Çàéòè çà ÷åòâåðòü ÷àñà äî çàêàòà  âåñåííèé ëåñ è òåðïåëèâî æäàòü, Íåïðîèçâîëüíî åæàñü – ñûðîâàòî, Íî âñå ðàâíî, êàêàÿ áëàãîäàòü! Òåìíååò áûñòðî âíóòðåííîñòü ëåñíàÿ, È ñâåò çàðè, ñêîëüçÿùèé ïî ñòâîëàì Äåðåâüåâ âåêîâûõ, íåçðèìî òàåò  âåðõóøêàõ ñîííûõ. Ñëûøíî, ãäå-òî òàì Êðè÷èò ïðîòÿæíî èâîëãà. È òðåëè Âåñåííèõ ñîëîâüåâ ðîáêÈ ïîêà. Âçëåòåâøèé âåò

Mephisto / Ìåôèñòîôåëü. Êíèãà äëÿ ÷òåíèÿ íà íåìåöêîì ÿçûêå

mephisto-
Àâòîð:
Òèï:Êíèãà
Öåíà:165.00 ðóá.
Èçäàòåëüñòâî: ÊÀÐÎ
Ãîä èçäàíèÿ: 2007
ßçûê: Íåìåöêèé
Ïðîñìîòðû: 190
Ñêà÷àòü îçíàêîìèòåëüíûé ôðàãìåíò
ÊÓÏÈÒÜ È ÑÊÀ×ÀÒÜ ÇÀ: 165.00 ðóá. ×ÒÎ ÊÀ×ÀÒÜ è ÊÀÊ ×ÈÒÀÒÜ
Mephisto / Ìåôèñòîôåëü. Êíèãà äëÿ ÷òåíèÿ íà íåìåöêîì ÿçûêå Êëàóñ Ìàíí Èðèíà Îëåãîâíà Ñèòíèêîâà Originallekt?re Deutsch Êëàóñ Ìàíí (1906-1949) – íåìåöêèé ïèñàòåëü è æóðíàëèñò, ñûí Òîìàñà Ìàííà.  ðîìàíå «Ìåôèñòîôåëü» (1936) ñàòèðè÷åñêè òðàêòóåòñÿ òåìà «ñîó÷àñòèÿ» ëþäåé, íå ïðîòèâîñòîÿâøèõ ôàøèçìó âíóòðè Ãåðìàíèè. Îðèãèíàëüíûé òåêñò ñíàáæåí ïîñòðàíè÷íûìè êîììåíòàðèÿìè è ñëîâàðåì. Klaus Mann / Êëàóñ Ìàíí Mephisto / Ìåôèñòîôåëü. Êíèãà äëÿ ÷òåíèÿ íà íåìåöêîì zpsrt Der Schauspielerin Therese Giehse gewidmet Alle Fehler des Menschen verzeih ich dem Schauspieler, keine Fehler des Schauspielers verzeih ich dem Menschen.     Goethe, „Wilhelm Meister“ © ÊÀÐÎ, 2007 Vorspiel 1936 „In einem der westdeutschen Industriezentren sollen neulich ?ber achthundert Arbeiter verurteilt worden sein, alle zu hohen Zuchthausstrafen, und das im Laufe eines einzigen Prozesses.“ „Nach meinen Informationen sind es nur f?nfhundert gewesen; ?ber hundert andere hat man erst gar nicht abgeurteilt, sondern heimlich umbringen lassen, ihrer Gesinnung wegen.“ „Sind die L?hne wirklich so entsetzlich schlecht?“ „Miserabel. Dabei fallen sie noch – und die Preise steigen.“ „Die Dekorierung des Opernhauses f?r heute abend soll sechzigtausend Mark gekostet haben. Dazu kommen mindestens noch vierzigtausend Mark andere Spesen – nicht mitgerechnet die Unkosten, die es der ?ffentlichen Kasse gemacht hat, das Opernhaus, wegen der Vorbereitungen f?r den Ball, f?nf Tage lang geschlossen zu halten.“ „Eine nette kleine Geburtstagsfeier.“ „Ekelhaft, dass man den Rummel mitmachen muss.“ Die beiden jungen ausl?ndischen Diplomaten verneigten sich, auf den Gesichtern das liebensw?rdigste L?cheln, vor einem Offizier in gro?er Uniform, der hinter seinem Monokel einen misstrauischen Blick auf sie geworfen hatte. „Die ganze hohe Generalit?t ist da.“ Sie sprachen erst wieder, als sie die gro?e Uniform au?er H?rweite wussten. „Aber sie sind alle f?r den Frieden begeistert“, f?gte der andere boshaft hinzu. „Wie lange noch?“ fragte fr?hlich l?chelnd der erste, wobei er eine kleine Dame von der japanischen Botschaft begr??te, die am Arm eines h?nenhaften Marineoffiziers klein und zierlich einherschritt. „Wir m?ssen auf alles gefasst sein.“ Ein Herr vom Ausw?rtigen Amt gesellte sich zu den beiden jungen Botschaftsattaches, die sofort dazu ?bergingen, Pracht und Sch?nheit der Saaldekoration zu preisen. „Ja, der Herr Ministerpr?sident hat Freude an diesen Dingen“, sagte, etwas verlegen, der Herr vom Ausw?rtigen Amt. – „Aber es ist alles geschmackvoll“, versicherten die beiden jungen Diplomaten, beinah im gleichen Atem. – „Gewiss“, sprach gequ?lt der Herr aus der Wilhelmstra?e[1 - Wilhelmstra?e: eine Stra?e in den Berliner Ortsteilen Mitte und Kreuzberg. Sie war der Sitz wichtiger Regierungsbeh?rden Preu?ens und des Deutschen Reiches. Bis 1945 war der Begriff „Wilhelmstra?e“ ein Synonym f?r diedeutsche Regierung.]. – „Eine so prachtvolle Veranstaltung kann man heute nirgends als in Berlin finden“, sagte einer der beiden Ausl?nder noch. Der Herr vom Au?enministerium z?gerte eine Sekunde lang, ehe er sich zu einem, h?flichen L?cheln entschloss. Es entstand eine Gespr?chspause. Die drei Herren blickten um sich und lauschten dem festlichen L?rm. „Kolossal“, sagte schlie?lich einer von den beiden jungen Leuten leise – diesmal ohne jeden Sarkasmus, sondern wirklich beeindruckt, beinah ver?ngstigt von dem riesenhaften Aufwand, der ihn umgab. Das Flimmern der von Lichtern und Wohlger?chen ges?ttigten Luft war so stark, dass es ihm die Augen blendete. Ehrfurchtsvoll, aber misstrauisch blinzelte er in den bewegten Glanz. ,Wo bin ich nur?’ dachte der junge Herr – er kam aus einem der skandinavischen L?nder —. ,Der Ort, an dem ich mich befinde, ist ohne Frage sehr lieblich und verschwenderisch ausgestattet; dabei aber auch etwas grauenhaft. Diese sch?n geputzten Menschen sind von einer Munterkeit, die nicht gerade vertrauenerweckend wirkt. Sie bewegen sich wie die Marionetten – sonderbar zuckend und eckig. In ihren Augen lauert etwas, ihre Augen haben keinen guten Blick, es gibt in ihnen soviel Angst und soviel Grausamkeit. Bei mir zu Hause schauen die Leute auf eine andere Art – sie schauen freundlicher und freier bei mir zu Hause. Man lacht auch anders bei uns droben im Norden. Hier haben die Gel?chter etwas H?hnisches und etwas Verzweifeltes; etwas Freches, Provokantes, und dabei etwas Hoffnungsloses, schauerlich Trauriges. So lacht doch niemand, der sich wohl f?hlt in seiner Haut. So lachen doch M?nner und Frauen nicht, die ein anst?ndiges, vern?nftiges Leben f?hren…’ Der gro?e Ball zum dreiundvierzigsten Geburtstag des Ministerpr?sidenten fand in allen R?umen des Opernhauses statt. In den ausgedehnten Foyers, in den Couloirs und Vestib?len bewegte sich die geputzte Menge. Sie lie? Sektpfropfen knallen in den Logen, deren Br?stungen mit kostbaren Draperien beh?ngt waren; sie tanzte im Parkett, aus dem man die Stuhlreihen entfernt hatte. Das Orchester, das auf der leerger?umten B?hne seinen Platz hatte, war umfangreich, als sollte es eine Symphonie auff?hren, mindestens von Richard Strauss. Es spielte aber nur, in keckem Durcheinander, Milit?rm?rsche und jene Jazzmusik, die zwar wegen niggerhafter Unsittlichkeit verp?nt war im Reiche, die aber der hohe W?rdentr?ger auf seinem Jubelfeste nicht entbehren wollte. Hier hatte alles sich eingefunden, was in diesem Lande etwas gelten wollte, niemand fehlte – au?er dem Diktator selbst, der sich wegen Halsschmerzen und angegriffener Nerven hatte entschuldigen lassen, und au?er einigen etwas plebejischen Parteiprominenten, die nicht eingeladen worden waren. Hingegen bemerkte man mehrere kaiserliche und k?nigliche Prinzen, viele F?rstlichkeiten und fast den ganzen Hochadel; die gesamte Generalit?t der Wehrmacht, sehr viel einflussreiche Finanziers und Schwerindustrielle; verschiedene Mitglieder des diplomatischen Korps – meistens von den Vertretungen kleinerer oder weit entfernter L?nder —; einige Minister, einige ber?hmte Schauspieler – die huldvolle Schw?che des Jubilars f?r das Theater war bekannt – und sogar einen Dichter, der sehr dekorativ aussah und ?brigens die pers?nliche Freundschaft des Diktators genoss. ?ber zweitausend Einladungen waren verschickt worden; von diesen waren etwa tausend Ehrenkarten, die zum unentgeltlichen Genuss des Festes berechtigten; von den Empf?ngern der ?brigen tausend hatte jeder f?nfzig Mark Eintritt zahlen m?ssen: So kam ein Teil der ungeheuerm Spesen wieder herein – der Rest blieb zu Lasten jener Steuerzahler, die nicht zum n?hereil Umgang des Ministerpr?sidenten und also keineswegs zur Elite der neuen deutschen Gesellschaft geh?rten. „Ist es nicht ein wundersch?nes Fest!“ rief die umfangreiche Gattin eines rheinischen Waffenfabrikanten der Frau eines s?damerikanischen Diplomaten zu. „Ach, ich am?siere mich gar zu gut! Ich bin so gl?nzender Laune, und ich w?nschte mir, dass alle Menschen in Deutschland, und ?berall, gl?nzender Laune w?rden!“ Die s?damerikanische Diplomatenfrau, die nicht gut Deutsch verstand und sich langweilte, l?chelte s?uerlich. Die muntere Gattin des Fabrikanten war von solchem Mangel an Enthusiasmus entt?uscht und entschloss sich dazu, weiter zu promenieren. „Entschuldigen Sie mich, meine Liebe!“ sagte sie fein und raffte die glitzernde Schleppe. „Ich muss eben mal eine alte Freundin aus K?ln begr??en – die Mutter unseres Staatstheaterintendanten, Sie wissen doch, des gro?en Hendrik H?fgen.“ Hier tat die S?damerikanerin zum erstenmal den Mund auf, um zu fragen: „Who is Henrik Hopfgen?“ – was die Fabrikantengattin veranlasste, leise aufzuschreien: „Wie?! Sie kennen unseren H?fgen nicht? H?fgen, meine Beste – nicht Hopfgen! Und Hendrik, nicht Henrik – er legt gr??ten Wert auf das kleine ,d’!“ Dabei war sie schon auf die distinguierte Matrone zugeeilt, die am Arme des Dichters und F?hrerfreundes w?rdevoll durch die S?le schritt. „Liebste Frau Bella! Es ist eine Ewigkeit her, dass man sich nicht gesehen hat! Wie geht es Ihnen denn, Liebste? Haben Sie manchmal Heimweh nach unserem K?ln? Aber Sie befinden sich hier ja in einer so gl?nzenden Position! Und wie geht es Fr?ulein Josy, dem lieben Kind? Vor allem: Was macht Hendrik – Ihr gro?er Sohn! Himmel, was ist aus ihm alles geworden! Er ist ja fast so bedeutend wie ein Minister! Jaja, liebste Frau Bella, wir in K?ln haben alle Sehnsucht nach Ihnen und Ihren herrlichen Kindern!“ In Wahrheit hatte sich die Million?rin niemals um Frau Bella H?fgen gek?mmert, als diese noch in K?ln gelebt und ihr Sohn die gro?e Karriere noch nicht gemacht hatte. Die Bekanntschaft zwischen den beiden Damen war nur eine fl?chtige gewesen; niemals war Frau Bella eingeladen worden in die Villa des Fabrikanten. Nun aber wollte die lustige und gem?tvolle Reiche die Hand der Frau, deren Sohn man zu den nahen Freunden des Ministerpr?sidenten z?hlte, gar nicht mehr loslassen. Frau Bella l?chelte huldvoll. Sie war sehr einfach, aber nicht ohne eine gewisse ehrbare Koketterie gekleidet; auf ihrer schwarzen, glatt flie?enden Seidenrobe leuchtete eine wei?e Orchidee. Das graue, schlicht frisierte Haar bildete einen pikanten Kontrast zu ihrem ziemlich jung gebliebenen, mit dezenter Sorgfalt hergerichteten Gesicht. Aus weiten, gr?nblauen Augen schaute sie mit einer reservierten, nachdenklichen Freundlichkeit auf die geschw?tzige Dame, die den lebhaften deutschen Kriegsvorbereitungen ihr wundervolles Kollier, ihre langen Ohrgeh?nge, die Pariser Toilette und all ihren Glanz verdankte. „Ich kann nicht klagen, es geht uns allen recht gut“ sprach mit stolzer Bescheidenheit Frau H?fgen. „Josy hat sich mit dem jungen Grafen Donnersberg verlobt. Hendrik ist ein wenig ?beranstrengt, er hat rasend zu tun.“ „Das kann ich mir denken.“ Die Industrielle schaute respektvoll. „Darf ich Ihnen unseren Freund C?sar von Muck vorstellen“, sagte Frau Bella. Der Dichter neigte sich ?ber die geschm?ckte Hand der reichen Dame, die sofort wieder zu schw?tzen begann. „Ungeheuer interessant, ich freue mich wirklich, habe Sie sofort nach den Fotografien erkannt. Ihr ,Tannenberg’-Drama habe ich in K?ln bewundert, eine recht gute Auff?hrung, nat?rlich fehlen die ?berragenden Leistungen, wie man sie in Berlin jetzt gew?hnt ist, aber wirklich recht anst?ndig, ohne Frage sehr achtbar. Und Sie, Herr Staatsrat – Sie haben doch inzwischen eine so gro?artige Reise gemacht, alle Welt spricht von Ihrem Reisebuch, ich will es mir dieser Tage besorgen.“ „Ich habe viel Sch?nes und viel H?ssliches gesehen in der Fremde“, sagte der Dichter schlicht. „Jedoch reiste ich durch die Lande nicht nur als Schauender, nicht nur als Genie?ender, sondern mehr noch als Wirkender, Lehrender. Mich deucht, es ist mir gelungen, dort drau?en neue Freunde f?r unser neues Deutschland zu werben.“ Mit seinen stahlblauen Augen, deren durchdringende und feurige Reinheit in vielen Feuilletons gepriesen wurde, taxierte er den kolossalen Schmuck der Rheinl?nderin. ,Ich k?nnte in ihrer Villa wohnen, wenn ich das n?chste Mal in K?ln einen Vortrag oder eine Premiere habe’, dachte er, w?hrend er weitersprach: „Es ist f?r unseren geraden Sinn unfassbar, wieviel L?ge, wieviel boshaftes Missverst?ndnis ?ber unser Reich im Umlauf sind – drau?en in der Welt.“ Sein Gesicht war so beschaffen, dass jeder Reporter es „holzgeschnitten“ nennen musste: zerfurchte Stirne, Stahlauge unter blonder Braue und ein verkniffener Mund, der leicht s?chsischen Dialekt sprach. Die Waffenfabrikantin war sehr beeindruckt, von seinem Aussehen wie von seiner edlen Rede. „Ach“, schaute sie ihn schw?rmerisch an. „Wenn Sie einmal nach K?ln kommen, m?ssen Sie uns unbedingt besuchen!“ Staatsrat C?sar von Muck, Pr?sident der Dichterakademie und Verfasser des ?berall gespielten „Tannenberg“-Dramas, verneigte sich mit ritterlichem Anstand: „Es wird mir eine echte Freude sein, gn?dige Frau.“ Dabei legte er sogar die Hand aufs Herz. Die Industrielle fand ihn wundervoll. „Wie k?stlich es sein wird, Ihnen einen ganzen Abend zuzuh?ren, Exzellenz[2 - Exzellenz: verwendet als Anrede oder Titel f?r hohe Diplomaten.]!“ rief sie aus. „Was Sie alles erlebt haben m?ssen! Sind Sie nicht auch schon Staatstheaterintendant gewesen?“ Diese Frage wurde als taktlos empfunden, und zwar sowohl von der distinguierten Frau Bella als auch vom Autor der „Tannenberg“-Trag?die. Dieser sagte denn auch nur, mit einer gewissen Sch?rfe: „Gewiss.“ Die reiche K?lnerin merkte nichts. Vielmehr sprach sie noch, mit durchaus deplacierter Schelmerei: „Sind Sie denn da nicht ein klein bisschen eifers?chtig, Herr Staatsrat, auf unseren Hendrik, Ihren Nachfolger?“ Nun drohte sie auch noch mit dem Finger. Frau Bella wusste nicht, wohin sie blicken sollte. C?sar von Muck aber bewies, dass er weltm?nnisch und ?berlegen war, und zwar in einem Grade, der an Edelmut grenzt. ?ber sein Holzschnittgesicht ging ein L?cheln, das nur in seinen ersten Anf?ngen etwas bitter schien, dann aber milde, gut und sogar weise wurde. „Ich habe diese schwere Last gerne – ja, von Herzen gerne an meinen Freund H?fgen abgegeben, der wie kein anderer berufen ist, sie zu tragen.“ Seine Stimme bebte; er war stark ergriffen von der eigenen Gro?mut und von der Sch?nheit seiner Gesinnung. Frau Bella, die Mutter des Intendanten, zeigte eine beeindruckte Miene; die Lebensgef?hrtin des Kanonenk?nigs aber war derartig ger?hrt von der edlen und majest?tischen Haltung des ber?hmten Dramatikers, dass sie beinahe weinen musste. Mit tapferer Selbst?berwindung schluckte sie die Tr?nen hinunter; tupfte sich die Augen fl?chtig mit dem Seident?chlein und sch?ttelte die weihevolle Stimmung mit einem sichtbaren Ruck von sich ab. In ihr siegte die typisch rheinische Munterkeit; sie schaute wieder strahlend und jubilierte: „Ist es nicht ein ganz herrliches Fest?!“ Es war ein ganz herrliches Fest, dar?ber konnte gar kein Zweifel bestehen. Wie das glitzerte, duftete, rauschte! Gar nicht festzustellen, was mehr Glanz verbreitete: die Juwelen oder die Ordenssterne. Das verschwenderische Licht der Kronleuchter spielte und tanzte auf den entbl??ten, wei?en R?cken und den sch?n bemalten Mienen der Damen; auf den Specknacken, gest?rkten Hemdbr?sten oder betressten Uniformen feister Herren; auf den schwitzenden Gesichtern der Lakaien, die mit den Erfrischungen umherliefen. Es dufteten die Blumen, die in sch?nem Arrangement verteilt waren, durch das ganze Lusthaus; es dufteten die Pariser Parf?ms all der deutschen Frauen; es dufteten die Zigarren der Industriellen und die Pomaden der schlanken J?nglinge in ihren kleidsam knappen SS[3 - SS: eine Art milit?risch organisierter Polizei in der Zeit des Nationalsozialismus.]-Uniformen; es dufteten die Prinzen und die Prinzessinnen, die Chefs der Geheimen Staatspolizei, die Feuilletonchefs, die Filmdivas, die Universit?tsprofessoren, die einen Lehrstuhl f?r Rassenoder Wehrwissenschaft innehatten, und die wenigen j?dischen Bankiers, deren Reichtum und internationale Beziehungen so gewaltig waren, dass man sie sogar an dieser exklusiven Veranstaltung teilhaben lie?. Man verbreitete Wolken k?nstlichen Wohlgeruchs, als g?lte es, ein anderes Aroma nicht aufkommen zu lassen – den faden, s??lichen Gestank des Blutes, den man zwar liebte und von dem das ganze Land erf?llt war, dessen man sich aber bei so feinem Anlass und in Gegenwart der fremden Diplomaten ein wenig sch?mte. „Tolle Sache“, sagte ein hoher Herr von der Reichswehr zum anderen. „Was der Dicke sich alles leistet!“ „Solange wir es uns gefallen lassen“, sagte der zweite. Sie machten gutgelaunte Gesichter; denn sie wurden fotografiert. „Lotte soll ein Kleid anhaben, das dreitausend Mark kostet“, erz?hlte eine Filmschauspielerin dem Hohenzollernprinzen[4 - Hohenzollern: Das Haus Hohenzollern ist eines der bedeutendsten deutschen F?rstengeschlechter, urspr?nglich aus dem schw?bischen Raum. Es untergliederte sich seit dem Mittelalter in mehrere Haupt- und Nebenlinien, von denen einige wieder erloschen sind. Die (urspr?nglich fr?nkische) Linie Brandenburg-Preu?en stellte ab 1701 die preu?ischen K?nige und von 1871 bis 1918 die Deutschen Kaiser. Das Haus Hohenzollern stellte au?erdem von 1866 bis 1947 die rum?nischen K?nige.], mit dem sie tanzte. Lotte war das Eheweib des Gewaltigen mit den vielen Titeln, der sich zu seinem dreiundvierzigsten Geburtstag feiern lie? wie ein M?rchenprinz. Lotte war eine Provinzschauspielerin gewesen und galt als herzensgute, schlichte, urdeutsche Frau. An ihrem Hochzeitstage hatte der M?rchenprinz zwei Proleten[5 - Prolet: jemand, der sehr schlechte Manieren hat.] hinrichten lassen. Der Hohenzollernprinz sagte: „Einen solchen Aufwand hat meine Familie niemals getrieben. – Wann wird das hohe Paar denn ?brigens Einzug halten? Unsere Erwartung soll wohl auf das ?u?erste gesteigert werden!“ „Lottchen versteht’s“, meinte sachlich die ehemalige Kollegin der Landesmutter. – Ein ausgesprochen herrliches Fest: Alle Anwesenden schienen es aufs intensivste zu genie?en, sowohl die mit den Ehrenkarten als auch die anderen, die f?nfzig Mark hatten zahlen m?ssen, um dabeisein zu d?rfen. Man tanzte, schwatzte, flirtete; man bewunderte sich selber, die anderen und am meisten die Macht, die sich so ?ppige Veranstaltungen wie diese g?nnen durfte. In den Logen und Wandelg?ngen, an den verf?hrerischen B?fetts waren die Konversationen sehr lebhaft. Man diskutierte ?ber die Toiletten der Damen, ?ber das Verm?gen der Herren und ?ber die Preise, welche die Wohlt?tigkeitstombola bringen w?rde: Als das wertvollste St?ck wurde ein Hakenkreuz aus Brillanten genannt, etwas sehr Niedliches und Teures, als Brosche oder als Anh?nger an einem Kollier zu tragen. Eingeweihte wollten wissen, dass es auch h?chst am?sante Trostpreise geben w?rde, zum Beispiel naturgetreu nachgebildete Tanks und Maschinengewehre aus L?becker Marzipan. Einige Damen behaupteten launig, dass sie noch lieber ein Mordinstrument aus so s??em Stoff haben wollten als das kostbare Hakenkreuz. Es wurde viel und herzlich gelacht. Mit ged?mpfteren Stimmen besprach man sich ?ber die politischen Hintergr?nde der Veranstaltung. Es fiel auf, dass der Diktator abgesagt hatte und mehrere Parteiprominente nicht eingeladen worden waren; dass man aber Mitglieder der f?rstlichen Familien in so gro?er Anzahl anwesend sah. An diesen Umstand kn?pften sich mancherlei dunkle und bedeutungsvolle Ger?chte, die man sich im Fl?stert?ne weitergab. Auch ?ber den Gesundheitszustand des Diktators wollte der oder jener finstere Neuigkeiten wissen; man besprach sie leise und leidenschaftlich, sowohl im Kreise der ausw?rtigen Pressevertreter und Diplomaten als auch bei den Herren von der Reichswehr und der Schwerindustrie. „Es scheint also doch Krebs zu sein“, berichtete hinter vorgehaltenem Taschentuch ein Herr von der englischen Presse dem Pariser Kollegen. Bei diesem aber war er an den Falschen geraten. Pierre Larue hatte das Aussehen eines h?chst gebrechlichen, dabei recht t?ckischen Zwerges; schw?rmte aber f?r den Heroismus und f?r die sch?nen uniformierten Burschen des neuen Deutschland. ?brigens war er kein Journalist, sondern ein reicher Mann, der verklatschte B?cher ?ber das gesellschaftliche, literarische und politische Leben der europ?ischen Hauptst?dte schrieb und dessen Lebensinhalt es bedeutete, ber?hmte Bekanntschaften zu sammeln. Dieser ebenso groteske wie anr?chige kleine Kobold, mit dem spitzen Gesichtchen und der lamentierenden Fistelstimme einer kr?nklichen alten Dame, verachtete die Demokratie seines eigenen Landes und erkl?rte jedem, der es h?ren wollte, dass er Clemenceau[6 - Clemenceau, Georges Benjamin, frz. Staatsmann; 1906 bis 1909 und 1917 bis 1920 Minister-Pr?sident; setzte die frz. Forderungen gegen?ber Deutschland im Versailler Vertrag durch.] f?r einen Schurken und Briand[7 - Briand, Aristide, frz. Staatsmann; war elfmal Ministerpr?sident, 1925 bis 1932 Au?enminister, beteiligt am Locarno-Pakt.] f?r einen Idioten halte, jeden h?heren Gestapobeamten jedoch f?r einen Halbgott und die Spitzen des neudeutschen Regimes f?r eine Garnitur von tadellosen G?ttern. „Was verbreiten Sie f?r infamen Unsinn, mein Herr!“ Das M?nnchen schaute erschreckend boshaft; seine Stimme raschelte d?rr wie gefallenes Laub. „Der Gesundheitszustand des F?hrers l?sst nichts zu w?nschen ?brig. Er ist nur ein bisschen erk?ltet.“ Diesem kleinen Scheusal war es zuzutrauen, dass er hinging und denunzierte. Der englische Korrespondent wurde nerv?s; er versuchte, sich zu rechtfertigen: „Ein italienischer Kollege hat mir im Vertrauen so etwas angedeutet…“ Aber der schm?chtige Liebhaber prall gef?llter Uniformen schnitt ihm mit Strenge das Wort ab: „Genug, mein Herr! Ich will nichts mehr h?ren! Das ist alles unverantwortliches Geschw?tz! – Entschuldigen Sie“, f?gte er sanfter hinzu. „Ich muss den Exk?nig von Bulgarien begr??en. Die Prinzessin von Hessen ist bei ihm, ich habe die Bekanntschaft Ihrer Hoheit am Hofe ihres Vaters in Rom gemacht.“ Er rauschte davon, die bleichen und spitzen H?ndchen auf der Brust gefaltet, in der Haltung und mit dem Gesichtsausdruck eines intriganten Abb?s[8 - Abb? [frz. „Abt“]: in Frankreich Titel des Weltgeistlichen.]. Der Engl?nder murmelte hinter ihm her: „Damned snob[9 - Damned snob: verdammter Snob.].“ Eine Bewegung ging durch den Saal, es gab ein h?rbares Rauschen: Der Propagandaminister war eingetreten. Man hatte ihn heute abend nicht hier erwartet, alle wussten um seine gespannte Beziehung zu dem fetten Geburtstagskind – das sich ?brigens seinerseits noch immer verborgen hielt, um aus seinem Entree dann den ganz gro?en Clou zu machen. Der Propagandaminister – Herr ?ber das geistige Leben eines Millionenvolkes – humpelte behende durch die gl?nzende Menge, die sich vor ihm verneigte. Eine eisige Luft schien zu wehen, wo er vorbeiging. Es war, als sei eine b?se, gef?hrliche, einsame und grausame Gottheit herniedergestiegen in den ordin?ren Trubel genusss?chtiger, feiger und erb?rmlicher Sterblicher. Einige Sekunden lang war die ganze Gesellschaft wie gel?hmt von Entsetzen. Die Tanzenden erstarrten mitten in ihrer anmutigen Pose, und ihr scheuer Blick hing, zugleich dem?tig und hassvoll, an dem gef?rchteten Zwerg. Der versuchte durch ein charmantes L?cheln, welches seinen mageren, scharfen Mund bis zu den Ohren hinaufzerrte, die schauerliche Wirkung, die von ihm ausging, ein wenig zu mildern; er gab sich M?he, zu bezaubern, zu vers?hnen und seine tiefliegenden, schlauen Augen freundlich blicken zu lassen. Seinen Klumpfu? grazi?s hinter sich her ziehend, eilte er gewandt durch den Festsaal und zeigte dieser Gesellschaft von zweitausend Sklaven, Mitl?ufern, Betr?gern, Betrogenen und Narren sein falschbedeutendes Raubvogelprofil. An den Gruppen von Million?ren, Botschaftern, Divisionskommandanten und Filmstars huschte er, t?ckisch l?chelnd, vor?ber. Es war der Intendant Hendrik H?fgen, Staatsrat und Senator, bei welchem er stehenblieb. Noch eine Sensation! Intendant H?fgen geh?rte zu den deklarierten Favoriten des Minis-terpr?sidenten und Fliegergenerals, der seine Berufung an die Spitze der Staatstheater durchgesetzt hatte gegen den Willen des Propaganda-ministers. Dieser war, nach einem langen und heftigen Kampf, dazu gezwungen worden, seinen eigenen Proteg?, den Dichter C?sar von Muck, zu opfern und auf Reisen zu schicken. Nun aber ehrte er demonstrativ das Gesch?pf seines Feindes durch seine Begr??ung und durch sein Gespr?ch. Wollte der schlaue Meister der Propaganda auf solche Weise vor der internationalen Elitegesellschaft bekunden, dass es Unstimmigkeiten und R?nke zwischen den Spitzen des deutschen Regimes gar nicht gebe und dass die Eifersucht zwischen ihm, dem Reklamechef, und dem Fliegergeneral ins h?ssliche Gebiet der Greuelm?rchen geh?re? Oder war Hendrik H?fgen – eine der meistbesprochenen Figuren der Hauptstadt – seinerseits so unermesslich schlau, dass er es fertigbrachte, zum Propagandaminister ebenso intime Beziehungen zu unterhalten wie zum Fliegergeneral – Ministerpr?sidenten? Spielte er den einen Machthaber gegen den anderen aus, lie? sich von den beiden gro?en Konkurrenten protegieren? Seiner legend?ren Geschicklichkeit w?re es zuzutrauen… Das war ja alles ungeheuer interessant! Pierre Larue lie? den Exk?nig von Bulgarien einfach stehen und trippelte durch den Saal – von seiner Neugierde dahingeweht wie eine Feder vom Winde —, um dieses sensationelle Renkontre[10 - Renkontre: Treffen, Begegnung.] aus der n?chsten N?he mit anzuschauen, C?sar von Mucks st?hlerne Augen kniffen sich misstrauisch zusammen, die Million?rin aus K?ln st?hnte woll?stig vor lauter Angeregtheit und Freude an der erhabenen Situation; w?hrend Frau Bella H?fgen, die Mutter des gro?en Mannes, allen, die in ihrer N?he standen, gn?dig und gleichsam ermunternd zul?chelte, als wollte sie ihnen bedeuten: Mein Hendrik ist gro?, und ich bin seine distinguierte Mutter. Trotzdem braucht ihr nun nicht gleich in die Knie zu sinken. Er und ich, wir sind auch nur von Fleisch und Blut, wenngleich sonst ausgezeichnet vor den ?brigen Menschen. „Wie geht es Ihnen, mein lieber H?fgen?“ fragte der Propagandaminister anmutig l?chelnd den Intendanten. Auch der Intendant l?chelte, aber nicht gleich bis zu den Ohren hinauf, sondern mit einer Vornehmheit, die fast schmerzlich wirkte. „Ich danke Ihnen, Herr Minister!“ Er sprach leise, etwas singenden Tones, dabei ?u?erst akzentuiert. Der Minister hatte seine Hand noch immer nicht losgelassen. „Darf ich mich nach dem Befinden Ihrer Frau Gemahlin erkundigen“, sagte der Intendant, und nun musste sein hoher Gespr?chspartner endlich ein ernstes Gesicht machen. „Sie ist heute abend ein wenig unp?sslich.“ Dabei lie? er die Hand des Senators und Staatsrats los. Dieser sagte wehm?tig: „Wie leid mir das tut.“ Nat?rlich wusste er – was allen hier im Saale bekannt war —, dass die Frau des Propagandaministers v?llig verzehrt und innerlich verw?stet war von Eifersucht auf die Gattin des Ministerpr?sidenten. Da der Diktator selber unverehelicht blieb, war das angetraute Weib des Reklamechefs die Erste Dame im Reiche gewesen, und sie hatte diese ihre gottgewollte Funktion mit Anstand und W?rde erf?llt, ihr Todfeind konnte es nicht bestreiten. Dann aber kam diese Lotte Lindenthal daher, eine mittlere Schauspielerin – jung war sie auch nicht mehr —, und lie? sich heiraten von dem prachtliebenden Dicken. Die Frau des Propagandaministers litt unbeschreiblich. Man machte ihr den Rang der Ersten Dame streitig! Eine andere dr?ngte sich vor! Mit einer Kom?diantin ward ein Kult getrieben, als ob die K?nigin Luise[11 - K?nigin Luise ( 1776, †1810), K?nigin von Preu?en, Gemahlin Friedrich Wilhelms III.] auferstanden w?re! Immer wenn es eine Veranstaltung zu Lottes Ehren gab, ?rgerte sich Frau Reklamechef so ungeheuer, dass sie Migr?ne bekam. Auch heute abend war sie im Bett geblieben. „Gewiss h?tte sich Ihre Frau Gemahlin hier sehr gut unterhalten.“ H?fgen machte immer noch die feierliche Miene. In seinen Worten war von Ironie keine Spur zu finden. „Zu schade, dass der F?hrer absagen musste. Auch der englische und der franz?sische Botschafter sind verhindert.“ Mit diesen Feststellungen, die er in sanftestem Tone vorbrachte, verriet H?fgen seinen eigentlichen Freund und G?nner – den Ministerpr?sidenten, dem er all seinen Glanz zu danken hatte – an den eifers?chtigen Propagandaminister. Diesen aber hielt er sich f?r alle F?lle in der Reserve. Der gewandte Klumpfu? fragte vertraulich, nicht ohne Hohn: „Und wie ist hier die Stimmung?“ Der Intendant der Staatstheater sagte zur?ckhaltend: „Man scheint sich zu am?sieren.“ Die beiden W?rdentr?ger f?hrten ihre Unterhaltung leise; denn um sie dr?ngten sich Neugierige, auch mehrere Fotografen waren herbeigekommen. Die Kanonenfabrikantin fl?sterte eben Pierre Larue zu, der in Verz?ckung die bleichen Knochenh?ndchen ?ber der Brust gegeneinander rieb: „Unser Intendant und der Minister – sind sie nicht ein herrliches Paar? Beide so bedeutend! Beide so sch?n!“ Sie dr?ngte ihren ?ppigen, geschm?ckten Leib nahe an das gebrechliche K?rperchen des Kleinen. Der zarte gallische Liebhaber des germanischen Heroismus, der strammen J?nglinge, des F?hrergedankens und der hohen Adelsnamen f?rchtete sich vor der atmenden N?he soviel weiblichen Fleisches. Er versuchte, sich ein wenig zur?ckzuziehen, w?hrend er zirpte: „Exquisit! Ganz charmant! Unvergleichlich!“ Die Rheinl?nderin beteuerte: „Unser H?fgen – das ist ein ganzer Mann, sage ich Ihnen! Ein Genie, so etwas gibt es weder in Paris noch in Hollywood! Und so urdeutsch, so gerade, einfach und ehrlich! Ich habe ihn ja schon gekannt, als er noch so klein gewesen ist.“ Mit der vorgestreckten Hand deutete sie an, wie klein Hendrik gewesen war, als sie, die Million?rin, seine Mutter auf den K?lner Wohlt?tigkeitsveranstaltungen konsequent geschnitten hatte. „Ein herrlicher Junge!“ sagte sie noch und bekam so sinnliche Augen, dass Larue panisch die Flucht ergriff. Man h?tte Hendrik H?fgen f?r einen Mann von etwa f?nfzig Jahren gehalten; er war aber erst neununddrei?ig – ungeheuer jung f?r seinen hohen Posten. Seine fahle Miene mit der Hornbrille zeigte jene steinerne Ruhe, zu der sich sehr nerv?se und sehr eitle Menschen zwingen k?nnen, wenn sie sich von vielen Leuten beobachtet wissen. Sein kahler Sch?del hatte edle Form. Im aufgeschwemmten, grauwei?en Gesicht fiel der ?beranstrengte, empfindliche und leidende Zug auf, der von den hochgezogenen blonden Brauen zu den vertieften Schl?fen lief; au?erdem die markante Bildung des starken Kinns, das er auf stolze Art hochgereckt trug, so dass die vornehm sch?ne Linie zwischen Ohr und Kinn k?hn und herrisch betont ward. Auf seinen breiten und blassen Lippen lag ein erfrorenes, vieldeutiges, zugleich h?hnisches und um Mitleid werbendes L?cheln. Hinter den gro?en, spiegelnden Brillengl?sern wurden seine Augen nur zuweilen sichtbar und wirksam: Dann erkannte man, nicht ohne Schrecken, dass sie, bei aller Weichheit, eiskalt, bei aller Melancholie sehr grausam waren. Diese gr?ngrau schillernden Augen lie?en an Edelsteine denken, die kostbar sind, aber Ungl?ck bringen; gleichzeitig an die gierigen Augen eines b?sen und gef?hrlichen Fisches. – Alle Damen und die meisten Herren fanden, dass Hendrik H?fgen nicht nur ein bedeutender und h?chst geschickter, sondern auch ein bemerkenswert sch?ner Mann sei. Seine zusammengenommene, vor lauter bewusster und berechneter Anmut fast steife Haltung und sein kostbarer Frack lie?en es ?bersehen, dass er entschieden zu fett war, vor allem in der H?ftengegend und am Hinterteil. „Ich muss Ihnen ?brigens zu Ihrem Hamlet gratulieren, mein Lieber“, sprach der Propagandaminister. „Eine famose Leistung. Die deutsche B?hne kann stolz auf sie sein.“ H?fgen neigte ein wenig das Haupt, indem er das sch?ne Kinn etwas nach unten dr?ckte: Oberhalb des hohen, blendenden Kragens entstanden zahlreiche Falten am Hals. „Wer vor dem Hamlet versagt, verdient den Namen eines Schauspielers nicht.“ Seine Stimme klagte vor Bescheidenheit. Der Minister konnte eben noch konstatieren: „Sie haben die Trag?die ganz gef?hlt“ – da ging ein ungeheurer Aufruhr durch den Saal. Der Fliegergeneral und seine Gattin, die gewesene Aktrice Lotte Lindenthal, waren durch die gro?e Mittelt?re eingetreten: Brausendes Beifallsklatschen und dr?hnender Zuruf begr??ten sie. Durch ein Spalier von Menschen, aus dem Jubel stieg, schritt das erlauchte Paar. Kein Kaiser hatte jemals sch?neren Einzug gehalten. Der Enthusiasmus schien ungeheuer: Jeder von den zweitausend auserlesen feinen Menschen wollte sich, den anderen und dem Ministerpr?sidenten durch m?glichst lautes Geschrei und H?ndeklatschen beweisen, einen wie gl?henden Anteil er am dreiundvierzigsten Geburtstag des Hohen Herrn im besonderen und am Nationalen Staate im allgemeinen nahm. Man br?llte: „Hoch!“, „Heil!“ und: „Wir gratulieren!“ Man warf Blumen, die von Frau Lotte mit w?rdevoller Grazie empfangen wurden. Die Kapelle spielte gro?en Tusch. Der Propagandaminister bekam ein hassverzerrtes Gesicht; aber darauf achtete niemand, au?er vielleicht Hendrik H?fgen. Dieser stand unbeweglich: Er erwartete seinen G?nner in zusammengenommener, anmutig steifer Haltung. Man hatte Wetten dar?ber abgeschlossen, in welcher Phantasieuniform der Dicke heute abend erscheinen w?rde. Es war eine asketische Koketterie von ihm, nun die Gesellschaft durch den allerschlichtesten Aufzug zu verbl?ffen. Die flaschengr?ne Litewka, die er trug, wirkte fast wie eine streng geschnittene Hausjacke. Auf der Brust blitzte ihm nur ein ganz kleiner silberner Ordensstern. In den grauen Hosen wirkten seine Beine – die er sonst gerne unter langen M?nteln verbarg – besonders umfangreich: es waren S?ulen, auf denen er sich langsam dahinbewegte. Die kolossalische Gr??e und Breite seiner monstr?sen Figur waren geeignet, Schrecken und Ehrfurcht um sich zu verbreiten – zumal kein Anlass bestand, irgend etwas an ihm komisch zu finden: Dem K?hnsten verging das Lachen, wenn er erwog, wieviel Blut schon auf den Wink des Speck-und-Fleisch-Riesen geflossen war und wie unermesslich viel Blut vielleicht noch str?men w?rde zu seinen Ehren. Auf dem kurzen, wulstigen Hals erschien sein massives Haupt wie ?bergossen von dem roten Safte: das Haupt eines C?sars[12 - C?sar: Beiname eines Zweigs des r?mischen Geschlechts der Julier, auch r?mischer Herrscher und Thronfolger. Aus dem Namen C?sar entstanden die W?rter Kaiser und Zar.], von dem man die Haut abgezogen hat. An diesem Gesicht war nichts Menschliches mehr: Es war aus rohem, umgeformtem Fleische ein Klotz. Der Ministerpr?sident schob seinen Bauch, dessen enorme W?lbung in die der Brust ?berging, majest?tisch durch die strahlende Versammlung. Der Ministerpr?sident grinste. Sein Weib Lotte grinste nicht, sondern verschenkte L?cheln, eine K?nigin Luise in jedem Zoll. Auch ihre Robe, deren Kostbarkeit den Gespr?chsstoff der Damen gebildet hatte, war einfach bei allem Pomp: glatt flie?end, aus einem schimmernden Silbergewebe, endend in einer k?niglich langen Schleppe. Das Brillantendiadem aber in der ?hrenblonden Frisur, die Perlen und Smaragde auf dem Busen ?bertrafen an Gewicht und Strahlenglanz alles, was es sonst noch zu bewundern gab in dieser ?ppigen Runde. Das riesenhafte Geschmeide der Provinzschauspielerin repr?sentierte Millionenwerte: Sie verdankte es der Galanterie eines Gatten, der gerne die Prunksucht und Korrumpiertheit republikanischer Minister und B?rgermeister in ?ffentlicher Rede gei?elte, und der Treue einiger wohlsituierter und bevorzugter Untertanen. Sie galt als uneigenn?tzig, unantastbar rein. Sie war zur Idealgestalt geworden unter den deutschen Frauen. Sie hatte gro?e, runde, etwas hervortretende Kuhaugen von einem feuchtstrahlenden Blau; sch?nes blondes Haar und einen schneewei?en Busen. ?brigens war auch sie schon ein wenig zu dick – man speiste gut und reichlich im Pr?sidentenpalais. Man erz?hlte sich bewundernd von ihr, dass sie sich gelegentlich bei ihrem Gatten f?r Juden aus der guten Gesellschaft einsetze – die Juden kamen trotzdem ins Konzentrationslager. Man nannte sie den guten Engel des Ministerpr?sidenten; indessen war der F?rchterliche nicht milder geworden, seitdem sie ihn beriet. Eine ihrer ber?hmtesten Rollen war die Lady Milford in Schillers „Kabale und Liebe“ gewesen: jene Matresse eines Gewaltigen, die den Glanz ihres Geschmeides und die N?he ihres F?rsten nicht mehr ertr?gt, da sie erfahren hat, womit man Edelsteine bezahlt. Als sie zum letztenmal im Staatstheater auftrat, spielte sie die Minna von Barnhelm[13 - Minna von Barnhelm: die Titelrolle eines St?cks von Gotthold Ephraim Lessing (1767). „Minna von Barnhelm“ war das erste deutsche realistische Lustspiel.]: So deklamierte sie, ehe sie in den Palast des Fliegergenerals ?bersiedelte, noch einmal die S?tze eines Dichters, den ihr Gemahl und seine Spie?gesellen hetzen und verfolgen lassen w?rden, lebte er heute und hier. In ihrer Gegenwart wurden die schauerlichen Geheimnisse des totalen Staates besprochen: Sie l?chelte m?tterlich. Morgens, wenn sie ihrem Gatten neckisch ?ber die Schulter lugte, sah sie Todesurteile vor ihm auf dem Renaissance-schreibtisch – und er unterzeichnete sie; abends zeigte Sie den wei?en Busen und die ?hrenblonde Kunstfrisur in Opernpremieren oder an den geschm?ckten Tafeln der Bevorzugten, die ihres Umgangs gew?rdigt wurden. Sie war unber?hrbar, unangreifbar; denn sie war ahnungslos und sentimental. Sie glaubte sich umgeben von der „Liebe ihres Volkes“, weil zweitausend Ehrgeizige, K?ufliche und Snobs L?rm machten zu ihren Ehren. Wie sie dahinschritt, erhobenen Hauptes, ?bergossen vom Licht und von der allgemeinen Bewunderung, gab es keinen Zweifel in ihrem Herzen an der Haltbarkeit solchen Zaubers. Niemals – so meinte sie zuversichtlich —, niemals w?rde abfallen von ihr dieser Glanz; niemals w?rden die Gemarterten sich r?chen, niemals w?rde die Finsternis nach ihr greifen. Immer noch wurde Tusch gespielt, ebenso laut wie ausf?hrlich; immer noch dauerte das huldigende Geschrei. Inzwischen waren Lotte und ihr Dicker beim Propagandaminister und bei H?fgen angekommen. Die drei Herren hoben fl?chtig die Arme, die Gru?zeremonie l?ssig andeutend. Dann neigte Hendrik sich mit einem ernsten und innigen L?cheln ?ber die Hand der gro?en Dame, die er so oft auf der B?hne hatte umarmen d?rfen. – Hier standen sie, dargeboten der brennenden Neugier einer gew?hlten ?ffentlichkeit: vier M?chtige in diesem Lande, vier Gewalthaber, vier Kom?dianten – der Reklamechef, der Spezialist f?r Todesurteile und Bombenflugzeuge, die geheiratete Sentimentale und der fahle Intrigant. Die gew?hlte ?ffentlichkeit beobachtete, wie der Dicke dem Herrn Intendanten auf die Schulter schlug, dass es krachte, und sich mit einem grunzenden Lachen erkundigte: „Na, wie geht’s, Mephisto?“ Die Sentimentale sagte mit seelenvollem Blick zum Intendanten, f?r den sie eine geheime – jedoch nicht gar zu geheime – Zuneigung im Busen trug: „Ich habe Ihnen noch gar nicht gesagt, Hendrik, wie wundersch?n ich Ihren Hamlet finde.“ Er dr?ckte ihr schweigend die Hand, wobei er einen Schritt n?her an sie herantrat und ebenso innig zu blicken versuchte, wie es ihr von der Natur gegeben war. Der Versuch musste missgl?cken: Seine fischigen Juwelenaugen gaben soviel sanfte W?rme nicht her. Deshalb machte er ein ernstes, beinah etwas ?rgerliches, offizielles Gesicht und murmelte: „Ich muss ein paar Worte sprechen.“ Dann erhob er die Stimme. Sie hatte einen leuchtenden, raffiniert geschulten Metallton und war bis in die entferntesten Winkel des gro?en Saales h?rbar und wirksam, als sie ausrief: „Herr Ministerpr?sident! Hoheiten, Exzellenzen, meine Damen und Herren! Wir sind stolz – ja, wir sind stolz und froh, dass wir dieses Fest heute in diesem Hause mit Ihnen, Herr Ministerpr?sident, und mit Ihrer wundervollen Gattin begehen d?rfen…“ Mit dem ersten seiner Worte war das bewegte Gespr?ch der Zweitausend-Personen-Gesellschaft verstummt. In vollkommener Stille, in devoter Regungslosigkeit lauschte man der langen, pathetischen und platten Gl?ckwunschrede, die der Intendant, Senator und Staatsrat f?r seinen Ministerpr?sidenten hielt. Alle Augen waren auf Hendrik H?fgen gerichtet. Alle bewunderten ihn. Er geh?rte zur Macht. Seine Stimme brachte, anl?sslich des dreiundvierzigsten Geburtstages seines Herrn, die ?berraschendsten Jubelt?ne hervor. Er hielt das Kinn hochgereckt, die Augen schimmerten, seine sparsamen und k?hnen Gesten hatten den sch?nsten Schwung. Er vermied es aufs sorgsamste, ein wahres Wort zu sagen. Der skalpierte C?sar, der Reklamechef und die Kuh?ugige schienen dar?ber zu wachen, dass nur L?gen, nichts als L?gen von seinen Lippen k?men: Eine geheime Verabredung verlangte es so, in diesem Saale wie im ganzen Land. W?hrend er sich dem Ende seiner Ansprache mit bravour?s gesteigertem Tempo n?herte, fl?sterte eine h?bsche, kindlich aussehende kleine Dame – die Gattin eines bekannten Filmregisseurs —, die im Hintergrund des Raumes ein bescheidenes Pl?tzchen hatte, tonlos ihrer Nachbarin zu: „Wenn er fertig ist, muss ich hingehen und ihm die Hand sch?tteln. Ist es nicht fantastisch? Ich kenne ihn doch noch von fr?her – ja, wir sind in Hamburg zusammen engagiert gewesen. Das waren ulkige Zeiten! Und was hat der Mensch seitdem f?r eine Karriere gemacht!!“ I H. K In den letzten Jahren des Weltkrieges und in den ersten Jahren nach der Novemberrevolution[14 - Novemberrevolution: deutsche Revolution im November 1918. Sie begann am 30.10. mit dem Marinenaufstand in Kiel, f?hrte am 7.11. zum Sturz der bayerischen Monarchie und am 9.11. zur Abdankung Kaiser Wilhelms II. Alle deutschen regierenden F?rsten wurden enttrohnt, in Deutschland wurde die Republik ausgerufen.] hatte das literarische Theater in Deutschland eine gro?e Konjunktur. Um diese Zeit erging es auch dem Direktor Oskar H. Kroge gl?nzend, den schwierigen Wirtschaftsverh?ltnissen zum Trotz. Er leitete eine Kammerspielb?hne in Frankfurt am Main. In dem engen, stimmungsvoll intimen Kellerraum traf sich die intellektuelle Gesellschaft der Stadt und vor allem eine angeregte, von den Ereignissen aufgew?hlte, diskussions- und beifallsfreudige Jugend, wenn es die Neuinszenierung eines St?ckes von Wedekind[15 - Wedekind, Frank ( 1864, †1918), deutscher Dichter, satirischer Dramatiker, suchte die konventionelle b?rgerliche Moral als Unmoral zu enth?llen.] oder Strindberg[16 - Strindberg, August ( 1849, †1912), schwedischer Dichter; nahm den Weg vom Naturalismus ?ber den Individualismus zur Mystik; gestaltete den Kampf der Geschlechter und die seelische Zerrissenheit.] gab oder eine Urauff?hrung von Georg Kaiser[17 - Kaiser, Friedrich Carl Georg ( 1878, † 1945), der erfolgreichste Dramatiker der expressionistischen Generation. Aus seinem Wirken als Autor gingen 60 Dramen hervor, von denen aber viele in Vergessenheit geraten sind.], Sternheim[18 - Sternheim, Carl ( 1878, †1942), deutscher Dramatiker; schrieb satirische Kom?dien.], Fritz von Unruh[19 - Unruh, Fritz von ( 1885, †1970), deutscher Schriftsteller; Pazifist.], Hasenclever[20 - Hasenclever, Walter ( 1890, †1940), deutscher Dichter; schrieb expressionistische Dramen, Lustspiele, Lyrik.] oder Toller[21 - Toller, Ernst ( 1893, †1939), deutscher Schriftsteller; 1919 Mitglied der M?nchener R?teregierung; Pazifist, emigrierte 1933 in die USA.]. Oskar H. Kroge, der selbst Essays und hymnische ‘Gedichte’ schrieb, empfand das Theater als die moralische Anstalt: von der Schaub?hne sollte eine neue Generation erzogen werden zu den Idealen, von denen man damals glaubte, dass die Stunde ihrer Erf?llung gekommen sei – zu den Idealen der Freiheit, der Gerechtigkeit, des Friedens. Oskar H. Kroge war pathetisch, zuversichtlich und naiv. Am Sonntagvormittag, vor der Auff?hrung eines St?ckes von Tolstoi oder von Rabindranath Tagore[22 - Tagore, Rabindranath ( 1861, †1941), indischer Dichter, Philosoph; schrieb in Bengali und Englisch Romane, Dramen und Gedichte. Nobelpreis f?r Literatur 1913.], hielt er eine Ansprache an seine Gemeinde. Das Wort „Menschheit“ kam h?ufig vor; den jungen Leuten, die sich im Stehparkett dr?ngten, rief er mit bewegter Stimme zu: „Habet den Mut zu euch selbst, meine Br?der!“ – und er erntete Beifallsst?rme, da er mit den Schillerworten schloss: „Seid umschlungen, Millionen!“ Oskar H. Kroge war sehr beliebt und angesehen in Frankfurt am Main und ?berall dort im Lande, wo man an den k?hnen Experimenten eines geistigen Theaters Anteil nahm. Sein ausdrucksvolles Gesicht mit der hohen, zerfurchten Stirn, der sch?tteren, grauen Haarm?hne und den gutm?tigen, gescheiten Augen hinter der Brille mit schmalen Goldrand war h?ufig zu sehen in den kleinen Revuen der Avantgarde; zuweilen sogar in den gro?en Illustrierten. Oskar H. Kroge geh?rte zu den aktivsten und erfolgreichsten Vork?mpfern des dramatischen Expressionismus. Es war ohne Frage ein Fehler von ihm gewesen – nur zu bald sollte es ihm klarwerden – sein stimmungsvolles kleines Haus in Frankfurt aufzugeben. Das Hamburger K?nstlertheater, dessen Direktion man ihm im Jahre 1923 anbot, war freilich gr??er. Deshalb akzeptierte er. Das Hamburger Publikum aber erwies sich als l?ngst nicht so zug?nglich dem leidenschaftlichen und anspruchsvollen Experiment wie jener zugleich routinierte und enthusiastische Kreis, der den Frankfurter Kammerspielen treu gewesen war. Im Hamburger K?nstlertheater musste Kroge, au?er den Dingen, die ihm am Herzen lagen, immer noch den „Raub der Sabinerinnen“[23 - „Raub der Sabinerinnen“: eine Kom?die von Franz] und „Pension Sch?ller“[24 - „Pension Sch?ller“: ein Lustspiel von Wilhelm Jacobi und Carl Laufs. Die Urauff?hrung fand am 7. Oktober 1890 in Berlin statt.] zeigen. Darunter litt er. Jeden Freitag, wenn der Spielplan f?r die kommende Woche festgesetzt wurde, gab es einen kleinen Kampf mit Herrn Schmilz, dem gesch?ftlichen Leiter des Hauses. Schmilz wollte die Possen und Rei?er angesetzt haben, weil sie Zugst?cke waren; Kroge aber bestand auf dem literarischen Repertoire. Meistens musste Schmilz, der ?brigens eine herzliche Freundschaft und Bewunderung f?r Kroge hatte, nachgeben. Das K?nstlertheater blieb literarisch – was seinen Einnahmen sch?dlich war. Kroge klagte ?ber die Indifferenz der Hamburger Jugend im besonderen und ?ber die Ungeistigkeit einer ?ffentlichkeit im allgemeinen, und Paul von Sch?nthan, in der es um ein Theaterst?ck geht, das Gymnasialprofessor Gollwitz als Student geschrieben hat – eine Jugends?nde, wie er es nennt. die sich allem H?heren entfremdet habe. „Wie schnell es gegangen ist!“ stellte er mit Bitterkeit fest. „Im Jahre 1919 lief man noch zu Strindberg und Wedekind; 1926 will man nur mehr Operetten.“ Oskar H. Kroge war anspruchsvoll und ?brigens ohne prophetischen Geist. H?tte er sich beschwert ?ber das Jahr 1926, wenn er sich h?tte vorstellen k?nnen, wie das Jahr 1936 aussehen w?rde? – „Nichts Besseres zieht mehr“, grollte er noch. „Sogar bei den Webern[25 - „Die Weber“: ein soziales Drama in f?nf Akten von Gerhart Hauptmann, das am 26. Februar 1893 im neuen Theater Berlin privat und am 25. September 1894 im Deutschen Theater Berlin ?ffentlich uraufgef?hrt wurde. Es behandelt den Weberaufstand von 1844.] gestern ist das Haus halb leer gewesen.“ „Immerhin kommen wir doch zur Not noch auf unsere Rechnung.“ Direktor Schmilz bem?hte sich, den Freund zu tr?sten: „Aber wie!“ Kroge wollte sich durchaus nicht tr?sten lassen. „Aber wie kommen wir denn auf unsere Rechnung! Ber?hmte G?ste aus Berlin m?ssen wir uns einladen – so wie heute abend —, damit die Hamburger ins Theater gehen.“ Hedda von Herzfeld – Kroges alle Mitarbeiterin und Freundin, die schon in Frankfurt Dramaturgin und Schauspielerin bei ihm gewesen war – bemerkte: „Du siehst wieder mal alles schwarz in schwarz, Oskar H.! Es ist ja schlie?lich keine Schande, Dora Martin gastieren zu lassen – sie ist wundervoll —, und ?brigens kommen unsere Hamburger auch, wenn H?fgen spielt.“ W?hrend sie H?fgens Namen aussprach, l?chelte Frau von Herzfeld klug und z?rtlich. ?ber ihr gro?es, matt gepudertes Gesicht mit der fleischigen Nase, den gro?en, goldbraunen, wehm?tig intelligenten Augen ging ein bescheidenes Aufleuchten. Kroge sagte brummig: „H?fgen wird ?berzahlt.“ „Die Martin ?brigens auch“, f?gte Schmilz hinzu. „Ihren ganzen Zauber in Ehren und zugegeben, dass sie ungeheuer zieht: aber tausend Mark Abendgage, das ist doch wohl ein bisschen toll.“ „Berliner Staranspr?che“, machte Hedda sp?ttisch. Sie hatte in Berlin nie zu tun gehabt und behauptele, den Betrieb der Hauptstadt zu verachten. „Tausend Mark im Monat f?r H?fgen ist auch ?bertrieben“, behauptete Kroge, pl?tzlich gereizt. „Seit wann hat er denn eigentlich tausend?“ fragte er herausfordernd Schmilz. „Es sind doch immer nur achthundert gewesen, und das war reichlich genug.“ „Was soll ich machen?“ Schmilz entschuldigte sich. „Er ist zu mir ins B?ro gesprungen, und er hat sich mir auf den Scho? gesetzt.“ Frau von Herzfeld konnte mit Belustigung feststellen, dass Schmilz etwas rot wurde, w?hrend er dies erz?hlte. „Er hat mich am Kinn gekitzelt und hat immer wieder gesagt: ,Tausend Mark m?ssen es sein! Tausend, Direktorchen! Es ist eine so sch?ne runde Summe!’ Was sollte ich da machen, Kroge? Sagen Sie selbst!“ Es war H?fgens schlaue Gewohnheit, wie ein nerv?ser kleiner Sturmwind in Schmitzens B?ro zu fahren, wenn er Vorschuss oder Gagenerh?hung wollte. Zu solchen Anl?ssen spielte er den ?berm?tig Launischen und Kaprizi?sen, und er wusste, dass der ungeschickte dicke Schmilz verloren war, wenn er ihm die Haare zauste und den Zeigefinger munter in den Bauch stie?. Da es sich um die Tausend-Mark-Gage handelte, hatte er sich ihm sogar auf den Scho? gesetzt: Schmilz gestand es unter Err?ten. „Das sind Albernheiten!“ Kroge sch?ttelte ?rgerlich das versorgte Haupt. „?berhaupt ist H?fgen ein grundalberner Mensch. Alles an ihm ist falsch, von seinem literarischen Geschmack bis zu seinem sogenannten Kommunismus. Er ist kein K?nstler, sondern ein Kom?diant.“ „Was hast du gegen unseren Hendrik?“ Frau von Herzfeld zwang sich zu einem ironischen Ton; in Wahrheit war ihr keineswegs nach Ironie zumute, wenn sie von H?fgen sprach, f?r dessen ge?bte Reize sie nur zu empf?nglich war, „Er ist unser bestes St?ck. Wir k?nnen froh sein, wenn wir ihn nicht an Berlin verlieren.“ „Ich bin gar nicht so besonders stolz auf ihn“, sagte Kroge. „Er ist doch nicht mehr als ein routinierter Provinzschauspieler, und das wei? er ?brigens im Grunde selbst ganz genau.“ Schmilz fragte: „Wo steckt er denn heute abend?“ – worauf Frau von Herzfeld leise durch die Nase lachte: „Er hat sich in seiner Garderobe hinter einem Paravent versteckt – der kleine Bock hat es mir erz?hlt. Er ist immer furchtbar aufgeregt und eifers?chtig, wenn Berliner G?ste da sind. So weit wie die werde er es niemals bringen, sagt er dann – und versteckt sich hinter einem Paravent, vor lauter Hysterie. Die Martin bringt ihn wohl besonders aus der Fassung, das ist so eine Art von Hassliebe bei ihm. Heute abend soll er schon einen Weinkrampf gehabt haben.“ „Da seht ihr seinen Minderwertigkeitskomplex!“ rief Kroge und schaute triumphierend um sich. „Oder vielmehr: dass er im Grunde irgendwo die richtige Einsch?tzung hat f?r sich selber.“ Die drei sa?en in der Theaterkantine, die, nach den Initialen des Hamburger K?nstlertheaters, kurz „H. K.“ genannt wurde. Drunten, im Theater, spielte Dora Martin, die mit ihrer heiseren Stimme, der verf?hrerischen Magerkeit des ephebischen K?rpers und den tragisch weiten, kindlichen und unergr?ndlichen Augen das Publikum der gro?en deutschen St?dte verhexte, einen Rei?er zu Ende. Die beiden Direktoren und Frau von Herzfeld hatten nach dem zweiten Akt ihre Loge verlassen. Die ?brigen Mitglieder des K?nstlertheaters waren im Saal geblieben, um der Berliner Kollegin, die sie halb bewunderten und halb hassten, bis zum Schluss zuzusehen. „Das Ensemble, das sie sich mitgebracht hat, ist ja wirklich unter jeder Kritik“, stellte Kroge ver?chtlich fest. „Was wollen Sie?“ meinte Schmilz. „Wie soll sie jeden Abend ihre tausend Mark verdienen, wenn sie sich auch noch teure Leute mit auf die Reise nimmt?“ „Aber sie selber wird immer besser“, sagte die kluge Herzfeld. „Sie kann sich jede Manieriertheit leisten. Sie kann wie ein geisteskrankes Baby sprechen: Sie bezwingt.“ „Geisteskrankes Baby ist nicht schlecht“, lachte Kroge. „Man scheint unten fertig zu sein“, f?gte er hinzu, mit einem Blick durchs Fenster. Die Leute kamen den gepflasterten Weg herauf, der vom Theater, an der Kantine vorbei, zu dem Tor f?hrte, durch das man auf die Stra?e trat. Nach und nach f?llte sich die Kantine. Die Schauspieler gr??ten mit einer respektvoll betonten Herzlichkeit den Direktorentisch und riefen dem Wirt, einem gedrungenen, kr?ftigen Greise mit wei?em Knebelbart und blauroter Nase, kleine Scherze zu. V?terchen Hansemann, der Kantinenbesitzer, war f?r das Ensemble eine beinah ebenso bedeutungsvolle Pers?nlichkeit wie Schmilz, der gesch?ftliche Direktor. Von Schmilz konnte man Vorschuss bekommen, wenn er sich gerade in gn?diger Laune befand; bei Hansemann aber musste man anschreiben lassen, wenn in der zweiten Monatsh?lfte die Gage aufgebraucht und ein Vorschuss nicht genehmigt worden war. Alle standen bei ihm in der Kreide; man behauptete, dass H?fgen ihm mehr als hundert Mark schuldig war. Alle sprachen ?ber Dora Martin, jeder hatte seine eigene Ansicht ?ber den Rang ihrer Leistung; nur dar?ber, dass sie entschieden zuviel Geld verdiente, waren alle sich einig. Die Motz erkl?rte: „An dieser Starwirtschaft geht das deutsche Theater zugrunde“ – wozu ihr Freund Petersen grimmig nickte. Petersen war V?terspieler mit dem Ehrgeiz zum Heroischen; er bevorzugte K?nige oder adlige alte Haudegen in historischen St?cken. Leider war er etwas zu klein und dick f?r diese Partien – was er auszugleichen suchte durch eine stramme und kampfeslustige Haltung. Zu seinem Gesicht, das den Ausdruck falscher Biederkeit zeigte, h?tte ein grauer Schifferbart gepasst; da er fehlte, wirkte seine Miene ein wenig kahl, mit der langen, rasierten Oberlippe und den sehr blauen, ausdrucksvoll blitzenden, zu kleinen Augen. Die Motz liebte ihn mehr als er sie: das wussten alle. Da er genickt hatte, wandte sie sich nun direkt an ihn, um in einem intimen und bedeutungsvollen Ton zu sagen: „Nicht wahr, Petersen: ?ber diese Misswirtschaft haben wir schon h?ufig miteinander gesprochen?“ Er best?tigte treuherzig: „Gewiss doch, Frau!“ und blinzelte Rahel Mohrenwitz zu, die aufgemacht war als das perverse und d?monische junge M?dchen: mit schwarzen Ponys bis zu den rasierten Augenbrauen und einem gro?en, schwarzgerandeten Monokel im Gesicht, das ?brigens kindlich, pausb?ckig und v?llig ungeformt war. „In Berlin wirken die Martinschen M?tzchen vielleicht“, sprach die Motz resolut. „Aber unsereinem kann sie nichts vormachen, wir sind schlie?lich lauter alte Theaterhasen.“ Sie blickte beifallheischend um sich. Ihr Fach war die komische Alte; zuweilen durfte sie auch reife Salon-damen spielen. Sie lachte gern, viel und laut, wobei sie scharfe Falten um den Mund bekam, in dessen Innerem Gold funkelte. Im Augenblick freilich zeigte sie eine w?rdevoll ernste, beinah zornige Miene. Rahel Mohrenwitz sagte, wobei sie hochm?tig mit ihrer langen Zigarettenspitze spielte: „Niemand kann schlie?lich leugnen, dass die Martin irgendwo eine enorm starke Pers?nlichkeit ist. Was sie auf der B?hne auch macht: immer ist sie unerh?rt intensiv da – ihr versteht, was ich meine…“ Alle verstanden es; die Motz aber sch?ttelte missbilligend den Kopf, w?hrend die kleine Angelika Siebert mit ihrem hohen, sch?chternen Stimmchen erkl?rte: „Ich bewundere die Martin. Es geht eine zauberhafte Kraft von ihr aus, finde ich…“ Sie wurde sehr rot, weil sie einen so langen und gewagten Satz vorgebracht hatte. Alle sahen mit einer gewissen R?hrung zu ihr hin. Die kleine Siebert war reizend. Ihr K?pfchen mit dem kurzgeschnittenen, links gescheitelten blonden Haar glich dem eines dreizehnj?hrigen Buben. Ihre hellen und unschuldigen Augen wurden dadurch nicht weniger anziehend, dass sie kurzsichtig waren: manche fanden, dass gerade die Art, auf die Angelika beim Schauen die Augen zusammenkniff, ihren besonderen Charme ausmache. „Unsere Kleine schw?rmt wieder einmal“, sagte der sch?ne Rolf Bonetti und lachte etwas zu laut. Er war jenes Mitglied des Ensembles, das die meisten Liebesbriefe aus dem Publikum erhielt: daher sein stolzer, m?der, vor lauter Blasiertheit beinah angewiderter Gesichtsausdruck. Der kleinen Angelika gegen?ber jedoch war er der Werbende: schon seit l?ngerem bem?hte er sich um sie. Auf der B?hne durfte er sie oft in den Armen halten, das brachte sein Rollenfach mit sich. Im ?brigen aber blieb sie spr?de. Mit einer wunderlichen Hartn?ckigkeit verschenkte sie ihre Z?rtlichkeit nur dorthin, wo nicht die mindeste Aussicht bestand, dass man sie erwiderte oder auch nur w?nschte. R?hrend und begehrenswert, wie sie war, schien sie ganz daf?r gemacht, viel geliebt und sehr verw?hnt zu werden. Der sonderbare Eigensinn ihres Herzens aber lie? sie k?hl und sp?ttisch bleiben vor Rolf Bonettis st?rmischen Beteuerungen, und lie? sie bitterlich weinen ?ber die eisige Geringsch?tzung, die Hendrik H?fgen ihr gegen?ber an den Tag legte. Rolf Bonetti sagte kennerhaft: „Als Frau kommt diese Martin jedenfalls gar nicht in Frage: ein unheimlicher Zwitter – sicher hat sie so etwas wie Fischblut in den Adern.“ „Ich finde sie sch?n“, sagte Angelika, leise aber entschlossen. „Sie ist die sch?nste Frau, finde ich.“ Schon standen ihr die Augen voll Tr?nen: Angelika weinte h?ufig, auch ohne besonderen Anlass. Tr?umerisch sagte sie noch: „Es ist merkw?rdig – ich sp?re irgendeine geheimnisvolle ?hnlichkeit zwischen Dora Martin und Hendrik…“ Dies erregte allgemeine Verwunderung. „Die Martin ist eine J?din.“ Es war der junge Hans Miklas, der sich unvermittelt so vernehmen lie?. Alle schauten betroffen und etwas angewidert zu ihm hin. – „Der Miklas ist k?stlich“, sprach die Motz in ein betretenes Schweigen hinein und versuchte zu lachen. Kruge runzelte die Stirne, verwundert und degoutiert, w?hrend Frau von Herzfeld nur den Kopf sch?tteln konnte; ?brigens war sie blass geworden. Da die Pause lang und peinlich wurde – der junge Miklas stand bleich und trotzig an die Theke gelehnt —, sagte Direktor Kruge schlie?lich ziemlich scharf: „Was soll denn das?“ und machte ein Gesicht, so b?se, wie es ihm eben m?glich war. Ein anderer junger Schauspieler, der sich bis dahin leise mit Vater Hansemann unterhalten hatte, sagte forsch und vers?hnlich: „Hoppla, das ist danebengegangen! Lass nur, Miklas, so was kann vorkommen, du bist sonst ein ganz braves Kind!“ Dabei klopfte er dem ?belt?ter auf die Schulter und lachte so herzlich, dass alle einstimmen konnten; sogar Kroge entschloss sich zu einer Heiterkeit, die freilich krampfhaften Charakter hatte: er schlug sich, mit der flachen Hand auf den Schenkel und warf den Oberk?rper nach vorne, so heftig schien er sich pl?tzlich zu am?sieren. Miklas aber blieb ernst; er drehte das verstockte, bleiche Gesicht zur Seite, die Lippen b?se aufeinandergepresst. „Sie ist doch eine J?din.“ Er sprach so leise, dass fast niemand es h?ren konnte; nur Otto Ulrichs, der gerade erst durch seine Unbefangenheit die Situation gerettet hatte, h?rte es, und nun strafte er ihn mit einem ernsten Blick. Nachdem Direktor Kroge durch sein Gel?chter ausf?hrlich bekundet hatte, dass er die Entgleisung des jungen Miklas durchaus von der komischen Seite nahm, winkte er Ulrichs. „Ach, Ulrichs, kommen Sie doch bitte mal einen Augenblick!“ Ulrichs setzte sich an den Tisch zu den Direktoren und Frau von Herzfeld. „Ich will mich nicht in Ihre Angelegenheiten mischen, wirklich nicht.“ Kroge lie? es sich anmerken, dass die Sache ihm ?u?erst peinlich war. „Aber es kommt jetzt immer h?ufiger vor, dass Sie in kommunistischen Versammlungen auftreten. Gestern haben Sie schon wieder irgendwo mitgemacht. Das schadet Ihnen doch, Ulrichs, und uns schadet es auch.“ Kroge sprach leise. „Sie wissen doch, wie die b?rgerlichen Zeitungen sind, Ulrichs“, sagte er eindringlich. „Suspekt sind wir den Leviten[26 - Leviten, A.T.: die Tempeldiener aus dem Stamm Levi.] ohnedies. Wenn eines unserer Mitglieder sich nun politisch exponiert – es kann verh?ngnisvoll f?r uns sein, Ulrichs.“ Kroge trank sehr hastig seinen Kognak aus, er war sogar etwas rot geworden. Ulrichs antwortete ruhig; „Es ist mir sehr erw?nscht, Herr Direktor, dass Sie von diesen Dingen zu mir sprechen. Nat?rlich habe ich auch schon ?ber sie nachgedacht. Vielleicht ist es besser, wir trennen uns, Herr Direktor – glauben Sie mir, dass es mir nicht leichtf?llt, diesen Vorschlag zu machen. Aber auf meine politische Bet?tigung kann ich nicht verzichten. Ihr m?sste ich sogar mein Engagement opfern, und das w?re ein Opfer; denn ich bin gerne hier.“ Er sprach mit einer angenehmen, dunklen und warmen Stimme. W?hrend er redete, schaute Kroge mit einer v?terlichen Sympathie auf sein intelligentes, kraftvolles Gesicht. Otto Ulrichs war ein gut aussehender Mann. Seine hohe, freundliche Stirn, von der das schwarze Haar weit zur?ckwich, und die engen, dunkelbraunen, gescheiten und lustigen Augen fl??ten Vertrauen ein. Kroge mochte ihn sehr. Deshalb wurde er jetzt beinahe zornig. „Aber Ulrichs!“ rief er aus. „Davon kann doch gar keine Rede sein. Sie wissen ganz genau, dass ich Sie niemals fortlassen w?rde!“ „Wir k?nnen Sie gar nicht entbehren!“ f?gte Schmilz hinzu – der dicke Mensch ?berraschte zuweilen durch eine merkw?rdig vibrierende, helle und h?bsche Stimme —; wozu die Herzfeld ernst best?tigend nickte. „Es ist doch nur ein klein bisschen Zur?ckhaltung, worum ich Sie bitte“, versicherte Kroge. Ulrichs sagte mit Herzlichkeit: „Ihr seid alle sehr nett zu mir – wirklich sehr nett – und ich werde mir M?he geben, dass ich euch nicht gar zu sehr kompromittiere.“ Die Herzfeld l?chelte ihm vertraulich zu. „Es ist Ihnen ja wohl nicht ganz unbekannt“, sagte sie leise, „dass wir politisch weitgehend mit Ihnen sympathisieren.“ – Der Mann, mit dem sie in Frankfurt verheiratet gewesen war und dessen Namen sie f?hrte, war Kommunist. Er war viel j?nger als sie und hatte sie verlassen. Zur Zeit arbeitete er in Moskau als Filmregisseur. „Weitgehend!“ betonte Kroge mit lehrhaft erhobenem Zeigefinger. „Wenngleich nicht ganz, nicht in allen St?cken. Nicht alle unsere Tr?ume haben sich in Moskau erf?llt. K?nnen die Tr?ume, die Forderungen, die Hoffnungen der Geistigen sich erf?llen unter der Diktatur?“ Ulrichs antwortete ernst, wobei seine engen Augen noch schmaler wurden und einen beinahe drohenden Blick bekamen: „Nicht nur die Geistigen – oder die, welche sich so nennen – haben ihre Hoffnungen und Forderungen. Noch dringlicher sind die Forderungen des Proletariats. Diese waren, so wie die Welt heute ist, nur zu erf?llen mittels der Diktatur.“ Hier zeigte Direktor Schmilz ein best?rztes Gesicht. Ulrichs, um dem Gespr?ch eine leichtere Wendung zu geben, sagte l?chelnd: „?brigens w?re auf der Versammlung gestern das K?nstlertheater beinah durch sein prominentestes Mitglied repr?sentiert worden. Hendrik wollte eigentlich auftreten – im letzten Augenblick ist er dann leider verhindert gewesen.“ „H?fgen wird immer im letzten Augenblick verhindert sein, wenn es sich um Angelegenheiten handelt, die bedenklich f?r seine Karriere werden k?nnten.“ Kroge hatte ver?chtlich den Mund verzogen, w?hrend er dies sagte. Hedda von Herzfeld sah ihn flehend und kummervoll an. Als aber Otto Ulrichs mit ?berzeugung ?u?erte: „Hendrik geh?rt zu uns“, wiederholte Ulrichs. „Und er wird das durch die Tat beweisen. Seine Tat wird das Revolution?re Theater sein. In diesem Monat soll es er?ffnet werden.“ „Noch ist es nicht er?ffnet.“ Kroge l?chelte boshaft. „Zun?chst ist nur das Briefpapier da, mit der sch?nen ?berschrift ‘Revolution?res Theater’. Nehmen wir aber sogar einmal an, es kommt zur Er?ffnung: Glauben Sie, H?fgen wird sich heraustrauen mit einem wirklich revolution?ren St?ck?“ Ziemlich heftig erwiderte Ulrichs: „In der Tat glaube ich das! ?brigens ist das St?ck ja schon ausgesucht – man kann wohl sagen, dass es ein revolution?res ist.“ Kroge machte, mit der Miene und Geb?rde eines m?den und ver?chtlichen Zweifels: „Wir werden ja sehen.“ Hedda von Herzfeld, die bemerkte, dass Ulrichs rot wurde vor ?rger, fand es geraten, nunmehr das Thema zu wechseln. „Was war das eigentlich vorhin f?r eine fantastische kleine ?u?erung von diesem Miklas? Stimmt es also doch, dass der Bursche Antisemit ist und mit den Nationalsozialisten zu tun hat?“ Bei dem Wort „Nationalsozialisten“ verzerrte sich ihr Gesicht vor Ekel, als h?tte sie eine tote Ratte ber?hrt. Schmilz lachte ver?chtlich, w?hrend Kroge sagte: „So einen k?nnen wir gerade gebrauchen!“ Ulrichs versicherte sich durch einen Seitenblick, dass Miklas ihnen nicht zuh?rte, ehe er mit ged?mpfter Stimme erkl?rte: „Hans ist im Grunde ein guter Kerl – ich wei? das, denn ich habe mich oft mit ihm unterhalten. Mit so einem Jungen muss man sich viel und nachsichtig besch?ftigen – dann gewinnt man ihn vielleicht noch f?r die gute Sache. Ich glaube nicht, dass er f?r uns schon ganz verloren ist. Seine Aufs?ssigkeit, seine allgemeine Unzufriedenheit sind falsch gelandet – verstehen Sie, was ich meine?“ Frau Hedda nickte; Ulrichs fl?sterte eifrig: „In so einem jungen Kopf ist alles wirr, alles ungekl?rt – es laufen ja heute Millionen herum wie dieser Miklas. Bei denen gibt es vor allem einen Hass, und der ist gut, denn er gilt dem Bestehenden. Aber dann hat so ein Bursche Pech und f?llt den Verf?hrern in die H?nde, und die verderben seinen guten Hass. Sie erz?hlen ihm, an allem ?bel seien die Juden schuld, und der Vertrag von Versailles[27 - der Vertrag von Versailles: der am 28.6.1919 in Versailles von den Ententem?chten und dem Deutschen Reich zur Beendigung des ersten Weltkrieges unterzeichnete Friedensvertrag.], und er glaubt den Dreck und vergisst, wer eigentlich die Schuldigen sind, hier und ?berall. Das ist das ber?hmte Ablenkungsman?ver, und bei all diesen jungen Wirrk?pfen, die nichts wissen und nicht richtig nachdenken k?nnen, hat es Erfolg. Da sitzt dann so ein H?ufchen Ungl?ck und l?sst sich Nationalsozialist schimpfen!“ Sie schauten alle vier zu Hans Miklas hin, der an einem kleinen Tisch in der entferntesten Ecke des Raumes, bei der dicken alten Souffleuse, Frau Efeu, bei Willi Bock, dem kleinen Garderobier, und bei dem B?hnenportier, Herrn Knurr, Platz genommen hatte. Von Herrn Knurr wurde behauptet, dass er ein Hakenkreuz unter dem Rockaufschlag versteckt trage und dass seine Privatwohnung voll sei von den Bildern des nationalsozialistischen „F?hrers“, die er in der Portiersloge denn doch nicht aufzuh?ngen wagte. Herr Knurr hatte heftige Diskussionen und Streitigkeiten mit den kommunistischen B?hnenarbeitern, die ihrerseits nicht im H. K. verkehrten, sondern ihren eigenen Stammtisch in einer Kneipe gegen?ber hatten – wo sie zuweilen von Ulrichs besucht wurden. H?fgen wagte sich beinah nie an den Stammtisch der Arbeiter; er f?rchtete, die M?nner w?rden ?ber sein Monokel lachen. Andererseits pflegte er zu klagen, das H. K. sei ihm durch die Anwesenheit des nationalistischen Herrn Knurr ganz verleidet. „Dieser verfluchte Kleinb?rger“, sagte H?fgen von ihm, „der auf seinen F?hrer und Erl?ser wartet wie die Jungfer auf den Kerl, der sie schw?ngern soll! Mir wird immer hei? und kalt, wenn ich an der Portiersloge vorbeigehen muss und an das Hakenkreuz unter seinem Rockaufschlag denke…“ „Nat?rlich hat er eine ekelhafte Kindheit gehabt“, sagte Otto Ulrichs, der noch bei Hans Miklas war. „Er hat mir einmal davon erz?hlt. Aufgewachsen ist er in irgend so einem finsteren niederbayrischen Nest. Der Vater ist im Weltkrieg gefallen, die Mutter scheint eine aufgeregte, unvern?nftige Person zu sein; machte den verr?cktesten Krach, als der Junge zum Theater gehen wollte – man kann sich das ja alles vorstellen. Er ist ehrgeizig, flei?ig, auch begabt; er hat enorm viel gelernt, mehr als die meisten von uns. Urspr?nglich wollte er Musiker werden, er hat den Kontrapunkt gelernt, und er kann Klavier spielen, und er kann Akrobatik und Steptanzen und Ziehharmonika und ?berhaupt alles. Er arbeitet den ganzen Tag, dabei ist er wahrscheinlich krank, sein Husten klingt scheu?lich. Nat?rlich findet er, dass er zur?ckgesetzt wird und nicht gen?gend Erfolg hat, und schlechte Rollen. Er glaubt, wir sind verschworen gegen ihn, von wegen seiner so-genannten politischen Gesinnung.“ Ulrichs schaute noch immer, aufmerksam und ernst, zum jungen Miklas hin?ber. „95 Mark Monatsgehalt“, sagte er pl?tzlich und blickte drohend auf Direktor Schmilz, der sofort unruhig auf seinem Stuhl zu r?cken begann, „es ist schwer, dabei ein anst?ndiger Mensch zu bleiben.“ Nun schaute auch die Herzfeld aufmerksam zu Miklas hin?ber. Zum Garderobier Bock, zur Souffleuse Efeu und Herrn Knurr pflegte Hans Miklas sich stets dann zu setzen, wenn er sich recht niedertr?chtig benachteiligt fand von der Direktion des K?nstlertheaters, die er vor seinen politischen Freunden als „verjudet“ und „marxistisch“ bezeichnete. Vor allem hasste er H?fgen, diesen „ekelhaften Salonkommunisten“. H?fgen war, wenn man Miklas glauben durfte, eifers?chtig und eitel; H?fgen war gr??enwahnsinnig und wollte alles spielen, besonders aber spielte er ihm, Miklas, die Rollen weg. „Es ist eine Gemeinheit, dass er mir den Moritz Stiefel nicht gelassen hat“, ?u?erte der Verbitterte. Miklas schaute zornig auf seine eigenen Beine, die mager und sehnig waren. Garderobier Bock, ein dummer Bursche mit w?ssrigen Augen und sehr blonden, sehr harten Haaren, die er kurz geschoren wie eine B?rste trug, kicherte ?ber seinem Bierglas: niemand wusste, ob ?ber Hendrik H?fgen, der als Gymnasiast komisch aussehen w?rde, oder ?ber den machtlosen Zorn des jungen Hans Miklas. Die Souffleuse Efeu hingegen zeigte Entr?stung; sie best?tigte Miklas, dass es eine Gemeinheit sei. Das m?tterliche Interesse, das die dicke alte Person an dem jungen Menschen nahm, brachte f?r diesen praktische Vorteile mit sich. ?brigens sympathisierte sie auch politisch mit ihm. Sie stopfte ihm seine Socken, lud ihn zum Abendessen ein; schenkte ihm Wurst, Schinken und Eingemachtes. „Damit du dicker wirst, Junge“, sagte sie und schaute ihn z?rtlich an. Dabei gefiel ihr gerade die Magerkeit seines trainierten, nicht sehr gro?en, elastischen, schmalen K?rpers. Wenn sein dichtes dunkelblondes Haar am Hinterkopf gar zu widerspenstig in die H?he stand, sagte die Efeu: „Du siehst aus wie ein Gassenjunge!“ und holte einen Kamm aus dem Beutel. Wie ein Gassenjunge sah Hans Miklas wirklich aus, freilich wie einer, dem es nicht besonders gut geht und der seine Angegriffenheit trotzig bezwingt. Sein Leben war anstrengend; er trainierte den ganzen Tag, mutete seinem schmalen K?rper vieles zu, wahrscheinlich kamen daher seine Reizbarkeit und der finster abweisende Ausdruck seines jungen Gesichtes. Dieses Gesicht hatte ?ble Farben; unter den starken Backenknochen gab es schwarze L?cher, so eingefallen waren die Wangen. Um die hellen Augen waren die R?nder auch beinah schwarz. Hingegen war die reine, kindliche Stirne wie beschienen von einer bleichen und empfindlichen Helligkeit; auch der Mund leuchtete, aber auf ungesunde Art, viel zu rot; in den abweisend vorgeschobenen Lippen schien sich alles Blut zu sammeln, von dem das Gesicht sonst leer war. Unter den starken und verf?hrerischen Lippen, von denen die Souffleuse Efeu oft den Blick nicht lassen konnte, entt?uschte das zu kurze, schw?chlich abfallende Kinn. „Heute fr?h, auf der Probe, hast du wieder ganz zum F?rchten ausgesehen“, sprach die Efeu besorgt. „So schwarze, tiefe L?cher in den Backen! Und der Husten! Dumpf hat der geklungen – zum Erbarmen!“ Miklas konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn bemitleidete; nur die Gaben, in die solches Mitleid sich umsetzte, nahm er gerne, wenngleich wortkarg entgegen. Das klagende Gerede der Efeu ?berh?rte er einfach. Hingegen wollte er von Bock wissen: „Stimmt es, dass der H?fgen sich heute den ganzen Abend in seiner Garderobe hinter dem Paravent versteckt hat?“ Bock konnte es nicht in Abrede stellen. Miklas fand H?fgens Betragen derartig albern, dass es ihn geradezu in Heiterkeit versetzte, „Ich sage doch, ein kompletter Narr!“ Dabei lachte er triumphierend. „Und das alles wegen einer J?din, der der Kopf bis dahin zwischen den Schultern steckt!“ Er machte sich bucklig, um anzudeuten, wie die Martin aussehe: die Efeu am?sierte sich herzlich. „Und so etwas will ein Star sein!“ Mit seinem h?hnischen Ausruf konnte er ebensowohl die Martin meinen wie H?fgen. Beide geh?rten, nach seinem Urteil, in dieselbe bevorzugte, undeutsche, tief verwerfliche Clique. „Die Martin!“ redete er weiter, das b?se, leidende, reizvolle junge Gesicht in die mageren, nicht ganz sauberen H?nde gest?tzt. „Sie soll ja auch immer diese salonkommunistischen Phrasen dreschen, mit ihren tausend Mark jeden Abend. Eine Bande ist das! Aber es wird aufger?umt werden mit denen – der H?fgen wird auch noch dran glauben m?ssen!“ Das enge Lokal war voll Rauch. „Die Luft ist ja dick zum Schneiden“, klagte die Motz. „Das h?lt doch der st?rkste Mann nicht aus. Und meine Stimme! Kinder, morgen k?nnt ihr mich wieder beim Halsarzt sitzen sehen.“ Niemand hatte Lust, sie sitzen zu sehen. Rahel Mohrenwitz machte sogar ironisch: „Huch, unsere Koloraturs?ngerin!“ – wof?r sie einen f?rchterlichen Blick von der Motz bekam, die sowieso etwas gegen Rahel hatte: Petersen wusste, warum. Erst gestern wieder hatte man ihn in der Garderobe des d?monischen M?dchens gefunden, und die Motz hatte weinen m?ssen. Heute aber schien sie entschlossen, sich keinesfalls die Stimmung verderben zu lassen von einer dummen Gans, die sich vielleicht auf ihr Monokel und ihre l?cherliche Frisur noch was einbildete. Vielmehr faltete sie die H?nde vor dem Bauch und markierte gem?tliche Stimmung. „Aber nett ist es hier“, sagte sie herzlich. „Was, Vater Hansemann?“ Sie blinzelte dem Wirt zu, dem sie noch 27 Mark schuldete und der deshalb nicht zur?ckblinzelte. Gleich danach entsetzte sie sich, weil Petersen sich ein Beefsteak servieren lie?, noch dazu mit Spiegelei. „Als ob ein Paar W?rstchen nicht gen?gt h?tten!“ Ihr standen Tr?nen des Zorns in den Augen. Zwischen Motz und Petersen gab es viel Streit und Hader, weil der V?terspieler, nach dem Daf?rhalten seiner Freundin, zur Verschwendungssucht neigte. Immer bestellte er sich teure Sachen, und die Trinkgelder, die er spendierte, waren auch zu hoch. „Nat?rlich: Steak mit Ei muss es sein!“ jammerte die Motz. Petersen murmelte, dass ein Mann sich doch anst?ndig ern?hren m?sse. Die Motz aber, ganz au?er Fassung, fragte pl?tzlich mit zornigem Sarkasmus die Mohrenwitz, ob Petersen ihr vielleicht eine Flasche Sekt angeboten habe. „Veuve Cliquot, extrafein!“ schrie die Motz und sprach, bei aller Geh?ssigkeit, den Namen der Sektmarke mit jener Delikatesse aus, welche sie als Salondame legitimierte. Hier?ber war die Mohrenwitz nun ernsthaft beleidigt. „Ich muss doch sehr bitten!“ rief sie schrill. „Soll das ein Witz sein?!“ Das Monokel fiel ihr aus dem Auge, ihr pausb?ckiges, vor ?rger rot gewordenes Gesicht sah pl?tzlich gar nicht mehr d?monisch aus. Kroge blickte schon verwundert auf; Frau von Herzfeld l?chelte ironisch. Der sch?ne Bonetti aber klopfte der Motz auf die Schulter; gleichzeitig auch der Mohrenwitz, die kampfeslustig n?her getreten war. „Zankt euch nicht, Kinder!“ riet er ihnen, um den Mund besonders m?de und angewiderte Falten. „Dabei kommt doch nichts raus. Spielen wir lieber Karten.“ In diesem Augenblick wurden ged?mpfte Rufe laut, und alles drehte sich der T?re zu, die sich ge?ffnet hatte. Dora Martin stand auf der Schwelle. Hinter ihr dr?ngte sich, wie auf der B?hne das Gefolge hinter der K?nigin, das Ensemble, mit dem sie reiste. Dora Martin lachte und winkte allen Mitgliedern des Hamburger K?nstlertheaters zu; dabei rief sie mit ihrer heiteren Stimme, auf jene ber?hmte Alt, die von tausend jungen Schauspielerinnen im ganzen Lande kopiert wurde, in jedem Satz einige Worte zerdehnend: „Kinder, wir sind eingeladen, ein ganz langweiliges Bankett, furchtbar schade, aber wir m?ssen hingehen!“ Sie schien ihre eigene Sprechweise parodieren zu wollen, so eigenwillig verfuhr sie mit der L?nge der Silben. Aber allen klang es lieblich in den Ohren, auch denen, welche die Martin nicht leiden konnten, zum Beispiel dem jungen Miklas. Es war nicht zu leugnen: Ihr Auftritt hatte gro?en Effekt gemacht. Da geschah es, dass jemand hinter ihr sich durchs Gefolge dr?ngte. Es war Hendrik H?fgen, der unvermittelt hervorkam. Er hatte den Smoking an, den er in mond?nen Rollen auf der B?hne trug und der, aus der N?he betrachtet, schon recht abgetragen und fleckig wirkte. ?ber den Schultern lag ihm ein wei?es Seidentuch. Sein Atem flog; Wangen und Stirne waren hektisch ger?tet. Einen recht beunruhigenden Eindruck machte das nerv?se Lachen, das ihn sch?ttelte, w?hrend er sich in gehetzter Eile, umflattert vom Seidentuch, tief ?ber die Hand der Diva b?ckte, und das nicht ohne eine gewisse irrsinnige Herzlichkeit schien. „Entschuldigen Sie“, brachte er hervor. „Es ist ja fantastisch: ich bin viel zu sp?t – was m?ssen Sie von mir denken – eine fantastische Sache…“ Das Lachen beutelte ihn, sein Gesicht wurde immer r?ter. „Aber ich wollte Sie doch nicht gehen lassen“, dabei richtete er sich endlich auf, „ohne Ihnen gesagt zu haben, wie sehr ich diesen Abend genossen habe – wie wundersch?n es gewesen ist!“ Pl?tzlich schien die ungeheuer komische Angelegenheit, ?ber die er fast zersprungen war vor Lachen, nicht mehr zu existieren; er zeigte nun ein ganz ernstes Gesicht. Daf?r war es jetzt an Dora Martin, ein wenig zu lachen, und das tat sie denn auch, besonders heiser und zauberhaft. „Schwindler!“ rief sie, und von dem eigensinnig gedehnten „i“ kam sie gar nicht mehr weg. „Sie sind gar nicht im Theater gewesen! Sie haben sich ja versteckt!“ Dabei schlug sie ihn leicht mit dem gelben, schweinsledernen Handschuh. „Aber das macht nichts“, strahlte sie ihn an. „Sie sollen ja so begabt sein.“ ?ber diese Feststellung, die ?berraschend kam, erschrak H?fgen zun?chst so stark, dass die helle R?te von seinem Gesicht wich, welches fahl wurde. Dann aber sagte er, mit einer Stimme, die schmelzend klang: „Ich? Begabt? Das ist doch ein ganz unbewiesenes Ger?cht…“ Die Vokale konnte auch er zerdehnen, nicht nur Dora Martin brachte dies fertig. Seine Sprachkoketterie hatte eigenen Stil, er war keineswegs darauf angewiesen, irgend jemanden zu kopieren. Dora Martin girrte; er aber sang vor Manieriertheit. Dabei zeigte er jenes L?cheln, das er auf den Proben den Damen vorzumachen pflegte, wenn sie verf?ngliche Szenen zu spielen hatten: Es entbl??te die Z?hne und war ziemlich gemein. Er bezeichnete es als das „aasige“ L?cheln. („Aasiger – verstehst du, meine Liebe? —, aasiger!“ mahnte er auf den Proben Rahel Mohrenwitz oder Angelika Siebert, und er machte es vor.) Ihre Z?hne zeigte auch Dora Martin; er w?hrend der Mund „babytalk“ sprach und der Kopf kokett zwischen den hochgezogenen Schultern steckte, forschten ihre gro?en, klugen, unbetr?gbaren und traurigen Augen in H?fgens Gesicht. „Sie werden es schon noch beweisen, Ihr Talent!“ sagte sie leise, und eine Sekunde lang war nicht nur ihr Blick ernst, sondern auch ihr Gesicht. Ernsten Gesichtes, beinah drohend, nickte sie ihm zu. H?fgen, der sich noch vor einer Viertelstunde hinterm Paravent versteckt hatte, hielt ihren Blick aus. Dann lachte die Martin wieder; girrte: „Wir sind viel zu sp?t!“; winkte und entschwand mit Gefolge. H?fgen war in die Kantine getreten. Die Begegnung mit Dora Martin hatte ihn auf wunderbare Art aufgeheitert; er schien jetzt in einer geradezu festlichen Laune zu sein. Von seinem Antlitz kam ein gn?diger Glanz. Alle schauten auf ihn, nun beinah ebenso bezwungen, wie sie vorhin auf die Berliner Diva geschaut hatten. – Ehe H?fgen Direktor Kroge und Frau von Herzfeld begr??te, war er zu Garderobier Bock getreten. „H?r mal, mein B?ckchen“, sang er und stand verf?hrerisch da: H?nde in die Hosentaschen vergraben, Schultern hochgezogen, und auf den Lippen das aasige L?cheln. „Du musst mir mindestens sieben Mark f?nfzig leihen. Ich will anst?ndig zu Abend essen, und ich habe so ein Gef?hl: V?terchen Hansemann verlangt heute Barbezahlung.“ Aus den schillernden Edelsteinaugen warf er einen misstrauisch schiefen Blick auf Hansemann, der mit blauroter Nase unbewegt hinter der Theke sa?. Bock war aufgesprungen; aus Schreck ?ber H?fgens einerseits ehrenvolles, andererseits grausiges Ansinnen waren seine Augen noch w?ssriger, seine Wangen dunkelrot geworden. W?hrend er stumm erregt in den Taschen w?hlte und Hans Miklas mit geh?ssig gespanntem Blick den ganzen Vorfall beobachtete, war die kleine Angelika eilig hinzugetreten. „Aber Hendrik!“ sagte sie schnell und sch?chtern. „Wenn du Geld brauchst – ich kann dir doch f?nfzig Mark bis zum Ersten leihen!“ Sofort bekam H?fgen fischig kalte Augen. Er sagte hochm?tig ?ber die Schulter: „Mische dich nicht in unsere M?nnergesch?fte, meine Kleine. Bock gibt gerne.“ Der Garderobier nickte aufgeregt, w?hrend sich die Siebert mit nassen Augen zur?ckzog. H?fgen lie?, ohne sich zu bedanken, Bocks Silberm?nzen nachl?ssig in seine Tasche gleiten. Miklas, Knurr und die Efeu schauten finster, Bock fassungslos und Angelika weinend hinter ihm drein, w?hrend er wiegenden Ganges, immer noch das wei?e Seidentuch ?ber den Schultern, das Lokal durchschritt. „V?terchen Schmilz l?sst mich n?mlich verhungern“, erkl?rte er, das sieghaft l?chelnde Gesicht dem Direktorentisch zugewandt. Dort wurde er mit einigem Hallo empfangen; sogar Kroge zwang sich zu einer etwas l?rmenden und nicht ganz echten Herzlichkeit. „Na, alter S?nder, wie geht’s? Haben Sie den Abend gut ?berstanden?“ Er bekam scharfe Falten um den Katermund, fast wie die Motz, und falsche Augen hinter den Brillengl?sern; pl?tzlich war ihm anzumerken, dass er nicht nur kulturpolitische Essays und hymnische Lyrik schrieb, sondern seit ?ber drei?ig Jahren mit dem Theater zu tun hatte. – H?fgen und Otto Ulrichs sch?ttelten sich vertraut, stumm und ausf?hrlich die H?nde. Direktor Schmilz sagte etwas belanglos Scherzhaftes, mit seiner ?berraschend weichen, angenehmen Stimme; Frau von Herzfeld aber l?chelte grundlos ironisch, wobei ihre goldbraunen Augen, feucht vor Innigkeit und fast flehend, auf Hendrik gerichtet waren. Er lie? sich von ihr bei der Auswahl seines Abendessens beraten, was ihr Anlass gab, an ihn heranzur?cken und ihren schweratmenden Busen in seine N?he zu bringen. Sein aasiges L?cheln schien sie nicht abzuschrecken: Sie war es gewohnt, und es gefiel ihr. Als V?terchen Hansemann die Bestellung entgegengenommen hatte, fing H?fgen an, von seiner „Fr?hlings Erwachen“[28 - „Fr?hlings Erwachen“: ein Drama von Frank Wedekind.] – Inszenierung zu sprechen. „Es wird anst?ndig werden, glaube ich“, sagte er ernst; dabei glitten seine pr?fenden Augen durch das Lokal, ?ber die Schauspieler hin, wie die Augen eines Feldherrn ?ber Truppen. „An der Wendla kann die Siebert nichts verderben; Bonetti ist kein idealer Melchior Gabor, aber er schafft es; unsere d?monische Mohrenwitz legt eine erstklassige Ilse hin.“ – Es geschah nicht sehr h?ufig, dass er ohne M?tzchen redete, sondern ernsthaft und um der Sache willen wie eben jetzt. Kroge lauschte ihm achtungsvoll, nicht ohne ?berraschung. Es war die Herzfeld, welche die Stimmung wieder verdarb, indem sie sarkastisch-schmeichlerisch, ihr gro?es, flaumiggepudertes Gesicht ziemlich nahe bei H?fgen, bemerkte: „Nun, und was den Moritz Stiefel betrifft – da wurde ja gerade von berufenster Seite, von Dora selber, festgestellt, dass der junge Schauspieler, dem wir diese Rolle anvertraut haben, nicht ganz unbegabt ist…“ Kroge runzelte missbilligend die Stirne; H?fgen seinerseits schien die Neckerei zu ?berh?ren. „Und wie werden Sie eigentlich als Frau Gabor, meine Teure?“ fragte er die Herzfeld ins Gesicht. Dies war offener und derber Hohn. Dass Frau Hedda eine unbegabte Schauspielerin war, geh?rte zu den bekannten Tatsachen; auch wusste jeder, dass sie darunter litt. Man spottete gern dar?ber, dass die kluge Dame es nicht lassen konnte, aufzutreten, und sei es auch nur in bescheidenen M?tterrollen. Auf Hendriks Ungezogenheit hin versuchte sie, gleichg?ltig die Achseln zu zucken; dabei aber zog eine ins Violette spielende R?te ?ber die gro?e Fl?che ihres unjungen Gesichts. Kroge sah es, und sein Herz zog sich zusammen in einem Mitleid, das nicht weit von Z?rtlichkeit war. Kroge hatte vor vielen Jahren ein Verh?ltnis mit Frau von Herzfeld gehabt. Um das Thema zu wechseln oder um auf das einzige Thema zu kommen, das ihn wirklich besch?ftigte, begann Ulrichs ohne ?bergang vom Revolution?ren Theater zu sprechen. Das Revolution?re Theater war geplant als eine Serie von Sonntag-Vormittag-Veranstaltungen, die unter der Leitung Hendrik H?fgens und dem Protektorat einer kommunistischen Organisation stehen sollten. Ulrichs, f?r den die B?hne zun?chst und vor allem ein politisches Instrument bedeutete, hing mit z?her Leidenschaft an diesem Projekt. Das St?ck, das man f?r die Er?ffnungsvorstellung ausgesucht habe, eigne sich gl?nzend, sagte er nun, er habe es noch einmal genau durchgearbeitet. „Man interessiert sich in der Partei sehr ernsthaft f?r unsere Sache“, erkl?rte er und schaute mit einem bedeutungsvollen Verschw?rerblick auf H?fgen, an Kroge, Schmilz und der Herzfeld vorbei, aber doch stolz darauf, dass sie es h?rten und dass es sie beeindrucken w?rde. – „Nun, die Partei wird mir keinen Schadenersatz zahlen, wenn die guten Hamburger mir dann mein Haus boykottieren“, brummte Kroge, den der Gedanke an das Revolution?re Theater immer skeptisch und verdrie?lich stimmte. „Ja“, sagte er noch, „1918 – da konnte man sich solche Experimente leisten. Aber heute…“ H?fgen und Ulrichs tauschten einen Blick, der ein hochm?tiges und geheimes Einverst?ndnis enthielt und viel Geringsch?tzung f?r die kleinb?rgerlichen Bedenken ihres Direktors. Der Blick dauerte ziemlich lange, Frau von Herzfeld bemerkte ihn und litt. Schlie?lich wendete sich H?fgen, etwas v?terlich herablassend, an Kroge und Schmilz. „Das Revolution?re Theater wird uns nicht schaden – sicher nicht – glauben Sie es nur, V?terchen Schmilz! Was wirklich gut ist, kompromittiert einen niemals. Das Revolution?re Theater wird gut, es wird gl?nzend! Eine Leistung, hinter der ein echter Glaube, ein wirklicher Enthusiasmus steht, ?berzeugt alle – auch die Feinde werden verstummen vor dieser Manifestation unserer gl?henden Gesinnung.“ Seine Augen schillerten, schielten ein wenig und schienen verz?ckt in Fernen zu schauen, wo die gro?en Entscheidungen fallen. Das Kinn hielt er stolz gereckt; auf dem fahlen, nach hinten geneigten, empfindlichen Antlitz lag ein siegesgewisser Glanz. ,Das ist wirkliche Ergriffenheit’, dachte Hedda von Herzfeld. ,Das kann er nicht spielen – so begabt er auch ist.’ Triumphierend sah sie Kroge an, der eine gewisse Bewegtheit nicht verbergen konnte. Ulrichs machte eine feierliche Miene. W?hrend alle noch gebannt sa?en von den Effekten seines r?hrenden Enthusiasmus, ?nderte H?fgen pl?tzlich Haltung und Ausdruck. Er begann ?berraschend zu lachen und deutete auf die Fotografie eines „Heldenvaters“, die ?ber dem Tisch an der Wand hing: die Arme drohend verschr?nkt, biederer Blick unter finsterer Braue, breiter Vollbart, sorgf?ltig ausgebreitet auf einem phantastischen J?gerwams. Hendrik konnte sich gar nicht dar?ber beruhigen, wie drollig er den alten Burschen fand. Unter vielem Gel?chter, nachdem Hedda ihm den R?cken geklopft hatte, weil er am Salat zu ersticken drohte, brachte er hervor, dass er selber ganz ?hnlich, ja, fast genauso ausgesehen habe – als er n?mlich noch die V?terrollen gespielt hatte, an der Norddeutschen Wanderb?hne. „Als ich noch ein Knabe war“, jubelte Hendrik, „da sah ich doch so phantastisch alt aus. Und auf der B?hne ging ich immer geb?ckt vor lauter Verlegenheit. In den ,R?ubern’[29 - „Die R?uber“: ein Drama von Friedrich Schiller.] lie? man mich den alten Moor spielen. Ich war ein hervorragend guter alter Moor. Jeder von meinen S?hnen war zwanzig Jahre ?lter als ich.“ Da er so laut lachte und von der Norddeutschen Wanderb?hne sprach, eilten von allen Tischen die Kollegen herbei: Man wusste, dass nun Anekdoten kommen w?rden, und zwar keine abgestandenen alten, sondern neue, und wahrscheinlich ziemlich gute – es geschah selten, dass Hendrik sich wiederholte. Es wurde ein reizender Abend. H?fgen war blendend in Form. Er bezauberte, er brillierte. Als h?tte er ein gro?es Publikum vor sich, anstatt nur die paar geringen Kollegen, verschwendete er, gro?m?tig-?berm?tig, Witz, Charme und Anekdotenschatz. Was war nicht alles an dieser Wanderb?hne passiert, wo er die V?terrollen hatte spielen m?ssen! Die Motz bekam schon Atemn?te vor Lachen. „Kinder, ich kann nicht mehr!“ schrie sie, und da Bonetti ihr drollig-galant mit dem T?chlein f?chelte, ?bersah sie, dass Petersen sich schon wieder Schnaps bestellte. Als H?fgen aber dazu ?berging, mit schriller Stimme, flatternden Gesten und unheimlich schielenden Augen die jugendliche Sentimentale der Wanderb?hne nachzuahmen, da verzog sogar Vater Hansemann die starre Miene, und Herr Knurr musste sein Grinsen hinter dem Taschentuch verbergen. Mehr Triumph war nicht herauszuholen aus der Situation. H?fgen brach ab. Auch die Motz wurde ernst, da sie feststellte, wie besoffen Petersen war. Kroge gab das Zeichen zum Aufbruch. Es war zwei Uhr morgens. Zum Abschied schenkte die Mohrenwitz, die immer originelle Einf?lle hatte, Hendrik ihre lange Zigarettenspitze, ein dekoratives, ?brigens wertloses St?ck. „Weil du heute abend so enorm am?sant gewesen bist, Hendrik.“ Ihr Monokel blitzte sein Monokel an. Man sah, dass Angelika Siebert, die neben Bonetti stand, vor Eifersucht eine wei?e Nase bekam, und dazu Augen, die tr?nenvoll und gleichzeitig ein wenig t?ckisch waren. Frau von Herzfeld hatte Hendrik aufgefordert, noch eine Tasse Kaffee mit ihr zu trinken. Im leeren Lokal machte Vater Hansemann schon die Lampen aus. F?r Hedda war das Halbdunkel vorteilhaft: Ihr gro?es, weiches Gesicht mit den sanften, klug beseelten Augen erschien nun j?nger, oder doch alterslos. Dieses war nicht mehr das betr?bte Antlitz der alternden, intellektuellen Frau. Die Wangen wirkten nicht mehr flaumig, sondern glatt. Das L?cheln um die orientalisch tr?gen, halbge?ffneten Lippen war nicht mehr ironisch, sondern fast verf?hrerisch. Still und z?rtlich schaute Frau von Herzfeld auf Hendrik H?fgen. Sie dachte nicht daran, dass sie selber reizvoller aussah als sonst; nur dass Hendriks Gesicht mit dem angestrengten Leidenszug an den Schl?fen und dem edlen Kinn blass und deutlich in der D?mmerung stand, merkte sie und genoss sie. Hendrik hatte seine Ellenbogen auf den Tisch gest?tzt und die Fingerspitzen seiner ausgestreckten H?nde gegeneinander gelegt. Diese anspruchsvolle Haltung leistete er sich wie einer, der besonders sch?ne, gotisch spitze H?nde hat. H?fgens H?nde waren aber keineswegs gotisch; vielmehr schienen sie den Leidenszug der Schl?fen durch ihre unsch?ne Derbheit widerlegen zu wollen. Die Handr?cken waren sehr breit und r?tlich behaart; breit waren auch die ziemlich langen Finger, die in eckigen, nicht ganz sauberen N?geln endeten. Gerade diese N?gel waren es wohl, die den H?nden ihren unedlen, beinah unappetitlichen Charakter gaben. Sie schienen aus minderwertiger Substanz zu sein: br?ckelig, spr?de, ohne Glanz, ohne Form und W?lbung. Diese Schadhaftigkeiten und M?ngel aber verbarg die vorteilhafte D?mmerung. Hingegen lie? sie das tr?umerische Schielen der gr?nlichen Augen r?tselhaft und reizend wirken. „Woran denken Sie, Hendrik?“ fragte die Herzfeld, nach langem Schweigen, mit einer innig ged?mpften Stimme. Ebenso leise antwortete H?fgen: „Ich denke daran – dass Dora Martin unrecht hat…“ Hedda lie? ihn, ?ber seine aneinandergelegten H?nde hinweg, ins Dunkel reden, ohne zu fragen oder zu widersprechen. „Ich werde mich nicht beweisen“, klagte er in die D?mmerung. „Ich habe nichts zu beweisen. Niemals werde ich erstklassig sein. Ich bin provinziell.“ Er verstummte, presste die Lippen aufeinander, als erschr?ke er selber vor den Erkenntnissen und Bekenntnissen, zu denen die sonderbare Stunde ihn brachte. „Und weiter?“ fragte Frau von Herzfeld mit sanftem Vorwurf. „Und weiter denken Sie nichts? Immer nur daran?“ Da er stumm blieb, dachte sie: ,Ja – dieses ist wohl das einzige, was ihn wirklich besch?ftigt. Das mit dem politischen Theater vorhin und sein Enthusiasmus f?r die Revolution – das war also auch nur Kom?die.’ Diese Entdeckung erf?llte sie mit Entt?uschung; irgendwo f?hlte sie sich aber auch auf eine merkw?rdige Art von ihr befriedigt. Er lie? mysteri?s die Augen schillern; eine Antwort hatte er nicht. „Merken Sie denn nicht, wie Sie die kleine Angelika qu?len?“ fragte die Frau neben ihm. „Sp?ren Sie denn nicht, dass Sie – andere leiden machen? Irgendwo m?ssen Sie doch f?r all das bezahlen.“ Sie lie? den klagenden und suchenden Blick nicht von ihm. „Irgendwo m?ssen Sie doch b??en – und lieben.“ Nun war es ihr doch peinlich, dass sie dies gesagt hatte. Es war entschieden zuviel, sie hatte sich gehen lassen. Schnell entfernte sie ihr Gesicht von seinem. Zu ihrem Erstaunen bestrafte er sie durch kein b?ses Grinsen, durch kein h?hnisches Wort. Vielmehr blieb sein Blick schielend, schillernd und starr, ins Dunkel gerichtet, als suchte er dort Antwort auf dringliche Fragen, Stillung seiner Zweifel und das Bild einer Zukunft, deren eigentlicher Sinn es war, ihn gro? zu machen. II Die Tanzstunde F?r den n?chsten Tag hatte Hendrik den Beginn der Probe auf halb zehn Uhr angesetzt. P?nktlich versammelte sich das Ensemble, soweit es in „Fr?hlings Erwachen“ besch?ftigt war, teils auf der zugigen B?hne, teils im sp?rlich beleuchteten Parkett. Nachdem man etwa eine Viertelstunde lang gewartet hatte, entschloss sich Frau von Herzfeld dazu, H?fgen aus dem B?ro zu holen, wo er sich seit neun Uhr mit den Direktoren Schmilz und Kroge besprach. Gleich bei seinem Eintritt waren sich alle dar?ber klar, dass er sich heute in der ungn?digsten Stimmung befand – der strahlende Causeur vom vorigen Abend war nicht wiederzuerkennen. Die Schultern auf nerv?se Art hochgezogen, die H?nde in den Hosentaschen vergraben, ging er eilig durch das Parkett und bat, mit einer vor Gereiztheit fast tonlosen Stimme, um ein Exemplar des Textbuches. „Ich habe meines zu Hause liegenlassen.“ Er hatte einen bitter gekr?nkten Ton, der gleichsam allen Anwesenden einen leisen, aber intensiven Vorwurf aus dem Umstand machte, dass er, Hendrik, beim Weggehen vergesslich und zerstreut gewesen war. „Nun, darf ich bitten?“ Es gelang ihm, zugleich wegwerfend ged?mpft und sehr schneidend zu sprechen. „Hat denn niemand so ein Heftchen f?r mich?“ Die kleine Angelika reichte ihm das ihre. „Ich brauche mein Buch nicht mehr“, sagte sie err?tend. „Ich kann meinen Text.“ Hendrik, anstatt sich zu bedanken, bemerkte kurz: „Das will ich auch hoffen!“ – und wandte sich von ihr ab. ?ber dem roten Seidenschal, den er statt eines Hemdes trug – oder der doch das Hemd, falls er ein solches anhatte, versteckte —, wirkte sein Gesicht besonders fahl. Das eine Auge schaute, unter halb gesenktem Lid, ver?chtlich und b?se; vor dem anderen blitzte das Monokel. Als er mit einer pl?tzlich ganz hellen, durchdringenden und etwas klirrenden Kommandostimme rief: „Anfangen, Herrschaften!“ – zuckte alles zusammen. Er rannte im Zuschauerraum umher, w?hrend auf der B?hne gearbeitet wurde. Den Moritz Stiefel – die Rolle, welche er sich selber vorbehalten hatte – lie? er von Miklas, dem seine eigene Partie nur sehr wenig zu tun gab, markieren. Darin konnte man eine besondere Bosheit sehen, da der arme Miklas doch seinerseits den Moritz, f?r sein Leben gerne gespielt h?tte. ?brigens schien H?fgen, mit provokantem Hochmut, den Kollegen andeuten zu wollen, dass er seinerseits es keineswegs n?tig habe, irgend etwas zu probieren oder vorzubereiten: er war der Regisseur, stand ?ber dem Ganzen; seine Routine war so gro? wie sein Genie, die eigene Rolle erledigte er nebenbei; erst auf der Generalprobe w?rde man es von ihm zu sehen und zu h?ren bekommen, wie Moritz Stiefel, der d?stere Gymnasiast, der verzweifelt liebende, der Selbstm?rder aufzufassen und zu spielen sei. Hingegen bekam man es jetzt schon von ihm gezeigt, was man aus dem M?dchen Wendla, dem Knaben Melchior, der m?tterlichen Frau Gabor machen konnte. Hendrik sprang, mit einer ?berraschenden Behendigkeit, auf die B?hne, und wirklich: er verwandelte sich in das zarte M?dchen, das in den morgendlichen Garten tritt und die ganze Welt umarmen m?chte, da sie an den Geliebten denkt; in den lebenshungrigen und stolzen Knaben; in die kluge, sorgenvolle Mutter. Seine Stimme konnte z?rtlich, ?berm?tig oder gedankenvoll klingen. Es gelang ihm, in diesem Augenblick kindlich jung auszusehen, im n?chsten aber uralt. Er war ein gl?nzender Schauspieler. Wenn er es dem sch?nen Bonetti, der die Brauen halb ver?rgert, halb achtungsvoll hochzog, oder der dem?tigen Angelika, die gegen Tr?nen k?mpfte, eindrucksvoll demonstriert hatte, was man mit ihren Rollen eigentlich anfangen k?nnte, wenn man nur das Zeug dazu h?tte, schnitt er eine m?de und ver?chtliche Grimasse, klemmte sich das Monokel vors Auge und stieg ins Parkett zur?ck. Von dort aus erkl?rte, arrangierte und kritisierte er weiter. Keiner blieb verschont von seinen h?hnisch herabsetzenden Worten, sogar Frau von Herzfeld wurde abgekanzelt – was sie mit einem verzerrt-ironischen L?cheln hinnahm —; die kleine Angelika hatte sich schon mehrmals tr?nen?berstr?mt in die Kulisse zur?ckgezogen; auf Bonettis Stirne zeigten sich Zornesadern; am tiefsten und leidenschaftlichsten aber ?rgerte sich Hans Miklas, dessen Gesicht vor Zorn zu verfallen und schwarze L?cher zu bekommen schien. Da alle litten, wurde Hendrik zusehends besserer Laune. W?hrend der Mittagspause, in der Kantine, unterhielt er sich recht angeregt mit Frau von Herzfeld. Um halb drei Uhr lie? er die Gesellschaft wieder zur Arbeit antreten. Es war gegen halb vier Uhr, als der sch?ne Bonetti seinen angewiderten Zug um den Mund bekam, die H?nde in die Hosentaschen steckte und gnauzend wie ein verw?hntes Kind sagte: „Ist denn noch nicht bald Schluss mit der Schinderei?“ Daraufhin warf H?fgen ihm einen vernichtenden Blick zu aus seinen weichen und eiskalten Augen. Er sagte: „Wann aufgeh?rt wird, das bestimme allein ich!“ und hielt das sch?ne Kinn besonders hoch gereckt. Dem eingesch?chterten Ensemble zeigte er das Antlitz eines edlen und nerv?sen Tyrannen. „Weitermachen, Herrschaften!“ rief er, wobei seine Stimme den hellen Metallton hatte, dem fast niemand widerstehen konnte. „Wo haben wir unterbrochen?“ Man probierte folgsam die n?chste Szene, war aber kaum mit ihr zu Ende gekommen, als Hendrik seinerseits einen Blick auf die Armbanduhr warf. Sie zeigte ein Viertel vor vier Uhr: W?hrend er es feststellte, erschrak er, und zwar so heftig, dass es weh im Magen tat. Ihm war eingefallen, dass er um vier Uhr eine Verabredung mit Juliette in seiner Wohnung hatte. Sein L?cheln war etwas krampfhaft, als er dem Ensemble mit hastigfreundlichen Worten mitteilte, nun m?sse Schluss gemacht werden. Dem jungen Miklas, der sich ihm m?rrischen Gesichtes nahte, um irgendeine Frage zu stellen, winkte er eilig ab. Er rannte durch das dunkle Parkett dem Ausgang zu; legte das steile St?ck Weges, das zwischen dem Theaterportal und der Kantine lag, laufend zur?ck; langte atemlos im H. K. an; riss dort seinen braunen Ledermantel und den weichen grauen Hut vom Nagel und war schon davon. Die altmodische Villa, in deren Erdgescho? er ein Zimmer bewohnte, lag in einer jener stillen Stra?en, die vor drei?ig Jahren zu den vornehmsten der Stadt geh?rt hatten. Mit der Inflation waren die meisten Bewohner der feinen Gegend arm geworden; ihre Villen mit den vielen Zinnen und Giebeln sahen schon recht heruntergekommen aus – verwahrlost, wie die gro?en G?rten, die sie umgaben. Auch Frau Konsul M?nkeberg, der Hendrik monatlich vierzig Mark f?r eine ger?umige Stube bezahlte, fand sich in bedr?ngten Verh?ltnissen. Trotzdem war sie eine tadellose, stolze alte Dame geblieben, die ihre sonderbaren Kost?me mit Puff?rmeln und Spitzenumhang w?rdevoll trug, auf deren glattem Scheitel niemals ein Haar sich widerspenstig zu zeigen wagte und um deren schmale Lippen ironische, aber nicht bittere F?ltchen spielten. Hendrik f?hlte sich unsicher in der Gegenwart der Dame M?nkeberg; ihre vornehme Herkunft und Vergangenheit sch?chterten ihn ein. So war es ihm auch jetzt durchaus nicht angenehm, der feinen Alten im Vestib?l zu begegnen, nachdem er gerade die Haust?r so krachend hinter sich ins Schloss geworfen hatte. Angesichts ihrer imposanten Haltung nahm auch er sich ein wenig zusammen; zupfte sich den roten Seidenschal zurecht und klemmte sich das Monokel vors Auge. „Guten Abend, gn?dige Frau, wie geht es Ihnen?“ sprach er mit der singenden Stimme, die sich am Ende der H?flichkeitsfloskel nicht hob, wodurch der formelhaft konventionelle und anmutig leere Charakter des Satzes betont ward. Die artige kleine Anrede begleitete er mit einer leichten Verneigung, die, bei aller eleganten Nachl?ssigkeit, doch beinah h?fischen Stil hatte. Die Witwe M?nkeberg l?chelte nicht; nur die F?ltchen einer erfahrenen Ironie spielten ihr ein wenig st?rker um Augen und schmale Lippen, als sie erwiderte: „Beeilen Sie sich, lieber Herr H?fgen! Ihre – Lehrerin erwartet Sie schon seit einer Viertelstunde.“ Die boshafte kleine Pause, welche Frau M?nkeberg vor dem Wort „Lehrerin“ machte, bewirkte, dass Hendrik sein Gesicht hei? werden f?hlte. ,Sicher bin ich ganz rot geworden’, dachte er, ?rgerlich und besch?mt. ,Aber sie kann es wohl hier im Halbdunkel nicht bemerken’, versuchte er, sich selbst zu beruhigen, w?hrend er sich mit der vollendeten Anmut eines spanischen Granden zur?ckzog. „Ich danke Ihnen, gn?dige Frau.“ Er hatte die T?re zu seinem Zimmer ge?ffnet. Im R?ume herrschte ein rosiges Halbdunkel; es brannte nur die mit buntem Seidentuch verh?llte Lampe auf dem niedrigen, runden Tisch neben dem Schlafsofa. In die farbige D?mmerung hinein rief Hendrik H?fgen mit einer ganz kleinen, dem?tigen, etwas zitternden Stimme: „Prinzessin Tebab, wo bist du?“ Aus einer dunklen Ecke antwortete ihm ein tiefes, grollendes Organ: „Hier, du Schwein – wo denn sonst?“ „Oh – danke —-“, sagte, immer noch sehr leise, Hendrik, der mit gesenktem Haupt bei der T?re stehengeblieben war. „Ja … jetzt kann ich dich sehen … Ich bin froh, dass ich dich sehen kann…“ „Wieviel Uhr ist es?“ schrie die Frau aus der Ecke. Hendrik versetzte bebend: „Ungef?hr vier Uhr – denke ich.“ „Ungef?hr vier Uhr! Ungef?hr vier Uhr!“ h?hnte die b?se Person, die immer noch im Schatten unsichtbar blieb. „Ist ja drollig! Ist ja ausgezeichnet!“ Sie sprach mit einem stark norddeutschen Akzent. Ihre Stimme war ausgeschrien wie die eines Matrosen, der sehr viel s?uft, raucht und schimpft. „Es ist ein Viertel nach vier Uhr“, stellte sie fest, pl?tzlich unheimlich leise. Mit derselben schauerlichen Ged?mpftheit, die nichts Gutes verhie?, forderte sie ihn auf: „Willst du nicht eben mal ein bisschen n?her an mich ran kommen, Heinz – nur ein ganz klein bisschen! Aber erst mach das Licht an!“ Unter der Anrede „Heinz“ zuckte Hendrik zusammen wie unter dem ersten Schlag. Er gestattete es keinem Menschen, auch seiner Mutter nicht, ihn so zu nennen: Nur Juliette durfte es wagen. Au?er ihr wusste es wohl niemand hier in der Stadt, dass sein eigentlicher Vorname Heinz war – ach, in welcher s??en und schwachen Stunde hatte er es ihr anvertraut? Heinz: das war der Name, mit dem alle ihn angeredet hatten, bis zu seinem achtzehnten Jahr. Erst als er sich dar?ber klargeworden war, dass er Schauspieler und ber?hmt werden wollte, hatte er sich den gew?hlteren „Hendrik“ zugelegt. Wie schwer war es bei der Familie durchzusetzen gewesen, dass man sich an ihn gew?hnte und ihn ernst nahm – diesen ausgefallenen, anspruchsvollen „Hendrik“! Wie viele Briefe, die mit „Mein lieber Heinz!“ begannen, hatte man unbeantwortet gelassen – bis auch die Mutter Bella und die Schwester Josy sich endlich zu der neuen Anrede bequemten. Mit Jugendfreunden, die hartn?ckig bei „Heinz“ blieben, hatte man den Verkehr rigoros abgebrochen; ?brigens legte man ohnedies keinen Wert auf den Umgang mit Kameraden, die peinliche Anekdoten aus einer schalen Vergangenheit mit dem wiehernden Gel?chter eines taktlosen Humors hervorzuholen liebten. Heinz war gestorben; Hendrik sollte gro? werden. – Der junge Schauspieler H?fgen k?mpfte einen erbitterten Kampf mit den Agenturen, den Theaterdirektoren und Feuilletonredaktionen darum, dass man seinen frei erfundenen, prezi?sen Vornamen richtig schriebe. Er zitterte vor Zorn und Gekr?nktheit, wenn er sich auf einem Programm oder in einer Rezension als „Henrik“ aufgef?hrt fand. Das kleine „d“ in der Mitte seines selbstgew?hlten Namens war f?r ihn ein Buchstabe von ganz besonderer, magischer Bedeutung: Wenn er es erst erreicht haben w?rde, dass ausnahmslos alle Welt ihn als „Hendrik“ anerkannte – dann war er am Ziel, ein gemachter Mann. Eine so dominierende Rolle spielte der Name – der mehr als eine Personalbezeichnung, n?mlich eine Aufgabe und Verpflichtung war – in Hendrik H?fgens ehrgeizigen Gedanken. Trotzdem duldete er es nun, dass Juliette aus ihrer finsteren Ecke ihn drohend anredete mit dem abgelegten und verhassten „Heinz“. Er gehorchte ihren beiden Befehlen; bewegte den Lichtschalter, so dass pl?tzlich eine grelle Helligkeit ihm die Augen blendete, und machte dann, die Stirn noch immer gesenkt, ein paar Schritte auf Juliette zu. Einen Meter entfernt von ihr blieb er stehen; auch dieses aber war ihm nicht gestattet. Sie murmelte mit einer heiseren und h?chst beunruhigenden Freundlichkeit – wobei ihre Z?hne zusammengebissen blieben: „Komm doch n?her, mein Junge!“ Da er sich nicht von der Stelle bewegte, lockte sie ihn, wie einen Hund, den man mit Schmeichelt?nen an sich heranholt, um dann um so grausamer zu strafen: „Nur n?her, mein Sch?ner! Ganz nahe! Nur keine Angst!“ Er blieb immer, noch bewegungslos, immer noch mit dem geneigten Gesicht; Schultern und Arme hingen ihm schlaff nach vorne, um Schl?fen und Augenbrauen trat ein leidender, gespannter Zug hervor; die gebl?hten N?stern schnupperten ein penetrant s??es und gemeines Parf?m, das sich mit einem anderen, noch wilderen, aber durchaus nicht s??en Geruch – der Ausd?nstung eines K?rpers – auf erregende und peinigende Art vermischte. Da das M?dchen durch seine wehleidige und edle Positur auf die Dauer gelangweilt und irritiert wurde, lie? sie pl?tzlich eine Zornesstimme h?ren, die wie heiseres Br?llen aus dem Urwald klang: „Steh doch nicht da, als ob du dir in die Hosen gemacht h?ttest! Kopf hoch, Mensch!“ Majest?tischer f?gte sie hinzu: „Blicke mir ins Gesicht!“ Er hob langsam den Kopf, w?hrend sich der Leidenszug um seine Schl?fen vertiefte. Im fahlen Antlitz waren seine gr?nblauen Augen erweitert – vor Wonne oder vor Angst. Sprachlos starrte er auf Prinzessin Tebab, seine Schwarze Venus. Negerin war sie nur von der Mutter her – ihr Vater war ein Hamburger Ingenieur gewesen —; aber die dunkle Rasse hatte sich als st?rker erwiesen als die helle; sie sah nicht nach „Halbblut“ aus, sondern beinah nach Vollblut. Die Farbe ihrer rauhen, stellenweis etwas rissigen Haut war dunkelbraun, an manchen Partien – zum Beispiel auf der niedrigen, gew?lbten Stirne und auf den schmalen, sehnigen Handr?cken – fast schwarz. Heller gef?rbt hatte die Natur nur das Innere ihrer H?nde; w?hrend sie selbst, mittels Auflegen von Schminke, die Farbe ihrer oberen Wangenh?lften eigenwillig ver?ndert hatte: ?ber den starken, brutal geformten Backenknochen lag das k?nstliche Hellrot wie ein hektischer Schimmer. Auch die Augenpartie war kosmetisch bearbeitet: die Brauen abrasiert und durch schmale Kohlestriche ersetzt; die Wimpern k?nstlich verl?ngert; die Schatten auf dem oberen Lid, und bis hinauf zu den schmalen Brauen, ins R?tlichblaue vertieft. Hingegen hatte sie den wulstigen Lippen die nat?rliche Farbe gelassen. ?ber den blendenden Zahnreihen, die sie beim Lachen wie beim Schimpfen entbl??te, erschienen sie rauh, wie das Fleisch der H?nde und des Halses, und von einem dunklen Violett, gegen dessen tr?ben Ton das gesunde Rot des Zahnfleisches und der Zunge heftig kontrastierte. In ihrem Gesicht, das von den beweglichen, grausamen und gescheiten Augen und von den blitzenden Z?hnen beherrscht war, bemerkte man zun?chst gar nicht die Nase; wie flach und eingedr?ckt sie war, erkannte man erst bei genauerem Hinschauen. Diese Nase schien in der Tat so gut wie nicht vorhanden; sie wirkte nicht wie eine Erh?hung inmitten der w?sten und auf eine schlimme Art attraktiven Maske; eher wie eine Vertiefung. F?r Juliettens h?chst barbarisches Haupt h?tte man sich als Hintergrund eine Urwaldlandschaft gew?nscht statt dieser b?rgerlichen Stube mit ihren Pl?schm?beln, Nippesfiguren und seidenen Lampenschirmen. ?brigens entt?uschte nicht nur die Dekoration, von der dieses Haupt sich abhob, sondern auch die Kr?nung des Hauptes selber: das Haar. Es war keineswegs die krause, schwarze M?hne, die man zu dieser Stirne, diesen Lippen passend gefunden h?tte; vielmehr ?berraschte es durch Glattheit und eine mattblonde F?rbung. Die Frisur war einfach; der Scheitel in der Mitte gezogen. Die dunkle Dame gefiel sich in der Behauptung, so seien ihre Haare immer gewesen, niemals habe sie etwas an ihnen ver?ndert: ihre Farbe und Beschaffenheit habe sie vom Vater, dem Ingenieur Martens aus Hamburg, geerbt. Dass ein Mann dieses Namens und dieses Berufes ihr Vater gewesen war, schien festzustehen oder wurde doch von niemandem bestritten. ?brigens war Martens seit Jahren tot. Der arbeitsreiche Aufenthalt im Inneren Afrikas war ihm nicht bekommen. Geschw?cht vom Malariafieber, das Herz ruiniert von Chininspritzen und von alkoholischen Exzessen, war er nach Hamburg zur?ckgekehrt, um dort, eilig und ohne viel Aufsehen zu erregen, zu sterben. Das Negerm?dchen, das seine Geliebte gewesen war, lie? er am Kongo; ebenso das dunkelh?utige kleine Gesch?pf, dessen Vater er sein mochte. Die Nachricht vom Tode des Ingenieurs drang nicht bis nach Afrika. Nach geraumer Zeit verlor Juliette auch noch die Mutter; nun machte sie sich auf in das sehr ferne, sicherlich sehr wundervolle Deutschland. Sie hoffte, dort von der v?terlichen Liebe lanciert zu werden. Indessen konnte man ihr nicht einmal das Grab des Ingenieurs zeigen; die Gebeine ihres armen Vaters waren verlorengegangen wie sein Andenken. Ein Gl?ck f?r die junge Juliette, dass sie leidlich Steptanzen konnte: sie hatte es noch bei den Ihren gelernt. So gelang es ihr, bald eine Anstellung in einem der besten Etablissements von St. Pauli zu finden. Dort h?tte sie sich sicherlich halten k?nnen, und vielleicht w?re der gescheiten und energischen Person ein ehrenvoller Aufstieg beschieden gewesen – h?tten nur ihr heftiges Temperament und eine unbeherrschbare Neigung f?r starke Getr?nke ihr nicht den allerfatalsten Strich durch die Rechnung gemacht. Sie liebte es und konnte es gar nicht lassen, mit der Reitpeitsche auf diejenigen ihrer Bekannten und Kollegen loszugehen, mit denen sie gerade nicht in allen St?cken der gleichen Meinung oder Stimmung war: eine Angewohnheit, ?ber die man in St.-Pauli-Kreisen sich zun?chst wie ?ber eine humoristische und niedliche Nuance erg?tzte, die aber auf die Dauer gar zu originell und ?brigens einfach st?rend wurde. Juliette bekam ihre Entlassung und erlebte nun, in unbesorgt geschwindem Tempo, das, was man gemeinhin „von Stufe zu Stufe sinken“ nennt; das hei?t: sie musste ihre Tanzk?nste in immer kleineren, immer ?bler beleumundeten Lokalen zeigen. Ihre Einnahmen aus solcher T?tigkeit wurden nach und nach so gering, dass sie sich bald gezwungen sah, ihnen durch Nebenverdienste aufzuhelfen. Welche Besch?ftigung kam in Frage, wenn nicht die des abendlichen Spaziergangs auf der Reeperbahn[30 - Reeperbahn: Vergn?gungsviertel in Hamburg.] und in den benachbarten Gassen? Ihr sch?ner, dunkler K?rper, den sie in aufrechtem, stolzem, ja fast hochm?tigem Gang ?ber das Trottoir bewegte, war wahrhaftig nicht das schlechteste St?ck von diesem ungeheuren Ausverkauf der Leiber, der sich hier alln?chtlich den durchreisenden Matrosen und den armen wie den ehrenwerten M?nnern der Stadt Hamburg bot. Der Schauspieler H?fgen ?brigens hatte die Bekanntschaft seiner Schwarzen Venus keineswegs auf dem Strich gemacht; vielmehr in der engen, vom Tabaksqualm und vom L?rm besoffener Schiffer erf?llten Kneipe, wo sie, f?r eine Abendgage von drei Mark, ihre dunklen, glatten Glieder und ihre kunstvoll klappernden Steps zur Schau stellte. Auf dem Programm des finsteren Kabaretts war die schwarze T?nzerin Juliette Martens als „Prinzessin Tebab“ angezeigt – ein Name, den sie nur als K?nstlerin f?hren durfte, auf den sie aber auch im zivilen Leben Anspruch zu haben behauptete. Durfte man ihren Angaben Glauben schenken, so war ihre verstorbene Mutter, die verlassene Geliebte des Hamburger Ingenieurs, von rein f?rstlichem Blute gewesen: Tochter eines veritablen, unermesslich reichen, gro?m?tigen und leider in relativ zartem Alter von seinen Feinden verspeisten Negerk?nigs. Was Hendrik H?fgen betrifft, so war er weniger von ihrem Titel beeindruckt gewesen – obwohl auch dieser ihm ganz au?erordentlich gefallen hatte – als vielmehr von ihren beweglichen grausamen Augen und von den Muskeln ihrer schokoladenfarbenen Beine. Nachdem die Nummer der Prinzessin Tebab beendet gewesen war, hatte er sich in der Garderobe der K?nstlerin melden lassen, um ihr seinen – zun?chst vielleicht etwas ?berraschend klingenden – Wunsch vorzutragen: n?mlich den, Tanzstunden bei ihr zu nehmen. „Heute muss ein Schauspieler trainiert sein wie ein Akrobat“, hatte H?fgen erkl?rend hinzugef?gt; aber die Prinzessin schien nicht sehr begierig auf seine Erl?uterungen. Ohne sich lang zu verwundern, hatte sie den Preis pro Stunde und das erste Rendezvous verabredet. So war die Beziehung zwischen Hendrik H?fgen und Juliette Martens entstanden. Das dunkle M?dchen war die „Lehrerin“ – also die Herrin; vor ihr stand der bleiche Mann als der „Sch?ler“ – als der Gehorchende, Sich-Erniedrigende, der die h?ufige Strafe mit der gleichen Demut empf?ngt wie das seltene, karge Lob. „Blicke mich an!“ verlangte Prinzessin Tebab und rollte schrecklich die Augen, w?hrend die seinen, zugleich begehrend und furchtsam, an ihrer gebieterischen Miene hingen. „Wie sch?n du heute bist!“ brachte er schlie?lich hervor, wobei ihm die Lippen nur m?hsam zu gehorchen schienen. Sie fuhr ihn an: „Lass den Unsinn! Ich bin nicht sch?ner als sonst.“ Dabei strich sie sich aber doch eitel ?ber den Busen und zupfte ihr enges, plissiertes R?ckchen zurecht, das kurz oberhalb der Knie endete. Vom schwarzen Seidenstrumpf war nur ein knappes St?ck sichtbar; denn die gr?nen Schaftstiefel aus geschmeidigem Lackleder reichten bis ?ber die Waden. Zu den pr?chtigen Stiefeln und dem kurzen Rock trug die Prinzessin ein graues Pelzj?ckchen, dessen Kragen im Nacken hochgeschlagen war. An den dunklen, sehnigen Handgelenken klirrten breite Armb?nder aus gemeinem Goldblech. Das eleganteste St?ck ihrer Ausstattung war die Reitpeitsche – ein Geschenk Hendriks. Sie war leuchtend rot, aus geflochtenem Leder. Juliette klopfte mit ihr, in einem kurzen, harten und drohenden Rhythmus, gegen die gr?nen Schaftstiefel. „Du bist wieder eine Viertelstunde zu sp?t“, sagte sie, nach einer langen Pause, die niedrige und zu zwei kleinen Buckeln gew?lbte Stirne in b?se Falten gelegt. „Wie oft soll ich dich noch warnen, mein S??er?“ fragte sie t?ckisch leise, um dann in unvermitteltem Zorne loszubrechen: „Es ist genug!! Ich habe es satt!! Gib mir deine Pfoten!“ Hendrik hob langsam die beiden H?nde, deren Innenfl?chen er nach oben wandte. Dabei lie? er seine hypnotisierten, aufgerissenen Augen nicht von der ergrimmten, schauerlichen Fratze der Geliebten. Sie z?hlte mit einer grellen, pl?rrenden Stimme: „Eins, zwei, drei!“, w?hrend sie zuhieb. Das Geflecht der eleganten Peitsche pfiff grausam quer ?ber seine Handll?chen, auf denen sofort dicke rote Striemen entstanden. Der Schmerz, den er empfand, war so heftig, dass er ihm das Wasser in die Augen trieb. Er verzog den Mund; beim ersten Schlag schrie er leise; dann beherrschte er sich und stand mit einem starren, wei?en Gesicht. „F?r den Anfang hast du genug“, sagte sie und zeigte pl?tzlich ein m?des L?cheln, welches durchaus gegen die Spielregeln ging: es hatte nichts fratzenhaft Grausames, sondern enthielt gutm?tigen Spott und ein wenig Mitleid. Sie lie? die Peitsche sinken, wandte den Kopf und stand – das Gesicht im Profil – in einer sch?nen, traurigen Haltung. „Zieh dich um!“ sagte sie leise. „Wir wollen arbeiten.“ Es gab keinen Paravent, hinter dem er h?tte verschwinden k?nnen, als er die Kleidung wechselte. Unter halbgesenkten Lidern, mit einem ?brigens v?llig uninteressierten Blick, beobachtete Juliette jede seiner Bewegungen. Er musste alles ablegen und ihr seinen hellen, schon etwas zu fetten, r?tlich behaarten K?rper zeigen, ehe er in den ?rmellosen, blau und wei? gestreiften Sweater und in das schwarze Turnh?schen schl?pfte. Schlie?lich stand er vor ihr in der unw?rdigen Tracht, die er seinen „Trainingsanzug“ nannte – in der kindischen und ridik?len Aufmachung, bestehend aus schwarzen, ausgeschnittenen Halbschuhen mit wei?en S?ckchen, die oberhalb der Kn?chel kokett umgerollt waren; aus dem kurzen H?schen von gl?nzend schwarzem Satin – wie die kleinen Buben es in der Turnstunde tragen – und dem gestreiften Hemd, das Hals und Arme entbl??t lie?. Sie musterte ihn, kritisch und kalt. „Du bist seit voriger Woche noch etwas dicker geworden, mein S??er“, konstatierte sie, wobei sie mit der Peitsche h?hnisch gegen ihre gr?nen Stiefel klopfte. „Entschuldige“, bat er leise. Die Schwarze machte sich am Grammophon zu schaffen. In die Jazzmusik hinein, deren rhythmischer L?rm pl?tzlich einsetzte, sagte sie rauh: „Fang schon an!“ Dabei fletschte sie die beiden Reihen ihrer gar zu wei?en Z?hne und bewegte grimmig die Augen: Dies genau war das Mienenspiel, das er jetzt von ihr erwartete und verlangte. Ihr Gesicht stand vor ihm wie die schreckliche Maske eines fremden Gottes: Dieser thront mitten im Urwald, an verborgener Stelle, und was er fordert mit seinem Z?hneblecken und Augenrollen, das sind Menschenopfer. Man bringt sie ihm, zu seinen F??en spritzt Blut, er schnuppert mit der eingedr?ckten Nase den s?? vertrauten Geruch, und er wiegt ein wenig den majest?tischen Oberk?rper nach dem Rhythmus des wild bewegten Tamtams; Um ihn vollf?hren seine Untertanen den verz?ckten Freudentanz. Sie schleudern die Arme und Beine, sie h?pfen, schaukeln sich, taumeln; aus ihrem Gebr?ll wird Wonnegest?hn, aus dem Gest?hn wird ein Keuchen, und schon sinken sie hin, lassen sich lallen vor die F??e des schwarzen Gottes, den sie lieben, den sie ganz bewundern – wie Menschen nur den lieben und ganz bewundern k?nnen, dem sie das Kostbarste geopfert haben: Blut. Hendrik hatte langsam zu tanzen begonnen. Aber wohin war die triumphale Leichtigkeit, die von Publikum und Kollegen an ihm bewundert wurde? Sie war verschwunden; nur unter Qualen schien er jetzt die F??e zu setzen – freilich unter Qualen, die auch Wonnen waren: dies verrieten das selbstvergessene L?cheln der fahlen, aufeinandergepressten Lippen und der benommene Blick. Juliette ihrerseits dachte nicht daran, zu tanzen; sie lie? den Sch?ler sich alleine plagen. Nur durch H?ndeklatschen, rauhe Schreie und rhythmisches Schaukeln des Leibes feuerte sie ihn an. „Schneller, schneller!“ forderte sie w?tend. „Was hast du denn in den Knochen? Und du willst ein Mann sein?! Du willst ein Schauspieler sein und dich auch noch f?r Geld sehen lassen? – Da, du komisches St?ckchen Elend…“ Die Peitsche fuhr ihm ?ber die Waden und ?ber die Arme. Diesmal traten ihm keine Tr?nen in die Augen, welche trocken und gl?hend blieben. Nur seine zusammengepressten Lippen zitterten. Prinzessin Tebab schlug noch einmal zu. Er arbeitete, ohne jede Unterbrechung, eine halbe Stunde lang, als handelte es sich um ein ernsthaftes Training anstatt um eine etwas schauerliche Lustbarkeit. Schlie?lich keuchte er heftig. Er taumelte. Sein Gesicht war schwei?bedeckt. M?hsam brachte er hervor: „Mir ist schwindlig. Darf ich aufh?ren…?“ Sie erwiderte, mit einem Blick auf die Uhr, kurz und sachlich: „Mindestens noch eine Viertelstunde musst du springen.“ Da die Musik wieder pl?rrte und Juliette wieder frenetisch in die H?nde klatschte, versuchte er noch einmal den komplizierten Step. Aber die gequ?lten F??e, in ihren koketten Halbschuhen und S?ckchen, verweigerten ihm den Dienst. Hendrik schwankte eine Sekunde lang; stand darin still; wischte sich mit der zitternden Hand den Schwei? von der Stirne. „Was machst du f?r Scherze?“ grollte sie. „Du h?rst auf, ohne meine Erlaubnis?! Das w?re ja das Allerneueste und noch das Sch?nere!“ Sie zielte mit der roten Peitsche nach seinem Gesicht; er duckte sich noch rechtzeitig, um diesem f?rchterlichen Schlage zu entgehen. Abends ins Theater kommen mit einer blutigen Strieme von der Stirn bis zum Kinn: das w?re denn doch etwas zuviel gewesen. Trotz der benommenen Stimmung, in der er sich befand, blieb ihm klar, dass er sich dergleichen keinesfalls leisten durfte. „Lass das!“ sagte er kurz. W?hrend er sich schon von ihr abwendete, f?gte er noch hinzu: „Genug f?r heute.“ Sie verstand, dass dies kein Spa? mehr war. Ohne etwas zu antworten, mit einem erleichterten kleinen Seufzer, schaute sie ihm zu, wie er in seinen ?ppig gef?tterten, rotseidenen, ?brigens an mehreren Stellen zerrissenen Schlafrock schl?pfte und sich auf dem Ruhebett niederlie?. Das Sofa, welches man f?r die Nacht als Bett herrichten konnte, war tags?ber bedeckt mit T?chern und bunten Kissen. Neben dem Kanapee[31 - Kanapee: Sofa, Couch.] stand die Lampe auf dem runden, niedrigen Rauchtisch. „Mach das grelle Licht aus!“ bat Hendrik mit der singenden, wehleidigmelodischen Stimme. „Und komme zu mir, Juliette!“ Durch das rosige Halbdunkel schritt sie auf ihn zu. Als sie neben ihm stehenblieb, seufzte er leise: „Wie gut!“ „Hat es dir Spa? gemacht?“ fragte sie ziemlich trocken. Sie hatte sich eine Zigarette angez?ndet und reichte auch ihm Feuer; er benutzte zum Rauchen die lange, ordin?re Zigarettenspitze, das Geschenk der Rahel Mohrenwitz. „Ich bin v?llig erledigt“, sagte er. Daraufhin verzog sie ihren gewaltigen Mund zu einem gutm?tigen und verst?ndnisvollen L?cheln. „Das ist recht“, sagte sie, wobei sie sich ?ber ihn beugte. Er hatte seine breiten, bleichen, r?tlich behaarten H?nde auf ihre edlen, von schwarzer Seide ?bergl?nzten Knie gelegt. Tr?umerisch sprach er: „Wie h?sslich meine gemeinen H?nde auf deinen herrlichen Beinen aussehen, Geliebte!“ „An dir ist alles h?sslich, mein Schweinchen – Kopf, F??e, H?nde, und alles!“ versicherte sie ihm mit einer knurrenden Z?rtlichkeit. Sie lie? sich neben ihn hingleiten. Das graue Pelzj?ckchen hatte sie abgelegt; darunter trug sie eine knappe, hemdartige Bluse aus einem stark gl?nzenden, rot und schwarz karierten Seidenstoff. „Ich werde dich immer lieben“, sagte er ersch?pft. „Du bist stark. Du bist rein.“ Dabei schaute er, unter gesenkten Lidern, auf ihre harten und spitzen Br?ste, die sich unter dem eng anliegenden, d?nnen Gewebe deutlich abhoben. „Ach, das sagst du nur so“, meinte sie ernst und ein wenig ver?chtlich. „Das bildest du dir nur ein. Manche Leute haben das – dass sie sich immer so was einbilden m?ssen. Sonst f?hlen sie sich nicht wohl.“ Er tastete mit seinen Fingern nach ihren hohen und geschmeidigen Stiefeln. „Aber ich wei? doch, dass ich dich immer lieben werde“, fl?sterte er, nun mit geschlossenen Augen. „Nie wieder finde ich eine Frau wie dich. Du bist die Frau meines Lebens, Prinzessin Tebab.“ Sie wiegte misstrauisch ihr dunkles, ernstes Gesicht ?ber seinem wei?en, erm?deten. „Und dabei darf ich nicht einmal ins Theater gehen, wenn du spielst“, sagte sie unzufrieden. Er hauchte: „Trotzdem spiele ich nur f?r dich – nur f?r dich, meine Juliette. Ich hole bei dir meine Kraft.“ „Aber ich lasse mir’s nicht verbieten“, sagte sie trotzig. „Ich gehe ins Theater, ob du es mir erlaubst oder nicht. N?chstens einmal sitze ich im Parkett, und dann lache ich laut, wenn du auf die B?hne kommst, mein Affe.“ Er sagte hastig: „Mach keine Witze!“ Dabei hatte er erschreckt die Augen ge?ffnet und sich halb aufgerichtet. Der Anblick seiner Schwarzen Venus schien ihn wieder zu beruhigen. Er l?chelte, und nun begann er sogar zu rezitieren. „Vienstu du ciel profond ou sorstu de l’ab?me – o Beaut??“[32 - Kommst du vom Himmel, steigst du auf aus tiefen Schl?nden, o Sch?nheit?] „Was ist denn das f?r ein Quatsch?“ fragte sie ungeduldig. „Das ist aus diesem herrlichen Buch da“, erkl?rte er ihr, und deutete auf eine gelb broschierte franz?sische Edition, die neben der Lampe auf dem Rauchtisch lag – es waren „Les Fleurs du Mal“ von Baudelaire. „Das verstehe ich nicht“, sagte Juliette verdrossen. Er aber lie? sich nicht st?ren in seiner Ekstase, sondern fuhr fort: „Tu marches sur des morts, Beaut?, dont tu temoques; De tes bijoux l’Horreur n’est pas le moins charmant, El le Meurtre, parmi l es plus ch?res breloques, Sur ton ventre orgueilleux danse amoureusement.“[33 - Dein Weg, o Sch?nheit, f?hrt dich spottend ?ber Leichen,Das Graunen dient dir als Geschmeid und schenkt dir Lust,Doch mit dem Mord kann sich kein anderer Schmuckvergleichen,Er tanzt als Kronjuwel verliebt auf deiner Brust.Charles Baudlaire „Les Fleurs du Mal“ (Die Blumen des B?sen); aus der „Hymne ? la Beaut? (Hymne an die Sch?nheit) in der ?bersetzung von Carl Fischer.] „Wie magst du nur so bl?d l?gen“, sagte sie und ber?hrte mit ihrem dunklen und schlanken Finger seinen redenden Mund. Er aber sprach weiter, immer mit demselben, melancholisch singenden Ton: „Du erz?hlst mir nie davon, wie du fr?her gelebt hast, Prinzessin Tebab. Ich meine: in deinem Erdteil…“ „Ich kann mich an nichts mehr erinnern“, sagte sie kurz. Dann k?sste sie ihn – vielleicht nur, um ihn daran zu hindern, noch l?nger indiskrete und poetische Fragen zu stellen: ihr weit ge?ffneter, tierischer Mund mit den dunklen, rissigen Lippen und der blutroten Zunge n?herte sich langsam seinem gierigen, fahlen Mund. Sowie sie ihr Gesicht wieder von dem seinen erhoben hatte, redete er weiter. „Ich wei? nicht, ob du mich vorhin verstanden hast, als ich sagte, dass ich nur f?r dich und nur durch dich spiele.“ W?hrend er so weich und tr?umerisch sprach, f?hrte sie ihre ge?bten Finger durch sein sch?tteres Seidenhaar, auf dessen Fahlheit die Lampe ein wenig Goldglanz zauberte. Sie behandelte sein feines Haar auf eine nicht eigentlich z?rtliche, sondern auf eine ernste und sachliche Art, als wollte sie es frisieren. „Ich habe es ganz w?rtlich gemeint“, fuhr er fort. „Wenn ich den Leuten ein bisschen gefalle, wenn ich Erfolg habe – dir verdanke ich ihn. Dich zu sehen, dich zu ber?hren, Prinzessin Tebab: das ist wie eine Wunderkur f?r mich… etwas Herrliches, eine Erfrischung ganz ohnegleichen…“ „Ach, wenn du nur immer schwatzen und l?gen kannst“, sagte sie m?tterlich. „Du bist doch der drolligste kleine Dreckhaufen, dem ich jemals begegnet bin.“ Sie hatte, um ihn nur zum Schweigen zu bringen, ihre beiden H?nde auf sein Gesicht gelegt; die breiten Armb?nder klirrten an seinem Kinn; auf seinen Wangen ruhten die hellen Innenfl?chen ihrer H?nde. Da endlich verstummte er. Er r?ckte seinen Kopf auf dem Kissen zurecht, als wollte er einschlafen. Gleichzeitig schlang er mit einer hilfesuchenden Geb?rde seine beiden Arme um das schwarze M?dchen. W?hrend sie ganz still in seiner Umarmung hielt, lie? sie die H?nde auf seinem Gesicht liegen, als m?sste sie ihn davor bewahren, das z?rtlichh?hnische L?cheln zu sehen, mit dem sie jetzt auf ihn niederblickte. III Knorke Die Saison ging weiter, es war keine schlechte Saison f?r das Hamburger K?nstlertheater. Oskar H. Kroge war entschieden ungerecht gewesen, als er gesagt hatte, H?fgen werde ?berzahlt mit tausend Mark Monatsgehalt. Ohne diesen Schauspieler und Regisseur h?tte das Institut gar nicht auskommen k?nnen; er leistete Enormes, war so unerm?dlich wie einfallsreich. Er spielte alles, jugendliche Rollen und alte: nicht nur Miklas hatte Anlass, auf ihn eifers?chtig zu sein, sondern auch Petersen, und sogar Otto Ulrichs h?tte ihn gehabt; aber der war mit wichtigeren Dingen besch?ftigt und nahm den b?rgerlichen Theaterbetrieb nicht ganz ernst. H?fgen gewann sich die Kinderherzen als witziger und sch?ner Prinz im Weihnachtsm?rchen; die Damen fanden ihn unwiderstehlich in franz?sischen Konversationsst?cken und in den Kom?dien von Oscar Wilde[34 - Wilde, Oscar ( 1854, †1900), irischer Schriftsteller, schrieb geistreiche Gesellschaftsst?cke, Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, M?rchen, Gedichte.]; der literarisch interessierte Teil des Hamburger Publikums diskutierte seine Leistungen in „Fr?hlings Erwachen“, als Advokat in Strindbergs „Traumspiel“, als Leonce in B?chners „Leonce und Lena“. Er konnte elegant sein, aber auch tragisch. Er hatte das „aasige“ L?cheln, aber auch den Leidenszug an den Schl?fen. Er bezauberte mit ?berm?tigem Esprit, er imponierte mit herrisch gerecktem Kinn, abgehacktem Kommandoton und stolznerv?sen Geb?rden; er r?hrte durch Demut, hilflos irrenden Blick, weltfremd zarte Verst?rtheit. Er war g?tig oder gemein, hochfahrend oder z?rtlich, schneidig oder gebrochen – ganz wie das Repertoire es verlangte. In Schillers „Kabale und Liebe“ spielte er abwechselnd den Major Ferdinand und den Sekretarius Wurm, den ?berschwenglichen Liebhaber und den ruchlosen Intriganten: dabei h?tte er es kaum n?tig gehabt, seine Wandlungsf?higkeit, an der niemand zweifelte, solcherart kokett zu betonen. Vormittags hatte er Proben zum „Hamlet“, nachmittags zu einer Posse „Mieze macht alles“. Die Posse kam zum Silvesterabend[35 - Silvester: der letzte Tag des Jahres, der 31. Dezember.] heraus und wurde ein starker Erfolg. Schmilz konnte zufrieden sein; ?ber den „Hamlet“ raste Kroge, der noch auf der Generalprobe die Auff?hrung untersagen wollte. „Eine solche Schweinerei habe ich niemals geduldet in meinem Hause!“ emp?rte sich der alte Vork?mpfer des literarischen Theaters. „Hamlet erledigt man nicht nebenbei wie einen Rei?er“. H?fgen erledigte ihn; sah sehr eindrucksvoll aus in seiner hochgeschlossen en schwarzen Tracht, mit r?tselhaft schielenden Augen und fahlem Leidensgesicht, und bekam am n?chsten Vormittag von der Hamburger Presse versichert, dass es eine interessante Leistung gewesen sei, nicht ganz durchgearbeitet vielleicht, etwas improvisiert, aber doch voll packender Momente. Angelika Siebert hatte die Ophelia spielen d?rfen und war auf jeder Probe schier zerflossen vor Tr?nen; bei der Premiere hatte sie wegen heftigen Weinens kaum auftreten k?nnen. ?brigens fanden dann einige Kenner, ihre Leistung sei eigentlich die beste gewesen in dieser bedenklichen Inszenierung. H?fgen arbeitete sechzehn Stunden am Tag und hatte jede Woche mindestens einen Nervenzusammenbruch. Diese Krisen traten stets sehr heftig und in abwechslungsreichen Formen auf. Einmal fiel H?fgen zur Erde und zuckte stumm; das n?chste Mal hingegen blieb er zwar stehen, schrie aber grauenhaft, und dies f?nf Minuten lang ohne jegliche Unterbrechung; dann wieder behauptete er auf der Probe, zum Entsetzen aller, er bekomme pl?tzlich seine Kiefer nicht mehr auseinander, ein Krampf habe eingesetzt, es sei scheu?lich, nun k?nne er nur noch murmeln, und das tat er denn auch. Vor der Abendvorstellung, in der Garderobe, lie? er sich von Bock – der seine sieben Mark f?nfzig noch immer nicht wiederhatte – die untere Gesichtsh?lfte massieren, st?hnte und murmelte mit aufeinandergepressten Z?hnen. Eine Viertelstunde sp?ter, auf der B?hne, gehorchte ihm sein Mundwerk wie je; er benutzte es mit Geschicklichkeit, strahlte und hatte Erfolg. Die kleine Angelika litt; H?fgen k?mmerte sich nicht darum. Frau von Herzfeld litt; er speiste sie ab mit intellektuellen Konversationen. Rolf Bonetti litt, um der kleinen Angelika willen, die spr?de blieb, wie eigensinnig und eifrig er sich auch um sie bewarb; so musste sich der sch?ne junge Liebhaber mit Rahel Mohrenwitz tr?sten: dieses tat er widerwillig und ohne dass darum die angeekelten Z?ge verschwunden w?ren aus seinem Gesicht. Hans Miklas hasste; hungerte – wenn die Efeu ihm nicht gerade Butterbrote schenkte —; schimpfte mit seinen politischen Freunden auf Marxisten, Juden und Judenknechte; trainierte z?h, bekam kleine Rollen und unterhalb der Backenknochen immer schw?rzere L?cher. Mit seinen politischen Freunden steckte auch Otto Ulrichs viel zusammen. Gerade vor ihnen war es ihm peinlich, dass die Er?ffnung des Revolution?ren Theaters immer wieder hinausgeschoben wurde. Jede Woche erfand H?fgen eine andere Ausrede. Es geschah h?ufig, dass Ulrichs nach der Probe den Freund beiseite nahm, um zu flehen: „Hendrik! Wann fangen wir an!“ Dann redete H?fgen, schnell und leidenschaftlich, von der Verwerflichkeit des Kapitalismus, vom Theater als politischem Instrument, von der Notwendigkeit einer kraftvollen, durchgearbeiteten, k?nstlerisch-politischen Aktion, und versprach schlie?lich, unmittelbar nach der Premiere von „Mieze macht alles“ mit den Proben f?r das Revolution?re Theater zu beginnen. Jedoch ging die stimmungsvolle Silvesterpremiere vor?ber; viele andere Premieren folgten, die Saison nahte sich ihrem Ende, sie war fast vorbei: vom Revolution?ren Theater gab es noch immer nicht mehr als das sch?ne Briefpapier, auf dem H?fgen eine hochgestimmte und verzweigte Korrespondenz mit prominenten Autoren sozialistischer Gesinnung f?hrte. Als Otto Ulrichs wieder einmal bat und dr?ngte, erkl?rte Hendrik ihm, f?r diese Saison sei es, tief bedauerlicherweise und infolge eines Zusammenkommens von fatalsten Umst?nden, zu sp?t geworden: man m?sse leider bis zum n?chsten Herbst warten. Diesmal verfinsterte sich Ulrichs Miene; Hendrik aber legte dem Freund und Gesinnungsgenossen den Arm um die Schulter und redete auf ihn ein mit jener durchaus unwiderstehlichen Stimme, die erst sang und bebte, dann heftig und schneidend wurde; denn nun gei?elte H?fgen die moralische Verkommenheit der Bourgeoisie und pries die internationale Solidarit?t des Proletariats. Ulrichs war zu vers?hnen. Man trennte sich mit langem H?ndedruck. Damals wurde eben die letzte Novit?t f?r diese Spielzeit vorbereitet: in Theophil Marders Kom?die „Knorke“ sollte Hendrik H?fgen die Hauptrolle spielen. Das gesellschaftskritischdramatische Werk Marders hatte gro?en Ruhm; alle Kenner priesen seine h?chst pers?nlich gepr?gte Form, seine unfehlbare B?hnenwirksamkeit und geistvoll unbarmherzige Bosheit. Zu der „Knorke“-Urauff?hrung w?rden die Kritiker aus Berlin herbeigereist kommen. ?brigens erwartete man auch den Autor – nicht ohne Herzklopfen; denn Marders unerbittlich hohe Meinung von sich selber war ebenso bekannt wie seine grimmige Schnoddrigkeit und seine Neigung zu j?h aus dem Nichts geholten heftigen und dauerhaften Streitigkeiten. Bei aller Angst aber freute sich H?fgen auch auf die Ankunft des ber?hmten Dramatikers; er zweifelte kaum daran, dass dem Hellsichtigen und Erfahrenen seine Leistung auffallen werde. „Ich muss gut werden in ,Knorke’!“ schwor Hendrik sich. Damit er sich nur ganz der Rolle widmen konnte, ?berlie? er dieses Mal die Regie dem Direktor Kroge, der ein alter Spezialist f?r die Kom?dien des Theophil Marder war. „Knorke“ geh?rte in einen Zyklus von satirischen St?cken, die das deutsche B?rgertum unter Wilhelm II.[36 - Wilhelm II. ( 1859, †1941), deutscher Kaiser und K?nig von Preu?en; erzwang 1890 den R?cktritt Otto von Bismarcks, liebte forsches Auftreten und ?u?eren Pomp; wurde durch seine Unbedachtheit dem selbst auferlegten F?hrungszwang nicht gerecht. Am 9.11.1918 wurde in Berlin seine Abdankung verk?ndet, er ging in die Niederlande.] schilderten und verh?hnten. Held der Kom?die war der Empork?mmling, der mit dem zynisch verdienten Geld, mit dem ordin?ren Elan seines Wesens und einer skrupellosen, niedrigen, selbstbewussten Intelligenz sich Macht und Einfluss in den h?chsten Kreisen erobert. Knorke war grotesk, aber auch imposant. Er repr?sentierte den parven?haft-emporschie?enden, vitalen, ganz dem Geist entfremdeten bourgeoisen Typus. H?fgen versprach gro?artig zu werden in dieser Rolle. Er hatte ihre grausam schneidenden Akzente und zuweilen ihre beinah r?hrende Hilflosigkeit. Keine Frage: H?fgen musste Sensation machen in diesem St?ck. Seine Partnerin, Knorkes Lebensgef?hrtin, die nicht weniger skrupellos ist als er selber, und schw?cher nur dadurch, dass sie liebt: dass sie Knorke liebt – seine Partnerin in der genialen Kom?die spielte ein junges M?dchen, das von Theophil Marder in energisch oder beinah zornig abgefassten Briefen dringend empfohlen worden war. Nicoletta von Niebuhr besa? noch wenig praktische Theatererfahrung – nur ganz selten war sie aufgetreten, und dies in kleineren St?dten —; aber ein selbstsicheres, fast einsch?chterndes Wesen. Marder hatte dem armen Oskar H. Kroge in krassen Ausdr?cken mit dem gr?sslichsten Skandal gedroht, falls die Direktion des K?nstlertheaters Fr?ulein von Niebuhr nicht f?r ein erstes Fach engagieren w?rde. Kroge, der vor des Dramatikers f?rchterlicher Diktion klein und ?ngstlich wurde, lie? Nicoletta in „Knorke“ probeweise gastieren. Sie kam angereist, mit vielen Handkoffern aus rotem Lackleder, einem breitrandigen schwarzen Herrenhut zu einem brennend roten Gummimantel, einer gro?en gebogenen Nase und leuchtenden Katzenaugen unter einer hohen, sch?nen Stirn. Alle bemerkten sogleich, dass sie eine Pers?nlichkeit war: die Motz konstatierte es mit ehrfurchtsvoll bewegter Stimme im H. K., und niemand mochte ihr widersprechen, selbst Rahel Mohrenwitz nicht, obwohl diese sich ?ber die Ankunft der Neuen ?rgerte; denn ganz entschieden war auch Nicoletta eine d?monische junge Dame, sie brauchte weder Monokel noch lange Zigarettenspitze, um es der Welt zu beweisen. Rolf Bonetti und Petersen diskutierten dar?ber, ob Nicoletta sch?n zu nennen sei. Der enthusiastische Petersen fand sie „einfach blendend“; der vorsichtige Kenner Bonetti wollte sie nur als „interessant“ bezeichnet wissen. „Von sch?n kann doch gar nicht die Rede sein, bei der Nase!“ sagte er wegwerfend. „Aber ihre Augen sind herrlich“, schw?rmte Petersen, wobei er um sich blickte, ob die Motz nicht in der N?he war. „Und wie sie sich h?lt! Majest?tisch, m?chte man beinah sprechen!“ – Drau?en ging Nicoletta vorbei, Arm in Arm mit H?fgen, was viel bemerkt ward. Ihr Kopf mit der k?hnen Nase, dem leuchtenden Blick und der gro?en Stirn glich dem eines Renaissance-J?nglings: dies stellte, mit leidvoller. Einsicht, Frau von Herzfeld fest, die das Paar eifers?chtig verfolgte. Nicoletta hielt sich sehr gerade. Ihre grell geschminkten, scharfen Lippen formten die Worte mit einer schneidenden Pr?zision; jeder Satz klirrte vor Akkuratesse; die Vokale sprach sie ganz weit vorn, so dass sie blank und flach klangen, kein Konsonant ging verloren, noch die beil?ufigste Floskel wurde zum Triumph der Sprachtechnik. Gerade war Nicoletta dabei, mit d?monischer Sorgfalt zu betonen, dass sie ehrgeizig sei, und, wenn es sein m?sse, auch intrigant. „Nat?rlich, mein Liebling!“ sagte sie schneidend zu H?fgen, den sie seit ein paar Stunden kannte. „Vorw?rtskommen wollen wir alle. Man muss Ellenbogen haben.“ Hendrik, der sie sich neugierig von der Seite beschaute, dachte dar?ber nach, ob sie in diesem Augenblick aufrichtig sei oder posierte. Es war schwer zu entscheiden. Vielleicht war gerade dieser radikal entschlossene Zynismus die Maske, hinter der sie ein ganz anderes Gesicht verbarg. Wer wusste aber, ob dieses andere versteckte Gesicht auch eine so k?hne Nase und einen so scharfen Mund hatte wie die Miene, die sie jetzt mit Stolz zur Schau trug? Hendrik konnte sich nicht verhehlen, dass die Frau an seiner Seite ihm Eindruck machte. Ohne Frage, sie war die erste, seitdem er Juliette kannte, f?r die er einen beteiligten, interessierten Blick hatte. Er beichtete es der Schwarzen Venus noch am selben Tage und bekam furchtbare Schl?ge – die diesmal nicht aus rituellen Gr?nden und weil es so zum Spiel geh?rte verabreicht wurden, sondern aus ?berzeugung und mit echter Leidenschaft; denn Prinzessin Tebab ?rgerte sich. Hendrik litt, st?hnte, genoss und versicherte am Ende seiner Prinzessin, dass sie die eigentliche Herrin und Geliebte bleiben w?rde. Als er aber Nicoletta wiedersah, faszinierten ihn wieder ihre schneidende Sprechweise, ihr blanker, durchdringender Blick und ihre stolz zusammengenommene Haltung. Es gefiel ihm auch, was sie ihm in pr?ziser Sprache ?ber ihre Herkunft und Vergangenheit anvertraute. Ihm imponierte das Exzentrische, Abenteuerlich-Fragw?rdige, da er selbst aus den b?rgerlichsten Verh?ltnissen kam. Nicoletta erz?hlte, dass sie ihre Eltern nicht gekannt habe. „Mein Papa war ein Hochstapler“, konstatierte sie erhobenen Hauptes, fr?hlich und stolz. „Mama ist eine kleine T?nzerin an der Pariser Oper gewesen, sehr dumm, wie ich h?re; aber sie soll die himmlischsten Beine gehabt haben.“ Sie blickte herausfordernd auf ihre eigenen, mit denen sie nur angab, als w?ren sie himmlisch. „Papa war ein Genie. Immer verstand er es, auf gr??tem Fu? zu leben. Er ist in China gestorben, wo er siebzehn Teeh?user und enorme Schulden hinterlie?. Das einzige Andenken, das ich an ihn besitze, ist seine Opiumpfeife.“ In ihrem Hotelzimmer wies sie Hendrik die Reliquie vor. Mit einer Korrektheit, hinter der man lauter Teufelei vermuten musste, fragte sie ihn, ob er Tee haben wollte oder Kaffee. Die Bestellung rief sie durch das Telefon dem Kellner zu wie einen f?rchterlichen, mit eisiger Mitleidlosigkeit vorgebrachten Urteilsspruch. Dann erz?hlte sie ausf?hrlich von ihrer Jugend. „Gelernt habe ich gar nicht viel“, sagte sie. „Aber ich kann auf den H?nden gehen, auf einer rollenden Kugel laufen und wie eine Eule schreien.“ Ihre Fibel sei die sehr empfehlenswerte Zeitschrift „La Vie Parisienne“ gewesen. Aufgewachsen war sie teils in franz?sischen Internaten, aus denen man sie wegen f?rchterlicher Ungezogenheit stets bald wieder entfernt hatte; teils im Hause des Geheimrats Bruckner, den sie einen Jugendfreund ihres Vaters nannte. Vom Geheimrat Bruckner hatte H?fgen schon geh?rt. Die Werke des Historikers waren ber?hmt; ?brigens kannte Hendrik sie nicht. Hingegen wusste er, dass des Geheimrats gesellschaftliche Stellung ebenso bedeutend wie ungew?hnlich war. Der Forscher und Denker war nicht nur eine der exponiertesten und meistbesprochenen Figuren der deutschen und europ?ischen akademisch-literarischen Welt; man sagte ihm auch intime und einflussreiche Verbindungen zu politischen Kreisen nach. Seine Freundschaft mit. einem sozialdemokratischen Minister war bekannt; andererseits hatte er Beziehungen zur Reichswehr: seine verstorbene Frau war die Tochter eines Generals gewesen. Viel Anlass zu Kommentaren hatte eine Vortragstournee des Geheimrats durch Sowjetrussland gegeben. Damals war von der nationalistischen Presse die gro?e Hetze gegen ihn er?ffnet worden. Seitdem stellte man gerne mit Erbitterung fest, die Geschichtsbetrachtung Bruckners sei marxistisch beeinflusst. Es geschah, dass die Studenten l?rmten, als er das Katheder betrat. Seine Weltgeltung und seine ruhige, ?berlegene Haltung sch?chterten die Aufgeregten ein. Der Geheimrat ging siegreich hervor aus den Skandalen. Er blieb unantastbar. „Der Alte ist wundervoll“, sagte Nicoletta von ihm. „Er versteht auch etwas von Menschen; an Papa zum Beispiel hatte er eine gro?e Anh?nglichkeit. Deshalb lie? er sich von mir immer alles gefallen – und ich meinerseits hatte Geduld mit seiner feinen Langweiligkeit.“ Nicolettas beste Freundin, ihre eigentliche Schwester, war Barbara, Bruckners Tochter. „Ein so sch?nes Gesch?pf! Und so gut!“ Nicolettas Blick wurde weicher, w?hrend sie dies sagte; aber auf die klirrend exakte Aussprache konnte sie nicht verzichten. – Zu der „Knorke“-Premiere wurde nicht nur Theophil Marder erwartet, sondern auch das M?dchen Barbara. „Ich bin neugierig, ob du sie m?gen wirst“, sagte Nicoletta zu Hendrik. „Vielleicht liegt sie dir nicht besonders. Aber sei bitte nett zu ihr, mir zu Gefallen. – Sie ist etwas scheu“, stellte Nicoletta fest und schmetterte die Vokale. Am Tag der gro?en Premiere traf Barbara Bruckner ein; Marder kam erst gegen Abend, mit dem Berliner Schnellzug. H?fgen machte Barbaras Bekanntschaft, als er, unmittelbar vor Beginn der Vorstellung, einen Kognak in der Kantine trank. Nicoletta sprach mit musterhafter Deutlichkeit und greller Stimme: „Dieses ist meine liebste Freundin, Barbara Bruckner!“ – wozu sie eine zeremonielle Geste unter dem schwarzen, steif plissierten Cape vollf?hrte. Hendrik war zu aufgeregt, um sich das junge M?dchen genauer zu betrachten. Er st?rzte seinen Kognak hinunter und verschwand. In der Garderobe fand er zwei gro?e Blumenstr?u?e: wei?en Flieder von Angelika Siebert, und von der Herzfeld zart teegelb get?nte Rosen. Um sich durch ein gutes Werk die Gunst des Himmels zusichern, ?berreichte H?fgen dem kleinen Bock – der vor Premieren stets etwas weinerlich aussah – mit gro?er Geste f?nf Mark, wodurch freilich die Sieben-Mark-f?nfzig-Schuld noch immer nicht v?llig getilgt war. Die Urauff?hrung der Kom?die „Knorke“ verlief gl?nzend: Marders bei?ende Pointen schlugen knallend ein, die steile F?hrung des Dialogs kitzelte das Publikum zu halb entsetzten, halb begl?ckten Gel?chtern, vor allem aber begeisterte das exakte, schnoddrig-pathetische, in jeder Hinsicht blendende Zusammenspiel zwischen H?fgen und der neuen Kraft, Nicoletta von Niebuhr, die „auf Engagement gastierte“. Nach dem zweiten Akt mussten die beiden Hauptdarsteller sich dem animierten Saal h?ufig zeigen. In der Pause erschien Theophil Marder bei H?fgen, Nicoletta geleitete ihn. Marders unruhiger, aber durchdringender Blick musterte alle Gegenst?nde in der Garderobe, zuletzt Hendrik selbst, der ersch?pft vorm Spiegel sa?. Nicoletta war, respektvoll schweigend, an der T?r stehengeblieben. Nach langer Pause sagte Marder mit. einer penetranten Kommandostimme: „Sie sind ja ’ne dolle Type!“ Seine grausam fixierenden Augen wichen nicht von Hendriks sch?n geschminktem Gesicht. „Sind Sie zufrieden, Herr Marder?“ H?fgen suchte den Satiriker durch Juwelenblicke und angegriffenes L?cheln zu bezaubern. Theophil aber sagte: „Na ja…“ und f?gte unversch?mt hinzu; „Na ja, Herr – wie war doch der Name?“ Nun war Hendrik doch etwas beleidigt; trotzdem nannte er seinen Namen mit der singendwerbenden Stimme. Daraufhin machte Marder: „Hendrik – Hendrik – ulkiger Name, muss ich schon sagen, sehr ulkig!“: so h?hnisch, dass es H?fgen eisig ?ber den R?cken lief. Pl?tzlich aber rief der Dichter mit einer be?ngstigenden Fr?hlichkeit: „Hendrik! Wieso Hendrik?! Nat?rlich hei?en Sie eigentlich Heinz! – Hei?t eigentlich Heinz, nennt sich Hendrik! Hahaha, das ist aber mal gut!“ Er lachte gellend, herzlich und ausf?hrlich. H?fgen, aus Entsetzen ?ber so viel b?se Hellsicht, war bleich geworden unter seiner rosigen Maske und zitterte. Nicoletta, ohne einzugreifen, schaute mit blanken Katzenaugen am?siert vom einen zum andern. Theophil war schon wieder ernst. Er schien nachzudenken; dabei bewegte er ununterbrochen den bl?ulichen Mund unter dem schwarzen Schnurrbart. Das erregte Spiel seiner Lippen erinnerte auf eine unheimliche Art an das gierige Saugen fleischfressender Pflanzen oder schnappender Fischm?uler. Abschlie?end sagte Marder: „Sind aber ’ne dolle Type. Starkes Talent – rieche das, habe verdammt feine Nase. Sprechen uns noch. Essen nachher zusammen. Komm, Kind!“ Er nahm Nicoletta am Arm und verlie? die Garderobe. H?fgen blieb im Zustand v?lliger Konsterniertheit zur?ck. Er gewann seine Fassung erst wieder, als er auf der B?hne und im Rampenlicht stand – dort freilich v?llig. Im dritten Akt ?bertraf er alles, was er an bravour?sem Elan bis dahin jemals ?ffentlich gezeigt hatte. Das Auditorium raste, nachdem der Vorhang gefallen war. Nicoletta, die Arme voll Blumen, fiel H?fgen um den Hals und sagte: „Theophil hat wieder mal das rechte Wort gefunden! Du bist wirklich eine tolle Type!“ Kroge trat hinzu, um Anerkennendes zu murmeln. Er versicherte Fr?ulein von Niebuhr, dass es ihm ein Vergn?gen sein werde, weiter mit ihr zu arbeiten; sie m?chte sich morgen vormittag ins B?ro bem?hen, damit man die Bedingungen bespreche. Nicoletta machte sofort ihr hinterh?ltig-korrektes Gesicht, verneigte sich feierlich und gab in scharfen Worten ihrer Befriedigung ?ber diesen Entschluss des Direktors Ausdruck. Theophil Marder hatte die beiden jungen Damen und den Schauspieler H?fgen in ein sehr teures, mehr b?rgerlich-solides als mond?nes Lokal eingeladen. Hendrik war hier noch niemals gewesen, was Marder Anlass gab, schneidend festzustellen, dies sei die einzige „Bude“ in Hamburg, wo Genie?bares auf den Tisch komme – solide Kost, guter alter Stil, wenn man dem Dramatiker glauben durfte —; ?berall sonst gebe es ranziges Fett und stinkende Braten, hier aber verkehrten feine alte Herren, die noch zu leben missten; auch sei der Weinkeller gepflegt. Wirklich sa?en in der braun get?felten Stube, an deren W?nden Jagdbilder und sch?ne Teppiche hingen, nur bejahrte V?ter, die nach Millionenverm?gen aussahen. Noch w?rdevoller freilich als sie alle wirkte der Oberkellner: in dem Respekt, mit dem er Theophils Bestellungen entgegennahm, lie? sich ein klein wenig Ironie vermuten. Marder schlug vor, man m?ge mit Langusten beginnen. „Was meinen Sie, bester Heinrich?“ erkundigte er sich bei H?fgen mit jener hinterh?ltigen Korrektheit, die Nicoletta bei ihm gelernt haben mochte. Hendrik hatte nichts einzuwenden. ?brigens f?hlte er sich etwas unsicher und befangen in dem herrschaftlichen Lokal. Ihm wollte es scheinen, als habe der Oberkellner mit Geringsch?tzung seinen Smoking gemustert, der fleckig war und an einigen Stellen speckig gl?nzte. Unter dem taxierenden Blick des feinen Kellners ward[37 - ward: ïîýò. impf. îò werden] Hendrik sich, fl?chtig, aber mit Heftigkeit, seiner umst?rzlerischen Gesinnung bewusst. ,Ich geh?re nicht in dieses Lokal f?r kapitalistische Ausbeuter’, dachte er zornig, w?hrend er sich Wei?wein eingie?en lie?. Nun bereute er es, die Er?ffnung des Revolution?ren Theaters immer wieder hinausgeschoben zu haben. Von Marder aber war er entt?uscht. Dieser unbarmherzige, hellsichtige und gef?hrliche Kritiker der bourgeoisen Gesellschaft zeigte sich, da man ihm nun von Mensch zu Mensch gegen?bersa?, als ein Herr mit bedenklich reaktion?ren Neigungen. Er hatte eine schnarrende Kommandostimme, einen t?ckischen Blick, trug einen viel zu tadellos gearbeiteten dunklen Anzug mit sorgf?ltig gew?hlter Krawatte, und von den Langusten, die nun serviert wurden, suchte er mit einer fatalen Kennerschaft die sch?nsten aus. Hatte er nicht mit jenen Figuren, die er in seinen St?cken verh?hnte, viele Eigenschaften gemein? Nun lobte er die gute alte Zeit, in der er jung gewesen und mit der die neue, oberfl?chliche, verkommene in keinem Punkte sich messen k?nne. Dabei hielt er fortw?hrend die kalten, unruhigen und gierigen Augen auf Nicoletta gerichtet, die ihrerseits nicht nur den Mund schl?ngelte, sondern auch den K?rper in einem metallisch glitzernden Abendkleid. Barbara sa? still dabei. Hendrik, degoutiert durch Nicolettas provokant betonten Flirt mit Marder, vielleicht auch nur eifers?chtig, wandte seine Aufmerksamkeit endlich Barbara zu. Da bemerkte er: ihr Blick war forschend auf ihn gerichtet gewesen. Hendrik H?fgen erschrak. Mitten in seinem Herzen erschrak er dar?ber, dass er Barbara Bruckner begnadet fand mit einem Reiz, den er noch an keiner anderen Frau je wahrgenommen hatte. Ihm waren schon vielerlei Frauen begegnet, aber noch keine wie diese. W?hrend er diese anschaute, erinnerte er sich, in geschwinder, aber genauer Zusammenfassung – so, als g?lte es, einen Schlussstrich zu ziehen unter eine lange und beschmutzte Vergangenheit —, aller jener weiblichen Gesch?pfe, mit denen er je zu tun gehabt hatte. Sie hatte Hendrik forschend betrachtet, w?hrend er sich noch mit Marder und Nicoletta besch?ftigte. Da er sie nun seinerseits anstarrte – nicht verf?hrerisch schielend, nicht r?tselhaft schillernd, sondern mit der echten Ergriffenheit, die hilflos macht —, senkte sie den Blick und wandte den Kopf halb zur Seite. Ihr sehr einfaches schwarzes Kleid, dem der Kenner seine Herkunft von der kleinen Hausschneiderin angemerkt h?tte und zu dem sie einen wei?en, schulm?dchenhaft steifen Kragen trug, lie? den Hals und die mageren Arme frei. Das empfindliche und genau geschnittene Oval ihres Gesichtes war blass; Hals und Arme waren br?unlich get?nt, golden schimmernd, von der reifen und zarten Farbe sehr edler, in einem langen Sommer duftend gewordener ?pfel. Hendrik musste angestrengt dar?ber nachdenken, woran ihn diese kostbare Farbe, von der er noch betroffener war als von Barbaras Antlitz, erinnerte. Ihm fielen Frauenbilder Leonardos ein, und er war etwas ger?hrt dar?ber, dass er hier, in aller Stille, w?hrend Marder mit seiner Kenntnis alter franz?sischer Kochrezepte prahlte, an so vornehme und hohe Gegenst?nde dachte; ja, auf gewissen Leonardo-Bildern gab es diese satte, sanfte, dabei spr?d empfindliche Fleischfarbe; auch einige seiner J?nglinge, die den gekr?mmten, lieblichen Arm aus einer schattenvollen Dunkelheit hoben, zeigten sie. J?nglinge und Madonnen auf alten Meisterbildern hatten solche Sch?nheit. An J?nglinge und Madonnen lie? der Anblick Barbara Bruckners den begeisterten Hendrik denken. Nach dem Ideal geformte Knaben hatten diese sch?ne Magerkeit der Glieder; Madonnen aber hatten dieses Gesicht. So schlugen sie die Augen auf, genau so, wie Barbara es jetzt tat: Augen unter langen, schwarzen und starren, aber ganz nat?rlichen Wimpern; Augen von einem satten Dunkelblau, das ins Schw?rzliche spielte. Solche Augen hatte Barbara Bruckner, und sie schauten ernst forschend, mit einer freundschaftlichen Neugier, und zuweilen beinah schalkhaft. ?berhaupt war das edle Gesicht nicht ohne schalkhafte Z?ge: kein weinerliches, auch kein gebieterisches Madonnenantlitz, vielmehr ein durchtriebenes. Der ziemlich gro?e und feuchte Mund l?chelte versonnen, aber nicht ohne Witz. Dem tr?umerischen Frauenhaupt gab es eine fast kecke Note, dass der Knoten des reichen aschblonden Haares im Nacken ein wenig schief sa?. Der Scheitel hingegen war genau und in der Mitte gezogen. „Warum schauen Sie mich so an?“ fragte Barbara schlie?lich, da der entz?ckte Hendrik den Blick nicht von ihr lie?. „Darf ich nicht?“ fragte er leise zur?ck. Sie sagte mit einer burschikosen Koketterie, hinter der ihre Befangenheit sich verbarg: „Wenn es Ihnen Vergn?gen macht…“ Hendrik fand: Ihre Stimme war f?r das Ohr der n?mliche Genuss wie die Farbe ihrer Haut f?r das Auge. Auch ihre Stimme schien ges?ttigt von reifem und zartem Ton. Auch sie schimmerte, hatte den kostbar nachgedunkelten Glanz. Hendrik lauschte mit derselben Hingegebenheit, die er vorhin gehabt hatte beim Schauen. Damit sie nur weiterspr?che, stellte er Fragen. Er wollte wissen, wie lange sie in Hamburg zu bleiben ged?chte. Sie sagte, w?hrend sie mit einer Ungeschicklichkeit, die den Mangel an Gewohnheit verriet, an ihrer Zigarette sog: „Solange Nicoletta hier spielt. Es h?ngt also vom Erfolg des ,Knorke’ ab.“ „Jetzt freut es mich erst, dass das Publikum heuteabend so lange geklatscht hat“, sagte Hendrik. „Ich glaube, auch die Presse wird gut sein.“ – Er erkundigte sich nach ihren Studien – Nicoletta hatte erw?hnt, dass Barbara die Universit?t besuchte. Sie sprach von soziologischen, historischen Kollegs. „Aber ich betreibe ja all das viel zu unregelm??ig“, sagte sie, versonnen und etwas sp?ttisch. Dabei st?tzte sie den Ellenbogen auf den Tisch und das Gesicht in die schmale, br?unliche Hand. Ein nicht so wohlwollender Beobachter, wie Hendrik es in diesem Augenblick war, h?tte ihre Bewegungen, die ihm von sch?ner, r?hrender Befangenheit schienen, ungeschickt und beinah plump finden k?nnen. Die Steifheit ihrer Haltung verriet die junge Dame aus der Provinz, die nicht durchaus gewandte Professorentochter, und kontrastierte zu der klugen und heiteren Offenheit ihres Blickes. Sie hatte die Unsicherheit eines Menschen, der in einem bestimmten, eng begrenzten Milieu viel geliebt und verw?hnt worden ist, au?erhalb dieses Milieus aber zu Minderwertigkeitsgef?hlen neigt. Besonders in Nicolettas Gegenwart schien Barbara es gew?hnt zu sein, eine zweite Rolle zu spielen. Sie war deshalb erfreut und ein wenig belustigt dar?ber, dass dieser wunderliche Schauspieler, Hendrik H?fgen, auf eine so demonstrative Art sich ihr widmete, und sie setzte das Gespr?ch mit ihm nicht ungern fort. „Ich mache so alles m?gliche“, sagte sie nachdenklich. „Eigentlich zeichne ich… Mit Theater-dekorationen habe ich mich viel besch?ftigt.“ Dies war ein Stichwort f?r Hendrik; er lie? die Unterhaltung lebhafter werden. Mit fliegendem Eifer, auf den Wangen eine helle R?te, sprach er von Wandlungen des dekorativen Stils, von all dem, was es auf diesem Gebiete neu zu entdecken oder wieder zu verwenden, zu verbessern g?be. Barbara lauschte, antwortete, blickte pr?fend, hatte L?cheln, r?hrend ungeschickte Geb?rden der Arme, schalkhaft und versonnen t?nende Stimme, die verst?ndige, durchdachte Urteile sprach. Hendrik und Barbara plauderten leise, angeregt, nicht ohne Innigkeit. Nicoletta und Marder inzwischen funkelten sich verf?hrerisch an. Beide lie?en alle ihre K?nste spielen. Nicolettas sch?ne Raubtieraugen waren noch blanker als sonst; die Akkuratesse ihrer Aussprache bekam triumphalen Charakter. Zwischen den grell gef?rbten Lippen leuchteten, wenn sie lachte und sprach, die kleinen und scharfen Z?hne. Marder seinerseits lie? intellektuelles Feuerwerk spr?hen. Sein beweglicher, zuckender Mund, dessen bl?uliche F?rbung ?u?erst ungesund wirkte, redete fast ununterbrochen. ?brigens hatte Marder die Neigung, mit gr??ter Intensit?t immer wieder dieselben Dinge zu sagen. Vor allem bestand er mit einer passionierten Hartn?ckigkeit darauf, dass die heutige Zeit, deren aufmerksamsten und berufensten Richter er sich nannte, die denkbar schlechteste, verkommenste und hoffnungsloseste aller Epochen sei. Es existierte in ihr keine geistige Bewegung, keine allgemeine Tendenz oder besondere Leistung, die sein f?rchterlicher Anspruch irgend h?tte gelten lassen. Vor allem fehlten in ihr, seiner Meinung nach, die Pers?nlichkeiten; er, Marder, war die einzige weit und breit, und er wurde verkannt. Das Verwirrende war, dass der Beobachter und Richter europ?ischen Verfalls dieser trostlosen Gegenwart keineswegs das Bild einer Zukunft entgegensetzte, die zu lieben und um derentwillen das Bestehende zu hassen w?re; dass er vielmehr, um das Seiende herabzusetzen, eine Vergangenheit pries, die doch gerade er durchschaut, verh?hnt und kritisch erledigt hatte. Die fiebrig animierte Nicoletta war nicht dazu geneigt, sich ?ber irgend etwas zu wundern; sonst h?tte es ihr wohl erstaunlich scheinen k?nnen, dass eben der Mann, der sich selbst den klassischen Satiriker der b?rgerlichen Epoche zu nennen liebte, nun Offiziere der alten deutschen Armee und rheinische Industrielle zu Idealfiguren verkl?rte, die tadellose Disziplin und k?hne Pers?nlichkeit sieghaft in sich vereinigten. Der alte Sp?tter, dessen selbstherrlicher, aber geistig richtungsloser Radikalismus ins Reaktion?re abgeglitten und entartet war, deklamierte schnarren-des Lob f?r die physischen und moralischen Qualit?ten preu?ischer Generale und denunzierte mit der gereizten Stimme eines Unteroffiziers die schlappe Weichlichkeit des heutigen Geschlechts. „Nirgends Zucht! Nirgends Disziplin!“ schrie er so laut und zornig, dass die alten Herren, die bei ihren Rotweinflaschen sa?en, erstaunt die K?pfe herdrehten. Auch die Frauen hatten jede Disziplin verloren, behauptete der aufgebrachte Marder. Sie verstanden nichts mehr von der Liebe, aus der Hingabe machten sie ein Gesch?ft, wie die M?nner waren sie oberfl?chlich und vulg?r geworden. Hier lachte Nicoletta so herausfordernd, dass Marder galant hinzuf?gte: „Ausnahmen gibt es nat?rlich!“ Dann aber begann er wieder zu schimpfen. Seine Ansicht ging dahin, die deutschen M?nner h?tten allen Sinn f?r Ordnung und Respekt verloren, seitdem die allgemeine Dienstpflicht abgeschafft war. Heute, in einer verlotterten Demokratie, sei alles Talmi, falsch, durch Reklame gro? gemachter Betrug. „Wenn es anders w?re“, fragte Marder erbittert, „m?sste ich dann nicht der erste Mann im Staate sein? W?re die ungeheure Kraft und Kompetenz meines Hirns nicht dazu berufen, alle wesentlichen Dinge ?ffentlichen Lebens zu entscheiden – w?hrend heute, da jeder Instinkt und Ma?stab f?r echten Rang abhanden kam, meine Stimme nur die beinah ?berh?rte des ?ffentlichen schlechten Gewissens ist!“ Seine Augen gl?hten, sein hageres Gesicht, dessen Bl?sse zu der Schw?rze des Schnurrbarts kontrastierte, war verzerrt. Um ihn zu beruhigen, erinnerte Nicoletta daran, dass die St?cke keines anderen lebenden Autors so h?ufig aufgef?hrt w?rden wie die seinen. Er l?chelte mit fl?chtig befriedigter Eitelkeit. Aber schon nach wenigen Sekunden verfinsterte er sich wieder. Pl?tzlich schrie er Hendrik H?fgen an, der innig vertieft in sein Gespr?ch mit Barbara sa?: „Haben Sie vielleicht gedient, Herr?“ Hendrik, ?berrascht und entsetzt von so drohender Anrede, wandte ihm ein ziemlich fassungsloses Gesicht zu. Marder aber verlangte: „Antworten Sie, Herr!“ Hendrik brachte, m?hsam l?chelnd, hervor: „Nein, nat?rlich nicht… Gott sei Dank nicht…“ Darauf lachte Marder triumphierend. „Da sieht man es wieder! Keine Disziplin! Keine Pers?nlichkeit! – Haben Sie vielleicht Disziplin, Herr? Sind Sie vielleicht eine Pers?nlichkeit? – Alles Talmi, alles Ersatz, Plebejertum, wohin ich immer schaue!“! Das war eine Impertinenz; Hendrik wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er f?hlte Zorn in sich hochsteigen; um der Damen willen, und auch, weil Marders Ruhm ihm imponierte, entschloss er sich, einen Skandal zu vermeiden. ?brigens hielt er den Schriftsteller f?r nervenkrank. Welch erstaunliche und ersch?tternde Ver?nderung aber ging nun vor mit Marder, der eine schauerlich ged?mpfte Stimme und prophetische Augen bekam! „Das alles wird gr?sslich enden.“ Er raunte es – in welche Fernen oder in was f?r Abgr?nde schaute jetzt sein Blick, der mit einemmal eine so f?rchterlich durchdringende Kraft bekam? „Es wird das Schlimmste geschehen, denkt an mich, Kinder, wenn es da ist, ich habe es vorausgesehen und vorausgewusst. Diese Zeit ist in Verwesung, sie stinkt. Denkt an mich: Ich habe es gerochen. Mich t?uscht man nicht. Ich sp?re die Katastrophe, die sich vorbereitet. Sie wird beispiellos sein. Sie wird alles verschlingen, und um keinen wird es schade sein, au?er um mich. Alles, was steht, wird zerbersten. Es ist morsch. Ich habe es bef?hlt, gepr?ft und verworfen. Wenn es st?rzt, wird es uns alle begraben. Ihr tut mir leid, Kinder, denn ihr werdet euer Leben nicht leben d?rfen. Ich aber habe ein sch?nes Leben gehabt.“ Theophil Marder war f?nfzig Jahre alt. Er war mit drei Frauen verheiratet gewesen. Er war angefeindet und ausgelacht worden; er hatte den Erfolg, den Ruhm und auch den Reichtum kennen gelernt. Da er schwieg und nur ersch?ttert keuchte, sprachen auch die anderen, die mit ihm am Tisch sa?en, kein Wort; Nicoletta, Barbara und Hendrik hatten die Augen niedergeschlagen. Marder aber ?nderte j?h die Stimmung. Er schenkte Rotwein ein und wurde charmant. H?fgen, den er eben noch beleidigt hatte, machte er nun Komplimente ?ber sein begabtes Spiel. „Ich wei? es wohl“, sagte er g?nnerhaft, „die Rolle ist blendend, mein Dialog unvergleichlich pointiert. Aber die Jammergestalten, die sich heute Schauspieler nennen, bringen es fertig, selbst in meinen St?cken schwunglos langweilig zu sein. Sie, H?fgen, haben immerhin eine Ahnung davon, was Theater ist. Unter den Blinden fallen Sie mir als der Ein?ugige auf, Prost!“ Dabei hob er das Rotweinglas. „Mit unserer Barbara scheinen Sie sich ja nicht ?bel zu unterhalten“, sagte er launig. Barbara begegnete seinem anz?glichen L?cheln mit ernstem Blick. Hendrik z?gerte, ehe er mit Theophil anstie?: die forsche Redeweise des Dramatikers im Zusammenhang mit dem wunderbaren M?dchen Barbara empfand er als unpassend. Es schien, dass Marder, der nicht nur mit seiner Kenntnis von Weinen und Saucen, sondern auch mit seinem untr?gbaren Instinkt f?r den Wert einer Frau dr?hnend renommierte, Barbara ?berhaupt nicht bemerkte. Augen hatte er nur f?r Nicoletta, die es ihrerseits sorgsam vermied, den z?rtlichen und besorgten Blick zu erwidern, den Barbara zuweilen auf sie richtete. Marder bestellte Champagner zu den S??igkeiten, die der feine Ober eben servierte. Es war nach Mitternacht; das gediegene Lokal, in dem es keine G?ste mehr gab au?er diesen vier sonderbaren, h?tte l?ngst seine Pforten geschlossen; aber Marder gab den Kellnern zu verstehen, sie w?rden anst?ndige Trinkgelder bekommen, wenn sie ein wenig l?nger als gew?hnlich ihren Dienst taten. Der gro?e Satiriker, das wachsame Gewissen einer verderbten Zivilisation, zeigte jetzt sein Talent zur harmlosen Gem?tlichkeit. Er erz?hlte Witze, und zwar sowohl solche aus preu?isch-milit?rischer als auch andere aus ?stlichj?discher Sph?re. Ab und zu schaute er Nicoletta an, um zu konstatieren: „Prachtvolles M?del! Disziplinierte Person! Heute sehr seltene Sache!“ Oder er betrachtete sich H?fgen und rief munter: „Dieser sogenannte Hendrik – eine dolle Type! Kolossal ulkiges Ph?nomen! Macht mir Spa?. Muss ich mir notieren!“ Êîíåö îçíàêîìèòåëüíîãî ôðàãìåíòà. Òåêñò ïðåäîñòàâëåí ÎÎÎ «ËèòÐåñ». Ïðî÷èòàéòå ýòó êíèãó öåëèêîì, êóïèâ ïîëíóþ ëåãàëüíóþ âåðñèþ (https://www.litres.ru/klaus-mann/mephisto-mefistofel-kniga-dlya-chteniya-na-nemeckom-yazyke/?lfrom=688855901) íà ËèòÐåñ. Áåçîïàñíî îïëàòèòü êíèãó ìîæíî áàíêîâñêîé êàðòîé Visa, MasterCard, Maestro, ñî ñ÷åòà ìîáèëüíîãî òåëåôîíà, ñ ïëàòåæíîãî òåðìèíàëà, â ñàëîíå ÌÒÑ èëè Ñâÿçíîé, ÷åðåç PayPal, WebMoney, ßíäåêñ.Äåíüãè, QIWI Êîøåëåê, áîíóñíûìè êàðòàìè èëè äðóãèì óäîáíûì Âàì ñïîñîáîì. notes Ïðèìå÷àíèÿ 1 Wilhelmstra?e: eine Stra?e in den Berliner Ortsteilen Mitte und Kreuzberg. Sie war der Sitz wichtiger Regierungsbeh?rden Preu?ens und des Deutschen Reiches. Bis 1945 war der Begriff „Wilhelmstra?e“ ein Synonym f?r diedeutsche Regierung. 2 Exzellenz: verwendet als Anrede oder Titel f?r hohe Diplomaten. 3 SS: eine Art milit?risch organisierter Polizei in der Zeit des Nationalsozialismus. 4 Hohenzollern: Das Haus Hohenzollern ist eines der bedeutendsten deutschen F?rstengeschlechter, urspr?nglich aus dem schw?bischen Raum. Es untergliederte sich seit dem Mittelalter in mehrere Haupt- und Nebenlinien, von denen einige wieder erloschen sind. Die (urspr?nglich fr?nkische) Linie Brandenburg-Preu?en stellte ab 1701 die preu?ischen K?nige und von 1871 bis 1918 die Deutschen Kaiser. Das Haus Hohenzollern stellte au?erdem von 1866 bis 1947 die rum?nischen K?nige. 5 Prolet: jemand, der sehr schlechte Manieren hat. 6 Clemenceau, Georges Benjamin, frz. Staatsmann; 1906 bis 1909 und 1917 bis 1920 Minister-Pr?sident; setzte die frz. Forderungen gegen?ber Deutschland im Versailler Vertrag durch. 7 Briand, Aristide, frz. Staatsmann; war elfmal Ministerpr?sident, 1925 bis 1932 Au?enminister, beteiligt am Locarno-Pakt. 8 Abb? [frz. „Abt“]: in Frankreich Titel des Weltgeistlichen. 9 Damned snob: verdammter Snob. 10 Renkontre: Treffen, Begegnung. 11 K?nigin Luise ( 1776, †1810), K?nigin von Preu?en, Gemahlin Friedrich Wilhelms III. 12 C?sar: Beiname eines Zweigs des r?mischen Geschlechts der Julier, auch r?mischer Herrscher und Thronfolger. Aus dem Namen C?sar entstanden die W?rter Kaiser und Zar. 13 Minna von Barnhelm: die Titelrolle eines St?cks von Gotthold Ephraim Lessing (1767). „Minna von Barnhelm“ war das erste deutsche realistische Lustspiel. 14 Novemberrevolution: deutsche Revolution im November 1918. Sie begann am 30.10. mit dem Marinenaufstand in Kiel, f?hrte am 7.11. zum Sturz der bayerischen Monarchie und am 9.11. zur Abdankung Kaiser Wilhelms II. Alle deutschen regierenden F?rsten wurden enttrohnt, in Deutschland wurde die Republik ausgerufen. 15 Wedekind, Frank ( 1864, †1918), deutscher Dichter, satirischer Dramatiker, suchte die konventionelle b?rgerliche Moral als Unmoral zu enth?llen. 16 Strindberg, August ( 1849, †1912), schwedischer Dichter; nahm den Weg vom Naturalismus ?ber den Individualismus zur Mystik; gestaltete den Kampf der Geschlechter und die seelische Zerrissenheit. 17 Kaiser, Friedrich Carl Georg ( 1878, † 1945), der erfolgreichste Dramatiker der expressionistischen Generation. Aus seinem Wirken als Autor gingen 60 Dramen hervor, von denen aber viele in Vergessenheit geraten sind. 18 Sternheim, Carl ( 1878, †1942), deutscher Dramatiker; schrieb satirische Kom?dien. 19 Unruh, Fritz von ( 1885, †1970), deutscher Schriftsteller; Pazifist. 20 Hasenclever, Walter ( 1890, †1940), deutscher Dichter; schrieb expressionistische Dramen, Lustspiele, Lyrik. 21 Toller, Ernst ( 1893, †1939), deutscher Schriftsteller; 1919 Mitglied der M?nchener R?teregierung; Pazifist, emigrierte 1933 in die USA. 22 Tagore, Rabindranath ( 1861, †1941), indischer Dichter, Philosoph; schrieb in Bengali und Englisch Romane, Dramen und Gedichte. Nobelpreis f?r Literatur 1913. 23 „Raub der Sabinerinnen“: eine Kom?die von Franz 24 „Pension Sch?ller“: ein Lustspiel von Wilhelm Jacobi und Carl Laufs. Die Urauff?hrung fand am 7. Oktober 1890 in Berlin statt. 25 „Die Weber“: ein soziales Drama in f?nf Akten von Gerhart Hauptmann, das am 26. Februar 1893 im neuen Theater Berlin privat und am 25. September 1894 im Deutschen Theater Berlin ?ffentlich uraufgef?hrt wurde. Es behandelt den Weberaufstand von 1844. 26 Leviten, A.T.: die Tempeldiener aus dem Stamm Levi. 27 der Vertrag von Versailles: der am 28.6.1919 in Versailles von den Ententem?chten und dem Deutschen Reich zur Beendigung des ersten Weltkrieges unterzeichnete Friedensvertrag. 28 „Fr?hlings Erwachen“: ein Drama von Frank Wedekind. 29 „Die R?uber“: ein Drama von Friedrich Schiller. 30 Reeperbahn: Vergn?gungsviertel in Hamburg. 31 Kanapee: Sofa, Couch. 32 Kommst du vom Himmel, steigst du auf aus tiefen Schl?nden, o Sch?nheit? 33 Dein Weg, o Sch?nheit, f?hrt dich spottend ?ber Leichen, Das Graunen dient dir als Geschmeid und schenkt dir Lust, Doch mit dem Mord kann sich kein anderer Schmuckvergleichen, Er tanzt als Kronjuwel verliebt auf deiner Brust. Charles Baudlaire „Les Fleurs du Mal“ (Die Blumen des B?sen); aus der „Hymne ? la Beaut? (Hymne an die Sch?nheit) in der ?bersetzung von Carl Fischer. 34 Wilde, Oscar ( 1854, †1900), irischer Schriftsteller, schrieb geistreiche Gesellschaftsst?cke, Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, M?rchen, Gedichte. 35 Silvester: der letzte Tag des Jahres, der 31. Dezember. 36 Wilhelm II. ( 1859, †1941), deutscher Kaiser und K?nig von Preu?en; erzwang 1890 den R?cktritt Otto von Bismarcks, liebte forsches Auftreten und ?u?eren Pomp; wurde durch seine Unbedachtheit dem selbst auferlegten F?hrungszwang nicht gerecht. Am 9.11.1918 wurde in Berlin seine Abdankung verk?ndet, er ging in die Niederlande. 37 ward: ïîýò. impf. îò werden
Íàø ëèòåðàòóðíûé æóðíàë Ëó÷øåå ìåñòî äëÿ ðàçìåùåíèÿ ñâîèõ ïðîèçâåäåíèé ìîëîäûìè àâòîðàìè, ïîýòàìè; äëÿ ðåàëèçàöèè ñâîèõ òâîð÷åñêèõ èäåé è äëÿ òîãî, ÷òîáû âàøè ïðîèçâåäåíèÿ ñòàëè ïîïóëÿðíûìè è ÷èòàåìûìè. Åñëè âû, íåèçâåñòíûé ñîâðåìåííûé ïîýò èëè çàèíòåðåñîâàííûé ÷èòàòåëü - Âàñ æä¸ò íàø ëèòåðàòóðíûé æóðíàë.