Âðîäå êàê áûëî òåðïèìî. Íåò íè òîñêè, íè ïå÷àëè. Íî, ïðîëåòàâøèå ìèìî, Óòêè ñ óòðà ïðîêðè÷àëè. Îñòðûì, íîÿáðüñêèì êëèíîì Âðåçàëè ñ õîäó ïî äâåðè. Ãîäû ñêàçàëè: ñ ïî÷èíîì! Çðÿ òû â òàêîå íå âåðèë. Çðÿ íå çàêðûë åù¸ ñ ëåòà  áåäíîé õðàìèíå âñå ùåëè. Ñ âîçðàñòîì ñòàðøå è âåòðû, Ƹñò÷å è çëåå ìåòåëè. Íàäî áû ñðàçó, ñ æåëåçà, Âûêîâàòü â ñåðäöå âîðîòà

Billard um halb Zehn / Áèëüÿðä â ïîëîâèíå äåñÿòîãî. Êíèãà äëÿ ÷òåíèÿ íà íåìåöêîì ÿçûêå

billard-um-halb-zehn-
Òèï:Êíèãà
Öåíà:408.00 ðóá.
Èçäàòåëüñòâî: ÊÀÐÎ
Ãîä èçäàíèÿ: 2007
ßçûê: Íåìåöêèé
Ïðîñìîòðû: 438
Ñêà÷àòü îçíàêîìèòåëüíûé ôðàãìåíò
ÊÓÏÈÒÜ È ÑÊÀ×ÀÒÜ ÇÀ: 408.00 ðóá. ×ÒÎ ÊÀ×ÀÒÜ è ÊÀÊ ×ÈÒÀÒÜ
Billard um halb Zehn / Áèëüÿðä â ïîëîâèíå äåñÿòîãî. Êíèãà äëÿ ÷òåíèÿ íà íåìåöêîì ÿçûêå Heinrich Theodor B?ll ×òåíèå â îðèãèíàëå (Êàðî)Moderne Prosa Ãåíðèõ Áåëëü (1917–1985) – çíàìåíèòûé íåìåöêèé ïèñàòåëü, ëàóðåàò Íîáåëåâñêîé ïðåìèè ïî ëèòåðàòóðå (1972).  åãî ìíîãî÷èñëåííûõ ïðîèçâåäåíèÿõ ãëóáèíà ïñèõîëîãè÷åñêîãî àíàëèçà, ëèðèçì ñî÷åòàþòñÿ ñ ðåçêîé ñîöèàëüíîé êðèòèêîé, â òîì ÷èñëå àíòèôàøèñòñêîé è àíòèâîåííîé.  êíèãå ïðåäñòàâëåí îäèí èç ñàìûõ èçâåñòíûõ ðîìàíîâ Ã. Áåëëÿ «Áèëüÿðä â ïîëîâèíå äåñÿòîãî». Îðèãèíàëüíûé òåêñò ñíàáæåí ïîñòðàíè÷íûì êîììåíòàðèåì è ñëîâàðåì. Heinrich Theodor B?ll Billard um halb Zehn © ÊÀÐÎ, 2007 Âñå ïðàâà çàùèùåíû ?ber den Autor Heinrich B?ll wurde am 21.12.1917 in K?ln als Sohn eines Tischlermeisters und Bildhauers geboren. W?hrend der Kindheits- und Jugendjahre wechselte die Familie mehrfach die Wohnung innerhalb des K?lner Stadtgebiets, wodurch B?ll intensiv mit Geschichte, Tradition und sozialem Klima der rheinischen Metropole in Ber?hrung kam. Zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern erlebte er zun?chst 1930 die Weltwirtschaftskrise, die seinen Vater, wie auch viele andere Selbstst?ndige, ruiniert hatte. Drei Jahre sp?ter wurde er Zeitzeuge der ?bernahme der Macht in Deutschland durch die Nationalsozialisten. B?ll fing nach eigenen Zeugnissen sehr fr?h an zu lesen, besonders die erz?hlerischen Gesellschaftspanoramen der Weltliteratur des 19. Jahrhunderts: die Romane Balzacs, Dickens und Dostojewskis, die sicher nicht ohne Einfluss auf B?lls eigene erz?hlerische Familien- und Gruppen-„Bilder“ bis hin zum Sp?twerk blieben. Hinzu trat das Kennenlernen des franz?sischen renouveau catholique[1 - Der Renouveau catholique (katholische Erneuerung) war eine literarische Bewegung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Frankreich. Seine Ziele waren eine Erneuerung von Literatur und Gesellschaft durch Hinwendung zu den Werten eines urspr?nglichen Katholizismus.], der Kritik am kirchlichen verh?rteten Christentum bei Leon Bloy[2 - L?on Marie Bloy, (* 11. Juli 1846 in P?rigueux; † 3. November 1917 in Bourg-la-Reine bei Paris) war ein franz?sischer Romancier und Essayist. Urspr?nglich vom Symbolismus ausgehend, gilt Bloy, ein christlicher Wahrheitsfanatiker, „ewiger Bettler“, gl?ubiger Katholik und streitbarer Geist.], Georges Bernanos[3 - Georges Bernanos (* 20. Februar 1888 in Paris, † 5. Juli 1948 in Neuilly-sur-Seine) war ein franz?sischer Schriftsteller. Behandelte in Romanen den Kampf zwischen Gott und Satan in Menschen.] und Charles Peguy[4 - Charles Pierre P?guy (* 7. Januar 1873 in Orl?ans; † 5. September 1914 bei Villeroy) war ein franz?sischer Schriftsteller. Vertreter des Renouveau catholique.]. B?ll selbst verwies immer wieder auf deutsche Autoren, die ihm wichtig wurden: Kleist[5 - Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist (* 18. Oktober, nach Kleists eigenen Angaben 10. Oktober 1777 in Frankfurt (Oder); † 21. November 1811 in Wannsee bei Berlin) war ein preu?ischer Dramatiker, Erz?hler, Lyriker und Publizist.], H?lderlin[6 - Johann Christian Friedrich H?lderlin (* 20. M?rz 1770 in Lauffen am Neckar; † 7. Juni 1843 in T?bingen) z?hlt zu den bedeutendsten deutschen Lyrikern.], Hebel[7 - Johann Peter Hebel (1760–1826) – deutscher Dichter; Gedichte in alemannischer Mundart; schlicht-humorvolle, feihouse didaktische Kurzenz?hlungen.], Kafka[8 - Franz Kafka (1883–1924) – ?sterreichischen Dichter; sein werk ist Deutung seiner eigenen Existenz und als solche dichterische Gleichnis f?r den Menschen in der absurden Welt, der belastet durch das Gef?hl einer existentiellen Schuld, in Erwartung eines urteils lebt.]. Mit 17 begann er zu schreiben. Doch seine fr?hen Werke verbrannten bei einem K?lner Luftangriff. Nach dem Abitur (1937) begann B?ll eine Lehre im Buchhandel der Firma Matthias Lempertz in Bonn, die drei Jahre dauerte. Im Herbst 1938 bis zum Fr?hjahr 1939 musste B?ll den Reichsarbeitsdienst als Vorbedingung f?r das Universit?tsstudium ableisten. Zum Sommersemester desselben Jahres immatrikulierte sich B?ll an der Universit?t zu K?ln und belegte die F?cher Germanistik und klassische Philologie. Doch schon im Juni 1939 wurde er zur Armee eingezogen. Er erlitt den Krieg an westlichen und ?stlichen Fronten und zunehmend in Deutschland selbst. B?ll registrierte den Krieg und lernte ihn hassen als ein enthumanisierendes Chaos aus Egoismus, l?cherlichem Herrenwahn, Profitgier, Tr?nen, Schrecken, Dreck, Langeweile und sinnlosem Leid. Im Mai 1940 musste er in eine Garnison nach Polen. Ende Juni desselben Jahres kam er als Infanterist nach Frankreich. 1942 heiratete B?ll Annemarie Cech und arbeitete schlie?lich als Dolmetscher bei der Ortskommandatur in einem franz?sischen Badeort. Im Sommer 1943 fuhr B?ll als Soldat nach Russland. Der Zug, mit dem er fuhr, explodierte und B?ll wurde an der rechten Hand verletzt. Er wurde ins Lazarett nach Deutschland gebracht, nach 14 Tagen musste er aber bereits wieder nach Russland. Inzwischen arbeitete Annemarie als Lehrerin an einer Mittelschule. Im Dezember 1943 traff ein Granatsplitter B?ll am Kopf, woraufhin er bis Mai 1944 im Lazarett in Odessa lag. Im August 1944 f?lschte B?ll nach einer R?ckenverletzung durch eine Handgranate einen Befehl, wodurch er schlie?lich nach Metz geschickt wurde, was jedoch niemand bemerkte. Nach einem kurzen Urlaub musste er weiter an der Ostfront dienen. Im April 1945 wurde er von den Amerikanern gefangengenommen. Am 8.5.1945 kapitulierte Deutschland, B?ll und die ?brigen Gefangenen wurden freigelassen. Im November 1945 kehrte B?ll aus der Kriegsgefangenschaft nach K?ln heim. Die unmittelbaren Nachkriegsjahre waren f?r B?ll eine harte Zeit. Auf der einen Seite musste er Geld verdienen, um seine Familie zu ern?hren, die sich schnell vergr??erte: Zwischen 1947 und 1950 wurden seine drei S?hne Raimund, Ren? und Vincent geboren. Auf der anderen Seite wollte er seinen Traum vom Schreiben als Lebensinhalt nicht aufgeben. Um Lebensmittelkarten zu erhalten, immatrikulierte er sich an der Universit?t, arbeitete zeitweise in der von einem seiner Br?der fortgef?hrten Schreinerei, w?hrend Annemarie B?ll als Lehrerin unterrichtete. Seine erste publizierte Erz?hlung, Aus der „Vorzeit“, erschien am 3. Mai 1947 im Rheinischen Merkur, gek?rzt von achtzehn Manuskriptseiten auf eineinhalb. 1949 ver?ffentlichte er den Roman Der Zug war p?nktlich, der ebenso wie Wo warst du, Adam? (1951) das Erlebnis des Krieges behandelte. Im Mittelpunkt der beiden folgenden Romane – Und sagte kein einziges Wort (1953) und Haus ohne H?ter (1954) – stand das durch unzul?ngliche Lebensbedingungen gef?hrdete Familienleben. Im Mai 1951 wurde er zur 8.Tagung der ber?hmten Gruppe 47 eingeladen. Er las „Die schwarzen Schafe“ und gewann 1000 DM. Fortan lebte B?ll als freier Schriftsteller. 1952 wurde er Dritter beim Erz?hlerpreis des S?ddeutschen Rundfunks, gewann den Deutschen Kritikerpreis 1953, die Ehrengabe des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie 1954, den Preis der „Tribune de Paris“ 1955 und wurde 1953 zum Mitglied der Deutschen Akademie f?r Sprache und Dichtung gew?hlt. Betrachtet man sein Leben in den folgenden Jahrzehnten, dann stellt man einige auff?llige Momente und Wesensz?ge im Leben von Heinrich B?ll fest. Da ist zuerst und vor allem seine geradezu unwahrscheinlich anmutende Produktivit?t. Der Erz?hler B?ll hat nicht nur viel auf dem Herzen; er erlebt auch die sich ver?ndernde Welt, indem er schreibt. Da sind seine weit ?ber hundert Kurzgeschichten, Satiren, viele kleinere und bis zu romanhafter L?nge reichende gro?e Erz?hlungen. Da sind seine Romane Billard um halb zehn (1959), Ansichten eines Clowns (1963), Dr.Murkes gesammeltes Schweigen und andere Satiren (1958), die Erz?hlung Ende einer Dienstfahrt (1966), Gruppenbild mit Dame (1971), F?rsorgliche Belagerung (1979) sowie der kurz nach seinem Tod erschienene Roman Frauen vor Flu?landschaft. Dar?ber hinaus schrieb er sein viel gelesenes Irisches Tagebuch (1957) (er ging f?r ein dreiviertel Jahr nach Irland, seine Familie nahm er wie gew?hnlich mit), unz?hlige Essays, Artikel und Rezensionen. Nicht vergessen darf man seine H?rspiele und H?rbilder sowie die ?bersetzungen, die er oft gemeinsam mit seiner Frau erarbeitete. Auch auf dem Gebiet des Theaters versuchte er sich, wovon zum Beispiel das im Dezember 1961 uraufgef?hrte St?ck Ein Schluck Erde zeugt. Viele seiner Arbeiten, wie zum Beispiel Das Brot der fr?hen Jahre, Ansichten eines Clowns, Ende einer Dienstfahrt oder Die verlorene Ehre der Katharina Blum wurden sowohl inszeniert als auch verfilmt. Ende der sechziger Jahre erkrankte B?ll. H?ufige Sanatorien – Aufenthalte in der Schweiz, die er seit 1976 unternahm, brachten keine endg?ltige Besserung. Als er Ende 1979 mit seiner Frau zu seinem Sohn Vincent nach Quito in Ecuador reiste, kam es zum Zusammenbruch. Er musste sich einer komplizierten Operation unterziehen. Nach seiner R?ckkehr 1980 nach Deutschland kam es zu der zweiten schweren Operation mit mehrmonatigem Krankenhausaufenthalt. Als er 1985 erneut operiert werden musste, starb er nur einen Tag nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus – am 16. Juli 1985 – in seinem Haus in Langenbroich. Beigesetzt wurde Heinrich B?ll auf dem Friedhof von Bornheim-Merten. ?ber mich selbst Im Jahre 1958 schrieb Heinrich B?ll den kleinen Aufsatz „?ber mich selbst“, der die geistigen und sozialen Wurzeln seiner Existenz sichtbar macht: „Geboren bin ich in K?ln, wo der Rhein, seiner mittelrheinischen Lieblichkeit ?berdr?ssig, breit wird, in die totale Ebene hinein auf die Nebel der Nordsee zuflie?t; wo weltliche Macht nie so recht ernst genommen worden ist, geistliche Macht weniger ernst, als man gemeinhin in deutschen Landen glaubt; wo man Hitler mit Blument?pfen bewarf, G?ring ?ffentlich verlachte, den blutr?nstigen Gecken, der es fertigbrachte, sich innerhalb einer Stunde in drei verschiedenen Uniformen zu pr?sentieren; ich stand, zusammen mit Tausenden K?lner Schulkindern Spalier, als er in der dritten Uniform, einer wei?en, durch die Stadt fuhr; ich ahnte, dass der b?rgerliche Unernst der Stadt gegen die neu heraufziehende Mechanik des Unheils nichts ausrichten w?rde; geboren in K?ln, das seines gotischen Domes wegen ber?hmt ist, es aber mehr seiner romanischen Kirchen wegen sein m?sste; das die ?lteste Judengemeinde Deutschlands beherbergte und sie preisgab; B?rgersinn und Humor richteten gegen das Unheil nichts aus, jener Humor, so ber?hmt wie der Dom, in seiner offiziellen Erscheinungsform schreckenerregend, auf der Stra?e manchmal von Gr??e und Weisheit. Geboren in K?ln, am 21. Dezember 1917, w?hrend mein Vater als Landsturmmann Br?ckenwache schob; im schlimmsten Hungerjahr des Weltkrieges wurde ihm das achte Kind geboren; zwei hatte er schon fr?h beerdigen m?ssen; w?hrend mein Vater den Krieg verfluchte und den kaiserlichen Narren, den er mir sp?ter als Denkmal zeigte. „Dort oben“, sagte er, „reitet er immer noch auf seinem Bronzegaul westw?rts, w?hrend er doch schon so lange in Doorn Holz hackt“; immer noch reitet er auf seinem Bronzegaul westw?rts. Meine v?terlichen Vorfahren kamen vor Jahrhunderten von den Britischen Inseln, Katholiken, die der Staatsreligion Heinrichs VIII. die Emigration vorzogen. Sie waren Schiffszimmerleute, zogen von Holland herauf rheinaufw?rts, lebten immer lieber in St?dten als auf dem Land, wurden, so weit von der See entfernt, Tischler. Die Vorfahren m?tterlicherseits waren Bauern und Bierbrauer; eine Generation war wohlhabend und t?chtig, dann brachte die n?chste den Verschwender hervor, war die ?bern?chste arm, brachte wieder den T?chtigen hervor, bis sich im letzten Zweig, aus dem meine Mutter stammte, alle Weltverachtung sammelte und der Name erlosch. Meine erste Erinnerung: Hindenburgs heimkehrende Armee, grau, ordentlich, trostlos zog sie mit Pferden und Kanonen an unserem Fenster vor?ber; vom Arm meiner Mutter aus blickte ich auf die Stra?e, wo die endlosen Kolonnen auf die Rheinbr?cken zumarschierten; sp?ter: die Werkstatt meines Vaters: Holzgeruch, der Geruch von Leim, Schellack und Beize; der Anblick frischgehobelter Bretter, das Hinterhaus einer Mietskaserne, in der die Werkstatt lag; mehr Menschen, als in manchem Dorf leben, lebten dort, sangen, schimpften, h?ngten ihre W?sche auf die Recks; noch sp?ter: die klangvollen germanischen Namen der Stra?en, in denen ich spielte: Teutoburger -, Eburonen -, Veledastra?e, und die Erinnerung an Umz?ge, wie mein Vater sie liebte, M?belwagen, biertrinkende Packer, das Kopfsch?tteln meiner Mutter, die ihren Herd liebte, auf dem sie das Kaffeewasser immer kurz vor dem Siedepunkt zu halten verstand. Nie wohnten wir weit vom Rhein entfernt, spielten auf Fl??en, in alten Festungsgr?ben, in Parks, deren G?rtner streikten; Erinnerung an das erste Geld, das ich in die Hand bekam, es war ein Schein, der eine Ziffer trug, die Rockefellers Konto Ehre gemacht h?tte: 1 Billion Mark; ich bekam eine Zuckerstange daf?r; mein Vater holte die Lohngelder f?r seine Gehilfen in einem Leiterwagen von der Bank; wenige Jahre sp?ter waren die Pfennige der stabilisierten Mark schon knapp, Schulkameraden bettelten mich in der Pause um ein St?ck Brot an; ihre V?ter waren arbeitslos; Unruhen, Streiks, rote Fahnen, wenn ich durch die am dichtesten besiedelten Viertel K?lns mit dem Fahrrad in die Schule fuhr; wieder einige Jahre sp?ter waren die Arbeitslosen untergebracht, sie wurden Polizisten, Soldaten, Henker, R?stungsarbeiter – der Rest zog in die Konzentrationslager; die Statistik stimmte, die Reichsmark flo? in Str?men; bezahlt wurden die Rechnungen sp?ter, von uns, als wir, inzwischen unversehens M?nner geworden, das Unheil zu entziffern versuchten und die Formel nicht fanden; die Summe des Leidens war zu gro? f?r die wenigen, die eindeutig als schuldig zu erkennen waren; es blieb ein Rest, der bis heute nicht verteilt ist. Schreiben wollte ich immer, versuchte es schon fr?h, fand aber die Worte erst sp?ter.“ ?ber das Buch Die Geschichte dreier Generationen einer rheinischen Architektenfamilie symbolisiert das deutsche Schicksal der ersten Jahrhunderth?lfte. Das a??ere Geschehen ist in den Ablauf eines einzigen Tages des Jahres 1958 gespannt. Es ist der achtzigste Geburtstag von Heinrich F?hmel, der im Jahre 1907 den Auftrag erhielt, die Abtei St. Anton zu erbauen. Sein Sohn Robert, der jeden Tag von halbzehn bis elf im Hotel Prinz Heinrich Billard spielt, hat in seiner Eigenschaft als Sprengspezialist der Wehrmacht die Abtei in den letzten Kriegstagen zerst?rt. Der Enkel Joseph wird am Wiederaufbau beteiligt. In den Gespr?chen Roberts mit dem Hotelboy, in R?ckblenden und Erinnerungen seines Vaters verkn?pfen sich Vergangenheit und Gegenwart, werden die Situationen der einzelnen Zeitabschnitte verdeutlicht. Im Mittelpunkt steht dabei der Konflikt zwischen dem selbstst?ndig denkenden und handelnden Einzelg?nger und der politisch opportunistischen Mehrheit. Heinrich B?ll ?ber die Entstehungsgeschichte von Billard um halbzehn in dem Interview mit Horst Bienek: „Die erste Zelle dieses Romans ist die zweite H?lfte des Schlagballkapitels. Und diese Zelle ist entstanden aus einer historischen Begebenheit. Im Jahre 1934, glaube ich, war es, da lie? G?ring hier in K?ln vier junge Kommunisten durch Handbeil hinrichten. Der J?ngste von ihnen war siebzehn oder gerade achtzehn, so alt wie ich damals war, als ich gerade anfing, mich im Schreiben zu versuchen. Das Ganze war als Kurzgeschichte gedacht, war auch so angelegt, aber ich sp?rte eben, dass es ein Roman werden m?sse. Das Thema hat sich dann verwandelt, vielfach verwandelt, als ich in Genf den Altar der Gebr?der van Eyck sah, in dessen Mitte das Gotteslamm steht. Ich habe den Altar dann innerhalb k?rzerer Zeit noch einmal gesehen. Das ist alles, was ich wei?. Der Rest ist ein sehr komplizierter Vorgang wie immer beim Schreiben, wo Bewusstes und Unbewusstes sich st?ndig mischen in einem st?ndig wechselnden Mischungsverh?ltnis. Sp?ter dann habe ich diese beiden Anl?sse, wenn ich sie so nennen darf, vergessen. Andere Gestalten und Motive wurden mir wichtiger, verloren wieder an Wichtigkeit. Das wechselt mit der Hitze und der notwendigen Abk?hlung w?hrend des Schreibens und wechselt immer wieder.“ „Es ist eine breit dahinflutende, schmerzlich sch?ne Elegie vom Leben dieser unserer eigenen Zeit, von Hoffnungen, Leiden und Illusionen. Das Buch hat Reife. Es ist aller Tendenz enthoben. Sein Klang ist voll, sein Sinn ist mild, seine Wahrheit ist entschieden und klar: die Wahrheit des Lamms, das geopfert wird, damit die Welt weiterleben kann.“     Karl Korn „Wenn die Geschichten von Schicksalen, die um der Wahrheit willen erfunden wurden, noch heutzutage auf die Leser einen Einfluss aus?ben k?nnen, dann ist wohl der Roman Heinrich B?lls dazu angetan, den Menschen besser zu machen. Was k?nnte man von einem Moralisten mehr sagen?“     Marcel Reich-Ranicki „Billard um halbzehn, B?lls vielleicht extremstes Buch, ist der Hilfeschrei eines „Nicht-Vers?hnten“ (nicht: eines Unvers?hnlichen). Mit rauschhafter Gewalt, rhapsodisch wie Koeppen, anspruchsvoll wie Faulkner, sucht da jemand nach Natur in unnat?rlicher Welt, nach Trauer im Zeitalter der Restauration, nach Gelassenheit, die der Verzweiflung f?hig ist.“     Joachim Kaiser Kapitel I An diesem Morgen war F?hmel zum ersten Mal unh?flich zu ihr, fast grob. Er rief sie gegen halb zw?lf an, und schon der Klang seiner Stimme verhie? Unheil; diese Schwingungen waren ihr ungewohnt, und gerade weil seine Worte so korrekt blieben, erschreckte sie der Ton: alle H?flichkeit war in dieser Stimme auf die Formel reduziert, als wenn er ihr statt Wasser H O angeboten h?tte. „Bitte“, sagte er, „nehmen Sie aus Ihrem Schreibtisch die kleine rote Karte, die ich Ihnen vor vier Jahren gab.“ Sie zog mit der rechten Hand ihre Schreibtischschublade auf, schob eine Tafel Schokolade, den Wollappen, das Messingputzmittel beiseite, nahm die rote Karte heraus. „Bitte, lesen Sie mir vor, was auf der Karte steht.“ Und sie las mit zitternder Stimme: „Jederzeit erreichbar f?r meine Mutter, meinen Vater, meine Tochter, meinen Sohn und f?r Herrn Schrella, f?r niemanden sonst.“ „Bitte, wiederholen Sie den letzten Satz“, und sie wiederholte: „F?r niemanden sonst.“ „Woher wussten Sie ?brigens, dass die Telefonnummer, die ich Ihnen gab, die des Hotels ‘Prinz Heinrich‘ war?“ Sie schwieg. „Ich m?chte betonen, dass Sie meine Anweisungen zu befolgen haben, auch wenn sie vier Jahre zur?ckliegen… bitte.“ – Sie schwieg. „Dummes St?ck…“ Hatte er das ‚Bitte‘ diesmal vergessen? Sie h?rte Gemurmel, dann eine Stimme, die ‚Taxi‘ rief, ‚Taxi‘, das amtliche Tuten, sie legte den H?rer auf, schob das K?rtchen auf die Mitte des Schreibtisches, empfand beinahe Erleichterung; diese Grobheit, die erste innerhalb von vier Jahren, war fast wie eine Z?rtlichkeit. Wenn sie verwirrt war oder des bis aufs ?u?erste pr?zisierten Ablaufs ihrer Arbeit ?berdr?ssig, ging sie hinaus, das Messingschild zu putzen: ‚Dr. Robert F?hmel, B?ro f?r statische Berechnungen, nachmittags geschlossen‘. Eisenbahnd?mpfe, der Schleim der Auspuffgase, Stra?enstaub gaben ihr t?glich Gr?nd, den Wollappen und das Putzmittel aus der Schublade zu nehmen, und sie liebte es, diese Putzminuten auf eine viertel, eine halbe Stunde auszudehnen. Dr?ben im Haus Modestgasse 8 konnte sie hinter staubigen Fenstern die stampfenden Druckereimaschinen sehen, die unerm?dlich Erbauliches auf wei?es Papier druckten; sie sp?rte das Beben, glaubte sich auf ein fahrendes oder startendes Schiff versetzt. Lastwagen, Lehrjungen, Nonnen; Leben auf der Stra?e, Kisten vor Gem?sel?den: Apfelsinen, Tomaten, Kohl. Und am Nebenhaus, vor Gretzens Laden, h?ngten zwei Lehrjungen gerade den Keiler auf, dunkles Wildschweinblut tropfte auf den Asphalt. Sie liebte den L?rm und den Schmutz der Stra?e. Trotz stieg in ihr hoch, und sie dachte an K?ndigung; in irgendeinem Dreckladen arbeiten, in einem Hinterhof betrieben, wo Elektrokabel, Gew?rze oder Zwiebeln verkauft wurden, wo schmuddelige Chefs mit herunterh?ngenden Hosentr?gern und Wechselsorgen zu Vertraulichkeiten neigten, die man dann wenigstens h?tte abweisen k?nnen; wo man um die Stunde, die man wartend beim Zahnarzt verbrachte, zu k?mpfen hatte; wo f?r die Verlobung einer Kollegin Geld gesammelt wurde, Geld f?r einen Haussegen oder ein Buch ?ber die Liebe; wo die schmutzigen Witze der Kollegen einen daran erinnerten, dass man selbst rein geblieben war. Leben. Nicht diese makellose Ordnung, nicht diesen Chef, der makellos gekleidet und makellos h?flich war – und ihr unheimlich; sie witterte Verachtung hinter dieser H?flichkeit, die er jedem, mit dem er zu tun hatte, zuteil werden lie?. Doch mit wem, au?er ihr, hatte er schon zu tun? Soweit sie zur?ckdenken konnte, hatte sie ihn nie mit jemandem sprechen sehen – au?er mit seinem Vater, seinem Sohn, seiner Tochter. Niemals hatte sie seine Mutter gesehen, die lebte irgendwo in einem Sanatorium f?r Geistesgest?rte, und dieser Herr Schrella, der noch auf der roten Karte stand, hatte niemals nach ihm verlangt. Sprechstunden hielt F?hmel nicht ab, Kunden, die telefonisch anfragten, musste sie bitten, sich schriftlich an ihn zu wenden. Wenn er sie bei einem Fehler ertappte, machte er nur eine wegwerfende Handbewegung, sagte: „Gut, dann machen Sie es noch einmal, bitte.“ Das geschah selten, denn die wenigen Fehler, die ihr unterliefen, entdeckte sie selbst. Das ‚Bitte‘ jedenfalls verga? er nie. Wenn sie ihn darum bat, gab er ihr frei, f?r Stunden, f?r Tage; als ihre Mutter starb, hatte er gesagt: „Dann schlie?en wir das B?ro f?r vier Tage… oder m?chten Sie lieber eine Woche?“ Doch sie wollte keine Woche, nicht einmal vier Tage, nur drei, und selbst die wurden ihr in der leeren Wohnung zu lang. Zur Seelenmesse und zur Beerdigung erschien er nat?rlich in vollendetem Schwarz, erschienen sein Vater, sein Sohn, seine Tochter, trugen alle riesige Kr?nze, die sie eigenh?ndig am Grab niederlegten, lauschten der Liturgie; und sein alter Vater, den sie mochte, fl?sterte ihr zu: „Wir F?hmels kennen den Tod, stehen auf vertrautem Fu? mit ihm, liebes Kind.“ All ihren W?nschen um Verg?nstigungen kam er widerstandslos entgegen, und so fiel es ihr im Laufe der Jahre immer schwerer, ihn um eine Gunst zu bitten; er hatte die Arbeitszeit mehr und mehr herabgesetzt; im ersten Jahr hatte sie noch von acht bis vier gearbeitet, aber nun war ihre Arbeit schon seit zwei Jahren so rationalisiert, dass sie gut von acht bis eins getan werden konnte, ihr sogar noch Zeit blieb, sich zu langweilen, die Putzminuten auf halbe Stunden auszudehnen. Kein W?lkchen mehr auf dem Messingschild zu entdecken! Seufzend schraubte sie die Flasche mit dem Putzmittel zu, faltete den Lappen; immer noch stampften die Druckereimaschinen, druckten unerbittlich Erbauliches auf wei?es Papier, immer noch blutete der Keiler. Lehrjungen, Lastwagen, Nonnen: Leben auf der Stra?e. Auf dem Schreibtisch die rote Karte; seine makellose Architektenschrift: ‚… f?r niemanden sonst‘. Die Telefonnummer, die sie m?hsam, in langweiligen Stunden, ?ber ihre Neugier err?tend, identifiziert hatte: ‚Hotel Prinz Heinrich‘. Der Name hatte ihrer Witterung neue Nahrung gegeben: was tat er morgens zwischen halb zehn und elf im Hotel Prinz Heinrich? Eisige Stimme am Telefon: ‚Dummes St?ck‘. Hatte er wirklich nicht ‚bitte‘ dazu gesagt? Der Stilbruch stimmte sie hoffnungsvoll, tr?stete sie ?ber die Arbeit, die auch ein Automat h?tte ausf?hren k?nnen. Zwei Musterbriefe, die in vier Jahren nicht ge?ndert worden waren, die sie schon in den Durchschl?gen ihrer Vorg?ngerin entdeckt hatte; einen f?r die Kunden, die Auftr?ge erteilen: ‚Danken wir Ihnen f?r Ihr Vertrauen, das wir durch rasche und korrekte Erledigung des Auftrages rechtfertigen werden. Hochachtungsvoll‘; der zweite Brief, der zu schreiben war, wenn sie die statischen Unterlagen an die Kunden zur?ckschickte: ‚Anbei die gew?nschten Unterlagen f?r das Bauvorhaben X. Das Honorar in H?he von Y bitten wir auf unser Bankkonto zu ?berweisen. Hochachtungsvoll.‘ Blieben freilich f?r sie gewisse Variationen; f?r X hatte sie einzusetzen: Haus f?r einen Verleger am Waldrand, Haus f?r einen Lehrer am Flussufer, Bahn?berf?hrung Hollebenstra?e. F?r Y das Honorar, das sie nach einem einfachen Schl?ssel selbst errechnen musste. Blieb noch der Briefverkehr mit seinen drei Mitarbeitern: Kanders, Schrit und Hochbret. Denen musste sie die Auftr?ge in der Reihenfolge ihres Eintreffens zuschicken. „Damit“, so hatte F?hmel gesagt, „die Gerechtigkeit ihren automatischen Verlauf nimmt und das Gl?ck eine repr?sentative Chance hat.“ Kamen die Unterlagen zur?ck, musste das, was Kanders errechnet hatte, Schrit; was Hochbret errechnet hatte, Kanders; was Schrit errechnet hatte, Hochbret zur ?berprufung zugeschickt werden. Karteien waren zu f?hren, Spesenrechnungen zu buchen, Zeichnungen zu fotokopieren und von jedem Bauvorhaben eine Fotokopie in doppelter Postkartengr??e f?r sein Privatarchiv herzustellen; – aber die meiste Arbeit bestand im Frankieren: immer wieder die R?ckseite des gr?nen, des roten, des blauen Heuss ?bers Schw?mmchen gezogen, die Marke sauber in die rechte obere Ecke des gelben Umschlags geklebt; sie empfand es schon als Abwechslung, wenn mal ein brauner, ein violetter, ein gelber Heuss darunter war. F?hmel hatte sich zum Prinzip gemacht, nie l?nger als eine Stunde pro Tag im B?ro zu verbringen; er schrieb seinen Namen unters Hochachtungsvoll, unter Honoraranweisungen. Kamen mehr Auftr?ge, als er in einer Stunde h?tte bew?ltigen k?nnen, lehnte er die Annahme ab. F?r diese F?lle gab es hektographierte Zettel mit dem Text: ‚Infolge Arbeits?berlastung sehen wir uns leider gezwungen, auf Ihren gesch?tzten Auftrag zu verzichten. Gez. F.‘ Nicht ein einziges Mal, wenn sie ihm morgens zwischen halb neun und halb zehn gegen?bersa?, hatte sie ihn bei intimen menschlichen Verrichtungen gesehen; beim Essen, Trinken; niemals einen Schnupfen an ihm bemerkt; err?tend dachte sie an intimere Dinge als diese; dass er rauchte, war kein Ersatz f?r das Vermisste: zu makellos war die schneewei?e Zigarette, nur die Asche, die Stummel im Aschenbecher tr?steten sie: das war wenigstens Abfall, bewies, dass Verbrauch stattgefunden hatte. Sie hatte schon bei gewaltigen Chefs gearbeitet, M?nnern, deren Schreibtische wie Kommandobr?cken waren, deren Physiognomie Furcht einfl??te, doch selbst diese Gro?en hatten irgendwann einmal eine Tasse Tee, einen Kaffee getrunken, ein belegtes Brot gegessen, und der Anblick essender und trinkender Gewaltiger hatte sie immer in Erregung versetzt: da krumelte Brot, blieben Wurstpellen ?brig und speckige Schinkenr?nder, mussten H?nde gewaschen, Taschent?cher gezogen werden. Vers?hnliches zeigte sich hinter Stirnen aus Granit, die ?ber ganze Armeen befahlen, M?nder wurden in Gesichtern abgewischt, die einstmals, in Bronze gegossen, auf Denkmalsockeln sp?teren Geschlechtern von ihrer Gr??e k?nden wurden. F?hmel, wenn er um halb neun aus dem Hinterhaus kam, brachte keine Fr?hst?cksspuren mit, war – wie es einem Chef geziemt hatte – weder nerv?s noch gesammelt; seine Unterschrift, auch wenn er vierzigmal seinen Namen unters Hochachtungsvoll zu schreiben hatte, blieb leserlich und sch?n; er rauchte, unterschrieb, blickte selten einmal in eine Zeichnung, nahm Punkt halb zehn Mantel und Hut, sagte: „Bis morgen dann“ und verschwand. Von halb zehn bis elf war er im Hotel Prinz Heinrich zu erreichen, von elf bis zw?lf im Cafe Zons, erreichbar nur f?r ‚seine Mutter, seinen Vater, seine Tochter, seinen Sohn – und Herrn Schrella‘ – ab zw?lf beim Spaziergang und um eins traf er sich mit seiner Tochter ‚Im L?wen‘ zum Mittagessen. Sie wusste nicht, wie er seine Nachmittage, seine Abende verbrachte, wusste nur, dass er morgens um sieben der heiligen Messe beiwohnte, von halb acht bis acht mit seiner Tochter, von acht bis halb neun allein fr?hst?ckte. Immer wieder war sie ?berrascht ?ber die Freude, die er zeigte, wenn sein Sohn sich anmeldete; immer wieder ?ffnete er dann das Fenster, blickte die Stra?e hinunter bis zum Modesttor, Blumen wurden gebracht, eine Haush?lterin f?r die Dauer des Besuchs engagiert; die kleine Narbe ?ber seinem Nasenbein wurde rot vor Erregung, Reinmachefrauen bev?lkerten das d?stere Hinterhaus, f?rderten Weinflaschen zutage, die im Flur f?r den Altwarenh?ndler bereitgestellt wurden; immer mehr Flaschen sammelten sich, wurden erst in F?nfer —, dann in Zehnerreihen aufgestellt, da die Lange des Flures nicht ausreichte; dunkelgr?ner, starrer Staketenwald, dessen Spitzen sie err?tend, sich der unziemlichen Neugier bewusst, z?hlte: zweihundertundzehn Flaschen, leergetrunken zwischen Anfang Mai und Anfang September, mehr als eine Flasche t?glich. Niemals roch er nach Alkohol, seine H?nde zitterten nicht. Der dunkelgr?ne starre Wald wurde unwirklich. Hatte sie ihn tats?chlich gesehen, oder existierte er nur in ihren Tr?umen? Weder Schrit noch Hochbret oder Kanders hatte sie je zu Gesicht bekommen; die hockten weit entfernt voneinander in kleinen Nestern. Nur zweimal hatte einer beim anderen Fehler entdeckt: als Schrit die Basierung des st?dtischen Schwimmbades falsch errechnete, was von Hochbret herausgefunden wurde. Sie war sehr aufgeregt gewesen, aber F?hmel hatte sie nur gebeten, ihm die Rotstiftnotizen an den R?ndern der Zeichnung als die von Schrit und die von Hochbret zu identifizieren, und zum ersten Mal wurde ihr klar, dass auch er offenbar vom Fach war: eine halbe Stunde lang hatte er mit Rechenschieber, Tabellen und gespitzten Bleistiften an seinem Schreibtisch gesessen, dann gesagt: „Hochbret hat recht, das Schwimmbad w?re sp?testens in drei Monaten zusammengesackt.“ Kein Wort des Tadels f?r Schrit, keins des Lobes f?r Hochbret, und als er – dieses eine Mal – das Gutachten selbst unterschrieb, lachte er; sein Lachen war ihr so unheimlich wie seine H?flichkeit. Der zweite Fehler war Hochbret unterlaufen, bei der Berechnung der statischen Unterlagen f?r die Eisenbahn?berf?hrung an der Wilhelmsk?hle, und diesmal war es Kanders, der den Fehler entdeckte, und wieder sah sie F?hmel – zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren – rechnend am Schreibtisch sitzen. Wieder musste sie ihm Hochbrets und Kanders Rotstiftnotizen identifizieren; dieser Zwischenfall gab ihm die Idee ein, den verschiedenen Mitarbeitern verschiedene Farben vorzuschreiben: Kanders rot, Hochbret gr?n, Schrit gelb. Langsam schrieb sie, w?hrend ein St?ck Schokolade in ihrem Munde zerging: ‚Wochenendhaus f?r eine Filmschauspielerin‘, schrieb, w?hrend das zweite St?ck Schokolade in ihrem Mund zerging: ‚Erweiterungsbau der Societas[9 - Societas f = Gesellschaft f], die Gemeinn?tzigste der Gemeinn?tzigen‘. Immerhin unterschieden sich die Kunden noch durch Name und Adresse voneinander, gaben die beigelegten Zeichnungen ihr das Gef?hl, an Wirklichem teilzuhaben; Steine und Kunststoffplatten, Eisentr?ger, Glasziegel, Zementsacke, die waren vorstellbar, w?hrend Schrit, Kanders und Hochbret, obwohl sie t?glich deren Adresse schrieb, unvorstellbar blieben. Sie waren nie im B?ro gewesen, riefen nie an, schrieben nie. Ohne Kommentar schickten sie ihre Berechnungen und Unterlagen zur?ck. „Wozu Briefe?“ hatte F?hmel gesagt, „wir wollen doch hier keine Bekenntnisse sammeln, wie?“ Manchmal nahm sie das Lexikon aus dem B?cherregal, schlug die Namen der Orte auf, die sie t?glich auf Briefumschl?ge schrieb: Schilgenauel, 87 Einwohner, davon 83 r?m.-kath., ber?hmte Pfarrkirche aus dem 12. Jh. mit dem Schilgenaueler Altar. Dort wohnte Kanders, dessen Personalien die Versicherungskarte preisgab: siebenunddrei?ig Jahre alt, ledig, r?m.-kath.... Schrit wohnte hoch im Norden, in Gludum, 1988 Einwohner, davon 1812 ev., 176 r?m.-kath., Marinadenindustrie. Missionsschule. Schrit war achtundvierzig, verh., ev., 2 Kinder, davon 1 ?ber achtzehn. Hochbrets Wohnort brauchte sie nicht nachzuschlagen, er wohnte in einem Vorort, in Blessenfeld, nur f?nfunddrei?ig Omnibusminuten entfernt, und oft kam ihr der t?richte Gedanke, ihn einmal aufzusuchen, sich seines Vorhandenseins zu versichern, indem sie seine Stimme h?rte, ihn sah, seinen H?ndedruck sp?rte, doch sein geringes Alter, er war erst zweiunddrei?ig, und die Tatsache, dass er ledig war, hielt sie von solcher Intimit?t zur?ck. Obwohl das Lexikon Kanders und Schrits Wohnorte beschrieb, wie auf einem Ausweis die ausgewiesene Person beschrieben wird, Blessenfeld ihr vertraut war, blieben die drei ihr unvorstellbar, wenn sie auch monatlich Versicherungsbetr?ge f?r sie ?berwies, Postanweisungen ausf?llte, Zeitschriften und Tabellen an sie verschickte; sie blieben so unwirklich wie dieser Schrella, der auf der roten Karte stand, f?r den er immer erreichbar war, der aber in vier Jahren nicht einmal versucht hatte, ihn zu erreichen. Sie lie? die rote Karte, die zur Ursache seiner ersten Grobheit geworden war, auf dem Tisch liegen. Wie hatte der Herr gehei?en, der gegen zehn ins B?ro gekommen war und F?hmel dringend, dringend, sehr dringend zu sprechen verlangte? Gro? war er gewesen, grauhaarig, mit leicht ger?tetem Gesicht, roch nach exquisiten Spesenmahlzeiten, trug einen Anzug, der nach Qualit?t geradezu stank; Macht, W?rde und herrischen Charme hatte der Herr auf eine Weise vereint, die ihn unwiderstehlich machte; in seinem Titel, den er l?chelnd hinmurmelte, hatte es nach Minister geklungen – Ministerialrat, -direktor, -dirigent, und als sie leugnete, F?hmels Aufenthalt zu wissen, schoss er’s heraus, rasch, legte ihr dabei die Hand auf die Schulter: „Nun, sch?nes Kind, sagen Sie schon, wo ich ihn finden kann“, und sie gab es preis, wusste nicht, wie es geschehen konnte, es ruhte so tief in ihr, das Geheimnis, das ihre Witterung so eingehend besch?ftigte: ‚Hotel Prinz Heinrich‘. Da wurde etwas von Schulkamerad gemurmelt, von einer Angelegenheit, die dringend, dringend, sehr dringend sei, etwas von Wehr, etwas von Waffen; er hinterlie?, nachdem er gegangen war, ein Zigarrenaroma, das eine Stunde sp?ter noch F?hmels Vater zu einem aufgeregten Schnuppern veranlasste. „Mein Gott, mein Gott, muss das ein Kraut gewesen sein – ein Kraut!“ Der Alte schnupperte an den W?nden entlang, schob seine Nase dicht ?ber den Schreibtisch, setzte seinen Hut auf, kam nach wenigen Minuten mit dem Gesch?ftsf?hrer des Zigarrenladens zur?ck, in dem er schon seit f?nfzig Jahren kaufte, und sie standen beide eine Weile schnuppernd in der T?r, gingen im B?ro hin und her wie aufgeregte Hunde, der Gesch?ftsf?hrer kroch unter den Schreibtisch, wo offenbar eine ganze Rauchwolke sich erhalten hatte, stand auf, klopfte sich die H?nde ab, l?chelte triumphierend und sagte: „Ja, Herr Geheimrat, das war eine Partagas Eminentes.“ „Und Sie k?nnen mir die besorgen?“ „Sicher, ich habe sie vorr?tig.“ „Wehe Ihnen, wenn das Aroma nicht das gleiche ist, das ich hier gerochen habe.“ Der Gesch?ftsf?hrer schn?ffelte noch einmal, sagte: „Partagas Eminentes, daf?r lass ich mich k?pfen, Herr Geheimrat. Vier Mark pro St?ck. M?chten Sie welche?“ „Eine, lieber Kolbe, eine. Vier Mark, so hoch war der Wochenlohn meines Gro?vaters, und ich respektiere die Toten, hab meine Sentimentalit?ten, wie Sie wissen. Mein Gott, dieses Kraut schl?gt die zwanzigtausend Zigaretten tot, die mein Sohn hier schon geraucht hat.“ Sie empfand es als hohe Ehre, dass der Alte seine Zigarre in ihrer Gegenwart rauchte; er lehnte sich zur?ck im Sessel seines Sohnes, der zu gro? f?r ihn war; sie schob ihm ein Kissen in den R?cken, h?rte ihm zu, w?hrend sie der makellosesten aller Besch?ftigungen nachging: frankieren. Langsam die R?ckseite des gr?nen, des roten, des blauen Heuss ?bers Schw?mmchen gezogen, sauber in die rechte obere Ecke von Briefumschl?gen geklebt, die nach Schilgenauel, Gludum und Blessenfeld reisen w?rden. Exakt, w?hrend der Alte einem Genuss fr?nte, den er seit f?nfzig Jahren vergebens gesucht zu haben schien. „Mein Gott“, sagte er, „jetzt wei? ich endlich, was eine Zigarre ist, liebes Kind. Musste ich so lange darauf warten, bis zu meinem achtzigsten Geburtstag – nun, lassen Sie, regen Sie sich doch nicht auf, nat?rlich, heute werd ich achtzig – also, Sie waren’s nicht, die die Blumen im Auftrag meines Sohnes f?r mich bestellt hat? Sch?n, danke, sp?ter ?ber meinen Geburtstag, ja? Ich lade Sie herzlich zur Feier heute abend im Cafe Kroner ein – aber sagen Sie mir, liebe Leonore, warum hat man mir in den f?nfzig Jahren, genaugenommen sind’s einundf?nfzig Jahre – die ich bei denen kaufe, nicht einmal eine solche Zigarre vorgelegt? Bin ich etwa geizig? Ich bin’s nie gewesen, Sie wissen es. Ich habe meine Zehner-Zigarren geraucht, als ich jung war, Zwanziger, als ich ein bisschen mehr Geld verdiente, und dann Sechziger, jahrzehntelang. Sagen Sie mir, liebes Kind, was sind das f?r Leute, die mit so einem Ding f?r vier Mark im Mund ?ber die Stra?e gehen, in ein B?ro kommen, wieder hinaus, als ob’s ein Zigarillo f?r einen Groschen w?re? Was sind das f?r Leute, die zwischen Fr?hst?ck und Mittagessen dreimal den Wochenlohn meines Gro?vaters verrauchen, ein Aroma hinterlassen, dass einem alten Mann wie mir die Spucke wegbleibt und ich wie ein K?ter schn?ffelnd hier im B?ro meines Sohnes herumkrieche? Wie? Schulkamerad von Robert? Ministerialrat, -direktor, -dirigent – oder gar Minister? Den m?sst ich doch kennen. Wehr? Waffen?“ Und pl?tzlich der Schimmer in seinen Augen, als wenn eine Klappe gefallen w?re: der Alte sank zur?ck ins erste, dritte oder sechste Jahrzehnt seines Lebens, begrub eins seiner Kinder. Welches? Johanna oder Heinrich? ?ber welchen wei?en Sarg warf er Erdkrumen, streute er Blumen? Waren die Tr?nen, die in seinen Augen standen, die Tr?nen des Jahres 1909, in dem er Johanna begrub, des Jahres 1917, in dem er an Heinrichs Grab stand, oder waren sie aus dem Jahr 1942, in dem er die Nachricht von Ottos Tod erhielt? Weinte er an der Pforte des Irrenhauses, in dem seine Frau verschwunden war? Tr?nen, w?hrend die Zigarre in sanftem Kr?useln verrauchte, sie waren aus dem Jahr 1894; er begrub seine Schwester Charlotte, f?r die er Goldst?ck um Goldst?ck sparen wollte, auf dass es ihr besser gehe; der Sarg rutschte an den knirschenden Seilen hinunter, w?hrend die Schulkinder sangen: ‚Turmer, wohin ist die Schwalbe entflohen?‘; zirpige Kinderstimmen drangen in dieses makellos eingerichtete B?ro, und die Greisenstimme sang es ?ber ein halbes Jahrhundert hinweg; nur dieser Oktobermorgen des Jahres 1894 war wirklich: Dunst ?ber dem Niederrhein, Nebelschwaden zogen tanzende Schleifen ?ber R?ben?cker, in Weidenb?umen schnarrten die Kr?hen wie Fastnachtsklappern, w?hrend Leonore einen roten Heuss ?bers nasse Schw?mmchen zog. Drei?ig Jahre bevor sie geboren war, sangen Bauernkinder: ‚Turmer, wohin ist die Schwalbe entflohen?‘ Gr?ner Heuss, ?bers Schw?mmchen gezogen. Vorsicht, Briefe an Hochbret liefen unter Ortstarif. Wenn es ?ber ihn kam, sah der Alte wie blind aus; sie w?re gern rasch ins Blumengesch?ft gelaufen und h?tte ihm einen h?bschen Strau? gekauft, aber sie hatte Angst, ihn allein zu lassen; er streckte seine H?nde aus, vorsichtig schob sie ihm den Aschenbecher n?her, und er nahm die Zigarre, steckte sie in den Mund, blickte Leonore an und sagte leise: „Glaub nicht, dass ich verr?ckt bin, Kind.“ Sie hatte ihn gern, er kam regelm??ig ins B?ro, holte sie ab, damit sie sich an ihren freien Nachmittagen seiner nachl?ssig gef?hrten B?cher erbarme, dr?ben auf der gegen?berliegenden Stra?enseite, hoch ?ber der Druckerei, wo er im ‚Atelier seiner Jugend‘ hauste; dort bewahrte er Dokumente auf, die von Steuerbeamten gepr?ft worden, deren Reihengr?ber schon verfallen waren, bevor sie schreiben lernte; englische Pfundguthaben, Dollarbesitz, Plantagenanteile in El Salvador; dort oben kramte sie in staubigen Abrechnungen, entzifferte handgeschriebene Kontoausz?ge von Banken, die l?ngst liquidiert waren, las in Testamenten, in denen er Kinder mit Legaten bedacht hatte, die er nun schon um vierzig Jahre ?berlebte. ‚Und soll meinem Sohne Heinrich die Nutznie?ung der beiden Gutsh?fe Stehlingers Grotte und G?rlingers Stuhl ausschlie?lich vorbehalten bleiben, denn ich habe in seinem Wesen jene Ruhe, ja Freude am Wachstum der Dinge beobachtet, die mir die Voraussetzung f?r das Leben eines Landwirts zu sein scheinen…‘ „Hier“, schrie der Alte, fuchtelte mit der Zigarre in der Luft, „hier hab ich meinem Schwiegervater das Testament diktiert, am Abend, bevor ich ausr?cken musste; ich diktierte es, w?hrend der Junge da oben schlief; er begleitete mich am n?chsten Morgen noch zur Bahn, k?sste meine Wange – Mund eines siebenj?hrigen Kindes – , aber niemand, Leonore, niemand nahm je meine Geschenke an, alle fielen sie an mich zur?ck: G?ter und Bankkonten, Renten und Mietzins. Ich konnte nie schenken, nur meine Frau konnte es, und ihre Geschenke wurden angenommen – und wenn ich neben ihr lag, nachts, h?rte ich sie oft murmeln, lange, sanft wie Wasser floss es aus ihrem Mund, stundenlang: wozuwozuwozu…“ Wieder weinte der Alte, diesmal in Uniform, Pionierhauptmann der Reserve, Geheimer Rat, Heinrich F?hmel, auf Sonderurlaub, um seinen siebenj?hrigen Sohn zu begraben; die Kilbsche Gruft nahm den wei?en Sarg auf: dunkles feuchtes Gem?uer und frisch wie Sonnenstrahlen die goldenen Ziffern, die das Todesjahr auswiesen: 1917. Robert, in schwarzem Samt gekleidet, wartete in der Kutsche drau?en… Leonore lie? die Briefmarke, violett diese, fallen; sie getraute sich nicht, den Brief an Schrit zu frankieren; ungeduldig schnaubten die Kutschpferde vor dem Friedhofstor, w?hrend Robert F?hmel, zwei Jahre alt, die Z?gel halten durfte: schwarzes Leder, br?chig an den R?ndern, und das frische Gold der Ziffer 1917 gl?nzte heller als Sonnenschein… „Was treibt er, was macht er, mein Sohn, der einzige, der mir blieb, Leonore? Was macht er morgens von halb zehn bis elf im Prinz Heinrich; er durfte zusehen, wie den Pferden der Futtersack vorgebunden wurde – was treibt er? Sagen Sie’s mir doch, Leonore!“ Z?gernd nahm sie die violette Marke auf, sagte leise: „Ich wei? nicht, was er dort tut, wirklich nicht.“ Der Alte nahm die Zigarre in den Mund, lehnte sich l?chelnd im Sessel zur?ck – als w?re nichts gewesen. „Was halten Sie davon, wenn ich Sie fest f?r die Nachmittage engagiere? Ich hole Sie ab. Wir w?rden mittags miteinander essen, und von zwei bis vier, oder bis f?nf, wenn Sie wollen, helfen Sie mir, bei mir da oben Ordnung zu machen. Was halten Sie davon, liebes Kind?“ Sie nickte, sagte: „Ja.“ Noch traute sie sich nicht, den violetten Heuss ?bers Schw?mmchen zu ziehen, ihn auf den Umschlag an Schrit zu kleben: ein Postbeamter w?rde den Brief aus dem Kasten nehmen, die Maschine w?rde stempeln: 6. September 1958, 13 Uhr. Da sa? der Alte, er war wieder am Ende seines achten, am Anfang seines neunten Jahrzehnts angekommen. „Ja, ja“, sagte sie. „Ich darf Sie also als engagiert betrachten?“ „Ja.“ Sie blickte in sein schmales Gesicht, in dem sie seit Jahren vergeblich ?hnlichkeit mit seinem Sohn suchte; nur H?flichkeit schien eine verbindende F?hmelsche Familieneigenschaft zu sein; bei dem Alten war sie umst?ndlicher, verziert, war H?flichkeit alten Schlags, fast Grandezza, nicht h?fliche Mathematik wie bei seinem Sohn, der Trockenheit kultivierte, nur im Schimmer seiner grauen Augen ahnen lie?, dass er zu weniger trockenen Liebensw?rdigkeiten f?hig gewesen w?re. Der Alte benutzte sein Taschentuch wirklich, kaute an seiner Zigarre, sagte ihr manchmal Nettigkeiten ?ber ihre Frisur, ihren Teint; sein Anzug zeigte wenigstens Spuren von Verschlei?, die Krawatte war immer etwas schief gebunden, Tuscheflecken hatte er an den Fingern, Radierkr?mel auf den Rockaufschl?gen, Bleistifte, harte und weiche, in der Westentasche, und manchmal nahm er ein Blatt Papier aus dem Schreibtisch seines Sohnes, kritzelte rasch einen Engel hin, ein Gotteslamm, einen Baum, das Portr?t eines drau?en vor?bereilenden Zeitgenossen. Manchmal auch gab er ihr Geld, Kuchen zu holen, bat sie, eine zweite Kaffeetasse anzuschaffen, und machte sie gl?cklich, weil sie den elektrischen Kocher endlich f?r jemand anderen als sich selbst einst?pseln konnte. Das war B?roleben, wie sie’s gewohnt war: Kaffee kochen, Kuchen kaufen und was erz?hlt bekommen, das seine richtige Reihenfolge hatte: von den Leben, die da hinten im Wohnfl?gel gelebt, von den Toden, die da gestorben worden waren. Jahrhundertelang hatten die Kilbs dort hinten Laster und Licht gesucht, S?nde und Heil, waren K?mmerer, Notare, B?rgermeister und Domherren geworden; dort hinten war noch etwas von den strengen Gebeten sp?terer Pr?laten in der Luft; die d?steren Laster jungfr?ulich gebliebener Kilbinnen und die Bu??bungen frommer J?nglinge, in diesem dunklen Haus da hinten, in dem jetzt an den stillen Nachmittagen ein blasses, dunkelhaariges M?dchen seine Schularbeiten machte und auf seinen Vater wartete. Oder war er nachmittags zu Hause? Zweihundertundzehn Flaschen Wein, leergetrunken zwischen Anfang Mai und Anfang September. Trank er sie allein, mit seiner Tochter, oder mit Gespenstern? Vielleicht mit diesem Schrella, der nie versucht hatte, ihn zu erreichen? Unwirklich alles, weniger wirklich als das aschblonde Haar der B?rokraft, die vor f?nfzig Jahren hier an ihrem Platz gesessen und Notariatsgeheimnisse geh?tet hatte. „Ja, da sa? sie, liebe Leonore, genau an der Stelle, wo Sie jetzt sitzen, sie hie? Josephine.“ Hatte er auch der Nettigkeiten ?ber ihr Haar, ihren Teint gesagt? Lachend zeigte der Alte auf den Wandspruch, der ?ber dem Schreibtisch seines Sohnes hing, einziges ?berbleibsel aus vergangener Zeit, wei? auf Mahagoni gemalt: Voll ist ihre Rechte von Geschenken. Sinnspruch Kilbscher wie F?hmelscher Unbestechlichkeit. „Meine beiden Schw?ger hatten keine Lust an der Juristerei, die letzten m?nnlichen Nachkommen des Geschlechts, den einen zog’s zu den Ulanen, den anderen zum Nichtstun, aber beide, der Ulan und der Nichtstuer sind am gleichen Tag, im gleichen Regiment, beim gleichen Angriff gefallen, bei Erby le Huette ritten sie ins Maschinengewehrfeuer, l?schten den Namen Kilb aus, trugen Laster, die wie Scharlach bl?hten, ins Grab, ins Nichts, bei Erby le Huette.“ Gl?cklich war der Alte, wenn er M?rtelspuren an den Hosenbeinen hatte und sie bitten konnte, diese Spuren zu entfernen. Oft trug er dicke Zeichenrollen unter dem Arm, von denen sie nie wusste, ob er sie nur seinem Archiv entnommen hatte oder zu wirklichen Auftr?gen unterwegs war. Er schl?rfte den Kaffee, lobte ihn, schob ihr den Kuchenteller zu, zog an seiner Zigarre. Andacht kehrte auf sein Gesicht zur?ck. „Schulkamerad von Robert? Den m?sste ich doch kennen. Schrella hie? er bestimmt nicht? Sind Sie sicher – nein, nein, der w?rde ja niemals solche Zigarren rauchen, welch ein Unsinn. Und Sie haben ihn ins Prinz Heinrich geschickt? Das wird aber Krach geben, liebe Leonore, Stunk. Er liebt es nicht, wenn man seine Kreise st?rt, mein Sohn Robert. Der war schon als Junge so: liebensw?rdig, h?flich, intelligent, korrekt, aber wenn’s ?ber bestimmte Grenzen ging, kannte er keinen Pardon. Der w?re nicht vor einem Mord zur?ckgeschreckt. Ich hatte immer ein wenig Angst vor ihm. Sie auch? Aber Kind, der wird Ihnen doch deshalb nichts tun, seien Sie vern?nftig. Kommen Sie, gehen wir essen, feiern ein wenig Ihr neues Engagement und meinen Geburtstag. Machen Sie keinen Unsinn. Wenn er am Telefon schon geschimpft hat, ist’s ja vor?ber. Schade, dass Sie den Namen nicht behalten haben. Ich wusste gar nicht, dass er mit ehemaligen Schulkameraden Umgang pflegt. Los. Kommen Sie. Heute ist Samstag, und er hat nichts dagegen, wenn Sie ein wenig fr?her Schluss machen. Ich verantworte das schon.“ Es schlug zw?lf von Sankt Severin. Sie z?hlte rasch die Briefumschl?ge, dreiundzwanzig, raffte sie zusammen, hielt sie fest. War er wirklich nur eine halbe Stunde bei ihr gewesen? Eben fiel der zehnte der zw?lf f?lligen Schl?ge. „Nein, danke“, sagte sie, „ich zieh den Mantel nicht an und, bitte, nicht in den L?wen.“ Nur eine halbe Stunde; die Druckereimaschinen stampften nicht mehr, aber der Keiler blutete noch. Kapitel II Das war f?r den Portier schon Zeremonie geworden, fast Liturgie, ihm in Fleisch und Blut ?bergegangen: jeden Morgen Punkt halb zehn den Schl?ssel vom Brett zu nehmen, die leichte Ber?hrung der trockenen gepflegten Hand zu sp?ren, die den Schl?ssel entgegennahm; ein Blick in das strenge, blasse Gesicht mit der roten Narbe ?ber dem Nasenbein; dann nachdenklich, mit einem winzigen L?cheln, das nur seine Frau h?tte bemerken k?nnen, F?hmel nachzublicken, der die einladende Geste des Liftboys ignorierte und, wenn er die Treppe hinaufging, mit dem Schl?ssel zum Billardzimmer leicht gegen die Messingst?be des Gel?nders schlug: f?nfmal, sechsmal, siebenmal klang es auf, wie von einem Xylophon, das nur einen einzigen Ton hat, und eine halbe Minute sp?ter kam dann Hugo, der ?ltere der beiden Boys, fragte: „Wie immer?“, und der Portier nickte, wusste, dass Hugo ins Restaurant gehen, einen doppelten Cognac, eine Karaffe Wasser holen und bis elf verschwunden sein w?rde, im Billardzimmer oben. Der Portier witterte Unheil hinter dieser Gewohnheit, morgens zwischen halb zehn und elf in Gesellschaft immer desselben Boys Billard zu spielen; Unheil oder Laster; gegen Laster gab es einen Schutz: Diskretion; die hatte ihren Preis, ihre Kurve, Diskretion und Geld waren voneinander abh?ngig, wie Abszisse und Ordinate; wer hier ein Zimmer bekam, kaufte diskrete Gewissen; Augen, die sahen und doch nicht sahen, Ohren, die h?rten und doch nicht h?rten; gegen Unheil aber gab es keinen Schutz: Er konnte nicht jeden potentiellen Selbstm?rder vor die T?r weisen, denn potentielle Selbstm?rder waren sie alle; das kam sonnengebr?unt mit Filmschauspielergesicht, sieben Koffern, nahm lachend den Zimmerausweis in Empfang, und sobald die Koffer gestapelt waren, der Boy das Zimmer verlassen hatte, zogs die geladene, schon entsicherte Pistole aus der Manteltasche und knallte sich eins vor den Kopf; das kam wie aus Gr?bern dahergeschlichen, mit goldenen Z?hnen, goldenem Haar, in goldenen Schuhen, grinste wie ein Skelett; Gespenster auf der vergeblichen Suche nach Lust, bestellten Fr?hst?ck f?r halb elf aufs Zimmer, h?ngten den Zettel ‚Bitte nicht st?ren‘ drau?en an die Klinke, Turmten Koffer von innen vor die T?r und schluckten die Giftkapsel, und lange bevor erschrockene Zimmerm?dchen Fr?hst?ckstabletts fallen lie?en, raunte es im Haus: ‚Auf Zimmer 12 liegt eine Tote‘, raunte schon nachts, wenn versp?tete Barg?ste auf ihre Zimmer schlichen und das Schweigen hinter der T?r von Zimmer zw?lf ihnen unheimlich war; es gab solche, die das Schweigen des Schlafs vom Schweigen des Todes zu unterscheiden wussten. Unheil: er witterte es, wenn er Hugo eine Minute nach halb zehn mit dem gro?en Cognac, der Wasserkaraffe ins Billardzimmer hinaufgehen sah. Um diese Zeit konnte er den Boy schlecht missen; H?nde kn?uelten sich auf seiner Theke, rechnungheischende, Prospekte einsammelnde H?nde, und er ertappte sich immer wieder dabei, dass er um diese Zeit – wenige Minuten nach halb zehn – anfing, unh?flich zu werden; jetzt ausgerechnet zu dieser Lehrerin, der achten oder neunten, die nach dem Weg zu den r?mischen Kindergr?bern fragte; ihre rote Gesichtshaut lie? auf l?ndliche Herkunft schlie?en, Handschuhe und Mantel nicht auf Eink?nfte, wie sie bei den G?sten des Prinz Heinrich vorauszusetzen waren, und er fragte sich, wie sie in den Pulk aufgeregter Ziegen hineingeraten sein mochte, von denen keine es f?r n?tig befunden hatte, nach dem Zimmerpreis zu fragen, oder w?rde sie, die jetzt verlegen an ihren Handschuhen zerrte, das deutsche Wunder vollbringen, f?r das Jochen zehn Mark Pr?mie ausgesetzt hatte: „Zehn Mark zahle ich dem, der mir einen Deutschen nennt, der nach dem Preis f?r irgend etwas gefragt hat.“ Nein, auch sie w?rde ihm die Pr?mie nicht einbringen; er zwang sich zur Ruhe, erkl?rte ihr freundlich den Weg zu den r?mischen Kindergr?bern. Die meisten verlangten gerade nach dem Boy, der nun f?r eineinhalb Stunden im Billardzimmer bleiben w?rde, wollten alle von ihm ihre Koffer in die Halle, zum Autobus der Fluggesellschaft, zu Taxis, an den Bahnhof gebracht haben; misslaunige Globetrotter, die in der Halle auf ihre Rechnung warteten, ?ber Startzeiten und Ankunftszeiten von Flugzeugen sprachen, wollten von Hugo Eis f?r ihren Whisky, von ihm Feuer f?r ihre Zigaretten, die sie unangez?ndet im Munde h?ngen lie?en, um Hugos guten Drill auf die Probe zu stellen; nur Hugo wollten sie mit l?ssigen H?nden Dank winken, nur wenn Hugo da war, zuckten ihre Gesichter in geheimnisvollen Spasmen; ungeduldig waren diese Gesichter, deren Besitzer es kaum erwarten konnten, ihre schlechte Laune in ferne Erdteile zu tragen, sie waren startbereit, um in persischen oder oberbayrischen Hotelspiegeln den Grad der Gegerbtheit ihrer Haut festzustellen. Schrille Weiberstimmen schrieen nach Liegengelassenem; „Hugo, mein Ring“, „Hugo, meine Handschuhe“, „Hugo, mein Lippenstift“, erwarteten alle, dass Hugo zum Aufzug flitzen, lautlos nach oben fahren und auf Zimmer 19, Zimmer 32, Zimmer 46, nach Ring, Handtasche, Lippenstift fahnden w?rde; und die alte Musch brachte ihren K?ter an, der gerade Milch geschleckt, Honig gefressen, Spiegeleier verschm?ht hatte und nun spazieren gef?hrt werden musste, damit er an den Pfosten von Verkaufsbuden, an parkenden Autos, haltenden Stra?enbahnen seine h?ndische Notdurft erleichtere und seinen absterbenden Geruchssinn erneuere; offenbar konnte nur Hugo des Hundes seelischer Situation gerecht werden: und schon hatte die Oma Bleesiek, die jedes Jahr f?r vier Wochen her?berkam, ihre Kinder und die stetig wachsende Zahl ihrer Enkel zu besuchen, schon hatte sie, kaum angekommen, nach Hugo gefragt: „Ist er noch da, das J?ngelchen mit dem Ministrantengesicht, der schmale und so blasse, rotblonde, der immer so ernsthaft dreinblickt?“ Hugo soll ihr beim Fr?hst?ck, w?hrend sie Honig schleckte, Milch trank und Spiegeleier nicht verschm?hte, aus der Lokalzeitung vorlesen; verz?ckt blickte die Alte auf, wenn Stra?ennamen fielen, die ihr aus der Kinderzeit noch vertraut waren: Unfall am Ehrenfeldg?rtel. Raub?berfall an der Friesenstra?e. „So lange Z?pfe hab ich gehabt, als ich dort Rollschuh lief – so lang, mein Junge.“ Zart war die Alte, z?h – kam sie nur Hugos wegen ?ber den gro?en Ozean geflogen? „Wie?“ sagte sie entt?uscht, „Hugo ist erst nach elf frei?“ Mit mahnend erhobenen H?nden stand der Busfahrer der Fluggesellschaft in der Dreht?r, w?hrend an der Kasse noch die Preise f?r komplizierte Fr?hst?cke errechnet wurden; da sa? der Kerl, der ein halbes Spiegelei verlangt hatte, emp?rt aber die Rechnung zur?ckwies, auf der ihm ein ganzes berechnet worden war; noch emp?rter das Angebot des Gesch?ftsf?hrers, ihm das halbe Spiegelei zu erlassen, zur?ckwies, eine neue Rechnung verlangte, auf der ihm ein halbes berechnet werden musste. „Ich bestehe drauf.“ Der reiste wohl nur um die Welt, um Belege vorweisen zu k?nnen, auf denen halbe Spiegeleier berechnet waren. „Ja“, sagte der Portier, „die erste Stra?e links, die zweite rechts, dann wieder die dritte links, und dann sehen gn?dige Frau schon das Schild: Zu den r?mischen Kindergr?bern.“ Endlich konnte der Fahrer der Busgesellschaft seine Fahrg?ste einsammeln, endlich schienen s?mtliche Lehrerinnen auf den rechten Weg gebracht, s?mtliche fetten K?ter zum Pissen gef?hrt. Aber immer noch schlief der Herr auf Zimmer elf, schlief schon seit sechzehn Stunden, hatte das Schild drau?en an die T?r geh?ngt: Bitte nicht st?ren. Unheil, auf Zimmer elf oder im Billardzimmer; die Zeremonie inmitten des idiotischen Aufbruchsgewimmels: Schl?ssel vom Brett nehmen, Ber?hrung der Hand, Blick in das blasse Gesicht, auf die rote Narbe ?ber dem Nasenbein, Hugos ‚Wie immer?‘, sein Nicken: Billard von halb zehn bis elf. Aber noch hatte der interne Nachrichtendienst des Hotels nichts Unheilvolles oder Lasterhaftes berichten k?nnen: der spielte tats?chlich von halb zehn bis elf Billard, allein, nippte an seinem Cognac, am Wasserglas, rauchte, lie? sich von Hugo aus dessen Kindheit erz?hlen, erz?hlte Hugo aus seiner eigenen Kindheit, duldete sogar, dass Zimmerm?dchen oder Reinmachefrauen, auf dem Weg zum W?scheaufzug, an der offenen Zimmert?r stehenblieben, ihm zuschauten, blickte l?chelnd vom Spiel auf. Nein, nein, der ist harmlos. Jochen humpelte aus dem Aufzug, hielt einen Brief in der Hand, den er jetzt kopfsch?ttelnd hochhob. Jochen, der hoch oben unter dem Taubenschlag hauste, neben seinen gefiederten Freunden, die ihm Botschaften aus Paris und Rom, Warschau und Kopenhagen brachten; Jochen in seiner Phantasieuniform, die etwas zwischen Kronprinz und Unteroffizier darstellte, war kaum zu klassifizieren: ein bisschen Faktotum und ein bisschen graue Eminenz, Vertrauter von allen, vertraut mit allem, nicht Portier und nicht Kellner, weder Gesch?ftsf?hrer noch Hausdiener, und doch, von allem, sogar vom Kochen verstand er etwas; von ihm stammte das gefl?gelte Wort, immer dann ausgesprochen, wenn moralische Bedenken gegen G?ste laut wurden: „Was w?rde uns der Ruf der Diskretion n?tzen, wenn die Moral intakt w?re – was nutzt Diskretion, wenn es nichts mehr gibt, das diskret behandelt werden muss?“; etwas Beichtvater, etwas Geheimsekret?r, etwas Zuh?lter; Jochen, mit rheumagekr?mmten Fingern, ?ffnet grinsend den Brief. „Die zehn Mark h?ttest du sparen k?nnen, ich h?tte dir tausendmal mehr – und unentgeltlich – erz?hlen k?nnen als dieser kleine Schwindler hier. Auskunftsb?ro Argus. ‚Anbei die gew?nschte Auskunft ?ber Herrn Architekten Dr. Robert F?hmel, wohnhaft Modestgasse 8. Dr. F?hmel ist zweiundvierzig Jahre alt, verwitwet, zwei Kinder. Sohn: 22, Architekt, nicht hier wohnhaft. Tochter: 19, Sch?lerin. Verm?gen des Dr. F: erheblich. M?tterlicherseits mit den Kilbs verwandt. Nichts Nachteiliges zu erfahren.“ Jochen kicherte: „Nichts Nachteiliges zu erfahren! Als ob ?ber den jungen F?hmel je etwas Nachteiliges zu erfahren gewesen w?re, und ?ber den wird es niemals etwas Nachteiliges zu erfahren geben. Das ist einer von den wenigen Menschen, f?r die ich jederzeit meine Hand ins Feuer legen w?rde, h?rst du, hier meine alte, korrupte, rheumaverkr?mmte Hand. Mit dem kannst du den Jungen getrost allein lassen, der ist nicht von der Sorte – und wenn er von der Sorte w?re, w?rde ich nicht einsehen, dass man ihm nicht gestattet, was man schwulen Ministern gestattet – aber der ist nicht von der Sorte, der hat schon mit zwanzig ein Kind gehabt, von der Tochter eines Kollegen, vielleicht erinnerst du dich an ihn, den Schrella, der einmal ein Jahr hier gearbeitet hat. Nein? Du warst wohl damals noch nicht hier. Ich sag dir nur: lass den jungen F?hmel in Frieden Billard spielen. Feine Familie. Wirklich. Rasse. Ich hab seine Gro?mutter noch gekannt, seinen Gro?vater, seine Mutter und seine Onkel; die haben hier vor f?nfzig Jahren schon Billard gespielt. Die Kilbs, das wei?t du wohl nicht, wohnen seit dreihundert Jahren in der Modestgasse, wohnten – es gibt keine mehr. Seine Mutter ist ?bergeschnappt, hatte zwei Br?der verloren, und drei Kinder waren ihr gestorben. Sie kam nicht dr?ber weg. Das war eine feine Frau. Eine von den Stillen, wei?t du. Die a? nicht einen Kr?mel mehr, als es auf Lebensmittelkarten gab, nicht ’ne Bohne, und gab auch ihren Kindern nicht mehr. Verr?ckt. Sie schenkte alles weg, was sie extra bekam, und die bekam viel: die besa?en Bauernh?fe, und der Abt von Sankt Anton, da unten im Kissatal, der schickte ihr Butter in F?ssern, Honig in Kr?gen, schickte ihr Brot, aber sie a? nichts davon und gab ihren Kindern nichts davon; die mussten das S?gemehlbrot essen und gef?rbte Marmelade drauf, w?hrend ihre Mutter alles wegschenkte; sogar Goldst?cke teilte sie aus; ich hab’s selber gesehen, wie sie – das muss sechzehn oder siebzehn gewesen sein – mit den Broten und dem Honigkrug aus der Haust?r kam. Honig 1917! Kannst du dir das vorstellen? Aber ihr habt ja alle kein Ged?chtnis, k?nnt euch nicht vorstellen, was das bedeutete: Honig 1917 und Honig im Winter 41/42, und wie sie zum G?terbahnhof lief und drauf bestand, mit den Juden wegzufahren. Verr?ckt. Sie sperrten sie ins Irrenhaus, aber ich glaub nicht, dass sie verr?ckt ist. Das ist eine Frau, wie du sie nur im Museum auf den alten Bildern sehen kannst. F?r deren Sohn lass ich mich in St?cke schneiden, und wenn der nicht aufs Zuvorkommendste bedient wird, gibt es Krach hier in der Bude, und wenn f?nfundneunzig alte Weiber nach Hugo fragen, und er will den Jungen bei sich haben, dann kriegt er ihn. Auskunftsb?ro Argus. Diesen Idioten zehn Mark zu zahlen. Du bringst wohl noch fertig, mir zu sagen, dass du seinen Vater nicht kennst, den alten F?hmel, wie? Gratuliere, du kennst ihn also und bist nie auf die Idee gekommen, dass es der Vater von dem sein k?nnte, der oben Billard spielt. Nun, den alten F?hmel kennt ja wohl jedes Kind. Der kam hier vor f?nfzig Jahren mit ’nem gewendeten Anzug von seinem Onkel an, hatte ein paar Goldst?cke in der Tasche und hat hier, hier im Prinz Heinrich schon Billard gespielt, da wusstest du noch nicht, was ein Hotel ist. Ihr seid Portiers! Lass den da oben mal in Ruhe. Der macht keinen Unsinn, richtet keinen Schaden an, der wird h?chstens mal ?berschnappen auf die stille Tour. Der war der beste Schlagballspieler, der beste Hundertmeterl?ufer, den wir hier in der Stadt je gehabt haben, der war z?h, und wenn es drauf ankam, hart; der konnte Unrecht nicht ertragen, und wenn du Unrecht nicht ertragen kannst, bist du bald in der Politik drin; mit neunzehn war er drin; den hatten sie gek?pft oder f?r zwanzig Jahre eingesperrt, wenn er ihnen nicht durchgegangen w?re. Ja, guck mich nur an; er kam davon und blieb drei oder vier Jahre drau?en – ich wei? nicht genau, was da los war, hab’s nie erfahren, ich wei? nur, dass der alte Schrella drin verwickelt war, auch die Tochter, mit der er dann sp?ter das Kind hatte; er kam zur?ck, und sie r?hrten ihn nicht an; er wurde Soldat bei den Pionieren, ich seh ihn noch vor mir, wenn er in seiner Uniform mit der schwarzen Paspelierung in Urlaub kam. Guck mich nicht so bl?de an. Ob der mal Kommunist war? Ich wei? nicht, ob er’s war – aber wenn schon: jeder anst?ndige Mensch ist das mal gewesen. Los, geh fr?hst?cken, ich werd mit den alten Ziegen schon fertig.“ Unheil oder Laster; sie lagen in der Luft, aber Jochen war immer zu harmlos gewesen, hatte nie Selbstmord gewittert und es nie geglaubt, wenn verst?rte G?ste die Stille des Todes hinter verschlossenen Zimmert?ren von der Stille des Schlafs zu unterscheiden gewusst hatten; der tat korrupt und gerieben und glaubte doch an die Menschen. „Na, meinetwegen“, sagte der Portier, „ich geh zum Fr?hst?ck. Dass du nur niemand zu ihm raufl?sst, da legt er Wert drauf. Hier.“ Er legte Jochen die rote Karte auf die Theke: ‚Zu sprechen nur f?r meine Mutter, meinen Vater, meine Tochter, meinen Sohn und Herrn Schrella – f?r niemanden sonst.‘ Schrella? dachte Jochen erschrocken, lebt der denn noch? Den haben sie doch damals umgebracht – oder hatte er einen Sohn? Dieses Aroma schlug alles tot, was in der Halle in den letzten vierzehn Tagen geraucht worden war, dieses Aroma trug man vor sich her wie eine Standarte: hier komm ich, der Bedeutende, der Sieger, dem keiner widersteht; einsneunundachtzig, grauhaarig, Mitte vierzig, Anzugstoff: Regierungsqualit?t; so waren Kaufleute, Industrielle, K?nstler nicht gekleidet, das war beamtete Eleganz, Jochen roch es; das war Minister, Gesandter, unterschriftstr?chtig mit fast gesetzlicher Kraft; das drang ungehindert durch gepolsterte, st?hlerne, blecherne Vorzimmert?ren, r?umte mit seinen Schneepflugschultern alle Hindernisse weg, strahlte liebensw?rdige H?flichkeit aus, der man doch anmerkte, dass sie angelernt war, lie? der Oma den Vortritt, die eben ihren ekligen K?ter wieder aus Erichs, des zweiten Boys, Hand entgegennahm, half sogar dem grabentstiegenen Skelett, das Treppengel?nder erreichen und umfassen. „Gern geschehen, gn?dige Frau.“ „Nettlinger.“ „Womit kann ich dienen, Herr Doktor?“ – „Ich muss Herrn Dr. F?hmel sprechen. Dringend. Sofort. Dienstlich.“ Kopfsch?tteln, sanfte Verneinung, w?hrend er mit der roten Karte spielte. Mutter, Vater, Sohn, Tochter, Schrella. Nettlinger nicht erw?nscht. „Aber ich wei?, dass er hier ist.“ Nettlinger? Hab ich den Namen nicht schon mal geh?rt? Das ist so ein Gesicht, bei dem mir was einfallen m?sste, was ich nicht vergessen wollte. Ich habe den Namen schon geh?rt, vor vielen Jahren, und mir damals gesagt: den musst du dir merken, vergiss ihn nicht, aber nun wei? ich nicht mehr, was ich mir merken wollte. Auf jeden Fall: Vorsicht. Dir w?rde spei?bel, wenn du wusstest, was der alles schon gemacht hat, du w?rdest bis an dein seliges Ende nicht aufh?ren k?nnen zu kotzen, wenn du den Film ansehen m?sstest, den der am Tag des Gerichts vorgespielt bekommt: den Film seines Lebens; das ist so einer, der Leichen die Goldz?hne ausbrechen, Kindern das Haar abschneiden l?sst. Unheil oder Laster? Nein, Mord lag in der Luft. Und diese Leute wussten nie, wann ein Trinkgeld angebracht war; nur daran konnte man Klasse erkennen; jetzt w?re der Augenblick vielleicht f?r eine Zigarre gewesen, aber nicht f?r Trinkgeld, und keinesfalls f?r ein so hohes: den gr?nen Zwanziger, den er grinsend ?ber die Theke schob. Wie dumm die Leute sind. Kennen nicht die primitivsten Gesetze der Menschenbehandlung, nicht die einfachsten Gesetze der Portierbehandlung; als wenn im Prinz Heinrich ein Geheimnis ?berhaupt zu verkaufen w?re; als wenn ein Gast, der vierzig oder sechzig f?rs Zimmer zahlt, um einen gr?nen Zwanziger zu haben w?re; zwanzig von einem Unbekannten, dessen einziger Ausweis seine Zigarre und sein Anzugstoff ist. Und so was wurde dann Minister, vielleicht Diplomat und kannte nicht einmal das kleine Einmaleins der schwierigsten aller K?nste, der Bestechung. Betr?bt sch?ttelte Jochen den Kopf, lie? den gr?nen Schein unber?hrt. Voll ist ihre Rechte von Geschenken. Kaum zu glauben: dem gr?nen Schein wurde ein blauer hinzugelegt, das Angebot auf drei?ig erh?ht, eine dicke Wolke Partagas-Eminentes-Duft in Jochens Gesicht gepustet. Blas du nur, puste mir nur deinen Viermarkzigarrenrauch ins Gesicht, und leg noch ’nen violetten Schein hinzu. Jochen ist nicht zu kaufen. Nicht f?r dich und nicht f?r dreitausend; ich hab nicht viele Menschen in meinem Leben gemocht, aber den Jungen hab ich gern. Pech gehabt, Freund mit dem gewichtigen Gesicht, mit der unterschriftstr?chtigen Hand, eineinhalb Minuten zu sp?t gekommen. Du m?sstest doch riechen, dass Geldscheine hier das am wenigsten Angebrachte sind, bei mir. Ich hab sogar einen Vertrag in der Tasche, notariell best?tigt, dass ich auf Lebenszeit mein K?mmerchen da oben unterm Dach bewohnen, meine Tauben halten darf; ich kann mir zum Fr?hst?ck, zum Mittagessen aussuchen, worauf ich Lust habe und krieg noch einhundertundf?nfzig Mark monatlich bar in die Hand gedr?ckt, dreimal soviel, wie ich wirklich f?r meinen Tabak brauche; ich hab Freunde in Kopenhagen, in Paris und Warschau und Rom – und wenn du w?sstest, wie Brieftaubenleute zusammenhalten —, aber du wei?t ja nichts, glaubst nur zu wissen, dass man mit Geld alles erreichen kann; das sind so Lehren, wie ihr sie euch selbst erteilt. Und nat?rlich, Hotelportiers, die tun um Geld alles, verkaufen dir ihre eigene Gro?mutter f?r einen violetten F?nfziger. Nur eins darf ich hier nicht, Freund, eine einzige Ausnahme hat meine Freiheit: ich darf hier unten, wenn ich Portierdienst tue, nicht meine Pfeife rauchen, und diese Ausnahme bedaure ich heute zum ersten Mal, sonst w?rde ich deiner Partagas Eminentes meinen schwarzen Krausen entgegenpusten. Du kannst mich – deutlich und klar ausgesprochen – ein paar hundert und siebenundzwanzigmal am Arsch lecken. Den F?hmel verkauf ich dir nicht. Der soll ungest?rt von halb zehn bis elf da oben Billard spielen, obwohl ich Besseres f?r ihn zu tun w?sste; n?mlich: an deiner Stelle im Ministerium zu sitzen. Oder zu tun, was er in seiner Jugend getan hat: Bomben zu werfen, um Drecks?cken wie dir den Hosenboden einzuheizen. Aber bitte, wenn er von halb zehn bis elf Billard spielen will, so soll er, und ich bin dazu da, daf?r zu sorgen, dass niemand ihn st?rt. Und jetzt kannst du die Geldscheine wieder wegnehmen und die Platte putzen, und wenn du jetzt noch einen Geldschein hinlegst, wei? ich nicht, was passiert. Ich hab Taktlosigkeiten mit dem Schauml?ffel gefressen und Geschmacklosigkeiten zentnerweise mit duldender Miene ?ber mich ergehen lassen, hab Ehebrecher und Schwule hier in meine Liste eingetragen, wildgewordene Ehefrauen und Hahnreie abgewimmelt – und glaub nicht, dass mir das an der Wiege gesungen worden ist. Ich war immer ein braver Junge, war Messiener, wie du es bestimmt warst, und hab im Kolpingverein die Lieder vom Vater Kolping und vom Heiligen Aloisius[10 - Aloisius von Gonzaga (*9. M?rz 1568 in Castiglione delle Stiviere (bei Mantua, Norditalien), † 21. Juni 1591 in Rom) – Schutzpatron der Jugend geh?rt zu den in jungen Jahren gestorbenen Heiligen. Aloisius wurde heilig gesprochen im Jahr 1726.] gesungen; da war ich zwanzig und tat schon sechs Jahre in dieser Bude Dienst. Und wenn ich den Glauben an die Menschheit nicht verloren habe, dann nur, weil es ein paar gibt, die wie der junge F?hmel und seine Mutter sind. Steck dein Geld weg, nimm die Zigarre aus dem Mund, mach eine h?fliche Verbeugung vor einem alten Mann wie mir, der mehr Laster gesehen hat, als du dir Tr?umen l?sst, lass dir von dem Boy da hinten die Dreht?r aufhalten und verschwinde. „Hab ich recht geh?rt? Du willst den Gesch?ftsf?hrer sprechen?“ Da lief er rot an, wurde ganz blau vor Wut – verflucht, hab ich wieder laut gedacht und dich m?glicherweise gar laut geduzt; das w?re nat?rlich peinlich, ein unverzeihlicher Fehler, denn Leute wie Sie, die duze ich nicht. Was ich mich unterstehe? Ich bin ein alter Mann, fast siebzig, hab laut gedacht; ich bin ein bisschen verkalkt, vertrottelt und stehe unter dem Schutz des Paragraphen einundf?nfzig, fress hier mein Gnadenbrot. Wehr und Waffen? Die haben mir noch gefehlt. Zum Gesch?ftsf?hrer bitte links herum, dann zweite T?r rechts, Beschwerdebuch in Saffian[11 - Saffianm = (feines) Ziegenleder] gebunden. Und solltest du je hier Spiegeleier bestellen, und sollte ich gerade in der K?che sein, wenn die Bestellung durchkommt, dann werde ich mir eine Ehre daraus machen, dir h?chstpers?nlich in die Pfanne zu spucken. Dann bekommst du meine Liebeserkl?rung in natura[12 - in natura = in Wirklichkeit], mit zerschmolzener Butter vermischt. Gern geschehen, gn?diger Herr. „Ich sagte ja schon, mein Herr. Hier links herum, dann zweite T?r rechts, die Gesch?ftsf?hrung. Beschwerdebuch in Saffian gebunden. Sie m?chten angemeldet werden? Gern. Vermittlung. Bitte den Herrn Direktor f?r Portier. Herr Direktor, ein Herr – wie war doch der Name? – Nettlinger, Verzeihung, Dr. Nettlinger m?chte Sie dringend sprechen. In welcher Angelegenheit? Beschwerde ?ber mich. Ja, danke. Der Herr Direktor erwartet Sie. Jawohl, gn?dige Frau, heute abend Feuerwerk und Aufmarsch, die erste Stra?e links, dann die zweite rechts, wieder die dritte links, und Sie sehen schon das Schild: Zu den r?mischen Kindergr?bern. Keine Ursache, gern geschehen. Vielen Dank.“ Eine Mark, die ist nicht zu verachten, aus so ’ner ehrlichen alten Lehrerinnenhand. Ja, sieh nur, wie ich das kleine Trinkgeld schmunzelnd annehme und das gro?e ablehne. R?mische Kindergr?ber sind eine klare Sache. Das Scherflein der Witwe wird hier nicht verschm?ht. Und Trinkgeld ist die Seele des Berufs. „Ja, dort herum – ganz recht.“ Sie sind noch nicht aus dem Taxi gestiegen, da wei? ich schon, ob’s Ehebrecher sind. Ich rieche es aus der Ferne, kenne selbst die freieste aller freien Touren. Da gibt es die Sch?chternen, denen man es so deutlich ansieht, dass man ihnen sagen m?chte: ist ja nicht so schlimm, Kinder, ist alles schon vorgekommen; ich bin f?nfzig Jahre im Fach und werde euch das Peinlichste ersparen. Neunundf?nfzig Mark achtzig, einschlie?lich Trinkgeld, f?r ein Doppelzimmer, daf?r k?nnt ihr getrost ein bisschen Entgegenkommen erwarten, und wenn euch die Leidenschaft gar zu sehr plagt, fangt m?glichst nicht im Aufzug schon an. Im Prinz Heinrich wird hinter Doppelt?ren geliebt… nicht so sch?chtern die Herrschaften, nicht so bange; wenn ihr w?sstet, wer alles in diesen R?umen, die durch hohe Preise geheiligt sind, schon mit seiner sexuellen Not fertig geworden ist, da gab’s Fromme und Unfromme, B?se und Gute. Doppelzimmer mit Bad, eine Flasche Sekt aufs Zimmer. Zigaretten. Fr?hst?ck um halb elf. Sehr wohl. Bitte, hier unterschreiben, der Herr, nein, hier – und hoffentlich bist du nicht so bl?de und schreibst deinen richtigen Namen hin. Das Ding geht wirklich zur Polizei, wird dann gestempelt, ist ein Dokument und hat Beweiskraft. Trau nur nicht der Diskretion der Beh?rden, mein Junge. Je mehr es davon gibt, desto mehr Futter brauchen sie. Vielleicht bist du auch mal Kommunist gewesen, dann sei doppelt vorsichtig. Ich bin’s auch mal gewesen, und katholisch war ich auch. Das geht nicht raus aus der W?sche. Ich lass auch heute auf bestimmte Leute noch nichts kommen, und wer bei mir ’ne dumme Bemerkung ?ber die Jungfrau Maria macht oder auf Vater Kolping schimpft, der kann was erleben. Boy, Zimmer 42. Dort geht es zum Aufzug, der Herr. Auf die hab ich gerade gewartet, das sind die frechen Ehebrecher, die nichts zu verbergen haben, aller Welt zeigen wollen, wie frei sie sind. Aber wenn ihr nichts zu verbergen habt, warum m?sst ihr dann so freche Gesichter machen und das Nichts-zu-verbergen-Haben so fingerdick auftragen? Wenn ihr wirklich nichts zu verbergen habt, braucht ihr’s ja nicht zu verbergen. Bitte, hier unterschreiben, der Herr, nein, hier. Na, mit dieser dummen Gans m?chte ich nichts zu verbergen haben. Mit der nicht. Mit der Liebe ist es wie mit Trinkgeldern. Reine Instinktsache. Das sieht man doch ’ner Frau an, ob sich’s lohnt, mit der was zu verbergen zu haben. Mit der lohnt sich’s nicht. Kannst es mir glauben, mein Junge. Die sechzig Mark f?r ?bernachtung, plus Sekt aufs Zimmer und Trinkgeld und Fr?hst?ck und was du ihr alles noch schenken musst: lohnt sich nicht. Da kriegst du von “nem anst?ndigen ehrbaren Stra?enm?dchen, das sein Gewerbe gelernt hat, wenigstens was geliefert. Boy, Zimmer 43 f?r die Herrschaften. Ach Gott, sind die Menschen dumm. „Jawohl, Herr Direktor, ich komme sofort, jawohl, Herr Direktor.“ Nat?rlich sind Leute wie du zum Hoteldirektor wie geboren; das ist wie bei Frauen, die sich gewisse Organe herausnehmen lassen; da gibt es keine Probleme mehr, aber was w?re die Liebe ohne Probleme, und wenn sich einer das Gewissen rausnehmen l?sst, bleibt nicht einmal ein Zyniker ?brig. Ein Mensch ohne Trauer, das ist doch kein Mensch mehr. Dich habe ich als Boy ausgebildet, du bist vier Jahre lang unter meiner Fuchtel gewesen, hast dir dann die Welt angesehen, Schulen besucht, Sprachen gelernt, hast in nichtalliierten und alliierten Offizierskasinos den barbarischen Sp??en besoffener Sieger und Besiegter beigewohnt, bist prompt hierher zur?ckgekommen, und deine erste Frage, als du glatt geworden, fett geworden, ohne Gewissen hier ankamst: ‚Ist der alte Jochen noch da?‘ Ich bin noch da, immer noch, mein Junge. „Sie haben diesen Herrn gekr?nkt, K?hlgamme.“ „Nicht willentlich, Herr Direktor, und eigentlich war’s keine Kr?nkung. Ich k?nnte Ihnen Hunderte nennen, die es sich zur Ehre anrechnen w?rden, von mir geduzt zu werden.“ Krone der Unversch?mtheit. Unglaublich. „Es ist mir einfach entschl?pft, Herr Dr. Nettlinger. Ich bin ein alter Mann und stehe so halbwegs unter dem Schutz des Paragraphen einundf?nfzig.“ „Der Herr verlangt Genugtuung…“ „Auf der Stelle. Ich rechne es mir, wenn Sie gestatten, nicht zur Ehre an, von Hotelportiers geduzt zu werden.“ „Bitten Sie den Herrn um Entschuldigung.“ „Ich bitte den Herrn um Entschuldigung.“ „Nicht in diesem Ton.“ „In welchem Ton denn? Ich bitte den Herrn um Entschuldigung, ich bitte den Herrn um Entschuldigung, ich bitte den Herrn um Entschuldigung. Das sind die drei T?ne, die mir zur Verf?gung stehen, und nun suchen Sie sich bitte den Ton, der Ihnen passt, aus. Sehen Sie, mir kommt’s gar nicht auf ’ne Dem?tigung an. Ich knie mich glatt hin, auf den Teppich hier, schlag mir an die Brust, ein alter Mann, der allerdings auch auf eine Entschuldigung wartet. Bestechungsversuch, Herr Direktor. Die Ehre unseres altrenommierten Hauses stand auf dem Spiel. Ein Berufsgeheimnis f?r drei?ig lumpige Mark? Ich f?hle mich in meiner Ehre getroffen und in der Ehre dieses Hauses, dem ich schon mehr als f?nfzig Jahre diene, genau gesagt: sechsundf?nfzig Jahre.“ „Ich bitte Sie, diese peinliche und l?cherliche Szene abzubrechen.“ „F?hren Sie den Herrn sofort ins Billardzimmer, K?hlgamme.“ „Nein.“ „Sie f?hren den Herrn ins Billardzimmer.“ „Nein.“ „Es w?rde mich betr?ben, K?hlgamme, wenn das uralte Dienstverh?ltnis, das Sie mit diesem Haus verbindet, an der Verweigerung eines einfachen Befehls scheitern sollte.“ „In diesem Haus, Herr Direktor, ist nicht ein einziges Mal der Wunsch eines Gastes, ungest?rt zu bleiben, missachtet worden. Ausgenommen nat?rlich die F?lle h?herer Gewalt. Geheime Staatspolizei. Da waren wir machtlos.“ „Betrachten Sie meinen Fall als einen Fall h?herer Gewalt.“ „Sie kommen von der geheimen Staatspolizei?“ „Ich verbitte mir eine solche Frage.“ „Sie werden den Herrn jetzt ins Billardzimmer f?hren, K?hlgamme.“ „Wollen Sie, Herr Direktor, als erster das Banner der Diskretion beflecken?“ „Dann werde ich selber Sie ins Billardzimmer f?hren, Herr Doktor.“ „Nur ?ber meine Leiche, Herr Direktor.“ Man muss so korrupt sein wie ich, so alt wie ich, um zu wissen, dass es Dinge gibt, die nicht k?uflich sind; Laster ist nicht mehr Laster, wenn es keine Tugend mehr gibt, und was Tugend ist, kannst du nicht wissen, wenn du nicht wei?t, dass es sogar Huren gibt, die gewisse Kunden abweisen. Aber ich h?tte es wissen m?ssen, dass du ein Schwein bist. Wochenlang hab ich mit dir oben in meinem Zimmer ge?bt, wie man diskret ein Trinkgeld entgegennimmt, mit Groschenst?cken, mit Markst?cken und mit Scheinen; das muss man k?nnen: Geld diskret in Empfang nehmen, denn Trinkgeld ist die Seele des Berufs. Ich hab’s mit dir ge?bt, war eine Mordsarbeit, dir das beizubringen, aber du wolltest mich dabei beschwindeln, wolltest mir weismachen, wir hatten zum ?ben nur drei Markst?cke gehabt, aber es waren vier, und du wolltest mich um eins beschwindeln. So ein Schwein bist du schon immer gewesen, du wusstest nie, dass es das gab: ‚So was tut man nicht‘, und tust jetzt wieder was, was man nicht tut. Hast das Trinkgeldannehmen inzwischen gelernt, und sicher sind’s nicht einmal drei?ig Silberlinge gewesen. „Sie gehen jetzt sofort zum Empfang zur?ck, K?hlgamme, ich ?bernehme diese Sache. Treten Sie beiseite, ich warne Sie.“ Nur ?ber meine Leiche, und es ist doch schon zehn vor elf, und in zehn Minuten wird er sowieso die Treppe herunterkommen. Ihr h?ttet nur ein bisschen nachzudenken brauchen, dann w?re uns das ganze Theater erspart geblieben, aber auch f?r zehn Minuten: Nur ?ber meine Leiche. Ihr habt nie gewusst, was Ehre ist, weil ihr nicht wusstet, was Unehre ist. Hier steh ich, Jochen, Hotelfaktotum, korrupt, von oben bis unten voll lasterhaften Wissens, aber nur ?ber meine Leiche kommt ihr ins Billardzimmer. Kapitel III Er spielte schon lange nicht mehr nach Regeln, wollte nicht Serien spielen, Points sammeln; er stie? eine Kugel an, manchmal sanft, manchmal hart, scheinbar sinnlos und zwecklos. Sie hob, indem sie die beiden anderen ber?hrte, f?r ihn jedesmal eine neue geometrische Figur aus dem gr?nen Nichts; Sternenhimmel, in dem nur wenige Punkte beweglich waren; Kometenbahnen, wei? ?ber gr?n, rot ?ber gr?n geschlagen; Spuren leuchteten auf, die sofort wieder ausgel?scht wurden; zarte Ger?usche deuteten den Rhythmus der gebildeten Figur an: f?nfmal, sechsmal, wenn die angesto?ene Kugel die Bande oder die anderen Kugeln ber?hrte; nur wenige T?ne hoben sich aus der Monotonie heraus, hell oder dunkel; die wirbelnden Linien waren alle an Winkel gebunden, unterlagen geometrischen Gesetzen und der Physik; die Energie des Sto?es, die er durch das Queue dem Ball mitteilte, und ein wenig Reibungsenergie; alles nur Ma?; es pr?gte sich dem Gehirn ein; Impulse, die sich zu Figuren umpr?gen lie?en; keine Gestalt und nichts Bleibendes, nur Fl?chtiges, l?schte sich im Rollen der Kugel wieder aus; oft spielte er halbe Stunden lang nur mit einem einzigen Ball: wei? ?ber gr?n gesto?en, nur ein einziger Stern am Himmel; leicht, leise, Musik ohne Melodie, Malerei ohne Bild; kaum Farbe, nur Formel. Der blasse Junge bewachte die T?r, lehnte gegen das wei?lackierte Holz, die H?nde auf dem R?cken, die Beine gekreuzt, in der violetten Uniform des Prinz Heinrich. „Sie erz?hlen mir heute nichts, Herr Doktor?“ Er blickte auf, stellte den Stock ab, nahm eine Zigarette, z?ndete sie an, blickte zur Stra?e hin, die im Schatten von Sankt Severin lag. Lehrjungen, Lastwagen, Nonnen: Leben auf der Stra?e; graues Herbstlicht fiel von dem violetten Samtvorhang fast silbern zur?ck; von Velourvorh?ngen eingerahmt, fr?hst?ckten versp?tete G?ste; selbst die weichgekochten Eier sahen in dieser Beleuchtung lasterhaft aus, biedere Hausfrauengesichter wirkten in diesem Licht verworfen; Kellner, befrackt, mit einverstandenen Augen, sahen aus wie Beelzebubs[13 - Beelzebub (auch Belzebub, Beelzebul, Beelzebock) m – Teufel.], Asmodis[14 - Asmodis (gr. Asmaidos lat. Asmodaeus, Asmod?us, hebr. Aschmedai (Talmud)) – ein D?mon aus der Mythologie des Judentums (Buch Tobit 3,8,17).] unmittelbare Abgesandte; und waren doch nur harmlose Gewerkschaftsmitglieder, die nach Feierabend beflissen die Leitartikel ihres Verbandsbl?ttchens lasen; sie schienen hier ihre Pferdef??e unter geschickten orthop?dischen Konstruktionen zu verbergen; wuchsen nicht elegante kleine H?rner aus ihren wei?en, roten und gelben Stirnen? Der Zucker in den vergoldeten Dosen schien nicht Zucker zu sein; Verwandlungen fanden hier statt, Wein war nicht Wein, Brot nicht Brot, alles wurde zum Ingrediens geheimnisvoller Laster ausgeleuchtet; hier wurde zelebriert; und der Name der Gottheit durfte nicht genannt, nur gedacht werden. „Erz?hlen, Junge, was?“ Seine Erinnerung hatte sich nie an Worte und Bilder gehalten, nur an Bewegungen. Vater, das war sein Gang, die kokette Kurve, die das rechte Hosenbein mit jedem Schritt beschrieb, rasch, so dass das dunkle blaue Sto?band nur f?r einen Augenblick sichtbar wurde, wenn er morgens an Gretzens Laden vor?ber ins Cafe Kroner ging, um dort zu fr?hst?cken; Mutter, das war die kompliziert – dem?tige Figur, die ihre H?nde beschrieben, wenn sie sie auf der Brust faltete, immer kurz bevor sie eine Torheit aussprach: wie schlecht die Welt sei, wie wenig reine Herzen es gebe; ihre H?nde schrieben es in die Luft, bevor sie es aussprach; Otto, das waren seine marschierenden Beine, wenn er durch den Hausflur ging, in Stiefeln, die Stra?e hinunter; Feindschaft, Feindschaft, schlug der Takt auf die Fliesen, schlugen diese F??e, die in den Jahren davor einen anderen Takt geschlagen hatten: ‚Bruder, Bruder.‘ Gro?mutter: die Bewegung, die sie siebzig Jahre lang gemacht hatte, und die er viele Male am Tag von seiner Tochter ausgef?hrt sah; jahrhundertalte Bewegung, die sich vererbte und ihn jedesmal erschrecken lie?; seine Tochter Ruth hatte ihre Urgro?mutter nie gesehen; woher hatte sie diese Bewegung? Ahnungslos strich sie sich das Haar aus der Stirn, wie ihre Urgro?mutter es getan hatte. Und er sah sich selbst, wie er sich nach den Schlagh?lzern b?ckte, um seins herauszusuchen; wie er den Ball in der linken Hand hin und her rollte, her und hin, bis er ihn griffig genug hatte, ihn im entscheidenden Augenblick genau dorthin zu werfen, wo er ihn haben wollte; so hoch, dass die Fallzeit des Balles genau der Zeit entsprach, die er brauchte, um umzugreifen, auch die linke Hand ums Holz zu legen, auszuholen und den Ball zu treffen, mit gesammelter Kraft, so, dass er weit fliegen w?rde, bis hinters Mal. Er sah sich auf den Uferwiesen stehen, im Park, im Garten, geb?ckt, richtete sich auf, schlug zu. Es war alles nur Ma?; sie waren Dummk?pfe, wussten nicht, dass man die Fallzeit errechnen konnte, dass man mit denselben Stoppuhren auch erproben konnte, wie lange man braucht, den Griff zu wechseln; und dass alles weitere nur eine Frage der Koordinierung und der ?bung war; ganze Nachmittage lang, auf den Wiesen, im Park, im Garten ge?bt; sie wussten nicht, dass es Formeln gab, die man anwenden, Waagen, auf denen man B?lle wiegen konnte. Nur ein bisschen Physik, ein bisschen Mathematik und ?bung; aber sie verachteten ja die beiden F?cher, auf die es ankam; verachteten Training, mogelten sich durch, turnten wochenlang auf knochenweichen Sentenzen umher, fuhren Kahn auf nebulosem Dreck, fuhren Kahn sogar auf H?lderlin; sogar ein Wort wie Lot wurde, wenn sie es aussprachen, zu breiigem Unsinn; Lot, so etwas Klares; eine Schnur, ein St?ck Blei, man warf es ins Wasser, sp?rte, wenn das Blei den Boden erreichte, zog die Schnur heraus und ma? an ihr die Tiefe des Wassers ab; doch wenn sie loten sagten, klang es wie schlechtes Orgelspiel; sie konnten weder Schlagball spielen noch H?lderlin lesen. Mitleidend bleibt das ewige Herz doch fest[15 - Die Zeile aus dem Gedicht von H?lderlin „Wie wenn am Feiertage“.]. Sie zappelten vorn an der Linie herum, wollten ihn beim Schlag st?ren, riefen: ‚Los, F?hmel, mach voran, los‘; unruhig strich eine andere Gruppe ums Mal, zwei schon weit hinterm Spielfeld, wo seine B?lle herunterzukommen pflegten, gef?rchtete B?lle; sie kamen meistens an der Stra?e aus, wo jetzt gerade an diesem Sommersamstag 1935 die dampfenden hellroten Pferde das Brauereitor verlie?en; dahinter der Bahndamm, eine Rangierlok puffte kindlich wei?e Wolken in den Nachmittagshimmel; rechts an der Br?cke zischten aus der Werft die Schneidbrenner, schwei?ten die Arbeiter in ?berstunden einen Kraft-durch-Freude-Dampfer zusammen; bl?uliche, silberne Funken zischten, und Nieth?mmer, Nieth?mmer schlugen den Takt; in den Schreberg?rten k?mpften frisch aufgestellte Vogelscheuchen vergebens gegen Spatzen, blasse Rentner mit erloschenen Tabakspfeifen warteten sehns?chtig auf den Monatsersten – die Erinnerung an die Bewegungen, die er damals gemacht hatte, sie erst brachte Bilder und Worte und Farben hervor; hinter Formeln war es verborgen, das ‚Los, F?hmel, los‘, und er hatte den Ball schon an der richtigen Stelle liegen, nur leicht gehalten zwischen Fingern und Handballen, der Ball w?rde den geringstm?glichen Widerstand finden; er hatte sein Schlagholz schon in der Hand, das l?ngste von allen (niemand k?mmerte sich um die Hebelgesetze), es war oben mit Leukoplast umwickelt. Rasch noch einen Blick auf die Armbanduhr: drei Minuten und drei?ig Sekunden, bis der Turnlehrer abpfeifen w?rde – und immer noch hatte er die Antwort auf die Frage nicht gefunden: Wie kam es, dass die vom Prinz-Otto-Gymnasium nichts gegen ihren Turnlehrer als Schiedsrichter beim Entscheidungsspiel eingewendet hatten? Er hie? Bernhard Wakiera, aber sie nannten ihn nur Ben Wackes, er sah melancholisch aus, war dicklich, stand im Ruf, Knaben platonisch zu lieben, mochte gern Sahnekuchen und tr?umerisch s??e Filme, in denen starke blonde Knaben Fl?sse durchschwammen, dann auf Wiesen lagen, Grashalme im Mund, und zum blauen Himmel hinaufblickten, auf Abenteuer warteten; dieser Ben Wackes liebte vor allem eine Nachbildung des Antinouskopfes[16 - Antinoos (latinisiert Antinous; * 27. November zwischen 110 und 115 in Bithynion-Klaudiopolis, Bithynien; † am oder kurz vor dem 30. Oktober 130 im Nil bei Besa) war ein G?nstling und vermutlich Geliebter des r?mischen Kaisers Hadrian. Nach seinem Tod wurde er zum Gott erkl?rt und verehrt. Ideal jugendlicher Sch?nheit.], die er zu Hause zwischen Gummib?umen und B?cherregalen voll Turnlehrerliteratur zu kosen pflegte, sie angeblich jedoch nur abstaubte; Ben Wackes, der seine Lieblinge J?ngelchen, die anderen Bengels nannte. ‚Nun mach schon, Bengel‘, sagte er, schwitzend, mit bebendem Bauch, die Trillerpfeife im Mund. Aber es waren immer noch drei Minuten und drei Sekunden bis zum Abpfiff, dreizehn Sekunden zu fr?h; wenn er jetzt schon schl?ge, w?rde der n?chste noch zum Schlag kommen, und Schrella, der oben am Mal auf Erl?sung wartete, w?rde dann noch einmal losrennen m?ssen, und sie w?rden noch einmal Gelegenheit haben, ihm den Ball mit aller Kraft ins Gesicht, gegen die Beine zu werfen, die Nieren zu treffen; dreimal hatte er beobachtet, wie sie es machten: irgendeiner aus der Gegenpartei traf Schrella ab, dann nahm Nettlinger, der in seiner und Schrellas Partei spielte, den Ball, traf den Gegner ab, indem er ihm den Ball einfach zuwarf, und der traf wieder Schrella ab, der sich vor Schmerz kr?mmte, und wieder nahm Nettlinger den Ball, warf ihn dem Gegner einfach zu, der Schrella ins Gesicht traf – und Ben Wackes stand daneben, pfiff ab, wenn sie Schrella trafen, pfiff ab, wenn Nettlinger dem Gegner den Ball einfach zuwarf, pfiff ab, w?hrend Schrella wegzuhumpeln versuchte; rasch ging’s, die B?lle flogen hin und her – hatte er als einziger es gesehen? Nicht einer von all den vielen Zuschauern, die da mit ihren bunten F?hnchen und bunten M?tzen fiebernd vor Spannung auf das Ende des Spiels warteten? Zwei Minuten und f?nfzig Sekunden vor Schluss stand es 34:29 f?r das Prinz-Otto-Gymnasium – und war dies, das nur er gesehen hatte, der Grund daf?r, dass sie Ben Wackes, ihren eigenen Turnlehrer, als Schiedsrichter akzeptiert hatten? ‚Jetzt mach aber, Bengel, in zwei Minuten pfeif ich ab.‘ ‚Zwei Minuten und f?nfzig Sekunden, bitte‘, sagte er, warf den Ball hoch, griff blitzschnell um und schlug; er sp?rte es an der Wucht des Schlages, am federnden Widerstand des Holzes: das war wieder einer seiner sagenhaften Treffer; er blinzelte hinter dem Ball her, konnte ihn nicht entdecken, h?rte das Ah aus der Zuschauermenge, ein gro?es Ah, das sich wie eine Wolke ausbreitete, anwuchs; er sah Schrella herangehumpelt kommen, langsam kam er, hatte gelbe Flecken im Gesicht, eine blutige Spur um die Nase; und die Listenf?hrer z?hlten: sieben, acht, neun; provozierend langsam kam der Rest der Mannschaft am w?tenden Ben Wackes vorbei; gewonnen war das Spiel, klar gewonnen, und er hatte vergessen, loszurennen und noch einen zehnten Punkt zu gewinnen; immer noch suchten die Ottoner den Ball, krochen weit hinter der Stra?e im Gras an der Brauereimauer umher; deutlich war aus Ben Wackes Schlusspfiff der ?rger herauszuh?ren. 38:34 f?rs Ludwig-Gymnasium verk?ndeten die Listenf?hrer. Das Ah schwoll an zum Hurra, brandete ?ber den Platz, w?hrend er sein Schlagholz nahm, es mit dem unteren Ende ins Gras bohrte, den Griff ein wenig hob, dann senkte, bis er den richtigen Winkel erwischt zu haben glaubte; er trat mit dem Fu? auf die schw?chste Stelle, wo sich das Holz unterhalb des Griffes verj?ngte; Sch?ler umringten ihn bewundernd, verstummten ergriffen; sie sp?rten: hier wurde ein Zeichen gegeben, wurde F?hmels ber?hmtes Schlagholz zerbrochen; t?dlich wei? die Splitter, die an der Bruchstelle des zerbrochenen Holzes sichtbar wurden; schon balgten sie sich um Andenken, k?mpften verbissen um Holzst?cke, rissen sich Leukoplastfetzen aus den Fingern; er blickte erschrocken in diese erhitzten, t?richten Gesichter, in diese bewundernden Augen, die vor Erregung gl?nzten, und sp?rte die billige Bitternis des Ruhmes, hier an einem Sommerabend, am 14. Juli 1935, samstags am Rande der Vorstadt, auf der zertrampelten Wiese, ?ber die Ben Wackes gerade die Sextaner[17 - Sextanerm – Sch?ler der Sexta (ersterklasse eines Gymnasiums).] des Ludwig-Gymnasiums jagte, die Eckf?hnchen einzusammeln. Weit hinter der Stra?e, an der Brauereimauer, waren immer noch die blaugelben Trikots zu sehen; immer noch suchten die Ottoner den Ball; jetzt kamen sie z?gernd ?ber die Stra?e, sammelten sich auf der Mitte des Spielfelds, traten in einer Reihe an, warteten auf ihn, den Mannschaftsf?hrer, dass er das Hipp-Hipp-Hurra ausbringe; langsam ging er auf die beiden Reihen zu, da standen Schrella und Nettlinger in einer Reihe nebeneinander, nichts schien geschehen zu sein, nichts, w?hrend sich hinter ihm die j?ngeren Schuler weiter um Andenken balgten; er ging weiter, sp?rte die Bewunderung der Zuschauer wie korperlichen Ekel, und er rief es dreimal: Hipp-Hipp-Hurra; wie gepr?gelte Hunde schlichen die Ottoner zur?ck, um den Ball zu suchen; es galt als unausl?schlicher Makel, ihn nicht gefunden zu haben. „Und ich wusste doch, Hugo, wie scharf Nettlinger auf den Sieg gewesen war: ‚Siegen um jeden Preis‘, hatte er gesagt, und er hatte unseren Sieg aufs Spiel gesetzt, nur damit einer der Gegner Gelegenheit f?nde, Schrella immer wieder mit dem Ball zu treffen, und Ben Wackes musste mit ihnen im Bund sein; ich hatte es gesehen, ich als einziger.“ Er hatte Angst, als er jetzt auf die Umkleidekabinen zuging, Angst vor Schrella und dem, was er ihm sagen w?rde. Es war pl?tzlich k?hl geworden, flie?ende Abendnebel stiegen aus den Wiesen hoch, kamen vom Fluss her, umgaben das Haus, wo die Umkleidekabinen lagen, wie Watteschichten. Warum, warum machten sie das mit Schrella, stellten ihm ein Bein, wenn er zur Pause die Treppe hinunterging; er schlug mit dem Kopf auf die st?hlerne Treppenkante, der Stahlb?gel der Brille bohrte sich ins Ohrl?ppchen, und viel zu sp?t kam Wackes mit dem Erste-Hilfe-Kasten aus dem Lehrerzimmer. Nettlinger, mit h?hnischem Gesicht, hielt ihm den Leukoplaststreifen stramm, damit er ein St?ck abschneiden k?nne; sie ?berfielen Schrella auf dem Heimweg, zerrten ihn in Hauseing?nge, verpr?gelten ihn zwischen Abfalleimern und abgestellten Kinderwagen, stie?en ihn dunkle Kellertreppen hinunter, und dort unten lag er lange, mit gebrochenem Arm, im Kohlengeruch, Geruch keimender Kartoffeln, im Anblick staubiger Einmachgl?ser; bis ein Junge, der ausgeschickt war, ?pfel zu holen, ihn fand und die Hausbewohner alarmierte. Nur einige machten nicht mit: Enders, Drischka, Schweugel und Holten. – Vor Jahren war er einmal mit Schrella befreundet gewesen, sie hatten immer zusammen Trischler besucht, der am unteren Hafen wohnte, wo Schrellas Vater in der Kneipe von Trischlers Vater Kellner war; sie hatten auf alten K?hnen gespielt, auf ausrangierten Pontons, von Booten aus geangelt. Er blieb vor den Umkleidekabinen stehen, h?rte die wirren Stimmen, heiser in mythischer Erregung sprachen sie von der sagenhaften Flugbahn des Balles; als w?re der Ball in ?bermenschliche H?hen entschwunden. ‚Ich hab’s doch gesehen, wie er flog, flog – wie ein Stein, von der Schleuder eines Riesen geschleudert.‘ Ich hab ihn gesehen, den Ball, den Robert schlug. Ich hab ihn geh?rt, den Ball, den Robert schlug. Sie werden ihn nicht finden – den Ball, den Robert schlug. Sie verstummten, als er eintrat; Angst lag in diesem pl?tzlichen Schweigen, fast t?dlich war die Ehrf?rcht vor dem, der getan hatte, was niemand w?rde glauben, man niemand w?rde mitteilen k?nnen; wer wurde als Zeuge auftreten, die Flugbahn des Balles zu beschreiben? Rasch liefen sie, barfu?, die Frottiert?cher um die Schultern geschlungen, in die Brausekabinen; nur Schrella blieb, er hatte sich angekleidet, ohne gebraust zu haben, und jetzt erst fiel Robert auf, dass Schrella nie brauste, wenn sie gespielt hatten; nie zog er sein Trikot aus; er sa? da auf dem Schemel, hatte einen gelben, einen blauen Flecken im Gesicht, war noch feucht um den Mund herum, wo er die Blutspur abgewischt hatte, verf?rbt die Haut an den Oberarmen von den Treffern des Balles, den die Ottoner immer noch suchten; sa? da, rollte gerade die ?rmel seines verwaschenen Hemdes herunter, zog seine Jacke an, nahm ein Buch aus der Tasche und las: Am Abend, wenn die Glocken Frieden l?uten[18 - Die erste Zeile Georg Trakls Gedichtes „Verfall“. Georg Trakl (* 3. Februar 1887 in Salzburg, ?sterreich; † 3. November 1914 in Krakau, Galizien) war ein ?sterreichischer Lyriker und bedeutender Dichter des deutschsprachigen Expressionismus.]. Es war peinlich, allein mit Schrella zu sein, Dank entgegenzunehmen aus diesen k?hlen Augen, die selbst zum Hassen zu k?hl waren; nur eine winzige Wimperbewegung, ein fl?chtiges L?cheln zum Dank, dem Erl?ser, der den Ball geschlagen hatte; und er l?chelte zur?ck, ebenso fl?chtig, wandte sich dem Blechspind zu, suchte seine Kleider heraus, wollte rasch verschwinden, ohne zu brausen; in den Putz an der Wand, ?ber seinem Spind hatte jemand eingeritzt: ‚F?hmels Ball, 14. Juli 1935‘. Es roch nach ledrigen Turnger?ten, nach trockener Erde, wie sie von Fu?b?llen, Handb?llen, Schlagb?llen abgetrocknet war und kr?melig in den Ritzen des Betonbodens lag; schmutzige gr?n – wei?e F?hnchen standen in den Ecken, Fu?ballnetze hingen zum Trocknen, ein zersplittertes Ruder, ein vergilbtes Diplom hinter rissigem Glas: ‚Den Pionieren des Fu?ballsports, der Unterprima des Ludwig-Gymnasiums 1903 – der Landesvorsitzende‘; von einem gedruckten Lorbeerkranz umrahmt das Gruppenfoto, und sie blickten ihn an, hartmuskelige Achtzehnj?hrige des Geburtsjahrgangs 1885, schnurrb?rtig, mit tierischem Optimismus blickten sie in eine Zukunft, die ihnen das Schicksal bereithielt: bei Verdun[19 - Verdun ist eine Stadt an der Maas (frz. la Meuse) im Nordosten Frankreichs mit etwa 23.000 Einwohnern. Die Schlacht um Verdun war die gr??te Schlacht des Ersten Weltkrieges. Sie begann am 21. Februar 1916 mit einem Angriff deutscher Truppen auf die franz?sischen Stellungen bei Verdun. Sie endete am 20. Dezember 1916 ohne wesentliche Verschiebung des Frontverlaufs.] zu vermodern, in den Sommes?mpfen zu verbluten, oder auf einem Heldenfriedhof bei Chateau Thierry[20 - Ch?teau-Thierry ist eine Stadt im Nordosten Frankreichs ungef?hr 90 km nord?stlich der Hauptstadt Paris. Die Stadt war auch Schauplatz einer wichtigen Schlacht des ersten Weltkrieges im Jahre 1918 zwischen amerikanischen und deutschen Truppen.] f?nfzig Jahre sp?ter Anlass zu Vers?hnungssentenzen zu werden, die Touristen auf dem Weg nach Paris, von der Stimmung des Orts ?berw?ltigt, in ein verregnetes Besucherbuch schreiben w?rden; es roch nach Eisen, roch nach beginnender M?nnlichkeit; von drau?en kam feuchter Nebel, der ?ber die Uferwiesen in milden Wolken herantrieb, aus der Gastwirtschaft oben sonores M?nner-Wochenendgebrumm, Kichern von Kellnerinnen, Geklirr von Biergl?sern, und am Ende des Flurs waren die Kegler schon am Werk, schoben die Kugeln, lie?en die Kegel purzeln, triumphales Ah, entt?uschtes Ah klang durch den Flur bis in den Umkleideraum. Blinzelnd im Zwielicht, mit fr?stelnd eingezogenen Schultern hockte Schrella da, und er konnte den Augenblick nicht mehr l?nger hinausschieben; noch einmal den Sitz der Krawatte kontrolliert, die letzten F?ltchen aus dem Kragen des Sporthemds geradegezupft – oh, korrekt, immer korrekt —, noch einmal die Schuhb?nder eingesteckt, und im Portemonnaie das Geld f?r die R?ckfahrt gez?hlt; schon kamen die ersten aus den Brausekabinen zur?ck, sprachen ‚von dem Ball, den Robert schlug‘. ‚Gehn wir zusammen?‘ ‚Ja.‘ Die ausgetretenen Betonstufen hinauf, in denen noch Schmutz vom Fruhling her lag, Bonbonpapier, Zigarettenschachteln; sie stiegen zum Damm hoch, wo gerade schwitzende Ruderer ein Boot auf den Zementweg hievten; stumm gingen sie nebeneinander ?ber den Damm, der ?ber niedrige Nebelschichten wie ?ber einen Fluss hinweg f?hrte; Schiffssirenen, rote Lichter, gr?ne an den Signalk?rben der Schiffe; an der Werft flogen die roten Funken hoch, zeichneten Figuren ins Grau; schweigend gingen sie bis zur Br?cke, stiegen den dunklen Aufgang hinauf, wo, in roten Sandstein eingekratzt, die Sehns?chte vom Bade heimkehrender Jugendlicher verewigt waren; ein dr?hnender G?terzug, der ?ber die Br?cke rollte, enthob sie f?r weitere Minuten der Notwendigkeit zu sprechen, schlackiger Abfall wurde ans westliche Ufer gebracht; Rangierlichter wurden geschwenkt, Trillerpfeifen dirigierten den Zug, der sich r?ckwarts ins rechte Gleis schob, unten im Nebel glitten die Schiffe nordw?rts, klagende H?rner warnten vor Todesgefahr, r?hrten sehns?chtig ?bers Wasser hin; L?rm, der zum Gl?ck das Sprechen unm?glich machte. „Und ich blieb stehen, Hugo, lehnte mich ?bers Gel?nder, dem Fluss zugewandt, zog Zigaretten aus der Tasche, bot Schrella an, der gab Feuer, und wir rauchten schweigend, w?hrend hinter uns der Zug rumpelnd die Br?cke verlie?; unter uns schoben sich leise die K?hne eines Lastzuges nordw?rts, unter der Nebeldecke war ihr sanftes Gleiten zu h?ren; sichtbar wurden nur hin und wieder ein paar Funken, die aus dem Kamin einer Schifferk?che stiegen; minutenlang blieb’s still, bis der n?chste Kahn sich leise unter die Br?cke schob, nordw?rts, nordw?rts, den Nebeln der Nordsee zu – und ich hatte Angst, Hugo, weil ich ihn jetzt w?rde fragen m?ssen, und wenn ich die Frage aussprach, war ich drin, mittendrin und w?rde nie mehr herauskommen; es musste ein schreckliches Geheimnis sein, um dessentwillen Nettlinger den Sieg aufs Spiel gesetzt und die Ottoner Ben Wackes als Schiedsrichter hingenommen hatten; fast vollkommen war die Stille jetzt, gab der f?lligen Frage ein gro?es Gewicht, b?rdete sie der Ewigkeit auf, und ich nahm schon Abschied, Hugo, obwohl ich noch nicht wusste, wohin und f?r was, nahm Abschied von dem dunklen Turm von Sankt Severin, der aus der flachen Nebelschicht herausragte, vom Elternhaus, das nicht weit von diesem Turm entfernt lag, wo meine Mutter gerade die letzte Hand an den Abendbrottisch legte, silbernes Besteck zurechtr?ckte, mit vorsichtigen H?nden Blumen in kleine Vasen ordnete, den Wein kostete: war der wei?e k?hl genug, der rote nicht zu k?hl? Samstag, mit sabbatischer Feierlichkeit begangen, schlug sie das Messbuch schon auf, aus dem sie uns die Sonntagsliturgie erkl?ren w?rde mit ihrer sanften Stimme, die nach ewigem Advent klang; Weide meine L?mmer-Stimme[21 - „Weide meine L?mmer“ – die Weisung Christi an Petrus, von der die katholische Kirche ihren Anspruch auf die Nachfolgeschaft Jesu herleitet (Evangelium Johannes 21, 1. 15 – 19).]; mein Zimmer hinten zum Garten raus, wo die uralten B?ume in vollem Gr?n standen; wo ich mich leidenschaftlich in mathematische Formeln vertiefte, in die strengen Kurven geometrischer Figuren, in das winterlich klare Ge?st sph?rischer Linien, die meinem Zirkel, meiner Tuschefeder entsprungen waren – dort zeichnete ich Kirchen, die ich bauen w?rde. Schrella schnippte den Zigarettenstummel in die Nebelschicht hinunter, in leichten Wirbeln schraubte sich die rote Glut nach unten; Schrella wandte sich mir l?chelnd zu, erwartete die Frage, die ich immer noch nicht stellte, sch?ttelte den Kopf. Scharf zeichnete sich die Kette der Lampen ?ber der Nebelschicht am Ufer ab. ‚Komm‘, sagte Schrella, ‚dort sind sie, h?rst du sie nicht?‘ Ich h?rte sie, der Gehsteig bebte schon unter ihren Schritten, sie sprachen von Ferienorten, in die sie bald abreisen w?rden: Allg?u, Westerwald, Bad Gastein[22 - Als Allg?u wird die Landschaft im S?den des bayerischen Regierungsbezirks Schwaben, sowie ein kleiner Teil Baden-W?rttembergs bezeichnet.Der Westerwald ist ein maximal 657 m hohes deutsches Mittelgebirge in den deutschen Bundesl?ndern Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen.Die Gemeinde Bad Gastein (bis 1996: Badgastein) ist ein Kur- und Wintersportort im Gasteinertal, am Fu? des Graukogels im Naturpark Hohe Tauern. Neben den Kuranwendungen bietet das Tal Gelegenheit zu Erholung und Sport w?hrend des ganzen Jahres.], Nordsee, sprachen von dem Ball, den Robert schlug. Im Gehen war meine Frage leichter zu stellen. ‚Warum‘, fragte ich, ‚warum? Bist du Jude?‘ ‚Nein.‘ ‚Was bist du denn?‘ ‚Wir sind L?mmer‘, sagte Schrella, ‚haben geschworen, nie vom Sakrament des B?ffels[23 - B?ffel und Lamm als Gegensatzpaar. Der B?ffel als Sinnbild der blinden Gewaltigkeit, der rohen k?rperlichen Kraft, das Lamm als Verk?rperung der Sanftmut und der Milde, der Aufopferung und der Ents?hnung. Das Lamm ist altchristlichen Ursprungs und bezeichnet sowohl den christlichen Gl?ubigen als auch Christus selbst.] zu essen.‘ ‚L?mmer.‘ Ich hatte Angst vor dem Wort. ‚Eine Sekte?‘ fragte ich. ‚Vielleicht.‘ ‚Keine Partei?‘ ‚Nein.‘ ‚Ich werde nicht k?nnen‘, sagte ich, ‚ich kann nicht Lamm sein.‘ ‚Willst du vom Sakrament des B?ffels kosten?‘ ‚Nein‘, sagte ich. ‚Hirten‘, sagte er, ‚es gibt welche, die die Herde nicht verlassen.‘ ‚Schnell‘, sagte ich, ‚schnell, sie sind schon ganz nah.‘ Wir stiegen den dunklen Aufgang an der Westseite hinunter, und ich z?gerte noch einen Augenblick, als wir die Stra?e erreichten; mein Heimweg f?hrte nach rechts, Schrellas Weg nach links, aber dann folgte ich ihm nach links, wo der Weg sich zwischen Holzlagern, Kohlenschuppen und Schreberg?rten stadtw?rts wand. Wir blieben hinter der ersten Wegbiegung stehen, nun tief in der flachen Nebelschicht drin, beobachteten die Schatten der Schulkameraden, die oberhalb des Br?ckengel?nders sich wie Silhouetten bewegten, h?rten den L?rm ihrer Schritte, ihrer Stimmen, als sie den Aufgang herunterkamen, dr?hnendes Echo schwer genagelter Schuhe, und eine Stimme rief: ‚Nettlinger, Nettlinger, warte doch.‘ Nettlingers laute Stimme warf ein wildes Echo ?ber den Fluss, kam, von den Br?ckenpfeilern gebrochen, auf uns zur?ck, verlor sich hinter uns in G?rten und Lagerhallen, Nettlingers Stimme, die schrie: ‚Wo ist denn unser L?mmchen mit seinem Hirten geblieben?‘ Lachen, vielfach gebrochenes, fiel wie Scherben ?ber uns. ‚Hast du geh?rt?‘ fragte Schrella. ‚Ja‘, sagte ich, ‚Lamm und Hirte.‘ Wir blickten auf die Schatten der Nachz?gler, die ?ber den Gehsteig kamen; dunkel ihre Stimmen im Aufgang, wurden heller, als sie auf die Stra?e kamen, brachen sich unter den Br?ckenb?gen, ‚der Ball, den Robert schlug‘. ‚Genaues‘, sagte ich zu Schrella, ‚ich muss genaues wissen.‘ ‚Ich will es dir zeigen‘, sagte Schrella, ‚komm.‘ Wir tasteten uns durch den Nebel, an Stacheldrahtz?unen entlang, erreichten einen Holzzaun, der noch frisch roch und gelblich schimmerte; eine Gl?hbirne ?ber einem cverschlossenen Tor beleuchtete ein Emailleschild: ‚Michaelis, Kohlen, Koks, Briketts.‘ ‚Kennst du den Weg noch?‘ fragte Schrella. ‚Ja‘, sagte ich, ‚vor sieben Jahren sind wir beide ihn oft gegangen und haben unten bei Trischlers gespielt. Was ist aus Alois geworden?‘ ‚Er ist Schiffer, wie sein Vater war.‘ ‚Und dein Vater ist noch Kellner da unten in der Schifferkneipe?‘ ‚Nein, der ist jetzt am oberen Hafen.‘ ‚Du wolltest mir genaues zeigen!‘ Schrella nahm die Zigarette aus dem Mund, zog seine Jacke aus, streifte die Hosentr?ger von den Schultern, hob sein Hemd hoch, drehte den R?cken ins schwache Licht der Gl?hbirne: sein R?cken war mit winzigen, r?tlich – blauen Narben bedeckt, bohnengro? waren sie – bes?t, dachte ich, das w?rde eher stimmen. ‚Mein Gott‘, sagte ich, ‚was ist das?‘ ‚Das ist Nettlinger‘, sagte er; ‚sie machen es unten in der alten Kaserne an der Wilhelmskuhle. Ben Wackes und Nettlinger. Sie nennen es Hilfspolizei; sie griffen mich auf bei einer Razzia, die sie im Hafenviertel nach Bettlern hielten: achtunddrei?ig Bettler an einem Tag verhaftet, einer davon war ich. Wir wurden verh?rt, mit der Stacheldrahtpeitsche. Sie sagten: ‚Gib doch zu, dass du ein Bettler bist‘, und ich sagte: ‚Ja, ich bin einer.‘“ Immer noch fr?hst?ckten versp?tete G?ste, sogen Orangensaft wie ein lasterhaftes Getr?nk in sich hinein; der blasse Junge lehnte an der T?r wie eine Statue, der violette Samt der Uniform lie? seine Gesichtshaut fast gr?n erscheinen. „Hugo, Hugo, h?rst du, was ich erz?hle?“ „Ich, Herr Doktor, ich h?re jedes Wort.“ „Bitte, hol mir einen Cognac, einen gro?en.“ „Ja, Herr Doktor.“ Hart leuchtete Hugo die Zeit entgegen, als er die Treppe zum Restaurant hinunterstieg: der gro?e Kalender, den er morgens zurechtzustecken hatte; die gro?e Pappenummer umgedreht, unter den Monat, unters Jahr geschoben: 6. September 1958. Ihn schwindelte, das alles war geschehen, lang bevor er geboren war, das warf ihn Jahrzehnte, halbe Jahrhunderte zur?ck: 1885, 1903 und 1935 – weit hinter der Zeit war es verborgen und doch da; es klang aus F?hmels Stimme heraus, der am Billardtisch lehnte, auf den Platz vor Sankt Severin blickte. Hugo hielt sich am Gel?nder fest, atmete tief, wie jemand, der auftaucht, ?ffnete die Augen und sprang rasch hinter die gro?e S?ule. Da kam sie die Treppe herunter, barfu?, wie ein Hirtenm?dchen gekleidet, den Geruch von Schafsdung im sch?bigen Gewand, das kollerartig ?ber ihre Brust bis zur H?fte herabhing. Nun w?rde sie Hirsebrei essen, dunkles Brot dazu, ein paar N?sse, w?rde Schafsmilch trinken, die im Eisschrank f?r sie frischgehalten wurde; sie brachte die Milch in Thermosflaschen mit, brachte in kleinen Schachteln Schafsdung, den sie als Parf?m benutzte f?r die derb gestrickte Unterw?sche aus ungef?rbter Wolle; sie sa? nach dem Fr?hst?ck stundenlang in der Halle unten – strickte, strickte, ging hin und wieder an die Bar, sich ein Glas Wasser zu holen, rauchte ihre Stummelpfeife, sa? da, hatte die nackten Beine auf der Couch gekreuzt, so dass die schmutzigen Schwielen an den F??en zu sehen waren, empfing ihre J?nger und J?ngerinnen, die, wie sie gekleidet, wie sie riechend, um sie herum, mit gekreuzten Beinen auf dem Teppich hockten, strickend, hin und wieder kleine Schachteln ?ffnend, die die Meisterin ihnen gegeben, an Schafsdung, wie an k?stlichen Aromen schnuppernd, dann r?usperte sie sich in bestimmten Abst?nden, und ihre Jungm?dchenstimme fragte von der Couch herunter: ‚Wie werden wir die Welt erl?sen?‘ Und die J?nger und J?ngerinnen antworteten: ‚Durch Schafswolle, Schafsleder, Schafsmilch – und durch Stricken.‘ Nadelgeklapper, Stille, ein Jungling sprang zur Bartheke, holte der Meisterin frisches Wasser, und wieder warf die sanfte Jungm?dchenstimme von der Couch herab die Frage: ‚Wo liegt die Seligkeit der Welt verborgen?‘, und alle antworteten: ‚Im Schaf.‘ Schachteln wurden ge?ffnet, verz?ckt am Kot geschn?ffelt, w?hrend Blitzlichter knallten, Pressebleistifte ?ber Stenogrammbl?cke huschten[24 - B?ll versucht mit dieser Sekte die parodistische Umkehr der Lamm-Ideologie.]. Langsam trat Hugo weiter zur?ck, w?hrend sie um die S?ule herum aufs Fr?hst?ckszimmer zuging; er hatte Angst vor ihr, hatte zu oft gesehen, wie ihre sanften Augen hart wurden, wenn sie mit ihm allein war, ihn auf der Treppe erwischte, sich von ihm Milch ins Zimmer bringen lie?, wo er sie mit der Zigarette im Mund antraf, sie ihm das Milchglas aus der Hand riss, es lachend in den Abfluss entleerte, sich einen Cognac einschenkte, mit dem Glas in der Hand auf ihn, der langsam zur T?r zur?ckwich, zukam. ‚Hat dir noch niemand gesagt, dass dein Gesicht Gold wert ist, pures Gold, du dummer Junge. Warum willst du nicht das Gotteslamm meiner neuen Religion sein? Ich werde dich gro? machen, reich, und sie werden in noch schickeren Hotelhallen vor dir knien! Bist du noch nicht lange genug hier, um zu wissen, dass ihre Langeweile nur mit einer neuen Religion auszuf?llen ist, eine, die je d?mmer, desto besser ist – geh nur, du bist zu dumm.‘ Er blickte ihr nach, w?hrend sie mit unbewegtem Gesicht sich vom Kellner die T?r zum Fr?hst?ckszimmer aufhalten lie?; sein Herz klopfte noch, als er hinter der S?ule hervorkam und langsam ins Restaurant hinunterging. „Einen Cognac f?r den Doktor oben, einen gro?en.“ „Stunk in der Bude wegen deinem Doktor.“ „Wieso Stunk?“ „Ich wei? nicht. Ich glaube, der wird dringend gesucht, dein Doktor. Da, dein Cognac, und verdr?ck dich schnell, mindestens siebzehn alte und junge Weiber fahnden nach dir; rasch, da kommt wieder eine die Treppe herunter.“ Sie sah aus, als h?tte sie zum Fr?hst?ck pure Galle getrunken, in goldfarbene Kleider gekleidet, mit goldfarbenen Schuhen, M?tze und Muff aus L?wenfell. Ekel breitete sich aus, sobald sie erschien, und es gab Abergl?ubische unter den G?sten, die ihr Gesicht bedeckten, wenn sie auftrat. Zimmerm?dchen k?ndigten ihretwegen, Kellner verweigerten die Bedienung, aber er, er musste, sobald sie ihn erwischte, stundenlang mit ihr Canasta[25 - Canasta (von span. canasta: Korb) – ein Kartenspiel f?r vier Personen in zwei Partnerschaften; es existieren auch Varianten f?r zwei, drei, f?nf oder sechs Personen.] spielen; ihre Finger wie H?hnerkrallen, einzig menschlich an ihr war die Zigarette in ihrem Mund. ‚Liebe, mein Junge, nie gewusst, was das ist; nicht einer, der mich nicht merken l?sst, dass er sich vor mir ekelt; meine Mutter verfluchte mich siebenmal am Tage, schrie mir ihren Ekel ins Gesicht; h?bsch war meine Mutter und jung, jung und h?bsch war mein Vater, waren meine Geschwister; sie h?tten mich vergiftet, wenn sie den Mut nur aufgebracht h?ten; sie nannten mich: so was d?rfte nicht geboren werden – hoch oben wohnten wir in der gelben Villa ?ber dem Stahlwerk, abends verlie?en tausende Arbeiter das Werk, wurden von lachenden M?dchen und Frauen erwartet, lachend gingen sie die dreckige Stra?e hinunter; ich kann sehen, h?ren, f?hlen, riechen wie alle anderen Menschen, kann schreiben, lesen, rechnen und schmecken – du bist der erste Mensch, der es l?nger als eine halbe Stunde bei mir aush?lt, h?rst du, der erste!‘ Sie schleppte Entsetzen hinter sich her, Atem des Unheils, warf ihren Zimmerschl?ssel auf die Theke, schrie dem Boy, der dort Jochen vertrat, ins Gesicht: ‚Hugo, wo ist er, Hugo?‘, ging, als der Boy die Schultern zuckte, zur Dreht?r, und der Kellner, der die T?r in Gang setzte, schlug die Augen nieder, und sobald sie drau?en war, zog sie den Schleier vors Gesicht. ‚Drinnen trag ich ihn nicht, Junge, die sollen etwas sehen f?r ihr Geld, sollen mir ins Gesicht schauen f?r mein Geld, aber die da drau?en, die haben es nicht verdient.‘ „Hier, der Cognac, Herr Doktor.“ „Danke, Hugo.“ Er mochte F?hmel: der kam jeden Morgen um halb zehn, erl?ste ihn bis elf, hatte ihm schon ein Gef?hl der Ewigkeit verliehen; war es nicht immer so gewesen, hatte er nicht vor Jahrhunderten schon hier an der wei?lackierten T?rf?llung gestanden, die H?nde auf dem R?cken gekreuzt, dem leisen Spiel zugesehen, den Worten gelauscht, die ihn sechzig Jahre zur?ck, zwanzig vor, wieder zehn zur?ck und pl?tzlich in die Wirklichkeit des Kalenderblatts drau?en warfen? Wei? ?ber gr?n, rot ?ber gr?n, rot – wei? ?ber gr?n, immer innerhalb des Randes, der nur zwei Quadratmeter gr?nen Filzes umschloss; das war sauber, trocken und genau; zwischen halb zehn und elf; zweimal, dreimal hinunter, um den gro?en Cognac zu holen; Zeit war hier keine Gr??e, an der irgend etwas ablesbar wurde; auf diesem rechteckigen gr?nen L?schpapier wurde sie ausgel?scht; vergebens schlugen die Uhren an, Zeiger bewegten sich vergebens, rannten in sinnloser Eile vor sich selbst davon; alles stehen- und liegenlassen, wenn F?hmel kam, gerade um die Zeit, wo am meisten zu tun gewesen w?re: alte G?ste gehen, neue kommen; er musste hier stehen, bis es elf von Sankt Severin schlug, doch wann, wann schlug es elf? Luftleere R?ume, zeitleere Uhren, er war hier untergetaucht, fuhr unter Ozeanen her, Wirkliches drang nicht ein, druckte sich drau?en platt wie an Aquarien- und Schaufensterscheiben, verlor seine Dimensionen, hatte nur noch eine, war flach, wie ausgeschnitten aus Ausschneideb?gen f?r Kinder, sie hatten alle ihre Kleider nur provisorisch umgeh?ngt wie diese ausgeschnittenen Pappepuppen, strampelten hilflos gegen die W?nde, die dicker waren als Jahrhunderte aus Glas; fern der Schatten von Sankt Severin, ferner noch der Bahnhof, und die Z?ge nicht wahr: D und F und E, und FD und TEE und FT[26 - Ein Schnellzug (in Deutschland und ?sterreich auch D-Zug) ist eine Zuggattung der Eisenbahn und bezeichnet Z?ge, die nicht auf allen Unterwegsbahnh?fen haltenZum Sommerfahrplan 1951 f?hrte die DB eine neue Zuggattung, den Fernzug ein. Diese Z?ge verbanden in individuellen Fahrpl?nen die neuen Wirtschaftszentren der Bundesrepublik untereinander. Sie f?hrten die Zuggattungsbezeichnung „F“ f?r Fernzug und f?hrten bis 1956 nur die damalige erste und zweite Wagenklasse, danach ausschlie?lich die erste Klasse. Die Fernz?ge wurden ab 1971 durch den InterCity-Zug abgel?st.In der Zuggattung Eilzug (E) waren ?ber mittelgro?e Entfernungen (meistens zwischen zwei Ballungsr?umen) verkehrende Z?ge zusammen gefasst, die nur in wichtigeren Bahnh?fen hielten. In einigen Verkehrsverb?nden gibt es Stadtbahnen, auf denen einige Kurse mit wenigen Halten als Eilzug fahren. Nachfolger des Eilzuges ist heute der RegionalExpress.Der FernExpress war eine Zuggattung mit erster und zweiter Klasse mit dem traditionsreichem K?rzel FD, die zum Sommerfahrplan 1983 von der DB eingef?hrt wurde. Diese mit eigenen Namen versehenen Z?ge verbanden in der Regel den Gro?raum Hamburg oder das Ruhrgebiet mit Ferienzentren in S?ddeutschland, teilweise f?hrten diese Z?ge auch ins Ausland.Trans Europ Express (TEE) waren elegante, komfortable Schnellz?ge, die zwischen den Staaten der ehemaligen EWG (Europ?ische Wirtschaftsgemeinschaft) sowie der Schweiz verkehrten. Sie f?hrten ausschlie?lich Wagen der ersten Klasse.], trugen Koffer zu Zollstationen; wahr waren nur die drei Billardkugeln, die ?bers gr?ne L?schpapier rollten, immer neue Figuren bildeten: Unendlichkeit, in tausend Formeln auf zwei Quadratmetern enthalten, er schlug sie mit seinem Stock heraus, w?hrend seine Stimme sich in den Zeiten verlor. „Geht die Geschichte weiter, Herr Doktor?“ „Willst du sie h?ren?“ „Ja.“ F?hmel lachte, nippte an seinem Cognacglas, z?ndete sich eine neue Zigarette an, nahm den Stock in die Hand und stie? die rote Kugel an: rot und wei? rollten ?ber gr?n. „Eine Woche danach, Hugo…“ „Nach was?“ F?hmel lachte wieder. „Nach diesem Schlagballspiel, nach diesem 14. Juli 1935, den sie in den Putz ?ber dem Blechspind eingeritzt hatten – eine Woche danach war ich froh, dass Schrella mich an den Weg, der zu Trischlers Haus f?hrte, erinnert hatte. Ich stand auf der Balustrade des alten Wiegehauses, am unteren Hafen; von dort aus konnte ich den Weg gut ?berschauen, der an Holzschuppen und Kohlenlagern vorbeilief, sich zu einer Baustoffhandlung hin senkte, von dort auf den Hafen zulief, der durch ein rostiges Eisengel?nder abgesperrt war und nur noch als Schiffsfriedhof diente. Sieben Jahre vorher war ich zuletzt hier gewesen, aber es h?tten auch f?nfzig Jahre sein k?nnen; als ich zusammen mit Schrella Trischlers noch besuchte, war ich dreizehn gewesen; lange Schleppz?ge ankerten abends an der B?schung, Schifferfrauen mit Einkaufk?rben stiegen ?ber die schwankenden Stege an Land; frische Gesichter hatten die Frauen und Zuversicht in den Augen; M?nner, die nach Bier und nach Zeitungen verlangten, kamen hinter den Frauen her; Trischlers Mutter musterte aufgeregt ihre Waren: Kohl und Tomaten, silbrige Zwiebeln, die geb?ndelt an der Wand hingen, und drau?en spornte der Sch?fer mit kurzen, scharf klingenden Kommandos seine Hunde an, die Schafe in die H?rde zu treiben; dr?ben – auf diesem Ufer hier, Hugo – leuchteten die Gaslaternen auf, gelbliches Licht f?llte die wei?en Ballons, deren Reihe sich nach Norden zu ins Unendliche fortpflanzte; Trischlers Vater knipste in seiner Gartenwirtschaft die Lampen an, und Schrellas Vater, mit dem Handtuch ?ber dem Unterarm, kam nach hinten ins Treidlerhaus, wo wir Jungen, Trischler, Schrella und ich, Eis zerkleinerten und ?ber die Bierk?sten warfen. Jetzt, sieben Jahre sp?ter, Hugo, an diesem 21. Juli 1935 war die Farbe von allen Z?unen abgebl?ttert, und ich sah, dass an Michaelis Kohlenlager nur das Tor erneuert war; hinter dem Zaun verrottete ein gro?er Haufen Briketts, ich suchte immer wieder alle Windungen der Stra?e ab, um mich zu vergewissern, dass niemand mir gefolgt war; ich war m?de, sp?rte die Wunden auf meinem R?cken, Schmerz flammte wie Pulsschlag auf; zehn Minuten lang war die Stra?e leer geblieben; ich blickte auf den schmalen Streifen bewegten sauberen Wassers, der den unteren mit dem oberen Hafen verband: kein Boot war zu sehen, blickte in den Himmel: kein Flugzeug, und ich dachte: du scheinst dich sehr ernst zu nehmen, wenn du glaubst, sie schicken Flugzeuge aus, dich zu suchen. Ich hatte es getan, Hugo, war mit Schrella in das kleine Cafe Zons an der Boissereestra?e gegangen, wo die L?mmer sich trafen, hatte dem Wirt das Losungswort zugemurmelt: Weide meine L?mmer, und ich hatte geschworen, einem jungen M?dchen, das Edith hie?, ins Gesicht hinein geschworen, niemals vom Sakrament des B?ffels zu kosten, hatte dann in dem dunklen Hinterzimmer eine Rede gehalten, mit dunklen Worten drin, die nicht nach Lamm klangen; sie schmeckten nach Blut, nach Aufruhr und Rache, Rache f?r Ferdi Progulske, den sie am Morgen hingerichtet hatten; wie Gek?pfte sahen die aus, die um den Tisch herumsa?en und mir zuh?rten; sie hatten Angst und wussten jetzt, dass kindlicher Ernst nicht weniger ernst ist als der der Erwachsenen; Angst und die Gewissheit, dass Ferdi wirklich tot war: siebzehn Jahre war er alt gewesen, Hundertmeterl?ufer, Tischlerlehrling, nur viermal hatte ich ihn gesehen und w?rde ihn nie wieder in meinem Leben vergessen; zweimal im Cafe Zons und zweimal bei uns zu Hause; Ferdi war in Ben Wackes Wohnung geschlichen, hatte ihm, als er aus dem Schlafzimmer kam, die Bombe vor die F??e geworfen; nur Brandwunden hatte Ben Wackes an den F??en, ein Garderobenspiegel zersplitterte, es roch nach verbranntem Schwarzpulver, Torheit, Hugo, kindlichem Edelmut entsprungen, h?rst du, h?rst du wirklich?…“ „Ich h?re.“ „Ich hatte H?lderlin gelesen: Mitleidend bleibt das ewige Herz doch fest, und Ferdi nur Karl May[27 - Karl Friedrich May, eigentlich Carl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. M?rz 1912 in Radebeul) war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Abenteuerschriftsteller und z?hlte jahrzehntelang zu den meistgelesenen Schriftstellern Deutschlands. Bekannt wurde er vor allem durch seine so genannten Reiseerz?hlungen, die vorwiegend im Orient und in den Vereinigten Staaten und Mexiko angesiedelt sind. Viele seiner Werke wurden verfilmt, f?r die B?hne adaptiert, zu H?rspielen verarbeitet oder als Comics umgesetzt.], der den gleichen Edelmut zu predigen schien; Torheit, unterm Handbeil geb?sst, im Morgengrauen, w?hrend die Kirchenglocken zur Fr?hmesse l?uteten, B?ckerjungen warme Br?tchen in Leinenbeutel z?hlten, w?hrend hier im Hotel Prinz Heinrich den ersten G?sten das Fr?hst?ck serviert wurde, w?hrend V?gel zwitscherten, Milchm?dchen auf Gummisohlen sich in stille Hauseing?nge schlichen, um Milchflaschen auf saubere Kokosmatten zu stellen; motorisierte Boten rasten durch die Stadt, von Plakats?ule zu Plakats?ule, klebten rotumrandete Zettel an: ‚Hinrichtung! Der Lehrling Ferdinand Progulske‘ – gelesen von Fr?haufstehern und Stra?enbahnern, von Sch?lern und Lehrern, von all denen, die morgens mit ihren Broten in der Tasche zur Stra?enbahn eilten, die Lokalzeitung noch nicht aufgeschlagen hatten, die es in Gestalt einer Schlagzeile verk?ndete: ‚Exempel statuiert‘, und von mir gelesen, von mir, Hugo, als ich gerade hier vorne an der Ecke in die 7 einsteigen wollte. Ferdis Stimme am Telefon, war das gestern oder vorgestern gewesen: ‚Du kommst doch, wie verabredet, ins Cafe Zons?‘ Pause. ‚Kommst du oder kommst du nicht?‘ ‚Ich komme.‘ Enders versuchte noch, mich am ?rmel in die Bahn zu zerren, aber ich riss mich los, wartete, bis die Bahn um die Ecke herum verschwunden war, lief zur gegen?berliegenden Haltestelle, wo auch heute noch die 16 abf?hrt; fuhr durch friedliche Vorst?dte zum Rhein, vom Rhein wieder weg, bis die Bahn endlich zwischen Kiesgruben und Baracken in die Schleife der Endstation einbog. Winter m?sste sein, dachte ich damals, Winter, kalt, regnerisch, bedeckter Himmel, dann w?re es ertr?glicher, aber hier, wo ich stundenlang zwischen Kleing?rten umherirrte, Aprikosen und Erbsen sah, Tomaten und Kohl, wo ich das Klirren von Bierflaschen h?rte, die Klingel des Eismannes, der an einer Wegkreuzung stand und Vanilleeis in br?cklige Waffeln spachtelte; das konnten sie doch nicht tun, dachte ich, konnten nicht Eis essen, Bier trinken, Aprikosen betasten, w?hrend Ferdi… Gegen Mittag verf?tterte ich meine Brote an gr?mliche H?hner, die auf dem Lagerhof eines Altwarenh?ndlers ungenaue geometrische Figuren in den Dreck furchten; aus einem Fenster heraus sagte eine Frauenstimme: ‚Diesen Jungen, hast du gelesen, sie haben ihn…‘, und eine M?nnerstimme antwortete: ‚Verflucht, sei still, ich wei? doch…‘ Ich warf die Brote den H?hnern hin, lief weiter, verlor mich zwischen Bahnd?mmen und Grundwasserl?chern, erreichte irgendwo wieder eine Endstation, fuhr durch Vorst?dte, die mir unbekannt waren, stieg aus, kehrte meine Hosentaschen nach au?en: Schwarzpulver rieselte auf einen grauen Weg; ich rannte weiter, wieder Bahnd?mme, Lagerpl?tze, Fabriken, Kleing?rten, H?user, ein Kino, an dessen Schalter eben die Kassiererin das Fenster hochschob. Drei Uhr? Genau drei. F?nfzig Pfennige. Ich war der einzige Besucher der Vorstellung; Hitze br?tete auf dem Blechdach; Liebe, Blut, ein betrogener Liebhaber z?ckte das Messer; ich schlief ein, erwachte erst wieder, als l?rmende Besucher zur Sechs-Uhr-Vorstellung in den Saal kamen, taumelte nach drau?en. Wo war meine Schulmappe? War sie im Kino? Drau?en an der Kiesgrube, wo ich lange gesessen und die triefenden Lastautos beobachtet hatte, oder war sie dort, wo ich den gr?mlichen H?hnern meine Brote hingeworfen hatte? Ferdis Stimme am Telefon, war das gestern oder vorgestern gewesen: ‚Du kommst doch, wie verabredet, ins Cafe Zons?‘ Pause. ‚Kommst du oder kommst du nicht?‘ ‚Ich komme.‘ Rendezvous mit einem Gek?pften. Torheit, die mir jetzt schon kostbar wurde, weil der Preis daf?r so hoch gewesen war; Nettlinger erwartete mich vor dem Cafe Zons; sie brachten mich in die Wilhelmskuhle, schlugen mich mit der Stacheldrahtpeitsche; winzige Pfl?ge furchten meinen R?cken auf; durch die rostigen Fenstergitter hindurch konnte ich die B?schung sehen, auf der ich als Kind gespielt hatte; immer wieder war uns der Ball heruntergerollt, immer wieder war ich die B?schung runtergeklettert, hatte den Ball aufgehoben, einen ?ngstlichen Blick auf das rostige Gitter geworfen und hinter den schmutzigen Scheiben B?ses zu sp?ren geglaubt; Nettlinger schlug zu. In der Zelle versuchte ich, mir das Hemd auszuziehen, aber Hemd und Haut waren in gleichem Ma?e zerfetzt, ineinander verhakt, wenn ich am Kragen, am ?rmel zog, war es, als z?ge ich mir die Haut ?ber den Kopf. Schlimm waren Augenblicke wie dieser; als ich an der Balustrade des Wiegehauses stand, m?de, war mein Stolz auf die Stigmata geringer als der Schmerz; mein Kopf fiel aufs Gel?nder, mein Mund lag auf dem rostigen Gest?nge, und die Bitterkeit des verwitterten Eisens drang mir wohltuend in den Mund; noch eine Minute nur bis Trischlers Haus, und ich w?rde wissen, ob sie mich dort schon erwarteten; ich erschrak: ein Arbeiter, mit seinem Henkelmann unter dem Arm, kam die Stra?e herauf, verschwand im Tor zur Baustoffhandlung. Als ich die Treppe hinunterging, umfasste ich das Gel?nder so fest, dass ich den Rost in Flocken vor meiner Hand herschob. Der heitere Rhythmus der Nieth?mmer, den ich vor sieben Jahren hier geh?rt hatte, hallte nur noch als m?des Echo wider, als Klopfen eines Hammers auf einem Ponton, wo ein alter Mann ein F?hrboot ausschlachtete; Muttern polterten in einen Karton, Bretter fielen mit einem Ger?usch, das den Grad ihrer Vermoderung kundtat, und der alte Mann beklopfte den Motor, lauschte auf die T?ne wie auf die Herzt?ne eines geliebten Wesens, beugte sich tief in den Bauch des Bootes, brachte Einzelteile ans Licht: Schrauben, Deckel, D?sen, Zylinder, die er ans Licht hob, betrachtete, beroch, bevor er sie in den Karton zu den Muttern warf; hinter dem Boot stand eine alte Winde, Reste eines Drahtes hingen daran, morsch wie verrotteter Strumpf. Erinnerungen an Menschen und Ereignisse waren immer mit Erinnerungen an Bewegung verkn?pft gewesen, die mir als Figur im Ged?chtnis geblieben war. Wie ich mich ?bers Gel?nder der Balustrade beugte, den Kopf hob, senkte, hob, senkte, um die Stra?e zu beobachten – die Erinnerung an diese Bewegung brachte mir Worte und Farben, Bilder und Stimmung wieder zum Bewusstsein. Nicht wie Ferdi ausgesehen hatte, sondern wie er ein Streichholz anz?ndete, wie er den Kopf leicht hob, um ja, ja, – nein, nein, zu sagen, Schrellas Stirnfalten, die Bewegung seiner Schultern, Vaters Gang, Mutters Geb?rden, Gro?mutters Handbewegung, wenn sie ihr Haar aus der Stirn strich – und der alte Mann dort unten, den ich von der B?schung aus sah, der von einer gro?en Schraube gerade einen verfaulten Holzrest abklopfte, das war Trischlers Vater; diese Hand machte Bewegungen, die nur diese Hand machen konnte – ich hatte dieser Hand zugesehen, wenn sie Kisten ?ffnete, wieder zunagelte; Schmuggelware, die in dunklen Schiffsb?uchen verborgen die Grenze passiert hatte, Rum und Rosinen, Zigaretten und Schokolade, im Treidlerhaus hatte diese Hand Bewegungen gemacht, die nur sie machen konnte; der Alte blickte hoch, blinzelte zu mir herauf und sagte: ‚Na, S?hnchen, der Weg da oben f?hrt aber nirgends hin.‘ ‚Er f?hrt zu Ihrem Haus‘, sagte ich. ‚Wer mich besucht, kommt vom Wasser her, sogar die Polizei – auch mein Sohn kommt mit dem Boot, selten kommt er, sehr selten.‘ ‚Ist die Polizei schon dort?‘ ‚Warum fragst du, S?hnchen?‘ ‚Weil sie mich suchen.‘ ‚Hast du geklaut?‘ ‚Nein‘, sagte ich, ‚ich habe mich nur geweigert, vom Sakrament des B?ffels zu essen.‘ Schiffe, dachte ich, Schiffe mit dunklen B?uchen und Kapit?nen, die ?bung darin haben, die Z?llner zu t?uschen; ich werde nicht viel Platz brauchen, nur soviel wie ein zusammengerollter Teppich; in einem gerollten Segel versteckt will ich die Grenze passieren. ‚Komm runter‘, sagte Trischler, ‚da oben k?nnen sie dich vom anderen Ufer aus sehen.‘ Ich drehte mich, lie? mich langsam auf Trischler zugleiten, indem ich mich an den Grasnarben festhielt. ‚Ach‘, sagte der Alte, ‚du bist… ich wei?, wer du bist, aber deinen Namen hab ich vergessen.‘ ‚F?hmel‘, sagte ich. ‚Nat?rlich, hinter dir sind sie her, es kam heute morgen mit den Fr?hnachrichten, und ich h?tte es mir denken k?nnen, als sie dich beschrieben: rote Narbe ?berm Nasenbein; damals, als wir bei Hochwasser r?bergerudert sind und gegen den Br?ckenpfeiler stie?en, als ich die Str?mung untersch?tzt hatte; du schlugst mit dem Kopf auf die Eisenkante des Bootes.‘ ‚Ja, und ich durfte nicht mehr herkommen.‘ ‚Aber du kamst noch.‘ ‚Nicht mehr lange – bis ich mit Alois Streit bekam.‘ ‚Komm, aber duck dich, wenn wir unter der Drehbr?cke hergehen, sonst st??t du dir ’ne Delle in den Kopf – und darfst nicht mehr herkommen. Wie bist du ihnen denn entkommen?‘ ‚Nettlinger kam im Morgengrauen in meine Zelle, er brachte mich an den Hintereingang, wo die unterirdischen G?nge bis zum Bahndamm f?hren, an der Wilhelmskuhle. Er sagte: ,Hau ab, renn los – aber ich kann dir nur eine Stunde Vorsprung geben, in einer Stunde muss ich’s der Polizei melden’ – ich bin um die ganze Stadt herum bis hierhergekommen.‘ ‚So, so‘, sagte der Alte, ‚ihr musstet also Bomben schmei?en! Ihr musstet euch verschw?ren und – gestern hab ich schon einen von euch verpackt und ?ber die Grenze geschickt.‘ ‚Gestern‘, fragte ich, ‚wen?‘ ‚Den Schrella‘, sagte er, ‚er hat sich hier versteckt, und ich habe ihn zwingen m?ssen, mit der ,Anna Katharina’ abzufahren.‘ ‚Auf der ,Anna Katharina’ wollte Alois immer Steuermann werden!‘ ‚Er ist Steuermann auf der ,Anna Katharina’ – komm jetzt.‘ Ich stolperte, als wir an der schr?gen Kaimauer entlang unterhalb der B?schung auf Trischlers Haus zugingen, stand auf, fiel wieder, stand auf, und die ruckhaften Bewegungen rissen Hemd und Haut immer wieder auseinander, verklebten sie, rissen sie auseinander, und der st?ndig neu gestachelte Schmerz hob mich in einen Zustand der Besinnungslosigkeit, in dem Bewegungen, Farben, Ger?che aus tausend Erinnerungen sich ineinander verfingen, ?bereinander lagerten; bunte Chiffren von wechselnder Farbe, wechselndem Gef?lle, wechselnder Richtung, wurden vom Schmerz aus mir herausgeschleudert. Hochwasser, dachte ich, Hochwasser, immer schon hatte ich den Wunsch gesp?rt, mich hineinzuwerfen und auf den grauen Horizont zutreiben zu lassen. Im Traum besch?ftigte mich lange die Frage, ob man in einem Henkelmann eine Stacheldrahtpeitsche verbergen k?nne; Erinnerungen an Bewegungen setzten sich in Linien um, die sich zu Figuren f?gten; gr?ne, schwarze, rote Figuren waren wie Kardiogramme, die Rhythmen einer bestimmten Person darstellten: der Ruck, mit dem Alois Trischler die Angel hochgezogen hatte, wenn wir im alten Hafen fischten, wie er die Schnur mit dem K?der ins Wasser schnellte, sein wandernder Arm, der das Tempo des Wassers anzeigte: gr?n auf grau gezeichnete genaue Figur; Nettlinger, wie er den Arm hob, um Schrella den Ball ins Gesicht zu werfen, das Zittern seiner Lippen, das Beben seiner Nasenfl?gel, es setzte sich in eine graue Figur, die der Spur einer Spinne glich; wie von Fernschreibern, die ich nicht orten konnte, wurden mir Personen ins Ged?chtnis stigmatisiert: Edith am Abend nach dem Schlagballspiel, als ich mit Schrella nach Hause ging; Ediths Gesicht im Park drau?en in Blessenfeld, unter mir; als wir im Gras lagen, wurde es na? vom Sommerregen, Tropfen gl?nzten auf ihrem blonden Haar, rollten an ihren Brauen entlang, ein Kranz silberner Tropfen, den Ediths atmendes Gesicht hob und senkte: der Kranz blieb mir in Erinnerung wie das Skelett eines Meerestieres, auf rostfarbenem Strand gefunden und vervielf?ltigt zu unz?hligen W?lkchen gleichen Ausma?es, die Linie ihres Mundes, als sie zu mir sagte: ‚Sie werden dich t?ten.‘ Edith. Der Verlust der Schulmappe qu?lte mich im Traum – korrekt war ich immer – , ich riss einem mageren Huhn den gr?ngrauen Band Ovid aus dem Schnabel; ich feilschte mit der Platzanweiserin im Kino um das H?lderlingedicht, das sie aus meinem Lesebuch gerissen hatte, weil sie es so sch?n fand: Mitleidend bleibt das ewige Herz doch fest. Abendessen, von Frau Trischler gebracht: Milch, ein Ei, Brot, ein Apfel; ihre H?nde wurden jung, wenn sie meinen zerschundenen R?cken mit Wein wusch, Schmerz flammte auf, wenn sie den Schwamm ausdr?ckte und der Wein in den Furchen meines R?ckens abfloss; sie goss ?l nach, und ich fragte sie: ‚Woher wussten Sie, dass man es so machen kann?‘ ‚In der Bibel kannst du nachlesen, wie man es macht‘, sagte sie, ‚und ich hab’s schon mal gemacht, bei deinem Freund Schrella! Alois wird ?bermorgen kommen, Sonntag f?hrt er dann von Ruhrort nach Rotterdam! Du brauchst keine Angst zu haben‘, sagte sie, ‚die machen das schon; auf dem Fluss kennt man sich, wie man sich in einer Stra?e kennt. Noch etwas Milch, Junge?‘ ‚Nein, danke.‘ ‚Keine Sorge. Montag oder Dienstag bist du in Rotterdam. Was ist denn, was hast du denn?‘ Nichts. Nichts. Immer noch liefen die Suchmeldungen: rote Narbe ?berm Nasenbein. Vater, Mutter, Edith – ich wollte nicht das Differential der Z?rtlichkeiten errechnen, nicht die Litanei der Schmerzen abbeten; heiter war der Fluss, wei?e Feriendampfer mit bunten Wimpeln; heiter waren auch die Frachter, rot gestrichen, gr?n und blau, brachten Kohle und Holz von hier nach dort, von dort nach hier; dr?ben am Ufer die gr?ne Allee, schneewei? die Terrasse vom Cafe Bellevue, dahinter der Turm von Sankt Severin, die scharfe rote Lichtkante am Hotel Prinz Heinrich, nur hundert Schritte von dort bis zum Elternhaus; dort sa?en sie gerade beim Abendessen, einer gewaltigen Mahlzeit, ?ber die Vater wie ein Patriarch regierte: Samstag, mit sabbatischer Feierlichkeit begangen; war der rote Wein nicht zu k?hl, der wei?e k?hl genug? ‚Keine Milch mehr, Junge?‘ ‚Nein, danke, Frau Trischler, wirklich nicht.‘ Motorisierte Boten rasten durch die Stadt, mit rotumrandeten Zetteln, von Plakats?ule zu Plakats?ule: ‚Hinrichtung!‘ ‚Der Sch?ler Robert F?hmel…‘; Vater betete beim Abendbrot: Der f?r uns ist gegei?elt worden, Mutter beschrieb eine dem?tige Figur vor ihrer Brust, bevor sie sagte: ‚Die Welt ist b?se, es gibt so wenig reine Herzen‘, und Ottos Schuhe, noch schlugen sie den Takt Bruder, Bruder auf den Boden, auf die Fliesen, die Stra?e hinab bis zum Modesttor. Es war die ‚Stilte‘, die drau?en tutete, die hellen T?ne rissen den Abendhimmel auf, furchten sich wei? wie Blitze ins dunkle Blau. Ich lag schon auf der Zeltbahn, wie jemand, der auf offener See gestorben ist und dem Meer ?berliefert werden soll; Alois hielt die Zeltbahn schon hoch, um mich einzuwickeln; wei? in grau eingewebt las ich deutlich: ‚Morrien. Ijmuiden.‘ Frau Trischler beugte sich ?ber mich, weinte, k?sste mich, und Alois rollte mich langsam ein, als w?re mein Leichnam ein besonders kostbarer, nahm mich auf den Arm. ‚S?hnchen‘, rief der Alte, ‚S?hnchen, vergiss uns nicht.‘ Abendwind, noch einmal tutete die ‚Stilte‘ freundlich mahnend, in der H?rde bl?kten die Schafe, der Eismann rief ‚Eis, Eis‘, schwieg dann und spachtelte gewiss Vanilleeis in br?cklige Waffeln. Leicht federte die Planke, ?ber die Alois mich trug, und eine Stimme fragte leise: ‚Ist er das?‘ Und Alois sagte ebenso leise: ‚Das ist er.‘ Murmelte mir zum Abschied zu: ‚Denk daran, Dienstag abend im Hafen von Rotterdam.‘ Andere Arme trugen mich, Treppen hinunter, es roch nach ?l, nach Kohlen, dann nach Holz, fern klang das Tuten, die ‚Stilte‘ bebte, dunkles Dr?hnen schwoll an, und ich sp?rte, dass wir fuhren, rheinabw?rts, immer weiter weg von Sankt Severin.“ Der Schatten von Sankt Severin war n?her ger?ckt, f?llte schon das linke Fenster des Billardzimmers, streifte das rechte; die Zeit, von der Sonne vor sich hergeschoben, kam wie eine Drohung n?her, f?llte die gro?e Uhr auf, die sich bald erbrechen und die schrecklichen Schl?ge von sich geben w?rde; wei? ?ber gr?n, rot ?ber gr?n rollten die Kugeln; Jahre zerschnitten, Jahrzehnte ?bereinander geh?uft und Sekunden, Sekunden wie Ewigkeiten serviert mit ruhiger Stimme; nur jetzt nicht wieder Cognac holen m?ssen, dem Kalenderblatt begegnen und der Uhr, nicht der Schafspriesterin und So was d?rfte nicht geboren werden; nur noch einmal den Spruch h?ren Weide meine L?mmer, und von der Frau h?ren, die im Sommerregen im Gras gelegen hatte; ankernde Schiffe, Frauen, die ?ber Stege schritten, und der Ball, den Robert schlug, Robert, der nie vom Sakrament des B?ffels gegessen hatte, stumm weiterspielte, immer neue Figuren mit dem Stock aus zwei Quadratmetern schlug. „Und du, Hugo“, sagte er leise, „willst du mir heute nichts erz?hlen?“ „Ich wei? nicht, wie lange es war, aber ich meine, es w?re ewig gewesen: immer, wenn die Schule aus war, schlugen sie mich. Manchmal wartete ich, bis ich sicher wusste, sie waren alle zum Essen gegangen, und die Frau, die die Schule putzte, war schon unten bei dem Flur, wo ich wartete, angekommen und fragte: ‚Was machst du denn noch hier, Junge? Deine Mutter wartet doch sicher auf dich.‘ Aber ich hatte Angst, wartete, bis auch die Putzfrau ging, und lie? mich in die Schule einschlie?en; es gelang mir nicht immer, denn meistens warf mich die Putzfrau hinaus, bevor sie abschloss, aber wenn es mir gelang, eingeschlossen zu werden, war ich froh; zu essen fand ich in den Pulten und in den Abfalleimern, die die Putzfrau f?r die M?llabfuhr im Flur bereitgestellt hatte, genug belegte Brote, ?pfel und Kuchenreste. So war ich allein in der Schule, und sie konnten mir nichts tun. Ich duckte mich in die Lehrergarderobe, hinter dem Kellereingang, weil ich Angst hatte, sie k?nnten zum Fenster hereinschauen und mich entdecken, aber es dauerte lange, bis sie herausbekamen, dass ich mich in der Schule versteckte. Oft hockte ich da stundenlang, wartete, bis es Abend wurde, bis ich ein Fenster ?ffnen und hinaussteigen konnte. Oft blickte ich lange auf den leeren Schulhof: gibt es etwas Leereres als so einen Schulhof am sp?ten Nachmittag? Das waren herrliche Zeiten, bevor sie herausbekamen, dass ich mich in der Schule einschlie?en lie?. Ich hockte da, in der Lehrergarderobe oder unterhalb der Fensterbank, und wartete auf etwas, das ich nur dem Namen nach kannte: auf Hass. Ich h?tte sie so gern gehasst, aber ich konnte nicht, Herr Doktor. Nur Angst. An manchen Tagen wartete ich auch nur bis drei oder bis vier und dachte, sie w?ren jetzt alle gegangen, ich h?tte schnell ?ber die Stra?e, an Meids Stall vor?ber und um den Kirchhof nach Hause laufen und mich dort einschlie?en k?nnen. Aber sie hatten einander abgel?st, waren abwechselnd zum Essen gegangen – denn aufs Essen verzichten, das konnten sie nicht – , und wenn sie auf mich zurannten, roch ich schon von weitem, was sie gegessen hatten: Kartoffeln mit Sauce, Braten, oder Kraut mit Speck, und w?hrend sie mich schlugen, dachte ich: Wozu ist Christus gestorben, was n?tzt mir denn sein Tod, was n?tzt es mir, wenn sie jeden Morgen beten, jeden Sonntag kommunizieren und die gro?en Kruzifixe in ihren K?chen h?ngen, ?ber den Tischen, von denen sie Kartoffeln mit Sauce, Braten oder Kraut mit Speck essen? Nichts. Was soll das alles, wenn sie mir jeden Tag auflauern und mich verpr?geln? Da hatten sie also seit f?nfhundert oder sechshundert Jahren – und waren sogar stolz auf das Alter ihrer Kirche —, hatten vielleicht seit tausend Jahren ihre Vorfahren auf dem Friedhof begraben, hatten seit tausend Jahren gebetet und unterm Kruzifix Kartoffeln mit Sauce und Speck mit Kraut gegessen. Wozu? Und wissen Sie, was sie schrien, w?hrend sie mich verpr?gelten? Lamm Gottes. Das war mein Spitzname.“ Rot ?ber gr?n, wei? ?ber gr?n, neue Figuren tauchten wie Zeichen auf; rasch verweht, nichts blieb; Musik ohne Melodie, Malerei ohne Bild; nur Vierecke, Rechtecke, Rhomben in vielfacher Zahl; klingende B?lle am schwarzen Rand. „Und sp?ter versuchte ich es anders, verschloss die T?r zu Hause, schob M?bel davor, t?rmte auf, was ich finden konnte. Kisten, Ger?mpel und Matratzen, bis sie die Polizei alarmierten, und die kam, den Schulschw?nzer abzuholen; die umstellte das Haus, schrie: ‚Komm raus, du Bengel‘, aber ich kam nicht raus, und sie brachen die T?r auf, schoben die M?bel beiseite, und sie hatten mich, brachten mich in die Schule, auf dass ich weiter gepr?gelt, weiter in die Gosse gesto?en, weiter Lamm Gottes geschimpft w?rde; er hatte doch gesagt: weide meine L?mmer, aber sie weideten seine L?mmer nicht, wenn es ?berhaupt seine L?mmer waren. Alles vergebens, Herr Doktor, umsonst weht der Wind, umsonst f?llt der Schnee, umsonst bl?hen die B?ume und fallen die Bl?tter – sie essen Kartoffeln mit Sauce oder Speck mit Kraut. Manchmal war sogar meine Mutter zu Hause, betrunken und schmutzig, roch nach Tod, dunstete Verwesung aus und schrie: wozuwozuwozu, schrie es ?fter als alle Erbarme dich unser[28 - Worte aus dem Ordinariumstext, feststehendem Messtext der r?misch-katholischen Kirche.] in allen Litaneien; es machte mich wahnsinnig, wenn sie so stundenlang wozuwozuwozu schrie, und ich lief weg, ein nasses Gotteslamm, lief durch den Regen, hungrig, Lehm klebte mir an den Schuhen, am K?rper, ganz eingepackt in nassen Lehm war ich, hockte da auf ihren R?benfeldern, aber ich lag lieber in lehmigen Furchen, lie? den Regen auf mich regnen, als dieses schreckliche Wozu zu h?ren, und irgendwer erbarmte sich meiner, irgendwann, brachte mich nach Hause, in die Schule zur?ck, heim in dieses Nest, das Denklingen hie?, und sie schlugen mich wieder, riefen mich Lamm Gottes, und meine Mutter betete ihre endlose, schreckliche Litanei: Wozu?, und ich lief wieder weg, und wieder erbarmten sie sich meiner, und diesmal brachten sie mich in die F?rsorge. Dort kannte mich niemand, keins von den Kindern, keiner von den Erwachsenen, aber ich war noch nicht zwei Tage in der F?rsorge, nannten sie mich auch dort Lamm Gottes, und ich bekam Angst, obwohl sie mich nicht schlugen: sie lachten nur ?ber mich, weil ich so viele Worte nicht kannte; das Wort Fr?hst?ck; ich kannte nur: essen, irgendwann, wenn etwas da war oder ich etwas fand; aber als ich auf der Tafel las: Fr?hst?ck 30 Gramm Butter, 200 Gramm Brot, 50 Gramm Marmelade, Milchkaffee, fragte ich einen: ‚Was ist das, Fr?hst?ck?‘ Und sie umringten mich alle, auch die Erwachsenen kamen, sie lachten und fragten: ‚Fr?hst?ck, wei?t du nicht, was das ist, hast du denn noch nie gefr?hst?ckt?‘ ‚Nein‘, sagte ich. ‚Und in der Bibel‘, sagte der eine Erwachsene, ‚hast du da nie das Wort Fr?hst?ck gelesen?‘, und der andere Erwachsene fragte den einen: ‚Sind Sie so sicher, dass in der Bibel das Wort Fr?hst?ck ?berhaupt vorkommt?‘ ‚Nein‘, sagte der eine, ‚aber irgendwo, in irgendeinem Lesest?ck oder zu Hause, muss er doch das Wort Fr?hst?ck einmal geh?rt haben, er ist doch bald dreizehn, das ist schlimmer als bei Wilden; jetzt kann man sich eine Vorstellung vom Ausma? des Sprachzerfalls machen. ‘ Und ich wusste nicht, dass Krieg gewesen war, vor kurzer Zeit, und sie fragten mich, ob ich denn nie auf einem Friedhof gewesen sei, wo auf den Grabsteinen stand: ‚Gefallen‘, und ich sagte, doch, das h?tte ich gesehen, und was ich mir denn unter ‚gefallen‘ vorgestellt h?tte, und ich sagte, ich h?tte mir vorgestellt, die dort beerdigt seien, w?ren tot umgefallen; da lachten sie noch mehr als bei dem Fr?hst?ck, und sie gaben uns Geschichtsunterricht, vom Anfang der Zeiten an, aber bald war ich vierzehn, Herr Doktor, und der Hoteldirektor kam ins Heim, und wir vierzehnj?hrigen Jungen mussten uns auf dem Flur vor dem Zimmer des Rektors aufstellen, und der Rektor kam mit dem Hoteldirektor. Und sie gingen an uns vorbei, blickten uns in die Augen und sagten beide, sagten wie aus einem Munde: ‚Dienen, wir suchen Jungen, die dienen k?nnen‘, aber sie suchten nur mich heraus. Ich musste sofort meine Sachen in einen Karton packen und fuhr mit dem Hoteldirektor hierher, und er sagte im Auto zu mir: ‚Hoffentlich erf?hrst du nie, wieviel dein Gesicht wert ist. Du bist ja das reinste Lamm Gottes‘, und ich hatte Angst, Herr Doktor, habe sie immer noch und warte immer darauf, dass sie mich schlagen.“ „Schlagen sie dich?“ „Nein, nie. Nur m?cht ich so gern wissen, was der Krieg war, ich musste ja aus der Schule weg, bevor sie es mir erkl?ren konnten. Kennen Sie den Krieg?“ „Ja.“ „Haben Sie ihn mitgemacht?“ „Ja.“ „Was haben Sie getan?“ „Ich war Spezialist f?r Sprengungen, Hugo. Kannst du dir darunter etwas vorstellen?“ „Ja, ich habe gesehen, wie sie im Steinbruch hinter Denklingen sprengten.“ „Genau das hab ich gemacht, Hugo, nur habe ich nicht Felsen gesprengt, sondern H?user und Kirchen. Das hab ich noch nie jemandem erz?hlt, au?er meiner Frau, aber die ist schon lange tot, und so wei? es niemand au?er dir, nicht einmal meine Eltern und meine Kinder wissen es. Du wei?t, dass ich Architekt bin und eigentlich H?user bauen sollte, aber ich hab nie welche gebaut, immer nur welche gesprengt, und auch die Kirchen, die ich als Junge auf zartes Zeichenpapier zeichnete, weil ich davon tr?umte, sie zu bauen; die hab ich nie gebaut. Als ich zur Armee kam, fanden sie in meinen Papieren einen Hinweis, dass ich eine Doktorarbeit ?ber ein statisches Problem geschrieben hatte. Statik, Hugo, das ist die Lehre vom Gleichgewicht der Kr?fte, die Lehre vom Spannungs- und Verschiebungszustand von Tragwerken; ohne Statik kannst du nicht einmal eine Negerh?tte bauen, und das Gegenteil von Statik ist die Dynamik, das klingt nach Dynamit, wie man es beim Sprengen braucht, und h?ngt auch mit Dynamit zusammen. Den ganzen Krieg ?ber hatte ich nur mit Dynamit zu tun. Ich verstand was von Statik, Hugo, verstand auch was von Dynamik, verstand eine ganze Menge von Dynamit, hab alle B?cher verschlungen, die es dar?ber gab. Man muss, wenn man sprengen will, nur wissen, wo man die Ladung anbringt und wie stark sie sein muss. Das konnte ich, Junge, und ich sprengte also, ich sprengte Br?cken und Wohnblocks, Kirchen und Bahn?berf?hrungen, Villen und Stra?enkreuzungen, ich bekam Orden daf?r und wurde bef?rdert: vom Leutnant zum Oberleutnant, vom Oberleutnant zum Hauptmann, und ich bekam Sonderurlaub und Belobigungen, weil ich so gut wusste, wie man sprengen muss. Und am Schluss des Krieges war ich einem General unterstellt, der hatte nur ein Wort im Kopf: Schussfeld. Wei?t du, was Schussfeld ist? Nein?“ F?hmel hob den Billardstock wie ein Schie?gewehr an die Schulter, zielte mit der Spitze nach drau?en, auf den Turm von Sankt Severin. „Siehst du“, sagte er, „wenn ich jetzt auf die Br?cke schie?en wollte, die hinter Sankt Severin liegt, w?rde die Kirche im Schussfeld liegen, also m?sste Sankt Severin gesprengt werden, ganz rasch, sofort und schnell, damit ich auf die Br?cke schie?en k?nnte, und ich sag dir, Hugo, ich h?tte Sankt Severin in die Luft gesprengt, obwohl ich wusste, dass mein General verr?ckt war, und obwohl ich wusste, dass Schussfeld ein leerer Wahn ist, denn von oben, verstehst du, brauchst du kein Schussfeld, und schlie?lich konnte es auch dem einf?ltigsten aller Generale nicht verborgen bleiben, dass inzwischen die Flugzeuge erfunden worden waren, aber meiner war verr?ckt und hatte seine Lektion gelernt: Schussfeld, und ich besorgte es ihm; ich hatte eine gute Mannschaft beisammen: Physiker und Architekten, und wir sprengten, was uns in den Weg kam; das letzte war was Gro?es, was Gewaltiges, ein ganzer Komplex riesiger, sehr solider Geb?ude: eine Kirche, Stallungen, M?nchszellen, ein Verwaltungsgeb?ude, ein Bauernhof, eine ganze Abtei, Hugo – die lag genau zwischen zwei Armeen, einer deutschen und einer amerikanischen —, und ich besorgte der deutschen Armee ihr Schussfeld, das sie gar nicht brauchte; da knieten sich Mauern vor mir nieder, auf den H?fen br?llte das Vieh in den St?llen, und die M?nche verfluchten mich, aber ich war nicht aufzuhalten, die ganze Abtei Sankt Anton im Kissatal sprengte ich, drei Tage vor Kriegsschluss. Korrekt, Junge, immer korrekt, wie du mich kennst.“ Er senkte den Stock, den er immer noch auf sein imagin?res Ziel gerichtet hielt, legte ihn wieder in die Fingerbeuge, stie? die Billardkugel an; wei? rollte sie ?ber gr?n, schlug in wildem Zickzack vom schwarzen Rand zum schwarzen Rand. Dumpf erbrachen die Glocken von Sankt Severin die Zeit, aber wann, wann schlug es elf? „Sieh doch mal nach, Junge, was der L?rm an der T?r bedeutet.“ Noch einmal stie? er zu: rot ?ber gr?n, lie? die Kugeln auslaufen, legte den Stock hin. „Der Herr Direktor bittet Sie, einen Herrn Dr. Nettlinger zu empfangen.“ „W?rdest du einen empfangen, der Nettlinger hei?t?“ „Nein.“ „Zeig mir, wie ich hier herauskomme, ohne durch diese T?r zu m?ssen.“ „Sie k?nnen durch den Speisesaal gehen, Herr Doktor, dann kommen Sie in der Modestgasse heraus.“ „Auf Wiedersehen, Hugo, bis morgen.“ „Auf Wiedersehen, Herr Doktor.“ Kellnerballett, Boyballett: sie deckten die Tische zum Mittagessen, schoben in genau vorgeschriebener Ordnung Teewagen von Tisch zu Tisch, legten Silber auf, wechselten die Blumenvasen aus; statt der wei?en Nelken in schlanken Vasen dem?tige Veilchen in runden Vasen; nahmen Marmeladegl?ser vom Tisch, stellten Weingl?ser, runde f?r roten, schlanke f?r wei?en, auf die Tische; nur eine einzige Ausnahme; Milch f?r die Schafpriesterin, sie sah in der Kristallkaraffe grau aus. F?hmel ging mit leichtem Schritt zwischen den Tischreihen hindurch, schlug den violetten Vorhang beiseite, stieg die Stufen hinunter und stand dem Turm von Sankt Severin gegen?ber. Kapitel IV Leonores Schritte beruhigten ihn; vorsichtig ging sie im Atelier hin und her, ?ffnete Schrankt?ren, hob Kistendeckel, schn?rte Pakete auf, entrollte Zeichnungen; selten kam sie ans Fenster, ihn zu st?ren; nur wenn ein Dokument kein Datum, eine Zeichnung keinen Namen trug. Er hatte die Ordnung immer geliebt und nie gehalten. Leonore w?rde sie schaffen, sie h?ufte, nach Jahren geordnet, auf dem gro?en Atelierboden Dokumente und Zeichnungen, Briefe und Abrechnungen aufeinander; nach f?nfzig Jahren noch zitterte der Boden unter dem Stampfen der Druckereimaschinen; neunzehnhundertsieben, acht, neun, zehn; schon war Leonores Stapeln anzusehen, dass sie mit dem wachsenden Jahrhundert gr??er wurden, neunzehnhundertneun war gr??er als neunzehnhundertacht, zehn gr??er als neun. Leonore w?rde die Kurve seiner T?tigkeiten herausfinden, sie war auf Pr?zision gedrillt. „Ja“, sagte er, „st?ren Sie mich getrost, Kind. Das? Das ist das Krankenhaus in Weidenhammer; ich habe es im Jahr 1924 gebaut, es wurde im September eingeweiht.“ Und sie schrieb mit ihrer s?uberlichen Handschrift auf den Rand der Zeichnung 1924/9. Magere H?ufchen blieben die Kriegsjahre vierzehn bis achtzehn; drei, vier Zeichnungen; ein Landhaus f?r den General, eine Jagdh?tte f?r den Oberb?rgermeister, eine Sebastianus-Kapelle f?r die Sch?tzenbr?der. Urlaubsauftr?ge, mit kostbaren Tagen honoriert; um seine Kinder sehen zu d?rfen, h?tte er den Gener?len kostenlos Schl?sser gebaut. „Nein, Leonore, das war 1935. Franziskanerinnenkloster. Modern? Nat?rlich, ich habe auch moderne Sachen gebaut.“ Immer war ihm der Rahmen des gro?en Atelierfensters wie ein Wechselrahmen erschienen: die Farben des Himmels wechselten, die B?ume in den Hinterh?fen wurden grau, wurden schwarz, wurden gr?n; Blumen auf den Dachg?rten bl?hten, verbl?hten. Kinder spielten auf Bleid?chern, wurden erwachsen, wurden zu Eltern, ihre Eltern zu Gro?eltern; andere Kinder spielten auf den Bleid?chern; nur das Profil der D?cherlinie blieb, es blieb die Br?cke, blieben die Berge, die an klaren Tagen am Horizont sichtbar wurden – bis der zweite Krieg das Profil der D?cherlinie ver?nderte, L?cken wurden gerissen, in denen an sonnigen Tagen silbern, an tr?ben grau der Rhein sichtbar wurde und die Drehbr?cke am alten Hafen dr?ben; l?ngst waren die L?cken wieder geschlossen, spielten Kinder auf Bleid?chern, ging seine Enkelin dr?ben auf dem Kilbschen Bleidach mit Schulb?chern in der Hand auf und ab, wie vor f?nfzig Jahren seine Frau dort auf – und abgegangen war – oder war’s nicht doch Johanna, seine Frau, die an sonnigen Nachmittagen dort Kabale und Liebe[29 - Kabale und Liebe ist ein b?rgerliches Trauerspiel in f?nf Akten von Friedrich Schiller, das am 13. April 1784 in Frankfurt am Main uraufgef?hrt wurde. Das Drama, in dessen Mittelpunkt die ungl?ckliche Liebe zwischen dem Adligen Ferdinand und der Musikertochter Luise steht, thematisiert den St?ndekonflikt zwischen Adel und B?rgertum.] las? Das Telefon klingelte; angenehm, dass Leonore den H?rer abnahm, ihre Stimme dem unbekannten Anrufer Antwort gab. „Cafe Kroner? Ich werde den Herrn Geheimrat fragen.“ „Wieviel Personen am Abend erwartet werden? Geburtstagsfeier?“ Gen?gen die Finger einer Hand, sie aufzuz?hlen? „Zwei Enkel, ein Sohn, ich – und Sie. Leonore, werden Sie mir die Freude machen?“ Also f?nf. Die Finger einer Hand gen?gen. „Nein, keinen Sekt. Alles wie besprochen. Danke, Leonore.“ Wahrscheinlich h?lt sie mich f?r verr?ckt, aber wenn ich’s bin, bin ich’s immer gewesen; ich sah alles voraus, wusste genau, was ich wollte, und wusste, dass ich’s erreichen w?rde; nur eins wusste ich nie, wei? ich bis heute nicht: warum tat ich es? Des Geldes wegen, des Ruhmes wegen, oder nur, weil es mir Spa? machte? Was hab ich gewollt, als ich an diesem Freitagmorgen, am 6. September 1907, vor einundf?nfzig Jahren da dr?ben aus dem Bahnhof trat? Ich hatte mir Handlungen, Bewegungen, einen pr?zisen Tageslauf vorgeschrieben, von dem Augenblick an, da ich die Stadt betrat, eine komplizierte Tanzfigur entworfen, in der ich Solot?nzer und Ballettmeister in einer Person war; Komparserie und Kulissen standen mir kostenlos zur Verf?gung. Zehn Minuten nur blieben mir, bis der erste Tanzschritt getan werden musste: ?ber den Bahnhofsvorplatz hinaus, am Hotel Prinz Heinrich vor?ber, die Modestgasse ?berqueren und ins Cafe Kroner gehen. An meinem neunundzwanzigsten Geburtstag betrat ich die Stadt. Septembermorgen. Droschkeng?ule bewachten ihre schlummernden Herren; Hotelboys in der violetten Uniform des Prinz Heinrich schleppten Koffer hinter G?sten her in den Bahnhof; vor Banken wurden w?rdige Gitter hochgeschoben, rollten mit solidem Ger?usch in Reservekammern; Tauben; Zeitungsverk?ufer; Ulanen; eine Schwadron ritt am Prinz Heinrich vor?ber, der Rittmeister winkte einer Frau mit rosenrotem Hut; sie stand verschleiert auf dem Balkon, warf eine Kusshand zur?ck, klappernde Hufe auf Kopfsteinpflaster; Wimpel im Morgenwind; Orgelt?ne aus der ge?ffneten Kirchent?r von Sankt Severin. Ich war erregt, nahm den Stadtplan aus der Rocktasche, entfaltete ihn und betrachtete den roten Halbkreis, den ich um den Bahnhof herum gezogen hatte; f?nf schwarze Kreuze bezeichneten die Hauptkirche und die vier Nebenkirchen; ich hob die Augen, suchte mir im Morgendunst die vier Kirchturmspitzen zusammen; die f?nfte, Sankt Severin, brauchte ich nicht zu suchen, sie stand vor mir, ihr riesiger Schatten machte mich leise fr?steln; ich senkte die Augen wieder auf meinen Plan: er stimmte; ein gelbes Kreuz bezeichnete das Haus, wo ich Wohnraum und Atelier f?r ein halbes Jahr gemietet und vorausbezahlt hatte: Modestgasse 7, zwischen Sankt Severin und dem Modesttor; dort dr?ben musste es sein, rechts, wo gerade eine Gruppe von Klerikern die Stra?e ?berquerte. Ein Kilometer betrug der Radius des Halbkreises, den ich um den Bahnhof herum gezogen hatte: innerhalb dieser roten Linie wohnte die Frau, die ich heiraten w?rde, ich kannte sie nicht, wusste nicht ihren Namen, wusste nur, dass ich sie aus einem der Patrizierh?user nehmen w?rde, von denen mein Vater mir erz?hlt hatte; der hatte drei Jahre bei den Ulanen hier gedient, Hass in sich eingezogen, Hass auf Pferde und Offiziere, den ich respektierte, ohne ihn zu teilen; ich war froh, dass Vater nicht mehr erleben musste, wie ich selber Offizier wurde: Pionierleutnant der Reserve; ich lachte, ich lachte oft an diesem Morgen vor einundf?nfzig Jahren; ich wusste, dass ich meine Frau aus einem dieser H?user nehmen, dass sie Brodem oder Cusenius, Kilb oder Ferve hei?en w?rde; sie sollte neunzehn sein, kam jetzt, gerade jetzt, in diesem Augenblick aus der Morgenmesse, legte ihr Gebetbuch in der Garderobe ab, kam im rechten Augenblick, um vom Vater den Kuss auf die Stirn zu bekommen, bevor dessen dr?hnender Bass sich durch die Diele zum Kontor hin entfernte; zum Fr?hst?ck a? sie ein Honigbrot, trank eine Tasse Kaffee; ‚Nein, nein, Mutter, bitte kein Ei‘ —, las der Mutter die Balltermine vor. Durfte sie zum Akademikerball? Sie durfte. Êîíåö îçíàêîìèòåëüíîãî ôðàãìåíòà. Òåêñò ïðåäîñòàâëåí ÎÎÎ «ËèòÐåñ». Ïðî÷èòàéòå ýòó êíèãó öåëèêîì, êóïèâ ïîëíóþ ëåãàëüíóþ âåðñèþ (https://www.litres.ru/genrih-bell/billard-um-halb-zehn-bilyard-v-polovine-desyatogo-kniga-dlya-c/?lfrom=688855901) íà ËèòÐåñ. Áåçîïàñíî îïëàòèòü êíèãó ìîæíî áàíêîâñêîé êàðòîé Visa, MasterCard, Maestro, ñî ñ÷åòà ìîáèëüíîãî òåëåôîíà, ñ ïëàòåæíîãî òåðìèíàëà, â ñàëîíå ÌÒÑ èëè Ñâÿçíîé, ÷åðåç PayPal, WebMoney, ßíäåêñ.Äåíüãè, QIWI Êîøåëåê, áîíóñíûìè êàðòàìè èëè äðóãèì óäîáíûì Âàì ñïîñîáîì. notes Ïðèìå÷àíèÿ 1 Der Renouveau catholique (katholische Erneuerung) war eine literarische Bewegung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Frankreich. Seine Ziele waren eine Erneuerung von Literatur und Gesellschaft durch Hinwendung zu den Werten eines urspr?nglichen Katholizismus. 2 L?on Marie Bloy, (* 11. Juli 1846 in P?rigueux; † 3. November 1917 in Bourg-la-Reine bei Paris) war ein franz?sischer Romancier und Essayist. Urspr?nglich vom Symbolismus ausgehend, gilt Bloy, ein christlicher Wahrheitsfanatiker, „ewiger Bettler“, gl?ubiger Katholik und streitbarer Geist. 3 Georges Bernanos (* 20. Februar 1888 in Paris, † 5. Juli 1948 in Neuilly-sur-Seine) war ein franz?sischer Schriftsteller. Behandelte in Romanen den Kampf zwischen Gott und Satan in Menschen. 4 Charles Pierre P?guy (* 7. Januar 1873 in Orl?ans; † 5. September 1914 bei Villeroy) war ein franz?sischer Schriftsteller. Vertreter des Renouveau catholique. 5 Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist (* 18. Oktober, nach Kleists eigenen Angaben 10. Oktober 1777 in Frankfurt (Oder); † 21. November 1811 in Wannsee bei Berlin) war ein preu?ischer Dramatiker, Erz?hler, Lyriker und Publizist. 6 Johann Christian Friedrich H?lderlin (* 20. M?rz 1770 in Lauffen am Neckar; † 7. Juni 1843 in T?bingen) z?hlt zu den bedeutendsten deutschen Lyrikern. 7 Johann Peter Hebel (1760–1826) – deutscher Dichter; Gedichte in alemannischer Mundart; schlicht-humorvolle, feihouse didaktische Kurzenz?hlungen. 8 Franz Kafka (1883–1924) – ?sterreichischen Dichter; sein werk ist Deutung seiner eigenen Existenz und als solche dichterische Gleichnis f?r den Menschen in der absurden Welt, der belastet durch das Gef?hl einer existentiellen Schuld, in Erwartung eines urteils lebt. 9 Societas f = Gesellschaft f 10 Aloisius von Gonzaga (*9. M?rz 1568 in Castiglione delle Stiviere (bei Mantua, Norditalien), † 21. Juni 1591 in Rom) – Schutzpatron der Jugend geh?rt zu den in jungen Jahren gestorbenen Heiligen. Aloisius wurde heilig gesprochen im Jahr 1726. 11 Saffianm = (feines) Ziegenleder 12 in natura = in Wirklichkeit 13 Beelzebub (auch Belzebub, Beelzebul, Beelzebock) m – Teufel. 14 Asmodis (gr. Asmaidos lat. Asmodaeus, Asmod?us, hebr. Aschmedai (Talmud)) – ein D?mon aus der Mythologie des Judentums (Buch Tobit 3,8,17). 15 Die Zeile aus dem Gedicht von H?lderlin „Wie wenn am Feiertage“. 16 Antinoos (latinisiert Antinous; * 27. November zwischen 110 und 115 in Bithynion-Klaudiopolis, Bithynien; † am oder kurz vor dem 30. Oktober 130 im Nil bei Besa) war ein G?nstling und vermutlich Geliebter des r?mischen Kaisers Hadrian. Nach seinem Tod wurde er zum Gott erkl?rt und verehrt. Ideal jugendlicher Sch?nheit. 17 Sextanerm – Sch?ler der Sexta (ersterklasse eines Gymnasiums). 18 Die erste Zeile Georg Trakls Gedichtes „Verfall“. Georg Trakl (* 3. Februar 1887 in Salzburg, ?sterreich; † 3. November 1914 in Krakau, Galizien) war ein ?sterreichischer Lyriker und bedeutender Dichter des deutschsprachigen Expressionismus. 19 Verdun ist eine Stadt an der Maas (frz. la Meuse) im Nordosten Frankreichs mit etwa 23.000 Einwohnern. Die Schlacht um Verdun war die gr??te Schlacht des Ersten Weltkrieges. Sie begann am 21. Februar 1916 mit einem Angriff deutscher Truppen auf die franz?sischen Stellungen bei Verdun. Sie endete am 20. Dezember 1916 ohne wesentliche Verschiebung des Frontverlaufs. 20 Ch?teau-Thierry ist eine Stadt im Nordosten Frankreichs ungef?hr 90 km nord?stlich der Hauptstadt Paris. Die Stadt war auch Schauplatz einer wichtigen Schlacht des ersten Weltkrieges im Jahre 1918 zwischen amerikanischen und deutschen Truppen. 21 „Weide meine L?mmer“ – die Weisung Christi an Petrus, von der die katholische Kirche ihren Anspruch auf die Nachfolgeschaft Jesu herleitet (Evangelium Johannes 21, 1. 15 – 19). 22 Als Allg?u wird die Landschaft im S?den des bayerischen Regierungsbezirks Schwaben, sowie ein kleiner Teil Baden-W?rttembergs bezeichnet. Der Westerwald ist ein maximal 657 m hohes deutsches Mittelgebirge in den deutschen Bundesl?ndern Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Gemeinde Bad Gastein (bis 1996: Badgastein) ist ein Kur- und Wintersportort im Gasteinertal, am Fu? des Graukogels im Naturpark Hohe Tauern. Neben den Kuranwendungen bietet das Tal Gelegenheit zu Erholung und Sport w?hrend des ganzen Jahres. 23 B?ffel und Lamm als Gegensatzpaar. Der B?ffel als Sinnbild der blinden Gewaltigkeit, der rohen k?rperlichen Kraft, das Lamm als Verk?rperung der Sanftmut und der Milde, der Aufopferung und der Ents?hnung. Das Lamm ist altchristlichen Ursprungs und bezeichnet sowohl den christlichen Gl?ubigen als auch Christus selbst. 24 B?ll versucht mit dieser Sekte die parodistische Umkehr der Lamm-Ideologie. 25 Canasta (von span. canasta: Korb) – ein Kartenspiel f?r vier Personen in zwei Partnerschaften; es existieren auch Varianten f?r zwei, drei, f?nf oder sechs Personen. 26 Ein Schnellzug (in Deutschland und ?sterreich auch D-Zug) ist eine Zuggattung der Eisenbahn und bezeichnet Z?ge, die nicht auf allen Unterwegsbahnh?fen halten Zum Sommerfahrplan 1951 f?hrte die DB eine neue Zuggattung, den Fernzug ein. Diese Z?ge verbanden in individuellen Fahrpl?nen die neuen Wirtschaftszentren der Bundesrepublik untereinander. Sie f?hrten die Zuggattungsbezeichnung „F“ f?r Fernzug und f?hrten bis 1956 nur die damalige erste und zweite Wagenklasse, danach ausschlie?lich die erste Klasse. Die Fernz?ge wurden ab 1971 durch den InterCity-Zug abgel?st. In der Zuggattung Eilzug (E) waren ?ber mittelgro?e Entfernungen (meistens zwischen zwei Ballungsr?umen) verkehrende Z?ge zusammen gefasst, die nur in wichtigeren Bahnh?fen hielten. In einigen Verkehrsverb?nden gibt es Stadtbahnen, auf denen einige Kurse mit wenigen Halten als Eilzug fahren. Nachfolger des Eilzuges ist heute der RegionalExpress. Der FernExpress war eine Zuggattung mit erster und zweiter Klasse mit dem traditionsreichem K?rzel FD, die zum Sommerfahrplan 1983 von der DB eingef?hrt wurde. Diese mit eigenen Namen versehenen Z?ge verbanden in der Regel den Gro?raum Hamburg oder das Ruhrgebiet mit Ferienzentren in S?ddeutschland, teilweise f?hrten diese Z?ge auch ins Ausland. Trans Europ Express (TEE) waren elegante, komfortable Schnellz?ge, die zwischen den Staaten der ehemaligen EWG (Europ?ische Wirtschaftsgemeinschaft) sowie der Schweiz verkehrten. Sie f?hrten ausschlie?lich Wagen der ersten Klasse. 27 Karl Friedrich May, eigentlich Carl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. M?rz 1912 in Radebeul) war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Abenteuerschriftsteller und z?hlte jahrzehntelang zu den meistgelesenen Schriftstellern Deutschlands. Bekannt wurde er vor allem durch seine so genannten Reiseerz?hlungen, die vorwiegend im Orient und in den Vereinigten Staaten und Mexiko angesiedelt sind. Viele seiner Werke wurden verfilmt, f?r die B?hne adaptiert, zu H?rspielen verarbeitet oder als Comics umgesetzt. 28 Worte aus dem Ordinariumstext, feststehendem Messtext der r?misch-katholischen Kirche. 29 Kabale und Liebe ist ein b?rgerliches Trauerspiel in f?nf Akten von Friedrich Schiller, das am 13. April 1784 in Frankfurt am Main uraufgef?hrt wurde. Das Drama, in dessen Mittelpunkt die ungl?ckliche Liebe zwischen dem Adligen Ferdinand und der Musikertochter Luise steht, thematisiert den St?ndekonflikt zwischen Adel und B?rgertum.
Íàø ëèòåðàòóðíûé æóðíàë Ëó÷øåå ìåñòî äëÿ ðàçìåùåíèÿ ñâîèõ ïðîèçâåäåíèé ìîëîäûìè àâòîðàìè, ïîýòàìè; äëÿ ðåàëèçàöèè ñâîèõ òâîð÷åñêèõ èäåé è äëÿ òîãî, ÷òîáû âàøè ïðîèçâåäåíèÿ ñòàëè ïîïóëÿðíûìè è ÷èòàåìûìè. Åñëè âû, íåèçâåñòíûé ñîâðåìåííûé ïîýò èëè çàèíòåðåñîâàííûé ÷èòàòåëü - Âàñ æä¸ò íàø ëèòåðàòóðíûé æóðíàë.