×òî æå åñòü ó ìåíÿ? Äûðû â äðàíûõ êàðìàíàõ, Òðè ìîðùèíû íà ëáó, Äà èñò¸ðòûé ïÿòàê... Íî íå æàëêî íè äíÿ- Ìíå ñóäüáîþ ïðèäàííûõ, Õîòü ïîðîé ÿ æèâó Ïîïîäàÿ â ïðîñàê. Âñ¸ ÷òî åñòü ó ìåíÿ: Ñîâåñòü, ÷åñòü è óìåíüå. ß îòäàì íå ñêóïÿñü- Ïðîñòî òàê çà ïóñòÿê. Çà ïîñòåëü ó îãíÿ, Äîáðîòó áåç ñòåñíåíüÿ. È çà òî, ÷òî ïðîñòÿñü, Íå çàáûòü ìíå íè êàê... Âñ¸ ÷

Gesicht des Zorns

Gesicht des Zorns Blake Pierce Ein Zoe Prime Fall #5 “EIN MEISTERWERK DES THRILLER UND KRIMI-GENRES. Blake Pierce gelingt es hervorragend, Charaktere mit so gut beschriebenen psychologischen Facetten zu entwickeln, dass wir das Gef?hl habe, in ihren Gedanken zu sein, ihre ?ngste zu sp?ren und ihre Erfolge zu bejubeln. Dieses Buch voller Wendungen wird Sie bis zur letzten Seite wachhalten.“. –Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (?ber Verschwunden). GESICHT DES ZORNS ist das f?nfte Buch einer neuen FBI Thrillerserie des USA Today Bestsellerautors Blake Price, dessen Nummer 1 Bestseller Verschwunden (Buch 1) (kostenloser Download) ?ber 1.000 F?nfsternebewertungen erhalten hat… FBI-Spezialagentin Zoe Prime leidet an einer seltenen Krankheit, die ihr auch ein einzigartiges Talent verleiht: Sie betrachtet die Welt durch einen Filter aus Zahlen. Die Zahlen qu?len sie, machen es ihr unm?glich, Zugang zu anderen Menschen zu finden, verhindern ein erfolgreiches Beziehungsleben – sie erm?glichen ihr aber auch, Muster zu sehen, die kein anderer FBI Agent sehen kann. Zoe verheimlicht ihr Leiden aus Scham und hat Angst, dass ihre Kollegen es herausfinden k?nnten… In GESICHT DES ZORNS werden Frauen tot aufgefunden, die offensichtlich Opfer eines Serienm?rders geworden sind, der mysteri?se Symbole in ihre K?rper ritzt. Das Symbol hat eine gewisse mathematische Bedeutung und Zoe versucht krampfhaft herauszufinden, ob der M?rder in der seine Opfer nach der Pi Zahlenfolge t?tet… Doch als ihre Theorie sich als falsch erweist, stellt Zoe alles, was sie bisher zu wissen glaubte, in Frage… Ist Zoe mit ihrem Talent an eine Grenze gesto?en? Oder kann sie das n?chste Opfer doch noch rechtzeitig retten?. GESICHT DES ZORNS ist das f?nfte Buch einer fesselnden Krimiserie und actionreicher Thriller voller mitrei?ender Spannung, der Sie bis sp?t in die Nacht an den Seiten kleben lassen wird.. Blake Pierce GESICHT DES ZORNS GESICHT DES ZORNS (Ein Zoe Prime Fall—Buch F?nf) B L A K E   P I E R C E Aus dem Amerikanischen von Tim Manzella Blake Pierce Blake Pierce ist die Autorin der RILEY-PAGE-Bestsellerreihe, die siebzehn Krimis um die FBI-Spezialagentin umfasst. Aus ihrer Feder stammt au?erdem die vierzehnb?ndige MACKENZIE-WHITE- Krimiserie. Dar?ber hinaus sind von ihr die Krimis um AVERY BLACK (sechs B?nde), KERI LOCKE (f?nf B?nde), die Krimiserie das MAKING OF RILEY PAIGE (sechs B?nde), die KATE-WISE- Krimiserie (sieben B?nde), die Psychothriller um JESSIE HUNT (vierzehn B?nde), die Psychothriller-Trilogie AU PAIR, die ZOE-PRIME-Krimiserie (bislang f?nf B?nde), die neue Krimireihe um ADELE SHARP und die Cosy-Krimi-Reihe LONDON ROSES EUROPAREISE, deren erster Band hier vorliegt, erschienen. Als begeisterte Leserin und lebenslanger Fan des Krimi- und Thriller-Genres freut sich Blake immer, von ihren Leserinnen und Lesern zu h?ren. Bitte besuchen Sie www.blakepierceauthor.com, um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben. Copyright © 2020 von Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Vorbehaltlich der Bestimmungen des U.S. Copyright Acts von 1976 darf kein Teil dieser Ver?ffentlichung ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder ?bertragen, in einer Datenbank oder einem Datenabfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist ausschlie?lich f?r Ihre pers?nliche Nutzung lizensiert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer weiteren Person teilen m?chten, erwerben Sie bitte eine zus?tzliche Ausgabe f?r jeden Empf?nger. Wenn Sie dieses Buch lesen und es nicht erworben haben, oder es nicht ausschlie?lich f?r Ihren Gebrauch erworben wurde, geben Sie es bitte zur?ck und erwerben Ihre eigene Ausgabe. Danke, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Es handelt sich hier um eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorf?lle beruhen entweder auf der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede ?hnlichkeit mit tats?chlichen Personen, ob lebend oder tot, ist v?llig zuf?llig. Titelbild Copyright Fernando Batista, verwendet mit Lizenz von Shuitterstock.com. B?CHER VON BLAKE PIERCE LONDON ROSES EUROPAREISE MORD (UND BAKLAVA) (Band #1) ADELE SHARP MYSTERY-SERIE NICHTS ALS STERBEN (Band #1) NICHTS ALS RENNEN (Band #2) NICHTS ALS VERSTECKEN (Band #3) NICHTS ALS T?TEN (Band #4) DAS AU-PAIR SO GUT WIE VOR?BER (Band #1) SO GUT WIE VERLOREN (Band #2) SO GUT WIE TOT (Band #3) ZOE PRIME KRIMIREIHE GESICHT DES TODES (Band #1) GESICHT DES MORDES (Band #2) GESICHT DER ANGST (Band #3) GESICHT DES WAHNSINNS (Band #4) GESICHT DES ZORNS (Band #5) JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE DIE PERFEKTE FRAU (Band #1) DER PERFEKTE BLOCK (Band #2) DAS PERFEKTE HAUS (Band #3) DAS PERFEKTE L?CHELN (Band #4) DIE PERFEKTE L?GE (Band #5) DER PERFEKTE LOOK (Band #6) DIE PERFEKTE AFF?RE (Band #7) DAS PERFEKTE ALIBI (Band #8) DIE PERFEKTE NACHBARIN (Band #9) CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE NEBENAN (Band #1) DIE L?GE EINES NACHBARN (Band #2) SACKGASSE (Band #3) STUMMER NACHBAR (Band #4) HEIMKEHR (Band #5) GET?NTE FENSTER (Band #6) KATE WISE MYSTERY-SERIE WENN SIE W?SSTE (Band #1) WENN SIE S?HE (Band #2) WENN SIE RENNEN W?RDE (Band #3) WENN SIE SICH VERSTECKEN W?RDE (Band #4) WENN SIE FLIEHEN W?RDE (Band #5) WENN SIE F?RCHTETE (Band #6) WENN SIE H?RTE (Band #7) DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE BEOBACHTET (Band #1) WARTET (Band #2) LOCKT (Band #3) NIMMT (Band #4) LAUERT (Band #5) T?TET (Band #6) RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE VERSCHWUNDEN (Band #1) GEFESSELT (Band #2) ERSEHNT (Band #3) GEK?DERT (Band #4) GEJAGT (Band #5) VERZEHRT (Band #6) VERLASSEN (Band #7) ERKALTET (Band #8) VERFOLGT (Band #9) VERLOREN (Band #10) BEGRABEN (Band #11) ?BERFAHREN (Band #12) GEFANGEN (Band #13) RUHEND (Band #14) GEMIEDEN (Band #15) VERMISST (Band #16) AUSERW?HLT (Band #17) EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE EINST GEL?ST MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE BEVOR ER T?TET (Band #1) BEVOR ER SIEHT (Band #2) BEVOR ER BEGEHRT (Band #3) BEVOR ER NIMMT (Band #4) BEVOR ER BRAUCHT (Band #5) EHE ER F?HLT (Band #6) EHE ER S?NDIGT (Band #7) BEVOR ER JAGT (Band #8) VORHER PL?NDERT ER (Band #9) VORHER SEHNT ER SICH (Band #10) VORHER VERF?LLT ER (Band #11) VORHER NEIDET ER (Band #12) VORHER STELLT ER IHNEN NACH (Band #13) VORHER SCHADET ER (Band #14) AVERY BLACK MYSTERY-SERIE DAS MOTIV (Band #1) LAUF (Band #2) VERBORGEN (Band #3) GR?NDE DER ANGST (Band #4) RETTE MICH (Band #5) ANGST (Band #6) KERI LOCKE MYSTERY-SERIE EINE SPUR VON TOD (Band #1) EINE SPUR VON MORD (Band #2) EINE SPUR VON SCHW?CHE (Band #3) EINE SPUR VON VERBRECHEN (Band #4) EINE SPUR VON HOFFNUNG (Band #5) KAPITEL EINS Zoe schloss die Augen und lehnte sich mit dem Kopf gegen die Lehne des Sofas. Es machte sowieso keinen Unterschied. Vor ihrem Fenster war Bethesda in Dunkelheit geh?llt und sie hatte sich nicht die M?he gemacht, aufzustehen, um das Licht einzuschalten. Kleine, gelb leuchtende Punkte in der Skyline am Horizont zeigten ihr, dass Washington D.C. noch wach war – und sie war es leid, diese Punkte anzustarren. Das war nicht mehr ihre Welt. Wenn sie dort hinschaute, sah sie ?berall blo? Zahlen: die Anzahl der Stockwerke jedes einzelnen Geb?udes und der Fenster pro Stockwerk, die Entfernung vom Boden, die Zeitspanne, die ein Objekt brauchen w?rde, um aus jedem beliebigen Fenster auf den B?rgersteig zu fallen. Die Anzahl der Geb?ude, die Aufteilung der Stra?en und die Winkel, in denen sie aufeinandertrafen. All diese Zahlen kreisten in ihrem Kopf herum, bis sie sich nur noch in die Dunkelheit zur?ckziehen und sich von alldem abschotten wollte. Und dann, als sie die Augen geschlossen hatte, drangen ihre anderen Sinne in den Vordergrund. Sie h?rte das Ticken ihrer Armbanduhr, die sie schon vor Tagen abgenommen und quer durchs Zimmer geschleudert hatte, in der Hoffnung, sie dann nicht mehr h?ren zu m?ssen. Aber sie konnte die Sekunden immer noch mitz?hlen. Sogar aus den Kohlens?urebl?schen in ihrer Bierflasche formte sich ein Muster, wenn sie die darin enthaltene Fl?ssigkeit im Halbdunkeln anstarrte: Sie konnte die Zeit zwischen dem Platzen der einzelnen Bl?schen z?hlen und die Geschwindigkeit berechnen, mit der sich die Bl?schen bewegten. Zoe nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche, denn das Bier auszutrinken, w?rde gleich zwei Vorteile mit sich bringen: Erstens w?rde dadurch das Prickeln der Kohlens?ure verstummen, au?erdem w?rde der Alkohol ihre Sinne bet?uben. Vielleicht w?rde ihr die n?chste Flasche dann ja nicht mehr ganz so laut erscheinen. Eine ihrer Katzen, dem Klang der Pfoten auf dem Stoff nach zu urteilen war es Euler, machte es sich auf der Sofalehne hinter ihr bequem. Der Kater schmiegte sich fast vollkommen ger?uschlos mit seinem warmen Fell an Zoes kurz geschnittenes Haar. Und doch war er zu h?ren, denn er hatte einen h?rbaren Herzschlag und atmete rhythmisch. So leise diese Ger?usche auch sein mochten, sie waren doch wahrnehmbar. Und da Zoe alles andere in ihrer Umgebung aus ihrer Wahrnehmung verdr?ngt hatte, wusste sie genau, dass sie schon bald anfangen w?rde, mitzuz?hlen. Sie rutschte ein wenig zur Seite und griff nach ihrem Handy. Es lag nutzlos auf der Armlehne des Sofas herum, ausgeschaltet. Sie hatte es schon seit Tagen nicht mehr angemacht. Nachdem sie von dem Fall zur?ckgekehrt war, der mit ihrer Suspendierung geendet hatte, hatte sie es zun?chst angelassen. Aber all die SMS und Benachrichtigungen, mit ihrem st?ndigen Klingeln und Vibrieren, hatten sie beinahe in den Wahnsinn getrieben, weshalb sie das Handy irgendwann ausgeschaltet hatte. Seitdem hatte sie das Handy einmal am Tag eingeschaltet, die Nachrichten gelesen und es gleich wieder ausgestellt. Jetzt konnte sie sich selbst dazu nicht mehr ?berwinden. Es war einfach zu viel. Zoe rechnete sowieso nicht mit irgendwelchen Neuigkeiten. Sie hatte den Kontakt zu allen abgebrochen, sich komplett abgeschottet, und nach einigen Wochen hatten sie ihre Kontaktversuche eingestellt. Auch von der Arbeit w?rde es nichts Neues geben. Nachdem sie den M?rder ihrer Partnerin, Special Agent Shelley Rose, zusammengeschlagen hatte, war SAIC Maitland nichts anderes ?brig geblieben, als sie nach Hause zu schicken. Allerdings erst, nachdem sie den Fall gel?st hatte, was ihr noch immer eine gewisse Genugtuung bereitete . Nicht, dass das reichte. Sie hatte den Mord ja dennoch nicht verhindert. Sie hatte zugelassen, dass er Shelley ermordete, nahezu direkt vor ihrer Nase. Zoe verlagerte ihr Gewicht auf dem Sofa, starrte ihr Handy an und berechnete dabei dessen Ma?e, das Gewicht, die Umrisse der Tasten an der Seite. Selbst die Zahlen waren besser zu ertragen, als die Gedanken an Shelleys Ermordung. Und nicht nur das FBI kontaktierte Zoe nicht mehr. Sie war lang genug mit John zusammen gewesen, um Vertrauen zu ihm zu fassen und dar?ber nachzudenken, ihm von den Zahlen zu erz?hlen. Sie hatte das sogar schon geplant, sich daf?r mit ihm verabredet. Aber nach Shelleys Tod erschien es ihr sinnlos, ihn weiter zu treffen. Zun?chst hatte er jeden Tag angerufen. Dann hatte er Nachrichten geschrieben, erst dreimal pro Tag, dann zweimal, dann einmal. Die Frequenz hatte rapide abgenommen, bis John es schlie?lich ganz aufgegeben hatte. Er hatte eine Nachricht geschickt, die sie inzwischen auswendig kannte: Wenn du reden m?chtest, bin ich f?r dich da. Neun W?rter. Vierunddrei?ig Buchstaben. Das war seine letzte Nachricht gewesen, er hatte sie vor siebenundzwanzig Tagen geschickt. Das wusste Zoe, ohne die Nachricht daf?r noch mal ansehen zu m?ssen, denn ihre innere Uhr h?rte nicht auf, die Stunden mitzuz?hlen, die seitdem vergangen waren. Sie wusste, dass es in ein paar Stunden achtundzwanzig Tage gewesen sein w?rden. Jeder Tag zog sich gleicherma?en unertr?glich in die L?nge, ein immer gleiches Ma?, das sich vor ihr und hinter ihr erstreckte und sich immer und immer wieder wiederholte. Zoe wollte sich gerade das zweite Bier des Abends aufmachen, als sie vor Schreck zusammenfuhr und die Flasche beinahe fallen lie?. Jemand klopfte energisch an die T?r und sofort gingen Zoe allerhand Zahlen durch den Kopf: das Gewicht der Faust, die da klopfte, ihre Geschwindigkeit und die aufgewendete Kraft. Und sie wusste ganz genau, zu wem diese klopfende Faust geh?rte. „Zoe?“ Die Stimme drang unter der T?r in die ansonsten ruhige Wohnung vor; sie war zu laut. Dr. Francesca Applewhite war an fast jedem einzelnen der siebenundzwanzig Tage seit Johns letzter Nachricht vorbeigekommen – und auch an jedem einzelnen Tag davor. Sechsunddrei?ig Mal hatte sie an die T?r geklopft. Da Dr. Applewhite fast immer im gleichen Rhythmus viermal klopfte – eins, eins-zwei, eins – machte das hundertvierundvierzig einzelne Klopfger?usche, Aufpralle am Rahmen, an Dr. Applewhites Kn?cheln. Und Zoe hatte die T?r nicht ein einziges Mal ge?ffnet. „Zoe, ich m?chte blo? deine Stimme h?ren“, sagte Dr. Applewhite. „Damit ich wei?, dass es dir gut geht.“ Zoe schloss langsam die Augen. Dr. Applewhites Stimme drang in einer Lautst?rke von f?nfundsechzig Dezibel durch die T?r und war somit nur geringf?gig lauter, als sie es in einem normalen Gespr?ch gewesen w?re. Gerade laut genug daf?r, dass man sie auch durch die T?r noch verstehen konnte. Und in der ganzen Wohnung. Es gab keinen Ort, von dem aus Zoe die Stimme nicht h?tte verstehen k?nnen. Daf?r war die Wohnung zu klein. Zoe hatte schon alles versucht. „Zoe!“ Neunundsechzig Dezibel. Zoe hielt sich die Ohren zu, um die Zahlen nicht mehr h?ren zu m?ssen. „Verschwinde!“, schrie sie. Sie konnte sich nicht beherrschen. „Lass mich einfach in Ruhe!“ Aus dem Flur vor ihrer Wohnung war ein sanftes Ger?usch zu vernehmen. „In Ordnung, Zoe.“ Neunundsechzig Dezibel. Ruhig und bestimmt. „Dann gehe ich jetzt. Ruf mich einfach an, wenn du irgendetwas brauchst.“ Es folgte eine kurze Pause, in der Hoffnung auf eine Antwort. Zoe erwiderte nichts. Schlie?lich war zu h?ren, wie sich Dr. Applewhites Schritte von der Wohnungst?r entfernten. Zoe horchte genau hin, bis die Schritte die Treppe erreicht hatten. Am Klang erkannte sie, dass Dr. Applewhite immer noch neunundf?nfzig Kilo wog. Zoe rieb sich die Augen und nahm sich ein Bier aus dem K?hlschrank. Sie ?ffnete die Flasche und trank einen gro?en Schluck – so viel, wie sie in einem Zug trinken konnte. Danach stellte sie fest, dass sie die Flasche fast genau bis zur H?lfte geleert hatte. Sie drehte sich wieder zum Sofa um, bewegte sich aber nicht weiter.. Ihre Wohnung erschien ihr jetzt erdr?ckend eng, zu klein und zu kreisf?rmig, um ihren Gedanken genug Platz zu bieten. Sie konnte unm?glich den ganzen Abend hier verbringen, die Zahlen w?rden das nicht zulassen. Sie konnte nicht ertragen, wie sie in ihrem Kopf widerhallten, ohne eine Reaktion zu erzeugen. Sie waren einfach ?berall. Und obwohl ihr auch drau?en Zahlen begegnen w?rden, w?ren das dann immerhin neue Zahlen. Sie lie? siebzehn Minuten seit den letzten h?rbaren Schritten von Dr. Applewhite verstreichen, um sicher zu gehen, dass sie nicht mehr in der Gegend war, trank den Rest ihres zweiten Bieres aus, warf die leere Flasche in den M?ll und zog sich dann ihre Schuhe an. *** Zoe stolperte ?ber einen losen Stein, der auf dem B?rgersteig lag, beinahe w?re sie hingefallen. Als sie noch einmal genauer hinsah, stellte sie fest, dass der Stein nicht einfach zuf?llig dort lag, sondern Teil der Konstruktion war. Eine Kante, die als seitliche Begrenzung des Gehweges diente. Nun ja. H?tten sie nicht so bauen sollen. Zoe richtete sich vorsichtig wieder auf und konzentrierte sich darauf, nicht noch einmal ins Taumeln zu geraten. Sie sah die Stra?e hinauf und stellte bedr?ckt fest, wo sie sich befand: am selben Ort, an dem sie so oft landete, wenn sie nachts durch die Stra?en zog, nachdem sie ein paar Drinks intus hatte. Oder w?hrend sie ein paar Drinks zu sich nahm, denn sie hatte den Rest des Sixpacks mitgenommen  – inzwischen waren ihre H?nde allerdings leer. Das war nicht gerade ein kurzer Spaziergang gewesen, woraus sich schlie?en lie?, dass sie sich bewusst entschieden haben musste, hierherzukommen. Auch wenn sie sich nicht mehr daran erinnern konnte, diese Entscheidung getroffen zu haben. Wie dem auch sei, hier war sie nun also, vor dem Haus, vor dem diese Ausfl?ge immer endeten. Das Haus, zu dem sich Zoe unter normalen Umst?nden niemals getraut h?tte. Es war kein Zufall, dass sie nur nachts herkam, wenn die Dunkelheit ihr Schutz bot und der Alkohol sie weniger nerv?s gemacht hatte. Nachts war es unwahrscheinlich, dass sie Zoe sehen w?rden, weshalb sie ungest?rt dort stehen und sich in ihren Schuldgef?hlen suhlen konnte, ohne jemals irgendetwas dagegen zu tun. Was nicht hie?, dass sie nichts tun wollte. Zoe w?nschte sich nichts sehnlicher, als an die T?r dieses Hauses zu klopfen. Sie w?nschte sich, dass sich die Haust?r ?ffnen und ihre Partnerin Shelley Rose vor ihr stehen w?rde, mit ihrer perfekt sitzenden Frisur und ihrem sauber aufgetragenen, rosafarbenen Lippenstift. Sie w?nschte sich, dass Shelley sie anl?cheln und „Dann wollen wir mal, Zoe!“ oder etwas dergleichen sagen w?rde. Und dass sie dann zusammen in einen Flieger steigen und irgendwo einen Mordfall l?sen w?rden. Dass einfach alles in Ordnung w?re. Aber das war unm?glich, denn Shelley wohnte hier nicht mehr. Shelley lag unter der Erde. Zoe hatte dabei zugesehen, wie man sie in ihr frisch ausgehobenes Grab hinabgelassen hatte, w?hrend ihr Ehemann und ihre Tochter daneben standen. Sie hatte schon damals etwas sagen wollen, aber sie hatte es ebenfalls nicht geschafft. Auch jetzt wollte sie etwas sagen, aber sie schaffte es immer noch nicht. Sie hatte es nicht verdient, mit der Sache einfach so abzuschlie?en. Shelleys Ehemann hatte nun keine Frau mehr. Shelleys Tochter hatte nun keine Mutter mehr. Zoe h?tte bei ihnen klopfen und ihnen sagen k?nnen, dass es ihr leid tat, dass sie an allem Schuld war, dass sie es nicht hatte verhindern k?nnen. Sie h?tte die ganze Schuld auf sich nehmen k?nnen, den ganzen Hass der beiden – und ?berhaupt alles, was sie Zoe an den Kopf werfen wollten – absorbieren k?nnen. Sie h?tte daf?r sorgen k?nnen, dass es den beiden ein wenig besser ging. Aber ob nun aus R?cksicht auf sich selbst oder auf Shelleys Familie – es war ihr nicht m?glich. Nicht nur, weil sie es nicht verdient hatte. Auch nicht, weil sie sich nicht traute. Zoe sah zu dem Haus auf und versuchte, zu formulieren, was sie den beiden sagen w?rde. Aber alles, das ihr in den Sinn kam, war: Zur Stra?e hin hat das Haus f?nf Fenster, die jeweils in vier Teile unterteilt sind; die Haust?r ist zwei Meter hoch; der Weg zur T?r ist einen Meter und achtzig Zentimeter lang und besteht aus zw?lf Gehwegplatten; jede einzelne dieser Platten ist f?nfzehn Zentimeter lang, was im angloamerikanischen Ma?system etwa einem halben Fu? oder sechs Zoll oder 0,164 Yard entspr?che… Zoe fand f?r sie keine Worte. Ihr kamen nur Zahlen in den Sinn. Sie wandte sich von dem ihr wohlbekannten Haus, mit all seinen Ma?en und Dimensionen, ab und zwang sich dazu, sich wieder auf den Heimweg zu machen. Wenn sie an diesem Moment angelangt war, dann ging es ihr immer noch schlechter, als es ihr vor ihrem Aufbruch gegangen war. Und doch f?hrte es sie immer wieder hierher. Fr?her oder sp?ter w?rde ihr nichts anderes ?brig bleiben, als einfach gar nicht mehr rauszugehen. Es war das Risiko einfach nicht wert. Und Zoe sah keinen Ausweg aus dieser schrecklichen Situation – eine Situation, in die sie sich selbst gebracht hatte. Sie w?rde einfach mit ausgeschaltetem Handy zu Hause sitzen bleiben und all die Anrufe ignorieren, die sie erhalten w?rde, wenn ihre Suspendierung aufgehoben wurde, und alles zur Erinnerung von jemand anderem verblassen lassen. KAPITEL ZWEI Elara Vega sah auf ihre Armbanduhr und zog die Augenbrauen hoch, eine Geste, die nur f?r sie selbst gedacht war. Sie war schlie?lich allein; ihre Kollegen waren bereits gegangen, die meisten um sechs, als die Arbeitszeit offiziell geendet hatte. Aber Elara bedeutete ihre Arbeit alles – das war schon immer so gewesen. Nein, das stimmte nicht ganz, dachte sie, w?hrend sie ihre Sachen zusammensuchte und ihre Notizen f?r den n?chsten Morgen sortierte. Es hatte auch eine Zeit gegeben, in der ihr andere Dinge wichtiger gewesen waren. Sie hatte ihren Sohn gro? gezogen und f?r eine Weile war sie auch verheiratet gewesen, auch wenn die Scheidung nun schon zwanzig Jahre zur?cklag. Zwei Jahre nach der Scheidung war ihr Sohn f?rs Studium ausgezogen und seitdem lebte sie allein. Ihr gefiel dieses Leben. So hatte sie all die Sterne und Planeten, die Ewigkeit und Verg?nglichkeit zugleich repr?sentierten, ganz f?r sich. Elara warf noch einen weiteren Blick auf ihren aufger?umten Schreibtisch, um sicherzugehen, dass alles an seinem Platz war. Wenn sie in ihren neunundf?nfzig Lebensjahren eines gelernt hatte, dann, dass es wesentlich einfacher war, immer alles gleich aufzur?umen, als ein Chaos zu beseitigen, das sich ?ber l?ngere Zeit angesammelt hatte. Mit dem Ergebnis ihrer M?hen zufrieden, griff Elara nach ihrem Mantel, der ?ber der Lehne ihres Stuhls hing, und warf ihn sich ?ber. Dann machte sie sich in Richtung Ausgang auf. Sie war gerade dabei, ihren Kragen zu gl?tten, als sie in den Flur trat und sah, dass dort einer der Hausmeister damit besch?ftigt war, mit kreisrunden Bewegungen den Boden zu wischen. Sie hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie so lange im B?ro geblieben war, dass sie die Reinigungskr?fte beim Putzen st?rte. Die mussten ja auch ihre Arbeit machen und waren sicher nicht begeistert davon, wenn sie in ihren Schuhen ?ber den frisch gewischten Boden stiefelte. In dem Planetarium gab es sowohl B?ros als auch Konferenz- und Veranstaltungsr?ume, die alle um den in der Mitte gelegenen Vorf?hrsaal angeordnet waren, von dem aus man ins Foyer und damit zum Ausgang kam. Elara trat in den dunklen Raum, der nachts, wenn das ganze Geb?ude dunkel und still war und auf all den hier aufgereihten St?hlen niemand sa?, immer etwas Gruseliges an sich hatte. Sie f?hlte sich dabei immer an eine typische Horrorfilmszene erinnert, in der die Charaktere einen verwaisten und heruntergekommenen alten Kinosaal mit verrottenden Sitzpolstern und eingestaubtem Filmprojektor entdeckten. Sie m?hte sich, den Saal rasch zu durchqueren, um m?glichst schnell in das wesentlich weniger furchteinfl??ende Foyer zu gelangen. Und danach an die k?hle Nachtluft. Sie hatte gerade etwa die Mitte der vordersten Sitzreihe erreicht, als sie ein ihr gut bekanntes Ger?usch vernahm: das mechanische Rattern des Projektors, das immer zu h?ren war, wenn er den Betrieb aufnahm. Elara blieb stehen, blickte sich verwundert um und sah schlie?lich zur Decke auf. Die Sterne und Planeten waren ?ber ihrem Kopf zum Leben erwacht und wirbelten herum, bis sie schlie?lich an ihren Pl?tzen f?r den Beginn der Vorstellung zur Ruhe kamen. Sie hatte das schon hunderte Male gesehen und war sogar beteiligt gewesen, als vor einigen Jahren die Genauigkeit des Systems anhand neuer Sternkarten ?berpr?ft und aktualisiert worden war. Aber zu Beginn der Pr?sentation hier in der Mitte zu stehen, das war dennoch auch f?r sie ein ganz neues Gef?hl. Es machte beinahe den Eindruck, als k?nnte sie nach den Sternen greifen und sie ber?hren… Aber wer hatte den Projektor eingeschaltet? All ihre Kollegen waren bereits nach Hause gegangen. Und zu dieser sp?ten Stunde sollte er eigentlich nicht an sein. Orchestermusik dr?hnte nun aus den Lautsprechern, so laut, dass Elara nichts anderes mehr wahrnehmen konnte. Sie runzelte die Stirn und drehte sich langsam um, denn sie dachte, dass sie besser mal im Projektorraum nachsehen sollte– Doch pl?tzlich kniete sie auf dem Boden und starrte den Teppich an. Wie war das denn passiert? Gerade eben noch war sie doch – aber dann hatte ein starker Schmerz ihren Hinterkopf durchzogen – sie erinnerte sich daran, dass etwas mit krachendem Ger?usch dagegen geprallt war, das Ger?usch war sogar noch lauter als die Musik gewesen – daraufhin hatten ihre Beine nachgegeben, genau wie ihre Arme, ihr ganzer K?rper hatte f?rmlich zu brummen begonnen– Nun vernahm sie noch etwas anderes in ihrem Nacken – eine andere Form des Schmerzes – eine Hand, die fest zupackte, ohne R?cksicht auf ihre empfindliche Haut zu nehmen. Elara versuchte benommen, sich aus dem Griff zu befreien, denn sie wollte, dass der Schmerz aufh?rte. Doch die Hand griff dadurch nur noch fester zu. Der Schmerz schien wie aus weiter Entfernung zu ihr durchzudringen. Als k?me er von einem anderen Planeten, durch die gro?e Entfernung und das Licht der anderen Sterne verschleiert. Sie bewegte sich nun. Genauer gesagt wurde sie bewegt, denn etwas packte sie immer noch am Nacken – brachte sie irgendwo hin, ihre Beine schleiften dabei hilflos den Boden entlang. Elara gab sich alle M?he, wieder auf die Beine zu kommen, sie daran zu hindern, immer weiter ?ber den glatten Boden zu rutschen. Aber es wollte ihr einfach nicht gelingen, denn die Musik war zu laut und die Lichter zu grell. Und dann floss da auch noch irgendetwas Hei?es ihre Stirn herunter, direkt in ihr Auge. Unter sich nahm sie nun etwas Rundes wahr, aus Metall, darin bewegte sich etwas, von dem das Licht reflektiert wurde – Wasser. Und dann– Das kalte Wasser versetzte ihr einen Schock, lie? sie laut nach Luft schnappen, es war die erste klare und deutliche Reaktion, die sie zu zeigen imstande war, seitdem die Projektion begonnen hatte. Bedauernswerterweise war das aber auch genau die eine Reaktion, die in dieser Situation nicht angemessen war: Denn es drang nur Wasser in ihre Lungen, keine Luft. Das ?berw?ltigende Gef?hl, mit dem es in ihren Mund str?mte und ihren Rachen hinunterlief, l?ste eine Panik in ihr aus, die jedwede Verwirrung und jeden Schmerz, den sie vorher versp?rt hatte, verdr?ngte. Sie dachte nur noch daran, dass sie irgendwie hier rauskommen musste, dass sie irgendwie wieder auftauchen, es an die Oberfl?che und an die Luft schaffen musste. Elara qu?lte sich, zappelte, versuchte, sich an dem metallenen Beh?lter festzukrallen, sich daran nach oben zu ziehen. Sie sp?rte, wie er unter ihr zu wackeln begann, und aus irgendeinem Grund wackelte sie mit. Da stand etwas ?ber ihr, das sie niederdr?ckte und sie daran hinderte, den Kopf aus dem Wasser zu ziehen. Ihr Sichtfeld verdunkelte sich, schwarze Punkte erschienen vor ihren Augen. Sie war von Wasserblasen umgeben und die schwarzen Punkte tanzten, genau wie die glitzernden Reflektionen des Lichtes, von einer Blase zur n?chsten – w?hrend sie verzweifelt um sich schlug und darum k?mpfte, ihren Kopf zu heben. In einem letzten Aufb?umen versuchte Elara, sich einfach nach hinten fallenzulassen und mit der Bewegung den Beh?lter umzukippen, aber ihre Kehle zog sich krampfhaft zusammen und ihr Augenlicht lie? nach und ihr wurde klar, dass sie nichts mehr tun konnte. Ein schmerzhafter Krampf in ihrer Brust zwang sie dazu, noch ein letztes Mal nach Luft zu schnappen – aber da war keine Luft. Dann wurde sie von totaler Finsternis umh?llt, um sie herum war nichts mehr – nicht einmal mehr das Funkeln der Sterne, die Millionen von Lichtjahren entfernt waren, in einer anderen Galaxie. Und die gerade im Begriff waren, zu sterben – oder vielleicht waren sie auch schon tot. KAPITEL DREI Zoe hielt auf ihrem Weg durch die K?che zweimal inne, fasste sich an den Kopf und st?hnte. Sie musste sich rehydrieren. Aber sofort nachdem sie sich der Fensterseite des Raumes zugewandt hatte, bereute sie dies auch schon. Sie hatte in der letzten Nacht die Vorh?nge nicht zugezogen und nun schien die sp?te Morgensonne in das Fenster und durchflutete das Zimmer mit einem grellen Licht, das bei ihr pochende Kopfschmerzen ausl?ste. Dieser Kater hatte ihr gerade noch gefehlt. Dabei hatte sie gestern Abend nur etwa sechsundf?nfzig Gramm Alkohol zu sich genommen. Ihr K?rper h?tte eigentlich in der Lage sein sollen, diese Menge innerhalb von sieben Stunden abzubauen. Allerdings war sie gestern erst sehr sp?t ins Bett gegangen, sie hatte daf?r nicht mal ihre Schuhe ausgezogen, weshalb es definitiv nicht auszuschlie?en war, dass sie nach ihrer Heimkehr noch mehr getrunken hatte und sich nicht mehr daran erinnern konnten. Ihr Kopf dr?hnte jedenfalls und sie w?nschte sich nichts sehnlicher, als einfach wieder einschlafen zu k?nnen. Auf ihrer pers?nlichen Skala von eins bis zehn h?tte sie den Schmerz wahrscheinlich als eine Sechs eingestuft. Der L?rm von drau?en war aber noch schlimmer zu ertragen: Tags?ber konnte Zoe die Stadt nicht ausstehen. Selbst wenn sie sich in ihre Wohnung zur?ckzog und alle Fenster geschlossen lie?, konnte sie ihn immer noch h?ren. Den nicht enden wollenden Strom des Verkehrsl?rms. Die Motorger?usche und den Abrieb der Reifen auf dem Asphalt, an denen sie die Durchschnittsgeschwindigkeit auf den umliegenden Stra?en bei der heutigen Verkehrslage erkennen konnte. Die polternden Schritte der Frau aus der Wohnung ?ber ihr, die Zoe sagten, dass sie gerade zum K?hlschrank ging, weil die Wohnung genauso wie ihr eigene angelegt war und sie sieben Schritte in s?dliche Richtung gemacht hatte. Danach, auf dem R?ckweg, den L?rm der sieben Schritte in die entgegengesetzte Richtung. Dann war da noch der Gesang der ganzen V?gel, die es irgendwie schafften, ihr gesamtes Leben in dieser Stadt zu verbringen, obwohl es hier sicher nicht so viele B?ume gab, wie es ihnen lieb gewesen w?re. Sie riefen einander in einem immer wiederkehrenden, nervt?tenden Rhythmus zu: ein dreifaches Trillern, noch ein dreifaches Trillern und noch ein dreifaches Trillern. Unver?nderlich. Dann kurz Stille, bevor sie wieder von vorn begannen. Die einzige Abweichung bestand darin, dass sich die Stimme mancher V?gel bei manchen der Trillerger?usche hin und wieder ein wenig ?berschlug. Danach aber kehrten sie sofort zu ihrem immer gleichen Rhythmus zur?ck. „Haltet die Klappe, ihr verdammten V?gel“, rief Zoe laut aus und deckte dabei ihr Gesicht mit ihren H?nden ab. Ein leises Miauen aus Richtung der T?r veranlasste sie dazu, ihre Augen einen Spalt weit zu ?ffnen, woraufhin sie Pythagoras sah, ihre Burma-Katze, die sie mit tadelndem Blick beobachtete. Zoe seufzte. Immerhin war ihr Leben noch nicht vollkommen sinnlos und ohne Struktur. Sie hatte immer noch die Katzen, die gef?ttert werden mussten, komme was wolle. Sie holte das Katzenfutter aus dem Schrank und sch?ttelte die Packung, bis sie anhand des Raschelns absch?tzen konnte, dass sie hundertzwanzig St?cke des Trockenfutters ausgekippt hatte. Pythagoras und Euler kamen sofort angerannt und Zoe beobachtete sie dabei, wie sie sich auf ihre N?pfe st?rzten, w?hrend sie mit einem Schluck Wasser eine Schmerztablette heruntersp?lte. Zoe zwang sich dazu, das gesamte Wasserglas auszutrinken, danach f?llte sie es direkt wieder auf. Noch drei weitere Gl?ser, dann w?rden die Kopfschmerzen nachlassen, so ihre Sch?tzung. Ihr ging es bereits jetzt etwas besser. Das half ihr allerdings nicht, als ein lautes Klopfen an der Haust?r sie so sehr erschreckte, dass sie einen gro?en Schluck Wasser versch?ttete, der pl?tschernd auf dem K?chenboden landete. Nicht jetzt, Dr. Applewhite, dachte Zoe sich, aber als sie noch einmal dar?ber nachdachte, stellte sie fest, dass das Klopfen irgendetwas ungew?hnliches an sich hatte. Es h?rte sich so an, als steckte mehr Gewicht dahinter. Es war ein festeres Klopfen, als das Dr. Applewhites. Und auch der Rhythmus war anders. Eins-zwei-drei, kein vierter Schlag, keine Wiederholung. Es war wahrscheinlich ein Mann, vermutete Zoe, was ihr komisch vorkam. Vielleicht hatte ihr das FBI ein Paket geschickt, mit all den Dingen, die sie im J. Edgar Hoover- Geb?ude zur?ckgelassen hatte, und der Paketbote brauchte nun ihre Unterschrift. Das war eine m?gliche Erkl?rung. Zwar nicht sonderlich wahrscheinlich, aber doch Grund genug f?r sie, sich zu ?berwinden und zumindest einmal nachzusehen. Zoe ?ffnete die T?r, lie? die Sicherheitskette aber noch geschlossen, bis sie sah, dass SAIC Leo Maitland davor stand – ihr Chef. Er hatte die Arme hinter seinem R?cken verschr?nkt und einen milden Gesichtsausdruck aufgesetzt, was nicht zwangsl?ufig ein gutes Zeichen war. Er hatte viel zu tun und normalerweise keine Zeit f?r Hausbesuche. Sein Blick, gepaart mit der ihr antrainierten Obrigkeitsh?rigkeit, veranlasste Zoe dazu, die T?r nur deshalb wieder zu schlie?en, um die Kette auszuhaken, sie dann ganz zu ?ffnen und ihm schlie?lich von Angesicht zu Angesicht gegen?berzustehen. Sie bereute es, kein besser zusammenpassendes Outfit zu tragen und sich heute morgen nicht gek?mmt zu haben, aber das lie? sich nicht ?ndern. „Agent Prime.“ Maitlands Stimme kam einem tiefen Brummen gleich. Mit seinen eins neunzig war er fast dreizehn Zentimeter gr??er als sie, was er nun nutzte, um ihr von oben herab einen tadelnden Blick zuzuwerfen, wie ein Lehrer, der ein ungezogenes Kind ermahnen wollte. „Sir“, sagte Zoe und m?hte sich dabei, mit sicherer Stimme zu sprechen. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, sich mit irgendwelchen Arbeitsangelegenheiten auseinanderzusetzen. Nicht, solange sie immer noch ?berall Zahlen sah, wie jetzt etwa die Winkel und Ma?e, die man an Maitlands aufrechter, milit?rischer K?rperhaltung ablesen konnte. So fiel ihr auch auf, dass weder seine einhundertf?nfzehn Zentimeter breite Brust noch sein achtunddrei?ig Zentimeter gro?er Bizeps kleiner geworden waren, seit sie das letzte Mal im B?ro gewesen war. Seit er sie suspendiert hatte, weil sie die Leiche ihrer ermordeten Partnerin gefunden und sp?ter so lange auf den T?ter eingeschlagen hatte, bis ihre Kollegen sie gewaltsam von ihm weggezerrt hatten. „Ich bin aus dem Hauptquartier hergekommen, um pers?nlich mit Ihnen zu sprechen“, sagte er. Er hatte einen bedeutungsschwangeren Tonfall aufgesetzt. „W?rde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich reinkomme?“ Zoe starrte ihn f?r einen Augenblick irritiert an. Was hatte dieser merkw?rdige Tonfall zu bedeuten? War er w?tend auf sie? Oder belustigt? Entt?uscht? Was denn blo?? Bei ihr kamen nur die einundsechzig Dezibel an, die zwanzig W?rter, der Rhythmus und die Kadenz der einzelnen Silben. Aber sie machte ihm dennoch den Weg frei und deutete in Richtung ihres Sofas, woraufhin Maitland vorsichtigen Schrittes an ihr vorbei und in die Wohnung trat. Doch er lie? nicht etwa Vorsicht walten, weil er darauf achtete, nicht auf etwas Wichtiges zu treten. Sondern weil er sich nicht die Schuhe schmutzig machen wollte. Maitland nahm behutsam auf dem Sofa Platz, w?hrend Zoe die T?r schloss und ihm dann folgte. Sie z?gerte; da sie normalerweise nie Besuch hatte, hatte sie es bisher nicht f?r notwendig gehalten, noch eine weitere Sitzgelegenheit zu kaufen. Hier stand also blo? das Sofa, weshalb sie sich neben ihn setzen musste – was unangenehm und unangemessen war. Und au?erdem verwirrend, denn sie wusste gar nicht, in welchem Winkel sie sich dabei zu ihm drehen sollte. Nach einem Moment des Zauderns nahm sie aber Platz, sie hatte sich f?r einen f?nfundvierzig Grad Winkel entschieden: so sa? sie ihm nicht direkt gegen?ber, starrte aber auch nicht einfach geradeaus ins Leere. Es war die Zwischenl?sung. „Agent Prime“, sagte Maitland erneut und schien dabei seine Worte mit Bedacht zu w?hlen. „Was ist gestern passiert?“ „Gestern?“, wiederholte Zoe stumpfsinnig. Sie versuchte, sich zu erinnern. Gestern? Was hatten sie denn gestern ?berhaupt gemacht? Sie hatte apathisch aus dem Fenster gesehen, Dr. Applewhite erneut abgewiesen, einen Spaziergang gemacht. Ach. Der Spaziergang. Hatte Harry Rose sich beschwert? Maitland rutschte nerv?s hin und her und drehte sich ein St?ck weiter zu ihr. Zoe bemerkte, dass sein Igelschnitt zwar genauso kurz geschnitten war wie immer, im Vergleich zu ihrer letzten Begegnung allerdings grauer geworden war. „Ihre Suspendierung ist gestern abgelaufen. Ich hatte erwartet, dass Sie zum Dienst erscheinen.“ „Das war gestern?“. fragte Zoe und ging gedanklich den Kalender durch. Ja, dachte sie, es war die richtige Anzahl an Tagen vergangen. Und au?erdem war gestern ein Mittwoch gewesen. Also stimmte das Datum wohl. Das war ihr v?llig entgangen. „Ich habe Ihnen diesbez?glich mehrere E-Mails geschickt“, sagte Maitland. Er wandte den Kopf ab, sah sich in der Wohnung um. Zoe erkannte an seinem Blickwinkel, wohin er sah. Computer: ausgeschaltet; Handy: Akku leer; Festnetz: aus der Leitung gezogen. „Ich habe Sie auch diverse Male angerufen und, weil ich nicht durchgekommen bin, mehrfach Sprachnachrichten hinterlassen.“ Zoe nickte ruhig. Dreimal, im Takt: eins, zwei, drei. „Es tut mir leid“, sagte sie, auch wenn das nicht unbedingt die Wahrheit war. „Ich war in letzter Zeit nicht besonders gut darin, auf dem Laufenden zu bleiben.“ Maitland seufzte. „Ich wei? doch, dass die letzten Monate sehr schwer f?r Sie waren, Zoe“, sagte er. „Ich habe Sie f?r sechs Wochen suspendiert, weil ich wusste, dass Sie auf jeden Fall beurlaubt werden w?rden. Das ist vorgeschrieben, wenn Ermittler ihren Partner verlieren. Erst recht, wenn es auf diese Art und Weise passiert. Waren Sie bei der psychologischen Beratung?“ Nun sch?ttelte Zoe langsam den Kopf. Wieder im Takt: eins, zwei, drei. Es hatte keinen Sinn, ihm etwas vorzul?gen. Er konnte das problemlos ?berpr?fen. Hatte er wahrscheinlich schon getan. Sie hatte es nicht f?r sinnvoll gehalten, dort hinzugehen. Schlie?lich hatte sie ihre eigene Therapeutin. Wobei sie da in den letzten Wochen auch nicht hingegangen ist. „Warum nicht?“, fragte Maitland. Zoe dachte dar?ber nach, was sie antworten sollte. Sie dachte zu lang dar?ber nach. Die Sekunden verstrichen – drei, vier, f?nf – und Maitland verlor die Geduld. „Also gut, h?ren Sie mir mal zu“, sagte er, woraufhin Zoe Blickkontakt mit ihm aufnahm. Sie versuchte, sich auf seine Worte zu konzentrieren, statt auf den Umfang seiner Iris oder darauf, wie diese sich ver?nderte, wenn er den Kopf bewegte und deshalb das Licht in einem anderen Winkel auf sie einfiel. „Ich bin heute hier, weil ich wissen muss, was Ihre weiteren Pl?ne sind. Sie haben sich dazu entschieden, nicht zur Arbeit zur?ckzukommen. Soll ich das als ihre K?ndigung betrachten?“ Zoe ?ffnete sofort den Mund, um ihn zu signalisieren, dass sie auf die Frage antworten wollte. Denn es war keine schwere Frage. „Ja“, sagte sie, ohne zu z?gern. Wie sollte sie auch jemals zur?ck zur Arbeit gehen? Wie sollte sie es schaffen, ohne ihre Partnerin wieder ins B?ro zu gehen? Bevor Shelley ihre Partnerin geworden war, hatten all ihre Kollegen sie gehasst. Sie ignoriert. Jetzt, wo Shelley verstorben war, w?re es sicher noch schlimmer als vorher. Maitland nickte ruhig. Genau wie sie es zuvor getan hatte. Dreimal, im Takt: eins, zwei, drei. „Okay“, sagte er. „Wenn Sie sich da ganz sicher sind. Das brauche ich allerdings schriftlich.“ Zoe sah zu ihrem Computer her?ber und nickte ihm schweigend zu. Sie konnte morgen ein Schreiben aufsetzen und es ihm zuschicken, dann w?re die Sache gleich erledigt. Maitland begann, sich zu erheben, er wollte offenbar nicht mehr l?nger bleiben. Dank seiner wuchtigen Struktur musste er dabei behutsam vorgehen. „Aber bevor Sie die K?ndigung schreiben, habe ich noch was f?r Sie“, sagte er und streckte ihr eine Aktenmappe entgegen. Zoe war so konzentriert auf die Ma?e seiner Iris gewesen, dass ihr gar nicht aufgefallen war, dass die Mappe die ganze Zeit auf seinem Scho? gelegen hatte. Sie hatte die ?bliche Gr??e, war braun, aber es ragte etwas wei?es etwa zwei Millimeter ?ber den Rand heraus. „Ich denke, das sollten Sie sich mal ansehen. K?nnte Sie vielleicht interessieren – und ich k?nnte Sie f?r die Ermittlungen gut gebrauchen.“ Zoe starrte die Akte misstrauisch an, bis Maitland schlie?lich seufzte und sie auf Zoes Couchtisch ablegte. „Ich finde den Ausgang“, sagte er und ging zur T?r. Kurz bevor er dort angekommen war, hielt er inne und sah zu ihr zur?ck. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Ungew?hnliches an sich, Zoe glaubte, dass sie wom?glich Traurigkeit daran ablesen konnte. „Sie sind eine gute Ermittlerin, Prime. Es w?re eine Schande, wenn sich herausstellen sollte, dass dieser widerliche Typ die Karrieren von gleich zwei meiner besten Ermittlerinnen beendet hat. Ich habe bei anderen Ermittlern mit angesehen, wie sie etwas ?hnliches durchgemacht haben. Und was ihnen am meisten geholfen hat, war immer, sich wieder in die Arbeit zu st?rzen.“ Und dann war er weg. Er hatte Zoe allein mit der Aktenmappe zur?ckgelassen. Sie starrte die Mappe an und analysierte ihre Ma?e. Alles andere um sich herum versuchte sie, zu ignorieren. *** Es war noch nicht einmal Mittag, aber Zoe war bereits vollkommen ersch?pft. Ihre Kopfschmerzen waren immer noch nicht weg und sie war todm?de. Nachdem sie die halbe Nacht auf den Beinen gewesen war und au?erdem noch getrunken hatte, fehlt ihr nun jede Kraft. Es war nicht der erste Tag, an dem es ihr so ging. Nicht mal der erste in dieser Woche. Sie erhob sich vom Sofa und m?hte sich bis in ihr Schlafzimmer, wo sie sich einfach aufs Bett fallen lie?, ohne sich auszuziehen oder die Bettdecke aufzuschlagen. Dann schloss sie die Augen und schlief, auf dem Bauch liegend und mit dem Kopf auf das Kissen gedr?ckt, endlich ein. Und hatte endlich Ruhe. „Zoe, du musst mir jetzt unbedingt zuh?ren.“ Zoe dreht sich um und stellte fest, dass Shelley vor ihr stand. Sie trug ein h?bsches Kleid, ihre Frisur und ihr Make-up sahen noch perfekter aus, als sie es normalerweise taten und sie trug High-Heels, die sie gr??er machten. Zoe sah an sich herab und bemerkte, dass sie die gleiche Kleidung trug. Sie befanden sich in der Damentoilette eines Restaurants, drau?en warteten ihre Lebensgef?hrten auf sie. „Was?“, fragte Zoe mit b?sem Blick. Irgendetwas stimmte hier nicht, aber sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, was es war. Irgendwas lief hier falsch. „Du musst mir zuh?ren“, sagte Shelley beharrlich. Zoe schaute noch finsterer drein und machte einen Schritt auf Shelley zu, aber obwohl sie sich nicht bewegt hatte, war Shelley immer noch genau gleich weit entfernt. „Worauf muss ich h?ren?“, fragte Zoe. Shelley deutete zu dem Spiegel hinter Zoe und Zoe drehte sich dahin um: Darin war ihr Spiegelbild zu sehen, aber ohne Make-up und schicke Kleidung, sondern ganz so, wie sie zur Zeit wirklich aussah: verschlafen und blass, im Jogginganzug, ungepflegt und mit dunklen Augenringen. Davon abgesehen war im Spiegel nichts und niemand anderes zu sehen. Zoe drehte sich verwirrt wieder zu Shelley um. Doch Shelley starrte sie blo? schweigend an. Mit einem solch energischen Blick, dass Zoe die Worte im Halse stecken blieben. Sie war zu nichts anderem in der Lage, als zur?ckzustarren. Und dabei zu versuchen, zu erraten, was Shelley ihr mit ihrem Blick sagen wollte, insbesondere als Shelleys Augen wei? und glasig wurden und aufh?rten ?berhaupt etwas anzustarren. Zoe schreckte auf und sa? nun aufrecht und schwer atmend in ihrem Bett. Sie war durchgeschwitzt und ihr war zu warm – und als sie sich die Haare aus dem Gesicht wischte, stellte sie fest, dass sie ganz nass geworden waren. Sie brauchte eine ganze Weile, um den Gedanken an Shelleys ganz und gar wei?e Augen zu wieder loszuwerden. Als sie schlie?lich zur Seite sah, starrte sie direkt in ein weiteres, ?bergro?es Augenpaar. Zoe schrie auf und rutschte auf dem Bett erschrocken zur Seite, bis ihr schlie?lich klar wurde, dass das blo? Eulers Augen waren, der sie mit einem besorgten Schnurren beobachtete und dabei eine seiner Pfoten in die Luft reckte. Zoe kam wieder zu Atem und streckte die Hand nach ihm aus, um ihn hinterm Ohr zu kraulen und ihn damit wissen zu lassen, dass alles in Ordnung war. Ihr Herz raste zwar immer noch, aber er drehte sich daraufhin um und spazierte davon. Er hatte offenbar das Interesse an dem seltsamen Verhalten dieses Menschen verloren. Zoe z?hlte jeden einzelnen seiner Schritte mit, bis er aus dem Zimmer verschwunden war. Danach versuchte sie stattdessen ihre eigenen Atemz?ge zu z?hlen und sie dabei so gut es ging zu verlangsamen. Erholsamer Schlaf war das jedenfalls nicht gewesen. Zoe schwang die Beine aus dem Bett und als sie den kalten Boden unter den F??en sp?rte, beruhigte sie dieses Gef?hl ein wenig; es erinnerte sie daran, dass sie jetzt wieder in der realen Welt war und nicht mehr in einem Traum feststeckte. Oder besser gesagt in einem Albtraum. Was hatte Shelley ihr blo? sagen wollen? Zoe hatte keine Ahnung. Das war doch das Problem mit dem Unterbewusstsein – es war durchaus m?glich, dass es ?berhaupt nichts zu sagen hatte. Sie trabte Euler hinterher, bis in die K?che, in der Absicht, zun?chst noch ein Glas Wasser zu trinken und danach duschen zu gehen. W?hrend sie sich beim Trinken auf der K?chentheke abst?tze, sah sie zum Couchtisch hin?ber und bemerkte die Akte, die darauf lag. Sie beschloss, sie zu ignorieren. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt daf?r, Traum hin oder her. Sie sah bewusst in eine andere Richtung und w?nschte sich, Maitland h?tte die Mappe gar nicht erst dagelassen. Zoe sah an ihrem K?rper herab: ein Pulli und eine Jogginghose, die nicht zusammenpassten, beide noch aus ihrer Zeit an der Uni, ausgeleiert und verwaschen. Sie hatte sich schon seit Tagen nicht mehr die Haare gewaschen. Damit konnte sie dann jetzt immerhin ein wenig Zeit totschlagen. Doch im Badezimmer geriet sie ins Stocken, denn der Anblick ihres eigenen Gesichtes im Spiegel versetzte ihr einen Schock. Sie hatte es jetzt eine ganze Weile vermieden, in den Spiegel zu sehen, aber aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich lag es an ihrem Traum – schaute sie sich ihr Spiegelbild diesmal an. Nun sah sie sich so, wie auch Maitland sie gesehen haben musste. Mit tiefen Augenringen unter den Augen, mit fettigem und ungek?mmten Haaren, mit bleicher Haut. Sie sah f?rchterlich aus. Sie hatte es auch verdient, f?rchterlich auszusehen. Schlie?lich hatte sie doch zugelassen, dass ihre Partnerin ermordet worden war, oder nicht? Zoe schloss die Augen f?r einen Moment, um den damit verbundenen Schmerz zu verdr?ngen. Sie wollte, dass der Schmerz aufh?rte. Dann kamen ihr Maitlands Worte wieder in den Sinn. Seine Vermutung, dass es ihr durch die Arbeit wom?glich leichter fallen w?rde, all diese Ereignisse hinter sich zu lassen. Dass die Arbeit ihren Schmerz vielleicht ein wenig lindern w?rde. Es schadete ja nicht, wenigstens einmal hineinzusehen. Dann w?rde Maitland nicht erneut vorbeikommen – und vielleicht w?rde auch ihre tote Partnerin sie dann nicht mehr im Traum heimsuchen. Zumindest konnte sie sich dann sagen, dass sie es wenigstens versucht hatte. Bevor sie es sich wieder anders ?berlegen konnte, ging Zoe zum Tisch hin?ber und schnappte sich die Akte. Darin waren vier Blatt Papier, jeweils zwei f?r jedes der zwei Opfer. Allein dadurch, diese Unterlagen in der Hand zu halten, wurde ihr ?bel. Aber innerlich hatte sie immer noch das Bild von Shelley aus ihrem Traum vor sich, deshalb begann Zoe, sich die Akte durchzulesen. Sie ?berflog die darin enthaltenen Informationen schnellen Auges, dabei stachen einige W?rter und S?tze besonders hervor. Die Leichen waren im n?rdlichen Hinterland des Bundesstaates New York gefunden worden. Da durfte es zu dieser Jahreszeit ziemlich kalt sein. Es sah ganz danach aus, als w?re der Tathergang bei beiden Frauen unterschiedlich gewesen. Und auch die Frauen selbst unterschieden sich in ihren Eigenschaften. Zoe erkannte keine Parallelen in Sachen Alter, K?rpergewicht- und -gr??e, Wohnort oder in der gew?hlten Mordmethode. Aber zwischen den beiden F?llen gab es dennoch eine Verbindung, einen Grund daf?r, warum man sie beide in die gleiche Akte sortiert und Zoe gemeinsam ?berreicht hatte. Bei beiden Opfern fand sich auf dem Bauch ein postmortal eingraviertes Symbol, allem Anschein nach war daf?r eine Messerspitze verwendet worden: eine gerade Linie, die zwei rechtwinklige Beine miteinander Verband, die von ihr hinunterliefen wie St?tzen. Zoe erkannte sofort, dass es dem f?r die Zahl Pi ?blicherweise verwendeten Symbol ?hnelte, auch wenn die ?bliche Kurve an einem der F??e etwas steifer wirkte. Interessant. Ihr war nun klar, warum Maitland ihr die Akte dagelassen hatte. Das war genau die Art Fall, an dem sie fr?her gearbeitet h?tte. Die Art Fall, von dem Shelley geh?rt und dann ihre Namen f?r die Ermittlungen ins Spiel gebracht h?tte, wenn Maitland selbst noch nicht auf die Idee gekommen war. Zeichen und Symbole, Gleichungen, merkw?rdige Hinweise, aus denen die meisten anderen Ermittler nicht schlau wurden. Das war genau ihr Ding. Und in gewisser Weise war es nun sogar fast erfrischend, sich diese Akte anzusehen. Und damit daf?r zu sorgen, dass die Zahlen diesmal an etwas arbeiteten, f?r das sie tats?chlich relevant waren – etwas, das sie zu ihrer Karriere gemacht hatte. Die Suche nach Verbindungen zwischen Hinweisen, um damit einen Mordfall zu l?sen. Es f?hlte sich gut an, von den Zahlen zur Abwechslung mit Informationen zu einem Fall ?berladen zu werden – und nicht blo? von den Ma?en ihrer Wohnung und all der Dinge, die sich darin fanden. Es war eine Erleichterung. Was nicht hei?en sollte, dass sie den Fall tats?chlich annehmen w?rde – aber ihr Interesse war geweckt. Und zwar so sehr, dass sie mehr wissen wollte, selbst wenn sie daf?r zu Maitland ins B?ro gehen musste. M?glicherweise konnte sie die Zahlen dadurch noch ein wenig l?nger im Zaum halten, weil sie auf etwas anderes gelenkt werden w?rden. Und vielleicht w?rde sie sich dadurch f?r ein paar Minuten wieder wie sie selbst f?hlen. Aber erstmal gab es etwas noch viel Wichtigeres zu erledigen – sonst w?rde sie es gar nicht erst bis ins Hauptquartier schaffen. KAPITEL VIER Zoe sah starr geradeaus, konzentrierte sich ganz auf das Auto vor ihr. Es war bisher eine ziemlich anstrengende Fahrt gewesen. Es war kein Leichtes, sicher zu fahren, wenn man dabei nicht damit aufh?ren konnte, die Nummernschilder und Auspuffgase zu analysieren, die Anzahl der Fahrzeuge jeder erdenklichen Farbe und jeder Marke mitzuz?hlen und die K?rperma?e jeder einzelnen Person, die man in einem der anderen Fahrzeuge erhaschte, zu ermitteln. Und doch hatte sie es irgendwie bis hierhin geschafft, teils dadurch, dass sie sich wie besessen darauf konzentrierte, w?hrend der ganzen Fahrt wann immer m?glich die genau gleiche Geschwindigkeit beizubehalten. Die Stra?e, in der sich nun befand, war ihr bestens bekannt. Zoe kannte die Geb?ude hier, wusste, welche davon mehr Stockwerke hatten als die anderen, welche sich durch das Absinken des Fundamentes inzwischen um etwa f?nf Grad geneigt hatten und konnte an dem Winkel, in dem das Sonnenlicht auf den B?rgersteig traf, die Uhrzeit ablesen. Sie war schon so oft hier gewesen, dass sie all diese Berechnungen schon mehrfach angestellt hatte. Und als all diese Zahlen nun erneut in ihrem Sichtfeld erschienen, war sie deshalb gerade so dazu imstande, sie zu verdr?ngen und sich stattdessen auf den eigentlichen Grund f?r ihr Herkommen zu konzentrieren. Sie fand direkt davor einen Parkplatz, das allein war bereits ein Wunder. Zoe nahm sich einen kurzen Moment, um ihr Gesicht im R?ckspiegel zu betrachten. Sie war zwar immer noch blass und hatte immer noch Augenringe, aber trotzdem sah sie immerhin ein bisschen besser aus, als noch vorhin. Zu duschen und sich etwas ordentlicher anzuziehen hatte, auf jeden Fall einen Unterschied gemacht, wenn auch nur rein ?u?erlich. In ihrem Inneren sah es immer noch ganz anders aus. Das konnte man nicht mit einer einfachen Dusche wegsp?len. Irgendwie schaffte sie es, sich dazu zu motivieren, die Autot?r zu ?ffnen und auszusteigen. Sie fokussierte ihren Blick dann voll und ganz auf das B?rogeb?ude, aufgrund dessen sie hergekommen war. Die Augen fest auf die Eingangst?r gerichtet folgte sie den Dimensionen, die aus dem Nichts in ihr Sichtfeld dr?ngten, ins Innere. Dr. Lauren Monks Praxis war im zweiten Stock. Normalerweise empfing sie ihre Patienten dort nur zu im Voraus vereinbarten Terminen. Zoe hatte zwar keinen Termin ausgemacht, aber sie hatte angerufen, um sicherzugehen, dass Dr. Monk trotzdem Zeit haben w?rde. Dr. Monk sa? an ihrem Schreibtisch, mit der T?r zum Wartezimmer ge?ffnet, um zu signalisieren, dass gerade niemand bei ihr war. Zoe durchschritt das helle Wartezimmer, es war in den Prim?rfarben Rot, Gelb und Blau gehalten, und ging direkt weiter in das Behandlungszimmer, wo ein altbekannter, abgenutzter Ledersessel sie erwartete. Zoe ignorierte den Sessel jedoch und blieb stehen – und mit einiger M?he gelang es ihr, den Blick zu heben und Dr. Monk ins Gesicht zu sehen, die Zoes Blick erwiderte. Auch wenn man an Dr. Monks Gesichtsausdruck vielleicht etwas h?tte ablesen k?nnen, Zoe war dazu nicht in der Lage. Sie nahm nur die Dimensionen des Gesichtes wahr: den Abstand zwischen den Augen, den Winkel, in dem die Augenbrauen gebogen waren, die L?nge jedes einzelnen Haares – von all diesen Eindr?cken war Zoes Wahrnehmung so sehr ?berladen, dass sie keine Kapazit?t mehr daf?r hatte, das darunter verborgene menschliche Gesicht ebenfalls zu erkennen. Sie wusste nur, dass Dr. Monk sich seit Zoes letztem regul?ren Termin hier – mit dem ihre Therapie geendet hatte, weil Dr. Monk keinen weiteren Bedarf mehr daf?r gesehen hatte – rein ?u?erlich in keinster Weise ver?ndert hatte. Sie war die Gleiche geblieben, mit ihrem dunklen Bob, der eine befriedigend gerade Kante hatte, und demselben Sch?nheitsmal einen Zentimeter oberhalb ihres rechten Mundwinkels. „Es ist sch?n, Sie wiederzusehen, Zoe“, sagte Dr. Monk und erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl. Normalerweise nahm sie in den Therapiesitzungen gegen?ber von dem schwarzen Ledersessel Platz, um ihren Patientinnen direkt gegen?ber zu sitzen, ohne dass etwas zwischen ihnen stand. „Es ist ja schon einige Wochen her.“ „Ich wollte keinen weiteren Termin mehr ausmachen“, sagte Zoe und verschr?nkte dabei straff die Arme vor der Brust. „Sie hatten ja gesagt, dass es mir jetzt besser ginge.“ „Es ging Ihnen auch besser“, sagte Dr. Monk mit sanfter Stimme. Sie kam hinter ihrem Schreibtisch hervor, um Zoe unmittelbar gegen?berzustehen. „Aber ein Trauerfall kann auch nach einer ?u?erst erfolgreichen Therapie einen R?ckfall ausl?sen. Unsere erlernten Bew?ltigungsmechanismen funktionieren danach eventuell nicht mehr – oder wir sehen einfach keinen Sinn mehr darin, sie ?berhaupt anzuwenden. Wenn jemand verstirbt, der einem sehr nahe stand, dann ist es ganz normal, noch ein wenig mehr Unterst?tzung zu brauchen.“ Zoe versuchte erneut, nicht nur die Zahlen wahrzunehmen, sondern Dr. Monks darunter verborgenen Gesichtsausdruck zu erkennen, aber es gelang ihr auch diesmal nicht. „Ich dachte, ich h?tte das jetzt unter Kontrolle.“ Dr. Monks K?rperhaltung entspannte sich, die Winkel ihrer Schultern flachten sich ab, wurden geschmeidiger. „Ich w?rde Sie bitten, einen neuen Termin auszumachen. Und zwar f?r die nahe Zukunft. Am besten so bald wie m?glich.” „Okay.“ Zoe atmete tief durch. „Aber deshalb bin ich nicht hergekommen.“ Dr. Monk nickte bed?chtig. „Ich kann Ihnen ansehen, dass Sie eine ziemlich schwere Zeit durchmachen. Wie viel Schlaf kriegen Sie denn im Moment?“ „Nicht besonders viel.“ Zoe zuckte mit den Schultern. „Ich schlafe erst sp?t nachts ein und stehe sp?t wieder auf. Alkohol hilft. Aber dann bin ich am n?chsten Tag m?de, weshalb ich manchmal auch tags?ber schlafe.“ Dr. Monk nickte erneut, diesmal energischer. Viermal. „Ich vermute, dass Sie in einer schweren depressiven Episode stecken“, sagte sie. Zoe blieb nichts anderes ?brig, als dem zuzustimmen; Dr. Monk kannte sie schlie?lich sehr gut. Sie wusste nichts ?ber Depressionen – auch nicht, ob der Begriff ?berhaupt verwendet werden sollte in F?llen, in denen Traurigkeit doch eine vollkommen angemessene Reaktion war. Aber sie vertraute ihrer Therapeutin. „Am besten verschreiben wir Ihnen ein Medikament, das Ihnen dabei hilft, etwas besser damit zurechtzukommen. Ich stelle Ihnen jetzt gleich ein Rezept aus und bei unserem n?chsten Termin k?nnen wir dann genauer dar?ber sprechen.“ Zoe nickte und ahmte dabei den Rhythmus nach, den sie bei ihrer ?rztin beobachtet hatte: Eins, zwei, drei, vier – und stopp. „Ich mache noch diese Woche einen Termin aus.“ Dr. Monk z?gerte, biss sich auf die Unterlippe. Sie tippte sich mit ihrem Kugelschreiber auf die Haut neben der Lippe, in der anderen Hand hielt sie das noch unausgef?llte Rezept. „Wie viel trinken Sie zur Zeit?“, fragte sie . Zoe zuckte erneut mit den Schultern. „So viel wie n?tig ist, um die Zahlen zu bet?uben.“ Zoe sah, wie der Umfang von Dr. Monks Augen sich vergr??erte. Die Haut hob sich mit ihren Augenlidern, die Winkel der Kr?henf??chen, gerade so an ihren Augenwinkeln sichtbar, ?nderten sich. „Also gut.“ Sie kritzelte mit einer schnellen Handbewegung etwas auf das Rezept, dann ging sie zu ihrem Schreibtisch und kramte in einer der Schubladen herum. „Also, ich m?chte, dass Sie dieses Rezept einl?sen, aber ich denke auch, dass sie etwas brauchen, um das Problem sofort in den Griff zu bekommen. Hiermit k?nnen Sie die Zwischenzeit ?berbr?cken.“ Sie richtete sich mit einem Tablettenstreifen in der Hand auf, deren Silberfolie das durch die gro?en Fenster hereinstr?mende Licht reflektierte. Sie streckte die Hand aus, um Zoe die Tabletten hinzuhalten und Zoe nahm sie mit einer mechanischen Bewegung entgegen. „Beginnen Sie heute Abend mit der Einnahme“, fuhr Dr. Monk fort. „Zu jeder Mahlzeit eine – morgens, mittags, abends. Nicht auf n?chternen Magen nehmen. Und bitte keinen Alkohol mehr trinken, okay? Davon sollten die Zahlen ebenfalls bet?ubt werden. Sollte man aber nicht mit Alkohol kombinieren. Geht das in Ordnung?“ Zoe nickte. „Ich fange heute Abend damit an“, sagte sie. Dr. Monk atmete z?gerlich durch. „Was haben Sie jetzt als n?chstes vor? H?tten Sie Zeit f?r eine Therapiesitzung?“ „Ich fahre zur Arbeit“, sagte Zoe. „Sie sind wieder im Dienst?“, Dr. Monk klang erschrocken. „Nein. Meine Suspendierung ist gestern abgelaufen, aber ich bin nicht zum Dienst erschienen.“ Zoe atmete ebenfalls durch. „Ich muss allerdings mit meinem Chef reden.“ Dr. Monk nickte. „Okay. Dann machen Sie das. Aber ich m?chte Sie m?glichst bald wieder hier sehen.“ „Verstanden.“ Zoe machte sich auf den Weg zum Ausgang, die Tabletten hielt sie immer noch fest in der Hand. Sie traute sich nicht, sich noch einmal nach Dr. Monk umzusehen, denn die Zahlen krabbelten wie Ameisen ?ber ihr Gesicht und Dr. Monk war sich ihrer Existenz noch nicht einmal bewusst. Wieder im Auto angekommen, schnappte sich Zoe eine der Wasserflaschen, die sie im T?rfach lagerte, und sp?lte damit eine der Pillen herunter. Sie konnte damit nicht warten. Um es durch ihr Gespr?ch mit Maitland zu schaffen, war sie jetzt auf ihre Unterst?tzung angewiesen. *** Das J. Edgar Hoover-Geb?ude hatte eine beruhigend komprimierte und geometrische Form, mit allerhand gerade Linien im unauff?lligen Grau des Betons. Das gefiel Zoe, genau wie das Layout des Geb?udes: alles war symmetrisch angeordnet, mit identischen Designs auf den einzelnen Stockwerken, sodass man im Zweifel immer raten konnte, wo man langgehen musste. Das beruhigte sie ein wenig. W?hrend sie darauf wartete, dass die Tablette ihre Wirkung auf die Zahlen entfaltete, hatte sie es so immerhin nur mit solchen Zahlen zu tun, die nicht ganz so st?rend waren. Sie hatte damit gerechnet, eine Weile warten zu m?ssen, aber nachdem sie dreimal an die T?r geklopft hatte, an der SAIC Leo Maitlands Name stand, forderte er sie unverz?glich auf, einzutreten. Zoe hatte also keine Zeit, nerv?s zu werden und griff sofort nach der T?rklinke, dr?ckte sie herunter und betrat den Raum. Das war auch besser so, dachte sie. Sie war es gewohnt, voller Anspannung drau?en warten zu m?ssen und sich in der ganzen Zeit immer wieder zu fragen, weshalb sie wohl diesmal ermahnt werden w?rde, aber so konnte sie direkt eintreten und mit dem Gespr?ch beginnen. „Agent Prime.“ Maitland richtete sich mit einiger ?berraschung auf. Er legte die Unterlagen, die er gerade gelesen hatte, auf seinem Schreibtisch ab und sah zu ihr hin?ber. „So bald hatte ich nicht wieder mit Ihnen gerechnet.“ Zoe nickte, denn sie wusste nicht, wie sie sonst darauf h?tte reagieren sollen. „Ich habe mir die Akte zu dem Fall angesehen.“ „Und?“ Maitland legte seine H?nde vor sich auf dem Schreibtisch ab, ordentlich ineinander gefaltet, geradezu erwartungsvoll. Zoe sah kurz zu den H?nden hin?ber, wodurch allerhand Winkel und Ma?e in ihrem Blickfeld erschienen, schaffte es aber, ihren Blick wieder von ihnen abzuwenden. „Ich bin neugierig geworden“, sagte sie. „Nicht, dass ich den Fall annehmen will. Ich wollte blo? wissen, warum Sie mir die Akte gegeben haben.“ Maitland starrte sie f?r eine ganze Weile an, seine Miene unlesbar unter den Winkeln seiner Nase und Wangenknochen und deren Schnittpunkt mit den Linien seines Sch?dels an seiner Stirn. „Sie… waren schon immer die Beste f?r diese Art von Ermittlungen“, sagte er mit schroffer, aber ruhiger Stimme. „Sie glauben doch nicht, dass mir nicht aufgefallen ist, wie gut Sie mit F?llen klarkommen, in denen es nicht um nullachtf?nfzehn Serienm?rder geht. Wenn es skurril wird, sind Sie besonders gut. Wenn wir ?ber den Tellerrand hinaussehen m?ssen. Es mit intelligenten T?tern zu tun haben. Mit T?tern, die anders denken.“ Zoe dachte ?ber seine Worte nach. Es stimmte, was er gesagt hatte. Aber sie wusste nicht, ob es ihr auch gefiel. Ob er sie damit indirekt nicht einfach als sonderbar bezeichnet hatte. „Ja, ich habe schon an einer Reihe ?hnlicher F?lle gearbeitet“, gab sie zu, womit sie ihm nicht vollst?ndig recht gab und auch nicht zusagte, diesen Fall zu ?bernehmen. „Ich m?chte Sie zu nichts dr?ngen, Agent Prime“, sagte Maitland. „Wenn Sie die Arbeit wieder aufnehmen, aber noch gar nicht bereit daf?r sind, dann k?nnte das schlimm enden. F?r uns beide. Aber ich denke auch, dass ich Sie gut genug kenne, um zu wissen, dass es Ihnen am besten geht, wenn Sie ein R?tsel vor sich haben, das Sie knacken m?ssen. Ich sage es ganz offen: Ich w?nsche mir, dass Sie diesen Fall ?bernehmen. Um ehrlich zu sein gibt es niemanden sonst, dem ich es so sehr zutrauen w?rde, diesen Fall zu l?sen, wie Ihnen.“ Zoe hielt einen Moment inne, denn ihre Gedanken ?berschlugen sich. Es war schwer genug, sie ?berhaupt zu h?ren, zwischen all den Zahlen, die ihr die Dezibels, Wortl?nge, Silben und die Ausma?e des Tisches und allem darauf mitteilten. Und als Zoe sie dann h?rte, war sie sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Es w?re sicher sinnvoll, sich die Z?hne an etwas Neuem auszubei?en, anstatt innerlich immer und immer wieder die gleichen Probleme und Sorgen durchzukauen. Dadurch konnte sie die Zahlen f?r etwas sinnvolles nutzen, so wie sie es fr?her getan hatten, indem sie sie auf Verd?chtige und Tatorte und so weiter anwendete. Es w?rde ihr guttun, etwas Positives zu bewirken. Vielleicht das ein oder andere Leben zu retten. Zumindest, wenn dadurch au?er ihr niemand sonst in Gefahr geriet. „Ich ?bernehme den Fall“, sagte sie z?gerlich. Maitlands Gesicht erhellte sich. Er konnte sich zwar immer noch kein L?cheln abringen, aber seine ansonsten geradezu versteinerte Mimik war doch einem ungewohnt munteren Gesichtsausdruck gewichen. Zoe fuhr allerdings unbeirrt fort, damit der wichtigste Teil dessen, was sie sagen wollte, nicht unterging. „Aber allein. Ich m?chte nicht, dass mir ein neuer Partner zugeteilt wird. Ich mache das im Alleingang.“ Maitland neigte seinen Kopf um zehn Grad weiter zur Seite als zuvor, au?erdem verengten sich seine Augen um f?nfzehn Prozent. „Sie wissen doch, dass das nicht geht, Agent Prime.“ „Ich habe auch in der Vergangenheit schon allein ermittelt“, merkte Zoe an. Das stimmte. Vor ihrer Zeit mit Shelley, als sie zwischenzeitlich keinen Partner hatte, weil niemand mit ihr zurechtkam, hatte sie gezwungenerma?en jede Menge F?lle allein bearbeiten m?ssen. Denn es wollte einfach niemand mit ihr zusammenarbeiten. Das dauerte immer so lange, bis ihr vor?bergehend einer der neuen Rekruten zugeteilt wurde. Und dann wiederholte sich das Ganze. „Aber nicht in einem Fall diesen Ausma?es“, sagte Maitland. „Nur bei unkomplizierten Verbrechen. Und au?erdem nicht unmittelbar, nachdem Ihre Partnerin verstorben ist. Es tut mir leid, Zoe. Ich sage ja gar nicht, dass Shelley ersetzt werden soll. Oder dass man sie jemals ersetzen k?nnte. Aber Sie werden in diesem Fall mit einem anderen Ermittler zusammenarbeiten m?ssen.” Zoe sah zum Boden hinab, wo nicht so viele Zahlen zu sehen waren. „Ich w?rde wirklich ungern mit jemand Neuem zusammenarbeiten.“ „Ich habe aber leider schon jemanden ausgesucht. Er wird perfekt zu Ihnen passen, versprochen.“ Maitland erhob seine Stimme, um etwas in Richtung der T?r zu rufen. „Wenn Sie schon da drau?en warten, Agent Flynn, dann k?nnen Sie jetzt reinkommen. Es ist jetzt an der Zeit, dass Sie beide sich kennenlernen.” KAPITEL F?NF Zoe drehte ihren Kopf gerade rechtzeitig zur Seite, um sehen zu k?nnen, wie sich die T?r ?ffnete. Ein junger Mann in einem dunklen Anzug betrat den Raum. Er war eins neunzig gro?, d?nn, aber mit einem eng anliegenden Anzug, der zu erkennen gab, dass sich darunter Muskeln befanden. Au?erdem hatte er schwarzes Haar und ein fernsehreifes Grinsen voller strahlend wei?er Z?hne. Dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahre alt. Zoe konnte ihn auf Anhieb nicht ausstehen. „Agent Aiden Flynn“, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen, sein Gesicht dabei immer noch von einem breiten Grinsen ?berzogen. Zoe nahm seine Hand und sch?ttelte sie leidenschaftslos und erfasste dabei die Ma?e seines Gesichts und die Winkel seiner hohen Wangenknochen. Er sah von Kopf bis Fu? so aus, als w?rde er Probleme machen. Sein Anzug sa? so gut, mit normalen Kleidergr??en war das nicht m?glich; er war also nicht von der Stange, sondern ma?geschneidert. Dieser Kerl kam also sicher aus einer reichen Familie. Seine Hand f?hlte sich weich an und Zoe war nicht auf die Hilfe der Zahlen angewiesen, um erkennen zu k?nnen, dass seine Schuhe brandneu waren. Zoe warf Maitland einen vorwurfsvollen Blick zu. „Das ist sein erster Einsatz“, sagte sie. „Frisch aus der Ausbildung“, erwiderte Maitland. Er streckte seine Arme aus und verschr?nkte die H?nde hinter seinem Kopf, w?hrend er sich in seinem Stuhl zur?cklehnte. Sein R?cken blieb dabei vollkommen gerade, nur sein H?ftgelenk bewegte sich. „Ich m?chte nicht die Babysitterin spielen“, blaffte Zoe und klang dabei vermutlich etwas barscher, als sie es gewollt hatte. Maitland konnte sich schlie?lich immer noch dazu entscheiden, ihr den Fall doch nicht zu ?berlassen. „Dieser T?ter muss ernst genommen werden. Wir m?ssen ihn so schnell wie m?glich schnappen.“ „Das schaffe ich“, ging Agent Flynn hastig dazwischen. „Ich war der Beste meines Jahrgangs. Ich werde mich schnell zurechtfinden.“ „Wie alt sind Sie?“, fragte Zoe. „Dreiundzwanzig?“ „Ja“, antwortete Agent Flynn verwundert. „Woher wussten Sie –“ „Der ist ja noch ein Kleinkind“, sagte Zoe wieder an Maitland gerichtet. Er hatte seine Mundwinkel nach oben gezogen, um etwas einen halben Zentimeter, wodurch sich die Winkel in seinem Gesicht ver?nderten. „Agent Prime, Ich gebe Ihnen zwei Optionen“, sagte er. „Entweder arbeiten Sie mit Agent Flynn an diesem Fall, oder Sie arbeiten gar nicht daran. Wof?r entscheiden Sie sich?“ Zoe sah zu Flynn her?ber und ?berall in seinem Gesicht wimmelte es nur so vor Zahlen. Er war zu neu. Es gab zu viel zu entdecken. Er schien ganz aus spitzen Winkeln zu bestehen, seine Knochen waren kr?ftig und kantig, sein Anzug war perfekt geschnitten. Bei Leuten, die sie gut kannte, konnte sie mit der Zeit immerhin die Zahlen ausblenden, die immer gleich blieben. Sie konnte unm?glich mit ihm zusammenarbeiten. Allerdings hatte sie bei der Arbeit – von Shelley abgesehen – nie jemandem von den Zahlen erz?hlt. Man hielt Zoe ja ohnehin schon f?r einen Freak, das wollte sie nicht noch weiter befeuern. Aber das bedeutete auch, dass sie die Zahlen nun nicht als Ausrede anf?hren konnte. Dass sie Maitland nicht sagen konnte, dass sie um sich herum sowieso schon ?berall nichts als Zahlen sah – zum Beispiel auf seinem Schreibtisch, der f?rmlich davon ?berladen war – und dass sie davon bereits genug abgelenkt wurde. Zoe war sich bewusst, dass ein solches Eingest?ndnis sie nicht nur wie einen Freak dastehen lassen w?rde, sondern dass sich Maitland wahrscheinlich auch dazu gezwungen sehen w?rde, sie f?r arbeitsunf?hig zu erkl?ren und von ihr zu verlangen, an Therapiesitzungen mit einem vom FBI bereitgestellten Therapeuten teilzunehmen – vielleicht w?rde er sie sogar in eine psychiatrische Einrichtung einweisen lassen. Das konnte sie nicht riskieren. „Sie lassen mir keine Wahl?“, sagte sie also stattdessen. Ein Versuch, herauszufinden, ob es auch nur die geringste Chance gab, der Zusammenarbeit mit diesem neuen Partner zu entgehen. „Nat?rlich lasse ich Ihnen eine Wahl“, sagte Maitland. „Entweder, Sie machen sich gemeinsam auf dem Weg zum Flughafen, oder Sie gehen wieder nach Hause. Ich kann daf?r sorgen, dass Sie schon in ein paar Stunden vor Ort sind. Also, wie lautet Ihre Entscheidung?“ Zoe seufzte. Ihr war klar, wof?r sie sich entscheiden musste. Mit diesem neuen Idioten konnte sie nicht zusammenarbeiten. Mit ihm und seinen funkelnden Schuhen und seinem Tausend-Dollar-L?cheln. Aber genauso wenig konnte sie jetzt einfach wieder zur?ck nach Hause gehen, nicht, wo sie dort nur mit ihren Katzen auf dem Sofa hocken und ins Leere starren w?rde, nur um nachts Shelleys Familie zu stalken. Sie hatte eine Verpflichtung, nicht nur ihrer verstorbenen Partnerin, sondern auch den Mordopfern gegen?ber, denen Gerechtigkeit zustand. Und gegen?ber denen, die dem T?ter in den n?chsten Tagen und Wochen zum Opfer fallen w?rden, wenn man ihn nicht schnappte. Die Katzen w?rden ohne sie zurechtkommen. Ihr Futterautomat w?rde sicherstellen, dass sie versorgt waren. Und auch sonst gab es auf der ganzen Welt niemanden, der auf sie angewiesen war. Zumindest nicht so sehr wie dieser Fall. Ihr blieb nichts anderes ?brig, als ihre Bedenken herunterzuschlucken und das Ganze trotzdem durchzuziehen. Sie wusste, dass Shelley es so gewollt h?tte. Und so ?ffnete sie den Mund, um den beiden M?nnern das mitzuteilen – auch wenn sie jedes einzelne Wort nur widerwillig ?ber die Lippen brachte. *** Zoe warf noch einen weiteren Blick auf die Akte, um sich mit dem Fall weiter vertraut zu machen. Es war zwar nur ein kurzer Flug, aber sie hatte dennoch genug Zeit, um sich die Details einzupr?gen und sich erste Gedanken ?ber die n?chsten Schritte zu machen, die folgen w?rden, wenn sie gelandet waren. Zun?chst einmal w?rden sie sich etwa den letzten Tatort und die beiden Leichen ansehen. „K?nnen Sie mir die Akte vorlesen?“ Flynn, der neben ihr sa?, hatte schon die ganze Zeit versucht, einen Blick auf die Dokumente zu erhaschen, w?hrend sie die Akte durchbl?tterte. Seine langen Beine waren in einem ung?nstigen Winkel in dem engen Flugzeugsitz eingeklemmt, seine Ellbogen waren spitze Kanten, die st?ndig drohten, in ihren pers?nlichen Raum einzuschr?nken. „Ich m?chte gut vorbereitet sein.“ Zoe seufzte innerlich und w?nschte sich nichts mehr, als dass er sie in Ruhe lassen w?rde. Aber das war keine unzumutbare Bitte. Er wusste ja nicht, dass sie das, was sie sah, f?r ihn sozusagen ?bersetzen musste. Um die Zahlen, die sie ?berall sah, herauszuschneiden. Sie musste es ihm praktisch wie ein Roboter vorlesen. Ohne Kontext oder Flexion, nur die Worte, wie sie vor ihr auf dem Papier standen. F?r sie war es genauso schwer, die Akte so zu lesen, wie es f?r ein Kleinkind gewesen w?re, sie ?berhaupt zu entziffern. „Die erste Leiche wurde n?rdlich von Syracuse gefunden, die zweite in Syracuse selbst“, sagte sie. „Das erste Opfer war eine einundvierzigj?hrige Frau namens Olive Hanson, erdrosselt und dann am Ufer des Flusses Oneida zur?ckgelassen, wo sie wohl zuvor wandern war.“ Zoe reichte ihm die Fotos vom Tatort, die sie sich bereits genauer angesehen hatte. Die Frau am Ufer ausgestreckt, ihr Hals violett, w?hrend der Rest von ihr wei? und schmierig war und ihre Augen ins Leere starrten. Dann das letzte Bild: Ihr entbl??ter Bauch. Das Oberteil war, als einzige erkennbare Ver?nderung an ihrer Kleidung, nach oben geschoben worden, sodass darunter das in ihr bereits totes Fleisch geschnittene Symbol zum Vorschein kam. Es stach deutlich hervor, wie es solche Dinge immer taten. Eine rote Wunde inmitten wei?er, blasser Haut, in deren schmalen Streifen das darunter verborgene Fleisch gerade so zu erkennen war. Zoe blieb mit dem Blick auf Flynns H?nden. Sie war nicht dazu in der Lage, seinen Gesichtsausdruck zu erkennen, nicht so lange sie von all den Winkeln und Berechnungen abgelenkt wurde, die ihr mit jeder seiner Bewegungen ins Auge sprangen. Aber sie konnte erkennen, ob seine Hand zittern w?rde. Und sie sah ein Zittern, als er zu dem letzten Foto gebl?ttert hatte: ein Tremor in seiner Hand, durch den das Blatt Papier f?r einen Augenblick wackelte, gerade stark genug, um sichtbar zu sein. Das Foto hatte ihn schockiert. Das war eigentlich eher ein Vorteil. Wenn er Angst bekommen w?rde, dann w?re er wom?glich leichter zu kontrollieren. W?rde eher die Klappe halten, wenn sie Ruhe zum Nachdenken brauchte. Au?erdem zeigte es seine Menschlichkeit – es bedeutete, dass er Mitgef?hl hatte, von dem man Zoe oft vorwarf, dass es ihr fehlte. Zynisch betrachtet war es gut f?r sie, jemanden mit Mitgef?hl dabei zu haben, der mit den Familien der Opfer sprechen konnte. Wenn man den Familien das Gef?hl gab, dass man ihren Schmerz verstand, dann sagten sie mit gr??erer Wahrscheinlichkeit die Wahrheit. Zoe nahm die n?chsten paar Seiten aus der Akte und las sich die Informationen zu dem anderen Opfer durch. „Das zweite Opfer ist ebenfalls eine Frau. Eine Astronomin namens Elara Vega, die in dem Planetarium, in dem sie gearbeitet hatte, tot aufgefunden wurde. Neunundf?nfzig Jahre. Todeszeitpunkt wird auf den sp?ten vorherigen Abend gesch?tzt. Sie wurde in einem Putzwagen ertr?nkt.“ Die Fotos dazu zeichneten ein ?hnliches, wenn auch nicht ganz identisches, Bild wie die zu dem ersten Mord. Die Leiche lag ausgestreckt wie sie gefallen war, ihre Haar noch nass davon, dass ihre Kollegen sie vom Putzwagem weggezogen hatten, um ihren Puls zu f?hlen. Auch ihr Oberteil war hochgezogen, die unteren Kn?pfe aufgemacht, damit der M?rder das Symbol in ihre Haut ritzen konnte. Eine scharfe, horizontale Linie und zwei Linien nach unten. „Also gibt es von dem Symbol abgesehen keine gro?en Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Morden“, sagte Flynn. Er sah aufmerksam zwischen den Fotos zu den beiden F?llen hin und her und verglich sie miteinander. „Keine ?bereinstimmung bei Tatort, Methode, Frauentyp – au?er, dass beide schon ?lter waren. Aber die Polizei vor Ort denkt, dass die F?lle zusammenh?ngen.“ „Sie h?ngen eindeutig zusammen“, sagte Zoe ruhig, bem?ht, ihn nicht anzupflaumen. „Das Symbol ist eine Art Visitenkarte oder Markenzeichen. Dadurch wird markiert, dass die Taten von derselben Hand begangen wurden.” „Hmm.“ Flynn reichte ihr die Fotos zur?ck und beobachtete, wie Zoe sie wieder in den Ordner steckte. „Hey, ich habe geh?rt, dass Sie schon lange im Dienst sind.“ „Ich bin Ihnen zehn Jahre voraus“, antwortete Zoe. Sie wandte den Kopf ab und sah aus ihrem Fenster. Es w?re gro?artig, wenn Flynn die Klappe halten k?nnte. So lange sie nach drau?en sah und es ihr dabei gelang, die Fensterscheibe selbst zu ignorieren, konnte sie sich auf das wei?e, fluffige Nichts der Wolken konzentrieren. Dort gab es keine Zahlen. „Sie hatten auch schon viele verschiedene Partner, oder?“, fragte Flynn. „Man hat mir von Ihnen erz?hlt, nachdem ich Ihnen zugewiesen wurde.“ Zoe erstarrte. Wenn er sie etwas zu Shelley fragen sollte, dann w?rde sie aufstehen, in den vorderen Bereich des Flugzeugs gehen und so tun, als ginge sie auf die Toilette. Sie wollte das nicht tun – das enge Badezimmer w?rde von Zahlen ?berladen sein, all die klitzekleinen Ma?e eines Zimmer, das auf die gr??e eines Schrankes zusammengeschrumpft wurde –, aber das w?re immer noch besser, als ?ber Shelley sprechen zu m?ssen. Niemand sprach gern ?ber sein gr??tes Versagen. Nicht, wenn es erst so kurze Zeit zur?cklag und noch so schwer auf den Schultern lastete. „Man hat mir auch gesagt, dass Sie eine der Besten sind, wenn es um das L?sen solch komplizierter F?lle geht.“, sagte er. Er war n?her an sie heranger?ckt, fast unmerklich. Fast – aber nicht, wenn man die Millimeter mitz?hlte. „Sie gelten da als eine Art Genie oder sowas.“ „Tue ich das?“ fragt Zoe emotionslos. Sie wollte ihm nicht in die Falle gehen. „Ja, ernsthaft. Die haben gesagt, dass ich eine Menge von Ihnen lernen w?rde.“ „Wen meinen Sie mit ‚die‘?“, fragte Zoe und drehte sich zu ihm und sah ihn mit b?sem Blick an. Sie wollte wissen, wer hinter ihrem R?cken ?ber sie sprach – auch wenn das keinen gro?en Unterschied machen w?rde. Das ?berm?tige L?cheln auf Flynns Gesicht verschwand, die Muskeln um seinen Mund herum verzogen sich nach unten. „?hm, also, einfach alle“, sagte Flynn, jetzt mit Verunsicherung in der Stimme. Er rutschte nun wieder ein St?ck in die andere Richtung, zur?ck in seine Ausgangsposition. „Also, was ich sagen wollte, wir l?sen den Fall doch wahrscheinlich ziemlich schnell, oder? Wir beide zusammen? Vielleicht kann ich ja die F?hrung ?bernehmen und Sie sagen mir, wenn ich irgendetwas ?bersehe.“ Zoe starrte ihn noch ein wenig l?nger an, von nur einem einzigen Blinzeln unterbrochen, dann wandte sie sich wieder von ihm ab, um weiter aus dem Fenster zu sehen. Sie mochte ihn nicht, diesen Aiden Flynn. Er war ?berheblich, vielleicht sogar ?berheblicher als die meisten anderen Anf?nger. Ein Neuling, der seine eigenen Grenzen noch nicht kannte. Das hatte wahrscheinlich mit seiner Herkunft zu tun. Es war unwahrscheinlich, dass er jemals ein Nein geh?rt hatte. Sie hatte kein Interesse daran, ihm irgendetwas ?ber sich anzuvertrauen, schon gar nicht ihre besonderen F?higkeiten. Ob die nun ein Segen oder ein Fluch f?r sie waren, da war sie sich selbst noch nicht sicher, aber diesem Fremden w?rde sie davon jedenfalls nichts erz?hlen. Das lag nicht nur daran, dass sie diese Dinge nie mit irgendwem teilte, sondern auch daran, dass es eine Beleidigung f?r Shelley gewesen w?re. Nur eine einzige Partnerin im Laufe ihrer gesamten Karriere hatte sie jemals dazu gebracht, etwas ?ber sich erz?hlen zu wollen. Dieser arrogante junge Mann mit seinem gl?nzenden Haar und seinem ma?geschneiderten Anzug w?rde sicher kein Mitglied dieses illustren Klubs werden. Was bedeutete, dass Zoe nun ein Kampf an zwei Fronten bevorstand: Sie musste nicht nur die Zahlen ?berwinden, die ihr ?berall begegneten, wo immer sie auch hinsah, was auch immer sie h?rte. Nein, um den Fall l?sen zu k?nnen, musste sie auch vor ihm verbergen, wie sie es schaffte, ihn zu l?sen. Zoe sah weiterhin nur zu den Wolken und genoss das bisschen Ruhe, dass sich ihr dadurch vor dem Beginn des Sturms bot. Es w?rde kein einfacher Fall werden. Dennoch hoffte sie, dass sie ihn schnell l?sen w?rde, damit sie ihren neuen Partner nicht mehr allzu lange ertragen musste. KAPITEL SECHS Zoe zog den Sicherheitsgurt erneut von ihrem Hals weg und versuchte, ihn noch fester in der Hand zu halten. Sie musste einige Male tief einatmen, um ihren Magen zu beruhigen. Sie hatte es noch nie besonders gemocht, Beifahrerin zu sein – sie wurde davon immer reisekrank –, aber mit dem Neuen am Steuer war es noch schlimmer als sonst. Er ging viel zu schnell in die Kurven und beschleunigte auf gerader Strecke stark, obwohl er in einem ihm unbekannten Gebiet fuhr. Immer dann, wenn ihm das Navi sagte, dass er abbiegen sollte, musste er in einem engen Radius und bei hoher Geschwindigkeit abbiegen, um die Ausfahrt nicht zu verpassen. Es war schon fast ein Wunder, dass er noch nicht dazu ?bergegangen war, die Handbremse zu benutzen und um die Kurven zu schlittern . „Hier ist es wohl“, sagte Flynn. Er hatte den Kopf nach vorne gebeugt, um besser sehen zu k?nnen. Sie fuhren vor einem Polizeirevier vor. Von einigen Streifenwagen und einem einzigen Reporter in einem dicken Mantel abgesehen, war es vor dem Geb?ude ruhig. Zoe atmete erleichtert durch, als sie den Sicherheitsgurt endlich loslassen konnte. Selbst als sie zum Stehen kamen, war der Druck des Gurts auf ihren Hals noch so gro?, dass ihr davon ?bel wurde, bis sie sich abschnallte und den Gurt loslie?. Wegen der Kombination aus ?belkeit, den immer noch am Rande ihres Bewusstseins nachklingenden Kopfschmerzen und den Zahlen, die sich in ihr Sichtfeld drangen, war Zoe ersch?pft und unkonzentriert. Am liebsten w?re sie einfach sitzengeblieben und h?tte sich ein wenig ausgeruht, vielleicht ein bisschen geschlafen – aber dazu gab es nat?rlich keine Gelegenheit. Der Neue war bereits dabei, auszusteigen, also schloss Zoe sich ihm widerwillig an. Sie konnte es sich nicht leisten, ihm hinterherzuhinken, nicht hinter einem Partner, der noch gar nicht wusste, was er tat. Sie hatte in der Vergangenheit bereits h?ufiger Berufseinsteiger frisch aus der Ausbildung als Partner zugeteilt bekommen. Die wollten immer ?berhastet ?berall reinplatzen und sofort beweisen, was sie drauf hatten. Und gleichzeitig immer alles ganz genau nach Vorschrift machen. Unwillig, von den starren Strukturen abzuweichen, die ihnen beigebracht worden waren. Das bedeutete, dass es stressig f?r sie werden w?rde – und es viel zu diskutieren geben w?rde. Genau das, was ihr in ihrer jetzigen Lage noch gefehlt hatte. Sie holte Flynn kurz vor der doppelten Schwingt?r des niedrigen, grauen Polizeigeb?udes wieder ein. Es wurde langsam sp?t; ein Blick auf ihre Uhr zeigte ihr, dass es bereits kurz nach sieben war, die Sonne war zudem l?ngst untergegangen. Das k?nstliche, gelbe Licht von der Sicherheitsbeleuchtung rund um das Geb?ude sorgte daf?r, dass es weiterhin gut sichtbar war, aber um die einzelnen Gl?hbirnen herum hatten sich winzige Fliegen und Motten versammelt, die im unwiderstehlichen Sog des Lichts hin und her tanzten. Der Reporter, der sich die H?nde rieb und auf und ab sprang, um sich warm zu halten, hatte sie zwar bemerkt, sprach sie aber nicht an. Eine Rezeptionistin in einer Fleecejacke sah zu ihnen auf, nachdem sie das Geb?ude betreten hatten und nahm das Ende eines Stiftes aus dem Mund. „Hallo, wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie. Zoe bemerkte, dass sie in jedem Ohr drei Ohrringe trug und dass ihre Fingern?gel f?nf Zentimeter lang und aus mit einem aufw?ndigen, gefleckten Muster bemaltem Plastik waren. Sie ?ffnete den Mund und wollte gerade antworten, stellte dann aber fest, dass eine andere Stimme aus ihrem Mund zu kommen schien. „Wir sind vom FBI“, sagte Flynn und zeigte zum Beweis seine Dienstmarke. „Wir haben einen Termin mit dem Sheriff.“ Die Rezeptionisten nickte desinteressiert und griff zu dem Telefon auf ihrem Tresen. Sie sprach einige Worte in den H?rer, Zoe war jedoch zu sehr damit besch?ftigt, die Spiralen in dem Kabel daran zu z?hlen, um etwas zu h?ren. Nachdem sie aufgelegt hatte, nahm die Empfangsdame wieder ihren Stift in den Mund, ging dazu ?ber, Flynn und Zoe zu ignorieren und begann, etwas zu lesen, dass sie knapp au?er Sichtweite vor sich liegen hatte. Als sie Schritte h?rte, drehte sich Zoe ungeduldig um. Ein St?ck weiter den Flur entlang ?ffnete sich eine T?r und eine Frau trat hindurch. Sie trug eine braune Sherriffsuniform mitsamt Funkger?t und Dienstwaffe am G?rtel. Sie war etwa f?nfundf?nfzig Jahre alt und hatte ihre bereits leicht ergrauten Haare scheinbar nachgef?rbt, denn an den Wurzeln war ein etwa zweieinhalb Zentimeter langes St?ck Grau nachgewachsen. Zoe sch?tzte ihre Gr??e auf eins siebenundsechzig, womit sie zehn Zentimeter kleiner war, als Zoe selbst. Sie wog etwa achtundsechzig Kilo und hatte einen entschlossenen Gang – wenn auch leicht nach vorn gebeugt, mit leicht gekr?mmtem R?cken. „Sheriff Danielle Petrovski“, sagte sie mit starkem New Yorker Akzent und streckte eine Hand vor sich aus. Sie hielt die Hand zun?chst Zoe hin, was eine angenehme ?berraschung war, denn die meisten Menschen w?ren automatisch davon ausgegangen, dass der Mann der Vorgesetzte sein musste. „Special Agent Zoe Prime“, sagte Zoe und sch?ttelte die ausgestreckte Hand, w?hrend sie mit ihrer anderen ihre Dienstmarke zeigte. Sie sch?ttelte die Hand mit einem kr?ftigen H?ndedruck und berechnete dabei, mit welchem Kraftaufwand Sheriff Petrovski den H?ndedruck erwiderte. „Das ist Special Agent Adrian Flynn.“ „Aiden“, korrigierte er sie, w?hrend er mit dem H?ndesch?tteln an der Reihe war. Zoe zeigte keine Reaktion. Es w?re nicht angebracht, ihn merken zu lassen, dass sie diesen Fehler mit Absicht begangen hatte, um ihn im Zaum zu halten. „Wollen Sie gleich loslegen oder wollen Sie sich erstmal ein Motelzimmer f?r die Nacht suchen?“, fragte Petrovski und sah erwartungsvoll zwischen den beiden hin und her. „Wir legen gleich los“, sagte Zoe und ignorierte damit, was Flynn zu sagen hatte. Er war Anf?nger. Wahrscheinlich h?tte er sich schlafen legen wollen. „Wenn wir damit anfangen k?nnten, uns den Tatort anzusehen?“ „Selbstverst?ndlich.“ Sheriff Petrovski nickte. Sie klopfte sich auf eine ihrer Taschen, womit sie klar machte, dass sich darin Schl?ssel befanden. „Ich fahre Sie hin, sofern Ihnen das recht ist. Der Tatort ist etwa zehn Minuten entfernt.“ Zoe stimmte nickend zu, dann verfiel sie wieder in Schweigen, w?hrend sie sich umdrehten und wieder in Richtung Ausgang und Parkplatz liefen. Sie gestattete Flynn nun zu sprechen und Fragen zu stellen. Keine der Fragen und auch keine der Antworten, die er darauf erhielt, gaben ihnen irgendwelche Informationen, die ?ber das hinausgingen, was bereits in der Akte gestanden hatte. Er war noch zu unerfahren, um sofort mit den Ermittlungen beginnen zu wollen. Er wollte zun?chst die Informationen verifizieren, die man ihm gegeben hatte, so wie man es ihm beigebracht hatte. Er wusste noch nicht, wie man nach neuen Details bohrte. Nicht, dass Zoe je besonders gut darin gewesen w?re, aus Menschen neue Informationen herauszupressen, aber sie fand die Antworten auf ihre Fragen anderswo. Sie war damit einverstanden, sich auf die R?ckbank des Wagens von Sheriff Petrovski zu setzen, auch wenn dort normalerweise nur Verbrecher sa?en. Es war angenehm, von den Vordersitzen abgetrennt zu sein, das diente ihr als Vorwand, weiterhin nicht am Gespr?ch teilzunehmen. Stattdessen schaute sie aus dem Fenster und sah sich die vorbeiziehende Landschaft an: Die B?ume quollen bereits ?ber vor orangen und braunen Bl?ttern, die jetzt zu Boden segelten und kahle ?ste und Zweige zur?cklie?en. Die welken Bl?tter lagen in verwehten Haufen, wo sie vorher von irgendeinem Freiwilligen zusammengefegt worden waren, der wohl irgendwie der zynischen Einsicht entkommen war, dass morgen weitere Bl?tter fallen w?rden und dass ein einziger Windsto? seine ganze Arbeit zunichte machen konnte. Die Stra?en waren gr??tenteils leer; die klirrende K?lte sorgte daf?r, dass sich die meisten Menschen drinnen aufhielten, wenn sie nicht unbedingt drau?en sein mussten. Die Landschaft zwischen den einzelnen Geb?uden war zu dieser Jahreszeit grau und kahl, geradezu leblos. Zoe lehnte ihren Kopf gegen die Fensterscheibe und sah desinteressiert weiter nach drau?en. Als sie schlie?lich ankamen, das Gerede des Neuen f?r Zoe inzwischen wenig mehr als ein Rauschen im Hintergrund, war sie kurz davor, einzuschlafen – wenn da nicht die Zahlen gewesen w?ren. Und der damit verbundene Drang, immer weiter zu z?hlen. Aus dem Auto ausgestiegen standen sie nun auf einem weiteren kalten Parkplatz, diesmal vor einem Geb?ude mit Kuppeldach, das auf einer dramatischen Anh?he des Stadtgebietes stand. Durch seine ?berdimensionale Architektur einschlie?lich prachtvoller S?ulen zu beiden Seiten des Eingangs hatte es etwas Theatralisches an sich. Zoe und Flynn folgten Sheriff Petrovski, die vor ihnen die Doppelt?r aufschloss, und duckten sich dabei auf beiden Seiten der Eingangst?ren unter Absperrband hinweg. Drinnen war es zun?chst vollkommen dunkel, bis Sheriff Petrovski neben der T?r nach einem Lichtschalter tastete, ihn schlie?lich fand und damit das Licht einschaltete. Zoe atmete tief ein. W?hrend die Luft in ihre Nase str?mte, sah sie sich im Zuschauerraum genauer um und verschaffte sich damit einen ersten Eindruck von der Umgebung. Eine ganze Reihe von Zahlen ?berfluteten ihre Sinne und gaben ihr alle Informationen, die sie brauchte. „Wir haben bisher lediglich die Leiche abtransportiert“, sagte Sheriff Petrovski gerade. „Dar?ber hinaus haben wir nichts weiter anger?hrt. Wir haben das Geb?ude direkt nach unserer Ankunft abgeriegelt. Auf dem Revier liegen die Fotos, die wir von allem gemacht haben.“ Zoe n?herte sich dem abgesperrten Bereich in der Mitte des Raumes. Da die gesamte Bestuhlung des Raumes in diese Richtung zeigte, wirkte es, als w?re der Tatort f?r ein Publikum hergerichtet worden. Der Putzwagen, immer noch mit Wasser gef?llt, stand bedrohlich im Zentrum, die R?der eingerastet. „Sie sagten, der Todeszeitpunkt war gestern am sp?ten Abend?“, fragte Flynn. „Wieso hielt sich das Opfer so sp?t abends noch hier auf? Meines Wissens war sie hier als Astronomin angestellt – und die haben doch normalerweise geregelte Arbeitszeiten, oder nicht?“ „Nein, die Arbeitszeiten variieren hier“, sagte Sheriff Petrovski. „Ms. Vega hat die Flugbahn eines Kometen untersucht, indem sie ihn mithilfe der Teleskope beobachtet und sich dazu Notizen gemacht hat. Wir wissen, dass sie ihre Beobachtungen am gestrigen Abend normal abgeschlossen hat – das war den Notizb?chern auf ihrem Schreibtisch zu entnehmen. Einer ihrer Kollegen hat uns das best?tigt. Es sieht ganz so aus, als h?tte sie gerade Feierabend gemacht und war auf dem Heimweg, als es passiert ist.“ Zoe stand genau ?ber dem Putzwagen und sah sich alles genau an. Es gab hier nicht gerade viele Beweismittel, aber ihr geschulter Blick suchte nach der Linse eines Projektors oben in der Luft. Aus ihrer Position und dem Winkel, in dem sie ausgerichtet war, konnte sie schlie?en, dass der ganze vordere Bereich des Saales von der Projektion erfasst worden sein musste – Licht musste dem Opfer genau ins Gesicht gestrahlt haben und lauter Surround-Sound von mehreren Punkten in der Decke aus Lautsprechern geschallt haben. Die Winkel ergaben Sinn. Sie stellte sich vor, wie eine Frau den Raum durchquerte – von der T?r, die zu den B?ros f?hrte, geradewegs in Richtung Hauptausgang. Sie war auf dem Heimweg. Dann ging der Projektor an und bet?ubte ihre Sinne, machte sie einen Moment lang taub und blind. Der Putzwagen wurde auf seinen R?dern in den Raum geschoben und der T?ter dr?ckte ihren Kopf so lang unter Wasser, bis sie ertrank. Es war nicht besonders schwer, zu dieser Interpretation zu gelangen. Aber damit wusste sie noch nicht alles, was sie wissen musste – noch nicht. Sie konnte daraus noch nicht erschlie?en, wie gro? der M?rder war, denn er musste das Opfer nur niederschlagen und dann den Kopf ins Wasser dr?cken, um den Mord begehen zu k?nnen. Kraft spielte dabei also eine gewisse Rolle – die Kraft, die man brauchte, um einen erwachsenen Menschen festhalten zu k?nnen, der um sein Leben k?mpfte. Das war nicht zu vernachl?ssigen. Der T?ter musste kr?ftig genug sein, um das schaffen zu k?nnen. Zwar wurden Gewaltverbrechen fast immer von M?nnern begangen, doch ehrlich gesagt konnte Zoe nicht einmal konkrete Beweise daf?r erkennen, ob diese Tat von einem Mann oder von einer Frau begangen worden war. Sie tendierte allerdings dazu, in solchen F?llen von einem m?nnlichen T?ter auszugehen, einfach weil man damit in der Regel richtig lag – die Statistiken waren da immer hilfreich. Aber dar?ber hinaus konnte sie an diesem Tatort nichts weiter ablesen. Zoe sah von dem Putzwagen auf und ging zur?ck zu Sheriff Petrovski, um Flynn Gelegenheit zu geben, seine eigenen Beobachtungen anzustellen. „Haben Sie irgendwelche Beweismittel sicherstellen k?nnen?“, fragte sie. „Abgesehen von der Leiche?“, Sheriff Petrovski sah sie belustigt an. „Nein. Keinerlei Fingerabdr?cke, die wurden wohl alle weggewischt. Oder vielleicht trug der T?ter Handschuhe – schwer zu sagen, insbesondere weil hier ja sogar Reinigungsmittel f?r die Tat verwendet wurden. Keine Fasern, Haare, nichts, was wir h?tten einsammeln k?nnen. Im Prinzip war es hier blitzsauber.“ „Das ist unpraktisch.“ Zoe seufzte. Es war immer einfacher, wenn eindeutige Beweismittel vorlagen. Wenn man blo? die richtige Person finden und deren Fingerabdr?cke nehmen musste – und den Fall noch rechtzeitig vor dem Abendessen wieder abschlie?en konnte. Aber das war heute ja schon gar nicht mehr m?glich. Die Zeit zum Abendessen war schon l?ngst vergangen. „Also“, sagte Flynn, nachdem er aus der Hocke aufgestanden war, die es ihm erm?glicht hatte, sich den Putzwagen genauer anzusehen. „Ich denke, es ist eindeutig, womit wir es hier zu tun haben.“ „Ist das so?“, sagte Zoe gleichm?tig. Flynn kam wieder zu ihnen zur?ck und klopfte sich dabei den Staub von den H?nden. „Es handelt sich um irgendeinen Verr?ckten, der Gelegenheitsverbrechen begeht. Er muss zuf?llig irgendeine M?glichkeit gehabt haben, sich Zugang zum Planetarium zu verschaffen, das wird uns dabei helfen, die Suche weiter einzugrenzen. Aber er h?lt offensichtlich immer dann nach Frauen Ausschau, wenn niemand in der N?he ist, der ihn aufhalten k?nnte. Das war bei dem Opfer am Fluss ebenfalls der Fall – vielleicht geht er selbst gern wandern, oder er kommt aus der Gegend und kennt sich deshalb gut hier aus. Jedenfalls war er ungest?rt, niemand h?tte ihn aufhalten k?nnen, das hat einen Schalter in ihm umgelegt und er hat die Gelegenheit genutzt.“ „Wie aufschlussreich“, kommentierte Zoe trocken. Sie glaubte kein Wort davon. Das Eingravieren eines Symbols in das Fleisch der Opfer war keine spontane Handlung – daran zeigte sich, dass der T?ter ?berlegt vorging und m?glicherweise sogar vorausgeplant hatte. Das war also nicht irgendein Verr?ckter. Zumindest, wenn man nicht davon ausging, dass jeder M?rder zwangsl?ufig ein Verr?ckter sein musste. Hier war jemand zielstrebig vorgegangen und hatte au?erdem eine Art Botschaft hinterlassen. Zoe hatte es schlie?lich nicht zum ersten Mal mit einem solchen Fall. Laut Maitland war das ja auch der Grund daf?r gewesen, dass er sie f?r diesen Fall ausgesucht hatte. „Ich w?rde gern die Leichen sehen“, fuhr sie fort. „Insbesondere die Symbole, die in die Haut eingraviert worden sind. Ich denke es lohnt sich, das genauer unter die Lupe zu nehmen.“ Sie sp?rte f?rmlich, wie Flynn neben ihr steif wurde, wie die von seinem R?cken und seinen Schultern gezeichneten Linien gerader wurden. Ihm gefiel ihre Entscheidung nicht. Aber das war in Ordnung. Denn sie war nicht hier, um Freundschaften zu schlie?en – sie war hier, um einen M?rder zu schnappen. „Jetzt gleich?“, fragte Sheriff Petrovski, in ihrer Stimme war ein Hauch von Entt?uschung zu h?ren. Zoe nickte energisch. „Das w?re mir am liebsten, ja.“ Sie wollte nicht unn?tig abwarten – nicht, solange dort drau?en ein M?rder unterwegs war, der sich wom?glich schon auf seine n?chste Tat vorbereitete. KAPITEL SIEBEN Das Labor des Gerichtsmediziners war auch normalerweise nicht das w?rmste Geb?ude, das man auf der Suche nach Gerechtigkeit betreten konnte, aber an diesem kalten Novemberabend war es noch k?lter als gewohnt. Zoe zitterte leicht und zog ihre FBI-Windjacke ein wenig enger zu. Morgen, nachdem sie ihren Koffer ausgepackt hatte , w?rde sie sich w?rmer anziehen. Die zwei Leichen lagen auf Metallpritschen in der Mitte des Raumes, daneben eine dritte Pritsche, die noch leer war. Das Bild f?hrte einem eindrucksvoll vor Augen, um wie viel es hier ging, denn aus zwei Leichen konnten schnell drei werden, wenn sie in ihren Ermittlungen nicht z?gig vorankamen. Zoe blendete die Ger?uschkulisse von Flynns Gespr?ch mit dem Gerichtsmediziner, einem kleinen, asiatischen Mann mit sch?tter werdendem Haar, so weit es ging aus. Sie rechnete nicht damit, dass der Mann ihr irgendetwas sagen konnte, das sie nicht schon den Zahlen entnommen hatte; sie hatte das Blutbild, deren Analyse und alle weiteren Testergebnisse f?r das erste Opfer bereits gesehen und wusste daher, dass sich daraus nichts Ungew?hnliches ergeben hatte. Das w?rde bei der zweiten Leiche nicht anders sein. Im Bericht des Gerichtsmediziners gab es nichts, das sie zu ihrem T?ter f?hren konnte – abgesehen von seinem Markenzeichen. Zoe n?herte sich der ersten Leiche und entfernte das Laken, von dem der K?rper abgedeckt wurde, um sich das in das Fleisch geritzte Symbol ansehen zu k?nnen. Sie beugte sich ganz nah heran, dadurch konnte sie alles sehen: die siebeneinhalb Zentimeter lange gerade obere Linie, mit zwei davon nach unten abgehenden Linien, jeweils sechseinhalb und sieben Zentimeter lang. Letztere waren ebenfalls gerade, auch wenn sie weder rechtwinklig von der oberen Linie abgingen noch parallel zueinander verliefen. Sie hatten leicht aus dem Lot geratene Winkel, eher um die hundert Grad als neunzig. Vielleicht war es die Arbeit einer unsteten Hand, unf?hig die Linien pr?zise zu ritzen. Zoe ging zur zweiten Leiche weiter, zur Astronomin. Das Symbol war das gleiche. Sie las die Zahlen aufmerksam: ein siebeneinhalb Zentimeter langer Deckel, davon abgehend zwei Beine in 100-Grad-Winkeln in entgegengesetzte Richtungen geneigt, beide zwischen sechseinhalb und sieben Zentimeter lang. Es war von gleicher Hand gezeichnet. Sie konnte alles erkennen: die Richtung, mit der der Schnitt in die Haut gezeichnet worden war, die daf?r eingesetzte Kraft, sogar die verr?terischen Spuren des benutzten Werkzeugs. Alles passte zusammen. Beide Zeichen waren von der gleichen Hand geschnitten worden. Es war kein Zufall, keine Nachahmung, auch kein Kult. Es war das Werk eines Mannes – eines Mannes, der im wahrsten Sinne des Wortes versuchte, ein Zeichen zu setzen. Zoe dr?ckte ihren R?cken durch, denn der beschwerte sich merklich dar?ber, dass es schon so sp?t war und Zoe so einen langen Tag gehabt hatte. Nach dem, was sie in den letzten Wochen durchgemacht hatte, brauchte sie eigentlich Ruhe – aber darauf w?rde sie noch warten m?ssen. Der Fall war um einiges wichtiger. „Die Schnitte wurden von derselben Hand vorgenommen“, sagte sie, als sie feststellte, dass sich Flynn und der Gerichtsmediziner nicht mehr unterhielten. „Damit k?nnen wir ausschlie?en, dass mehrere T?ter – oder gar eine Sekte – f?r die Tat verantwortlich sind. Das Symbol mag trotzdem eine ritualhafte Bedeutung f?r den T?ter haben, aber es wurde in beiden F?llen von der gleichen Person angefertigt.“ Flynn zuckte mit den Schultern. „Ergibt Sinn. Das bringt uns aber immer noch nicht sonderlich viel weiter. Insbesondere, falls der T?ter das Symbol nur benutzt, um uns in die Irre zu f?hren.“ Zoe sch?ttelte den Kopf. „Das halte ich f?r unwahrscheinlich. Es handelt sich um vors?tzliches Vorgehen. Der M?rder folgt bestimmten Prinzipien – die ihm logisch erscheinen, selbst wenn uns das nicht so gehen w?rde. Ich gehe davon aus, dass er seine Opfer bewusst mit dem Symbol f?r die Zahl Pi markiert.“ Falls Zoe davon ausging, dass Flynn nach ihrer Erkl?rung ein Licht aufgehen oder er ihr gar applaudieren w?rde, dann lag sie damit voll und ganz falsch. „Pi?“, schnaubte Flynn. „Das ist doch jetzt etwas weit hergeholt, oder nicht?“ Zoe zuckte zusammen. Sie hatte nicht erwartet, dass er ihr so deutlich widersprechen w?rde – schon gar nicht in Anwesenheit einer anderen Person. „Ein oberer Balken mit zwei gleichen Beinen, die in einem Winkel davon abgehen – sieht f?r mich aus wie ein Pi.“ Flynn beugte sich ?ber die Leiche, der er am n?chsten war, und sch?ttelte beim Anblick des Symbols den Kopf. „Na ja, dabei k?nnte es sich um das Symbol f?r Pi handeln. Aber es k?nnte auch irgendetwas anderes sein. Sehen Sie doch mal, wie grob und ?berhastet die Schnitte angefertigt worden sind. K?nnte sogar sein, dass die Winkel keine Absicht waren.“ Zoe verzog w?tend das Gesicht. Dieser Neue – f?r wen hielt der sich eigentlich? Sie sah bewusst nicht zu dem Gerichtsmediziner, denn sie wusste, dass man ihr den blanken Zorn von den Augen ablesen konnte. Sie war noch nie besonders gut darin gewesen, das zu verstecken. „Wof?r soll es denn sonst stehen?“, sagte sie ver?rgert. Flynn deutete in Richtung des Symbols und zog mit seinen Fingern unsichtbare Linien dar?ber in die Luft. „Es k?nnte sich um Initialen handeln. Zwei gro?e Ts, direkt nebeneinander. Vielleicht der Name des T?ters – buchst?blich eine Signatur. Oder ein Hinweis auf einen anderen Namen. Oder es ist das Zeichen, das in der Justiz als Abk?rzung f?r den Kl?ger verwendet wird – vielleicht ist der T?ter mit dem Justizsystem unzufrieden und m?chte das zum Ausdruck bringen.“ Zoe merkte, wie ihre Entschlossenheit ins Wanken geriet. Wenn sie tats?chlich nur ein mathematisches Element in dem Fall erkannt hatte, weil das dem entsprach, was sie sehen wollte, dann w?re ihr das jedenfalls nicht zum ersten Mal passiert. Sie hatte auch in der Vergangenheit bereits bestimmte Dinge falsch interpretiert. Und damit nicht nur Zeit und Ressourcen verschwendet, sondern au?erdem dem T?ter erlaubt, weitere Menschen zu ermorden, bevor sie schlie?lich auf die richtigen Spur gekommen waren und ihn geschnappt hatten. Aber auch in diesen F?llen hatte sie nie weit daneben gelegen. Sie konnte sich auf ihren Instinkt verlassen, das wusste sie. Was dachte er sich blo? dabei, ihr sagen zu wollen, dass sie falsch lag? Welche praktische Erfahrungen konnt er denn vorweisen, mit der er diese Einsch?tzung begr?nden konnte? Zoe ballte ihre H?nde zu F?usten und sp?rte, wie sich ihre Fingern?gel in ihre Handfl?chen gruben. Sie tat dies, um einen Teil ihres Frusts abzubauen, bevor sie ihn vollst?ndig an ihm auslassen konnte. „Ich sehe das Symbol f?r die Zahl Pi“, sagte sie beharrlich. „Ich habe in der Vergangenheit bereits in ?hnlichen F?llen ermittelt. F?lle, in denen die T?ter von bestimmten Zahlen und Konzepten besessen waren. Ich habe dabei mitgewirkt, den Goldener-Schnitt-M?rder zu Fall zu bringen.“ „Deswegen ist noch lange nicht jeder T?ter gleich“, argumentierte Flynn. „Davon abgesehen, selbst wenn es sich um Pi handeln sollte, wie bringt uns das denn ?berhaupt weiter? Inwiefern ist das eine n?tzliche Spur? Das sagt uns doch nichts dar?ber, wo wir nach dem T?ter suchen m?ssen.“ „Es k?nnte uns dabei helfen, die Gruppe der m?glichen Verd?chtigen einzugrenzen“, sagte Zoe. Sie wusste, dass sein Einwand nicht ganz unbegr?ndet gewesen war, aber sie wollte ihn die Diskussion nicht gewinnen lassen. Ganz im Gegenteil. Sie w?rde ihre Sichtweise so lange verteidigen, wie es n?tig war – bis er sich wieder daran erinnerte, wer hier die rangh?chste Ermittlerin war. Was bildet er sich nur dabei ein, ihre Argumente so von der Hand zu weisen? „Wir k?nnen keine voreiligen Schl?sse ziehen“, sagte Flynn mit einer gewissen Verzweiflung in der Stimme. Er gestikulierte dabei wild mit den H?nden, Zoe verfolgte die Bewegungen der H?nde in der Luft ganz genau und berechnete dabei ihre Geschwindigkeit, die Winkel, das Muster, das sie in die Luft zeichneten. „H?ren Sie, Pi kann in der Str?mungslehre f?r bestimmte Spannungstensoren stehen. Hei?t das, wir sollen jetzt nur noch Physiker als Verd?chtige verh?ren?“ Êîíåö îçíàêîìèòåëüíîãî ôðàãìåíòà. Òåêñò ïðåäîñòàâëåí ÎÎÎ «ËèòÐåñ». Ïðî÷èòàéòå ýòó êíèãó öåëèêîì, êóïèâ ïîëíóþ ëåãàëüíóþ âåðñèþ (https://www.litres.ru/pages/biblio_book/?art=63590646&lfrom=688855901) íà ËèòÐåñ. Áåçîïàñíî îïëàòèòü êíèãó ìîæíî áàíêîâñêîé êàðòîé Visa, MasterCard, Maestro, ñî ñ÷åòà ìîáèëüíîãî òåëåôîíà, ñ ïëàòåæíîãî òåðìèíàëà, â ñàëîíå ÌÒÑ èëè Ñâÿçíîé, ÷åðåç PayPal, WebMoney, ßíäåêñ.Äåíüãè, QIWI Êîøåëåê, áîíóñíûìè êàðòàìè èëè äðóãèì óäîáíûì Âàì ñïîñîáîì.
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