!“ knirschte er. „Loslassen!“ Pl?tzlich erschlaffte der K?rper der Frau. Sie lie? los und fiel in die Kissen. Kern griff nach der Decke und hob sie etwas hoch. Ein Schwall Blut quoll hervor und klatschte auf den Boden. Er sprang auf und rannte hinauf zu dem Zimmer, in dem Ruth Holland wohnte. Sie war da. Sie sa? allein auf ihrem Bett zwischen ihren aufgeschlagenen B?chern. „Kommen Sie!“ rief Kern. „Unten verblutet eine Frau!“ Sie liefen hinunter. Das Zimmer war dunkler geworden. Im Fenster flammte das Abendrot und warf einen d?steren Schein ?ber den Boden und den Tisch. Ein roter Reflex funkelte wie ein Rubin in der Wasserflasche. Die Frau lag jetzt ganz still. Sie schien nicht mehr zu atmen. Ruth Holland hob die Bettdecke auf. Die Frau schwamm in Blut. „Machen Sie Licht“, rief das M?dchen. Kern lief zum Schalter. Das Licht der schwachen Birne mischte sich mit dem Abendrot zu einer tr?ben Helligkeit. In diesem gelbroten Brodem lag die Frau auf dem Bett. Sie schien nichts zu sein als ein unf?rmiger Bauch mit verschobenen, blutigen Kleidern, unter denen die Beine mit herabgerutschten, schwarzen Str?mpfen herausragten, sonderbar in sich verdreht und erschlafft. „Geben Sie das Handtuch! Sie muss aufh?ren zu bluten! Vielleicht finden Sie irgend etwas!“ Kern sah, wie Ruth die ?rmel hochschob und die Kleider der Frau zu l?sen versuchte. Er gab ihr das Handtuch vom Waschtisch. „Der Arzt muss gleich kommen! Marill ist unterwegs.“ Er suchte nach Verbandszeug und st?lpte den Koffer hastig um. „Geben Sie her, was Sie finden“, rief Ruth. Auf dem Boden lag ein Haufen S?uglingsw?sche – kleine Hemden, Windeln, T?cher und dazwischen ein paar J?ckchen, gestrickt aus rosa und hellblauer Wolle, mit Schleifen und Seide geschm?ckt. Eins war noch nicht fertig; ein paar Stricknadeln steckten noch drin. Ein Kn?uel weiches, blaues Wollgarn fiel heraus und rollte lautlos ?ber den Boden. „Geben Sie her!“ Ruth warf das blutige Handtuch weg. Kern gab ihr die Windeln und die T?cher. Dann h?rte er Schritte auf der Treppe. Gleich darauf ging die T?r auf, und Marill kam mit einem Arzt herein. „Ja, was ist denn da… verdammt!“ Der Arzt machte einen langen Schritt, schob Ruth Holland beiseite und beugte sich ?ber die Frau. Nach einiger Zeit wandte er sich um zu Marill. „Rufen Sie sofort Nummer 2167 an. Braun soll eiligst kommen und alles mitbringen f?r Narkose, Braxton-Hicks-Operation. Verstanden? Au?erdem alles f?r schwere Blutungen.“ „Gut.“ Der Arzt sah sich um. „Sie k?nnen gehen!“ sagte er zu Kern. „Das Fr?ulein bleibt hier. Holen Sie Wasser. Geben Sie mir meine Tasche.“ Der zweite Arzt kam zehn Minuten spater. Mit Hilfe Kerns und einiger anderer Leute, die inzwischen gekommen waren, wurde der Raum neben dem Zimmer, wo die Frau lag, in ein Operationszimmer verwandelt. Die Betten wurden beiseite geschoben, Tische heranger?ckt und die Instrumente vorbereitet. Der Wirt holte die st?rksten Birnen, die er hatte, und schraubte sie in die Lampen ein. „Los, Los!“ Der erste Arzt tobte vor Ungeduld. Er riss seinen wei?en Mantel ?ber und lie? sich ihn von Ruth Holland zukn?pfen. „Nehmen Sie sich auch so was!“ Er warf ihr einen Mantel zu. „Wir brauchen Sie vielleicht hier. K?nnen Sie Blut sehen? Wird Ihnen schlecht?“ „Nein“, sagte Ruth. „Gut! Brav!“ „Vielleicht kann ich auch was tun“, sagte Kern. „Ich habe zwei Semester Medizin.“ „Vorl?ufig nicht.“ Der Arzt sah nach den Instrumenten. „K?nnen wir anfangen?“ Das Licht spiegelte sich in seiner Glatze. Die T?r wurde ausgeh?ngt. Vier M?nner trugen das Bett mit der leise wimmernden Frau ?ber den Korridor herein. Die Frau hatte die Augen weit offen. Ihre farblosen Lippen bebten. „Los! Anfassen!“ schnauzte der Arzt. „Hochheben! Vorsichtig, verflucht noch mal!“ Die Frau war schwer. Kern standen die Schwei?tropfen auf der Stirn. Sein Blick begegnete dem Ruths. Sie war blass, aber ruhig und so ver?ndert, dass er sie kaum wiedererkannte. Sie geh?rte zu der blutenden Frau. „So! ’raus alles, was nichts hier zu tun hat!“ schnauzte der Arzt mit der Glatze. Er nahm die Hand der Frau. „Es tut nicht weh. Es ist ganz leicht.“ Er hatte pl?tzlich die Stimme einer Mutter. „Das Kind soll leben“, fl?sterte die Frau. „Beide, beide…“, erwiderte der Arzt sanft. „Das Kind…“ „Wir drehen es nur ein bisschen um, aus der Schulterlage heraus. Dann kommt es wie der Blitz. Nur ruhig, ganz ruhig. Narkose!“ * * * Kern stand mit Marill und ein paar anderen Leuten in dem verlassenen Zimmer der Frau. Sie warteten darauf, dass sie wieder gebraucht w?rden. Von nebenan klang ged?mpft das Murmeln der ?rzte. Auf dem Boden verstreut lagen die rosa und blauen gestrickten J?ckchen. „Eine Geburt“, sagte Marill zu Kern. „So ist das, wenn man auf die Welt kommt… Blut, Blut und Schreie! Verstehen Sie, Kern?“ „Ja.“ „Nein“, sagte Marill. „Sie nicht und ich nicht! Eine Frau, nur eine Frau! F?hlen Sie sich nicht wie ein Schwein?“ „Nein“, erwiderte Kern. „So? Aber ich!“ Marill wischte sich die Brille ab und betrachtete Kern. „Haben Sie schon mit einer Frau geschlafen? Nein! Sonst w?rden Sie sich auch wie ein Schwein f?hlen. Gibt’s hier irgendwo eine M?glichkeit f?r einen Schnaps?“ Der Kellner trat aus dem Hintergrund des Zimmers hervor. „Bringen Sie eine halbe Flasche Kognak!“ sagte Marill. „Jaja, ich habe Geld daf?r! Bringen Sie nur!“ Der Kellner verschwand. Mit ihm der Wirt und zwei andere Gestalten. Die beiden blieben allein. „Setzen wir uns ans Fenster“, sagte Marill. Er zeigte auf das Abendrot. „Sch?n, was?“ Kern nickte. „Ja“, sagte Marill, „alles nebeneinander. Ist das Flieder, da unten im Garten?“ „Ja.“ „Flieder und ?ther. Blut und Kognak. Na, prost!“ „Ich habe vier Gl?ser gebracht, Herr Marill“, sagte der Kellner und stellte das Tablett auf den Tisch. „Ich dachte, vielleicht…“ Er wies mit dem Kopf nach nebenan. „Gut.“ Marill schenkte zwei Gl?ser voll. „Trinken Sie, Kern?“ „Wenig.“ „Ein j?disches Laster, Abstinenz. Daf?r verstehen sie mehr von Frauen. Aber Frauen wollen gar nicht verstanden sein. Prost!“ „Prost!“ Kern trank sein Glas leer. Er f?hlte sich besser danach. „Ist das nur eine Fr?hgeburt?“ fragte er. „Oder noch mehr?“ „Ja. Vier Wochen zu fr?h. ?beranstrengt. Deshalb: Reisen, Umsteigen, Aufregung, ’rumlaufen und so was, verstehen Sie? Sollte eine Frau nicht machen in dem Zustand.“ „Und warum?“ Marill schenkte neu ein. „Warum…“ sagte er. „Weil sie wollte, dass ihr Kind Tscheche w?rde. Weil sie nicht wollte, dass man es in der Schule schon anspucken und Dreckjude schimpfen sollte.“ „Ich verstehe“, sagte Kern. „Ist der Mann nicht mit ’rausgekommen?“ „Den Mann hat man vor ein paar Jahren eingelocht. Warum? Weil er ein Gesch?ft hatte und t?chtiger und flei?iger war als sein Konkurrent an der n?chsten Ecke. Was macht man dann als Konkurrent? Man geht hin und zeigt den Flei?igen an – staatsverr?terische Reden, geschimpft, oder kommunistische Ideen. Irgendwas. Darauf wird er eingelocht – und man ?bernimmt die Kunden. Kapiert?[115 - (etwas) kapieren (gespr.) = verstehen]“ „Das kenne ich“, sagte Kern. Marill trank sein Glas aus. „Ein rauhes Zeitalter. Der Frieden wird mit Kanonen und Bombenflugzeugen stabilisiert, die Menschlichkeit mit Konzentrationslagern und Pogromen. Wir leben in einer Umkehrung aller Werte, Kern. Der Angreifer ist heute der H?ter des Friedens, der Verpr?gelte und Gehetzte der St?renfried der Welt. Und es gibt ganze V?lkerst?mme, die das glauben!“ Eine halbe Stunde sp?ter h?rten sie ein d?nnes, qu?kendes Schreien von nebenan. „Verdammt!“ sagte Marill. „Sie haben es geschafft! Ein Tscheche mehr auf der Welt! Darauf wollen wir einen heben! Los, Kern! Auf das gro?e Mysterium der Welt! Die Geburt! Wissen Sie, warum es ein Mysterium ist? Weil man hinterher wieder stirbt. Prost.“ Die T?r ?ffnete sich. Der zweite Arzt kam herein. Er war blutbespritzt und schwitzte. In den H?nden hielt er ein krebsrotes Etwas, das qu?kte und dem er auf den R?cken patschte. „Es lebt!“ knurrte er. „Gibt’s hier irgendwas…“ er griff nach einem Pack T?cher… „na, zur Not… Fr?ulein!“ Er ?bergab Ruth das Kind und die T?cher. „Baden und einwikkeln – nicht zu fest – die Alte drinnen wei? Bescheid, die Wirtin – aber ’raus aus dem ?ther, lassen Sie es im Badezimmer…“ Ruth nahm das Kind. Ihre Augen schienen Kern doppelt so gro? wie sonst. Der Arzt setzte sich an den Tisch. „Gibt’s hier Kognak?“ Marill goss ihm ein Glas ein. „Wie ist einem Arzt eigentlich zumute“, fragte er, „wenn er sieht, dass t?glich neue Bombenflugzeuge und Kanonen gebaut werden, aber keine Hospit?ler? Die einen sind doch nur dazu da, um die andern zu f?llen.“ Der Arzt schaute auf. „Beschissen“, sagte er, „beschissen! Sch?ne Aufgabe: man flickt sie mit der gr??ten Kunst zusammen, damit sie mit der gr??ten Barbarei wieder in St?cke gerissen werden. Warum nicht gleich die Kinder totschlagen! Ist doch viel einfacher.“ „Mein Lieber“, erwiderte der Reichstagsabgeordnete Marill, „Kinder t?ten ist Mord. Erwachsene t?ten ist eine Angelegenheit nationaler Ehre.“ „Im n?chsten Krieg werden auch genug Frauenbund Kinder dabei sein“, brummte der Arzt. „Die Cholera rotten wir aus – dabei ist das eine harmlose Krankheit gegen ein bisschen Krieg.“ „Braun!“ rief der Arzt aus dem Nebenzimmer. „Rasch.“ „Ich komme!“ „Verdammt! Scheint nicht alles glatt zu gehen“, sagte Marill. * * * Nach einiger Zeit kam Braun zur?ck. Er sah verfallen aus. „Riss im Geb?rmutterhals“, sagte er. „Nichts zu machen. Die Frau verblutet.“ „Nichts zu machen?“ „Nichts. Haben alles versucht. H?rt nicht auf zu bluten.“ „K?nnen Sie keine Blut?bertragung machen?“ fragte Ruth, die in der T?r stand. „Sie k?nnen es von mir nehmen.“ Der Arzt sch?ttelte den Kopf. „Hilft nichts, Kindchen. Wenn’s nicht aufh?rt…“ Er ging zur?ck. Die T?r blieb offen. Das helle Viereck wirkte gespenstisch. Die drei sa?en und schwiegen. Der Kellner tappte herein. – „Soll ich abr?umen?“ „Nein.“ „Wollen Sie etwas trinken?“ fragte Marill Ruth. Sie sch?ttelte den Kopf. „Doch, nehmen Sie was. Es ist besser.“ Er goss ihr ein halbes Glas ein. Es war dunkel geworden. Am Horizont ?ber den D?chern schimmerte nur noch schwachgr?n und orangefarben das letzte Licht. Darin schwamm der bleiche Mond, zerfressen von L?chern wie eine alte Messingm?nze. Von der Stra?e her h?rte man Stimmen. Sie waren laut, vergn?gt und nichtsahnend. Kern erinnerte sich pl?tzlich an Steiner und das, was er gesagt hatte. Wenn neben dir jemand stirbt: du sp?rst es nicht. Das ist das Ungl?ck der Welt. Mitleid ist kein Schmerz. Mitleid ist eine versteckte Schadenfreude. Ein Aufatmen, dass man es nicht selber ist oder einer, den man liebt. Er blickte zu Ruth hin?ber. Er konnte ihr Gesicht nicht mehr sehen. Marill horchte auf. „Was ist denn das?“ Ein langer, voller Geigenton schwang durch die anbrechende Nacht. Er verhallte, schwoll wieder an, stieg empor, sieghaft, trotzig – und dann begannen L?ufe zu perlen, zarter und zarter, und eine Melodie l?ste sich los, einfach und traurig wie der versinkende Abend. „Es ist hier im Hotel“, sagte Marill und sp?hte durchs Fenster. „?ber uns in der vierten Etage.“ „Ich glaube, ich kenne ihn“, erwiderte Kern. „Es ist ein Geiger, den ich schon einmal geh?rt habe. Ich wusste nicht, dass er auch hier wohnt.“ „Das ist kein einfacher Geiger. Das ist viel mehr.“ „Soll ich hinaufgehen und ihm sagen, er m?chte aufh?ren?“ „Warum?“ Kern machte eine Bewegung zur T?r. Marills Brille gl?nzte. „Nein. Wozu? Traurig sein kann man immer. Und Sterben ist ?berall. Das geht alles zusammen.“ Sie sa?en und lauschten. Nach langer Zeit kam Braun aus dem Nebenzimmer. „Aus“, sagte er. „Exitus[37 - Exitus, der = Tod]. Sie hat nicht viel gesp?rt. Wei? nur, dass ein Kind da ist. Das haben wir ihr noch sagen k?nnen.“ Die drei standen auf. „Wir k?nnen sie wieder hierher bringen“, sagte Braun. „Das Zimmer nebenan wird ja gebraucht.“ Die Frau lag wei? und pl?tzlich schmal in der Verw?stung von blutigen T?chern, Tupfern und Eimern und Schalen von Blut und Watte. Sie lag da mit einem fremden, strengen Gesicht, und es ging sie alles nichts mehr an. Der Arzt mit der Glatze, der sich um sie herumbewegte, wirkte wie unanst?ndig gegen sie: fressendes, s?ftevolles, zermalmendes, ausscheidendes Leben neben der Ruhe der Vollendung. „Lassen Sie sie zugedeckt“, sagte der Arzt. „Besser Sie sehen das andere nicht. War sowieso schon ein bisschen viel, nicht wahr, kleines Fr?ulein?“ Ruth sch?ttelte den Kopf. „Sie haben sich tapfer gehalten. Nicht gemuckt. Wissen Sie, was ich jetzt k?nnte, Braun? Mich aufh?ngen, mich glatt am n?chsten Fenster aufh?ngen!“ „Sie haben das Kind lebendig geholt; das war eine Glanzleistung.“ „Aufh?ngen! Verstehen Sie, ich wei?, dass wir alles getan haben, dass man machtlos dagegen ist. Trotzdem k?nnte ich mich aufh?ngen!“ Er w?rgte w?tend, sein Gesicht ?ber dem Kragen des blutigen Kittels war rot und fleischig. „Zwanzig Jahre mache ich das nun schon. Und jedesmal, wenn mir einer durch die Lappen geht, m?chte ich mich aufh?ngen. Zu bl?dsinnig.“ Er wandte sich an Kern. „Nehmen Sie mir da aus der linken Rocktasche die Zigaretten und stecken Sie mir eine in den Mund. Ja, kleines Fr?ulein, ich wei?, was Sie denken. So, und nun Feuer. Ich geh’ mich waschen.“ Er starrte auf die Gummihandschuhe, als w?ren sie an allem schuld, und ging schwerf?llig ins Badezimmer. Sie trugen die Tote mit dem Bett auf den Korridor hinaus und von da in ihr Zimmer zur?ck. Auf dem Korridor standen ein paar Leute, die in dem gro?en Zimmer wohnten. „Konnte man sie denn nicht in eine Klinik bringen?“ fragte eine d?rre Frau, die einen Hals wie ein Truthahn hatte. „Nein“, sagte Marill. „Sonst h?tte man’s getan.“ „Und nun bleibt sie hier, die ganze Nacht? Eine Tote nebenan – wer kann da schlafen!“ „Dann bleiben Sie wach, Gro?mutter“, entgegnete Marill. „Ich bin keine Gro?mutter“, fauchte die Frau. „Das merkt man.“ Die Frau warf ihm einen b?sen Blick zu. „Und wer macht das Zimmer sauber? Der Geruch geht ja nie heraus. Man h?tte ja auch Nummer zehn dr?ben daf?r nehmen k?nnen!“ „Sehen Sie“, sagte Marill zu Ruth, „die Frau hier ist tot. Und ihr Kind h?tte sie gebraucht und ihr Mann vielleicht auch. Aber dieses unfruchtbare Pl?ttbrett da drau?en lebt. Wird wahrscheinlich steinalt zum ?rger der Mitmenschen. Das ist eines der R?tsel, hinter die man nie kommt.“ „Das B?se ist h?rter, es h?lt mehr aus“, erwiderte Ruth finster. Marill sah sie an. „Woher wissen Sie das denn schon?“ „Das ist heute leicht zu lernen.“ Marill erwiderte nichts. Er blickte sie nur an. Die beiden ?rzte kamen. „Das Kind ist bei der Wirtin“, sagte der mit der Glatze. „Es wird abgeholt werden. Ich telefoniere gleich deswegen. Auch wegen der Frau. Kannten Sie sie n?her?“ Marill sch?ttelte den Kopf. „Sie ist vor ein paar Tagen gekommen. Ich habe nur einmal mit ihr gesprochen.“ „Vielleicht hat sie Papiere. Die kann man dann mitgeben.“ „Ich werde nachsehen.“ Êîíåö îçíàêîìèòåëüíîãî ôðàãìåíòà. Òåêñò ïðåäîñòàâëåí ÎÎÎ «ËèòÐåñ». Ïðî÷èòàéòå ýòó êíèãó öåëèêîì, êóïèâ ïîëíóþ ëåãàëüíóþ âåðñèþ (https://www.litres.ru/erih-mariya-remark/liebe-deinen-nachsten-vozlubi-blizhnego-svoego-kniga-dl/?lfrom=688855901) íà ËèòÐåñ. Áåçîïàñíî îïëàòèòü êíèãó ìîæíî áàíêîâñêîé êàðòîé Visa, MasterCard, Maestro, ñî ñ÷åòà ìîáèëüíîãî òåëåôîíà, ñ ïëàòåæíîãî òåðìèíàëà, â ñàëîíå ÌÒÑ èëè Ñâÿçíîé, ÷åðåç PayPal, WebMoney, ßíäåêñ.Äåíüãè, QIWI Êîøåëåê, áîíóñíûìè êàðòàìè èëè äðóãèì óäîáíûì Âàì ñïîñîáîì. notes Ïðèìå÷àíèÿ 1 Halt’s Maul… (gespr.) – Nicht reden! Still sein! 2 Somme, die – Fluss in Frankreich 3 Schilling, der – eine ?sterreichische W?hrungseinheit. Von 1925 bis 1938 und 1945 bis 1998 war der Schilling Buch- und Bargeld, ab 1999 bis zur Bargeldeinf?hrung des Euros gab es den Schilling nur als Bargeld. 4 du Hurenbankert (vulg.) – ein Schimpfwort 5 du Schei?er (vulg.) – ein Schimpfwort 6 Flitzer, der (ugs.) – kleines, schnelles Fahrzeug 7 Merci = Danke 8 etw. auf dem Kerbholz (haben) (ugs.) – etw. auf dem Gewissen (haben) 9 Ìíîãî âîçíè è íèêàêîãî òîëêà! 10 Komplott, das – ein geheimer Plan, gemeinsam etwas zu tun, das jemandem (besonders einer Regierung) schadet 11 s?rr – falsche Aussprache von sehr 12 od?rr – falsche Aussprache von oder 13 Poulet, das = H?hnchen 14 Quatschkopf, der – jemand, der viel Unsinn redet 15 Ibberhaupt– falsche Aussprache von ?berhaupt 16 g?rne – falsche Aussprache von gerne 17 Nansenpass, der – ein Pass f?r staatenlose Fl?chtlinge und Emigranten. Er wurde 1922 vom Hochkommisar des V?lkerbundes f?r Fl?chtlingsfragen Fridtjof Nansen entworfen. Der Nansenpass war von 52 Staaten anerkannt. 18 Coup, der – eine riskante, ?berraschende, oft illegale Handlung 19 Skat – Kartenspiel f?r drei Spieler, das mit 32 Karten gespielt wird. 20 Jass – Kartenspiel, das vor allem in der deutschsprachigen Schweiz, in Liechtenstein, wie teilweise im S?den Deutschlands verbreitet ist. Beim Jass wird ?blicherweise mit vier Spielern und 36 Karten gespielt. 21 Tarock – in verschiedenen Formen gespieltes, alt?berliefertes Kartenspiel zu dritt. 22 Sliwowitz, der – Pflaumenschnaps 23 gottlob (veraltend) = Gott sei (Lob und) Dank; gl?cklicherweise 24 Servus! (s?dd., ?sterr.) – verwendet zur Begr??ung oder zur Verabschiedung besonders unter Freunden oder Kollegen 25 pleite – ohne Geld, sodass die Rechnungen nicht mehr bezahlt werden k?nnen – bankrott 26 Hals- und Beinbruch! – umgangssprachliche Wunschformel f?r das gute Gelingen eines Vorhabens mit der Bedeutung Viel Gl?ck! (russ. Íè ïóõà íè ïåðà!) 27 ausgeschlossen = unm?glich 28 Radau, der (berlin.) = L?rm 29 Die Kasbah – in Marokko wird als Kasbah eine Burganlage innerhalb der Medina (Altstadt) bezeichnet, die der Sitz des Stadtf?rsten war oder aber zum K?nigspalast ausgebaut wurde 30 Marrakesch – eine Stadt im S?dwesten Marokkos 31 „St?rmer“ – die N?rnberger nationalsozialistische Zeitung (1923) 32 „Guand l’amour meurt“ – „Wenn die Liebe stirbt“ 33 Eau de Cologne (im Volksmund auch K?lsch Wasser) – die Bezeichnung f?r ein typisches K?lner Duftwasser 34 Piet?t, die – die R?cksicht auf religi?se Gef?hle anderer oder auf ihre Trauer um Tote 35 alsdann (veraltend ) = dann, sodann, als N?chstes 36 „Strszecz miecze“ – „Behalten Sie die Schwerte“ 37 Exitus, der = Tod 114 Verflucht! (KCI.) – verwendet, um gro?en ?rger auszudr?cken 115 (etwas) kapieren (gespr.) = verstehen
Íàø ëèòåðàòóðíûé æóðíàë Ëó÷øåå ìåñòî äëÿ ðàçìåùåíèÿ ñâîèõ ïðîèçâåäåíèé ìîëîäûìè àâòîðàìè, ïîýòàìè; äëÿ ðåàëèçàöèè ñâîèõ òâîð÷åñêèõ èäåé è äëÿ òîãî, ÷òîáû âàøè ïðîèçâåäåíèÿ ñòàëè ïîïóëÿðíûìè è ÷èòàåìûìè. Åñëè âû, íåèçâåñòíûé ñîâðåìåííûé ïîýò èëè çàèíòåðåñîâàííûé ÷èòàòåëü - Âàñ æä¸ò íàø ëèòåðàòóðíûé æóðíàë.