Êîò ìóðëû÷åò... áåë è ñåð, Îí ïîíÿòëèâûé... Æèë äà áûë ýñýñýñýð - Òðàâû ìÿòíûå. Òðàâû ìÿòíûå, åùå Ìàòü-è-ìà÷åõà, Ðåêè ñ ñèãîì è ëåù¸ì - Ìàòåìàòèêà! Óðàâíåíèÿ, èêñû, Ñèíóñ-êîñèíóñ... Âîçëå ñòàäà âîë÷üÿ ñûòü... Ïàðíè ñ êîñàìè... Ñ÷àñòüå óøëîå ëîâè - Äåâêè ñ âîëîñîì Ðàñïåâàëè î ëþáâè Ñëàäêèì ãîëîñîì... À âåñåííåþ ïîð

So Gut Wie Vor?ber

So Gut Wie Vor?ber Blake Pierce „Ein Meisterwerk der Thriller und Mystery-Romane. Blake Pierce hat hervorragende Arbeit geleistet, indem er Charaktere entwickelt hat, die so gut beschrieben sind, dass wir uns in ihren K?pfen f?hlen, ihren ?ngsten folgen und ihren Erfolg herbeiw?nschen. Dieses Buch garantiert Ihnen aufgrund der vielen Wendungen Spannung bis zur letzten Seite." --B?cher und Filmkritiken, Roberto Mattos (Verschwunden) SO GUT WIE VOR?BER (DAS AU-PAIR—BUCH #1) ist der Deb?troman einer neuen Psychothriller-Reihe des Bestsellerautors Blake Pierce, dessen Bestseller Verschwunden (kostenloser Download) ?ber 1.000 F?nf-Sterne-Rezensionen hat.Der erste Au-Pair-Job der 23-j?hrigen Cassandra Vale verschl?gt sie auf den Gutshof einer wohlhabenden Familie au?erhalb von Paris. Zuerst scheint alles zu gut, um wahr zu sein. Doch schon bald entdeckt sie hinter den goldenen Toren eine funktionsgest?rte Familie, eine verdorbene Ehe, problembeladene Kinder – und Geheimisse, die zu dunkel sind, um enth?llt zu werden.  Cassandra ist davon ?berzeugt, ein neues Leben beginnen zu k?nnen, als sie den Job als Au-Pair-M?dchen in der idyllischen Provinz Frankreichs annimmt. Der Landsitz der Dubois liegt gerade au?erhalb von Paris und ist ein gro?artiges Relikt der Vergangenheit, das von einer Bilderbuchfamilie bewohnt wird. Genau das hat Cassandra gebraucht! Doch dann st??t sie auf deren dunkle Geheimnisse und erf?hrt, dass nicht alles so glamour?s ist, wie es scheint. Hinter all dem Reichtum befindet sich ein dunkles Netz der T?cke und der List. Ein Netz, das Cassandra nur allzu bekannt vorkommt und Erinnerungen an eine Vergangenheit voller Qual und Gewalt in ihr ausl?st. Eine Vergangenheit, die sie verzweifelt hinter sich zu lassen versucht. Als ein gr?sslicher Mord das Haus auseinandernimmt, droht auch ihre labile Psyche zu zerbrechen. Eine fesselnde Mystery-Geschichte mit komplexen Figuren, verdeckten Geheimnissen, dramatischen Wendungen und einer unglaublichen Spannung: SO GUT WIE VOR?BER ist das erste Buch der spannungsgeladenen Psycho-Thriller-Serie, die man gar nicht aus der Hand legen m?chte. Buch #2 – SO GUT WIE VERLOREN – kann nun vorbestellt werden! SO GUT WIE VOR?BER (DAS AU-PAIR — BUCH EINS) B L A K E P I E R C E Blake Pierce Blake Pierce ist der Autor der meistverkauften RILEY PAGE Krimi-Serie, die 13 B?cher umfasst (und weitere in Arbeit). Blake Pierce ist ebenfalls der Autor der MACKENZIE WHITE Krimi-Serie, die neun B?cher umfasst (und weitere in Arbeit); der AVERY BLACK Mystery-Serie, bestehend aus sechs B?chern; der KERI LOCKE Mystery-Serie, bestehend aus f?nf B?chern; der Serie DAS MAKING OF RILEY PAIGE, bestehend aus drei B?chern (und weitere in Arbeit); der KATE WISE Mystery-Serie, bestehend aus zwei B?chern (und weitere in Arbeit); der spannenden CHLOE FINE Psycho-Thriller-Serie, bestehend aus drei B?chern (und weitere in Arbeit); und der spannenden JESSE HUNT Psycho-Thriller-Serie, bestehend aus drei B?chern (und weitere in Arbeit). Als begeisterter Leser und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt Blake es, von seinen Lesern zu h?ren. Bitte besuchen Sie www.blakepierceauthor.com, um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben. (https://www.bookbub.com/authors/ophelia-night) Copyright © 2019 durch Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Au?er wie im US-amerikanischen Urheberrechtsgesetz von 1976 erlaubt, darf kein Teil dieser Ver?ffentlichung in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder ?bertragen werden oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem ohne die vorherige Genehmigung des Autors gespeichert werden. Dieses eBook ist nur f?r Ihren pers?nlichen Genuss lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch f?r eine andere Person freigeben m?chten, erwerben Sie bitte f?r jeden Empf?nger eine zus?tzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen und es nicht gekauft haben oder es nicht f?r Ihre Verwendung erworben wurde, geben Sie es bitte zur?ck und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Danke, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dieses Buch ist reine Fiktion. Namen, Charaktere, Gesch?fte, Organisationen, Orte, Ereignisse und Ereignisse sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede ?hnlichkeit mit tats?chlichen lebenden oder toten Personen ist v?llig zuf?llig. Buchumschlagsbild Copyright cactus_camera, mit Lizenz von Shutterstock.com B?CHER VON BLAKE PIERCE DAS AU-PAIR SO GUT WIE VOR?BER (BAND #1) SO GUT WIE VERLOREN (BAND #2) SO GUT WIE TOT (BAND #3) JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE DIE PERFEKTE FRAU (BAND #1) DER PERFEKTE BLOCK (BAND #2) DAS PERFEKTE HAUS (BAND #3) DAS PERFEKTE L?CHELN (BAND #4) DIE PERFEKTE L?GE (BAND #5) CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE NEBENAN (BAND #1) DIE L?GE EINES NACHBARN (BAND #2) SACKGASSE (BAND #3) STUMMER NACHBAR (BAND #4) KATE WISE MYSTERY-SERIE WENN SIE W?SSTE (BAND #1) WENN SIE S?HE (BAND #2) WENN SIE RENNEN W?RDE (BAND #3) WENN SIE SICH VERSTECKEN W?RDE (BAND #4) WENN SIE FLIEHEN W?RDE (BAND #5) WENN SIE SICH F?RCHTEN W?RDE (BAND #6) DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE BEOBACHTET (BAND #1) WARTET (BAND #2) LOCKT (BAND #3) NIMMT (BAND #4) LAUERT (BAND #5) RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE VERSCHWUNDEN (BAND #1) GEFESSELT (BAND #2) ERSEHNT (BAND #3) GEK?DERT (BAND #4) GEJAGT (BAND #5) VERZEHRT (BAND #6) VERLASSEN (BAND #7) ERKALTET (BAND #8) VERFOLGT (BAND #9) VERLOREN (BAND #10) BEGRABEN (BAND #11) ?BERFAHREN (BAND #12) GEFANGEN (BAND #13) RUHEND (BAND #14) GEMIEDEN (BAND #15) VERMISST (BAND #16) EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE EINST GEL?ST MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE BEVOR ER T?TET (BAND #1) BEVOR ER SIEHT (BAND #2) BEVOR ER BEGEHRT (BAND #3) BEVOR ER NIMMT (BAND #4) BEVOR ER BRAUCHT (BAND #5) EHE ER F?HLT (BAND #6) EHE ER S?NDIGT (BAND #7) BEVOR ER JAGT (BAND #8) VORHER PL?NDERT ER (BAND #9) VORHER SEHNT ER SICH (BAND #10) VORHER VERF?LLT ER (BAND #11) VORHER NEIDET ER (BAND #12) AVERY BLACK MYSTERY-SERIE DAS MOTIV (BAND #1) LAUF (BAND #2) VERBORGEN (BAND #3) GR?NDE DER ANGST (BAND #4) RETTE MICH (BAND #5) ANGST (BAND #6) KERI LOCKE MYSTERY-SERIE EINE SPUR VON TOD (BAND #1) EINE SPUR VON MORD (BAND #2) EINE SPUR VON SCHW?CHE (BAND #3) EINE SPUR VON VERBRECHEN (BAND #4) EINE SPUR VON HOFFNUNG (BAND #5) INHALTSVERZEICHNIS KAPITEL EINS (#u3cc51bae-fa43-58da-b141-de4a768f48c2) KAPITEL ZWEI (#u6fceb095-d62f-5ca7-aa02-091f130bc55a) KAPITEL DREI (#ua7aef596-daff-5360-9efe-ca07b27928f9) KAPITEL VIER (#ua52c7e51-301f-5d2a-a710-b76fcd33029a) KAPITEL F?NF (#u7726e274-5b3b-55c3-a2ea-5a303be5f0de) KAPITEL SECHS (#u3ef05d9e-9b90-5bed-894a-bce5a4f563e9) KAPITEL SIEBEN (#u69f43bec-ed86-582c-91ba-83adcb5aeaf0) KAPITEL ACHT (#ub2fb8930-53c0-5890-86c7-35fe454df98d) KAPITEL NEUN (#litres_trial_promo) KAPITEL ZEHN (#litres_trial_promo) KAPITEL ELF (#litres_trial_promo) KAPITEL ZW?LF (#litres_trial_promo) KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo) KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo) KAPITEL F?NFZEHN (#litres_trial_promo) KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo) KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo) KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo) KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo) KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL F?NFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo) KAPITEL DREISSIG (#litres_trial_promo) KAPITEL EINUNDREISSIG (#litres_trial_promo) KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG (#litres_trial_promo) KAPITEL DREIUNDDREISSIG (#litres_trial_promo) KAPITEL VIERUNDDREISSIG (#litres_trial_promo) KAPITEL F?NFUNDDREISSIG (#litres_trial_promo) KAPITEL SECHSUNDDREISSIG (#litres_trial_promo) KAPITEL EINS Die dreiundzwanzigj?hrige Cassie Vale sa? auf einem der beiden Plastikst?hle im Wartebereich der Au-Pair-Agentur und starrte auf die Poster und Landkarten an der gegen?berliegenden Wand. ?ber dem kitschigen Maureens Europa Au-Pairs Logo hing ein Bild des Eifelturms und eines vom Brandenburger Tor. Daneben ein Caf? in einem gepflasterten Hinterhof und ein malerisches Dorf mit Blick auf das azurblaue Meer. Szenen zum Tr?umen; Orte, nach denen sie sich sehnte. Das Agenturb?ro war eng und erdr?ckend. Die Klimaanlage klapperte nutzlos vor sich hin und aus der L?ftung kam definitiv keine frische Luft. Cassie hob die Hand und wischte sich diskret einen Schwei?tropfen von der Wange. Sie wusste nicht, wie lange sie es noch aushalten konnte. Pl?tzlich ?ffnete sich die T?r und sie fuhr zusammen. Ihre Hand griff bereits nach den Unterlagen, die sie auf dem anderen Stuhl platziert hatte. Entt?uscht musste sie feststellen, dass es lediglich eine weitere Bewerberin war, die das Zimmer verlie?. Dieses Mal handelte es sich um eine gro?e, schlanke Blondine, die all die Zuversicht ausstrahlte, von der Cassie nur tr?umen konnte. Sie l?chelte zufrieden und hielt ein B?ndel offiziell aussehender Dokumente in der Hand. Cassie schenkte sie kaum Aufmerksamkeit, als sie an ihr vorbeiging. Cassies Magen zog sich zusammen. Sie betrachtete ihre eigenen Unterlagen und fragte sich, ob auch sie erfolgreich sein oder das B?ro entt?uscht und besch?mt verlassen w?rde. Sie wusste, dass ihre Erfahrung j?mmerlich und unzureichend war – schlie?lich hatte sie keine wirklichen Qualifikationen in der Kindesbetreuung vorzuweisen. In der Woche zuvor hatte sie sich bei einer Kreuzfahrtagentur vorgestellt und war abgelehnt worden. Ohne Erfahrung k?nnten sie sie nicht einmal in ihr Register aufnehmen. Wenn hier dieselben Richtlinien galten, hatte sie keine Chance. „Cassandra Vale? Mein Name ist Maureen. Bitte kommen Sie herein.“ Cassie sah auf. Eine grauhaarige Frau in dunklem Anzug wartete im T?rrahmen auf sie; es handelte sich offensichtlich um die Besitzerin der Agentur. Cassie stand hastig auf und ihre sorgf?ltig geordneten Papiere verteilten sich auf dem Boden. Mit hei?em Gesicht suchte sie sie zusammen und eilte dann in das Gespr?chszimmer. W?hrend Maureen mit runzelnder Stirn durch ihre Unterlagen bl?tterte, begann Cassie, mit den Fingern?geln an ihrer Nagelhaut zu zupfen. Schlie?lich verschr?nkte sie die Finger – die einzige M?glichkeit, die nerv?se Angewohnheit zu stoppen. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen und versuchte, sich davon zu ?berzeugen, dass die Frau nicht ihre einzige M?glichkeit war, von hier zu verschwinden. Es w?rden sich auch andere Wege finden, um zu entkommen und von vorne anzufangen. Doch im Moment hatte sie das Gef?hl, ihrer einzigen Hoffnung gegen?ber zu sitzen. Die Kreuzfahrtagentur hatte sie rigoros abgelehnt. Ihre andere Idee, Englischunterricht zu geben, war ohne die richtigen Qualifikationen unm?glich; diese zu erhalten zu teuer. Sie w?rde ein weiteres Jahr sparen m?ssen, um ?berhaupt damit anfangen zu k?nnen. Doch genau das fehlte ihr gerade: Zeit. In der letzten Woche war ihr dieser Luxus genommen worden. „Also, Cassandra. Sie sind in Millville, New Jersey aufgewachsen? Lebt Ihre Familie noch hier?“, fragte Maureen schlie?lich. „Bitte nennen Sie mich Cassie“, antwortete sie. „Und nein, meine Familie ist weggezogen.“ Cassie dr?ckte ihre H?nde nun fester aneinander und machte sich Sorgen um die Richtung, die das Interview zu nehmen schien. Sie hatte nicht damit gerechnet, ausf?hrlich zu ihrer Familie befragt zu werden, aber ihr wurde nun klar, dass nat?rlich der Background der Bewerber durchleuchtet werden musste. Schlie?lich w?rden die Au-Pairs in dem Zuhause ihrer Arbeitgeber leben und arbeiten. Sie musste sich schnell etwas ?berlegen, denn obwohl sie nicht l?gen wollte, f?rchtete sie doch, dass die Wahrheit ihrer Bewerbung schaden k?nnte. „Und Ihre ?ltere Schwester? Sie schreiben hier, dass sie im Ausland arbeitet?“ Zu Cassies Erleichterung war Maureen zum n?chsten Punkt ?bergegangen. Hierf?r hatte sie sich eine Antwort zurechtgelegt, die ihre eigene Sache f?rdern w?rde, aber keine Details preisgab, deren Aufrichtigkeit best?tigt werden konnte. „Die Reisen meiner Schwester haben mich auf jeden Fall dazu inspiriert, selbst im Ausland zu arbeiten. Ich wollte schon immer in einem anderen Land leben und liebe Europa. Besonders Frankreich, wo ich mit der Sprache doch recht vertraut bin.“ „Sie haben Franz?sisch studiert?“ „Ja, zwei Jahre lang, aber ich habe auch davor schon ein enges Verh?ltnis zu der Sprache gehabt. Meine Mutter ist in Frankreich aufgewachsen und arbeitete hin und wieder als freiberufliche ?bersetzerin, als ich noch klein war. Meine Schwester und ich sind also mit einem guten Verst?ndnis der franz?sischen Sprache gro?geworden.“ Maureen stellte ihr nun eine Frage auf Franz?sisch: „Was erhoffen Sie sich von einer Position als Au-Pair?“ Cassie freute sich, in flie?endem Franz?sisch antworten zu k?nnen. „Mehr ?ber das Leben in einem anderen Land zu lernen und meine Sprachfertigkeiten zu verbessern.“ Sie hatte gehofft, Maureen mit ihrer Antwort zu beeindrucken, doch die blieb ernst, w?hrend sie die Unterlagen weiter durchging. „Leben Sie noch zu Hause, Cassie?“ Und wieder zur?ck zum Familienleben … hatte Maureen den Verdacht, dass sie ihr etwas verheimlichte? Sie musste sich ihre Antworten gut ?berlegen. Mit sechzehn von zu Hause auszuziehen, wie sie es getan hatte, w?rde bei der Agenturleiterin Fragen aufwerfen. Warum so fr?h? Gab es Probleme? Nein, sie musste ihr ein h?bscheres Bild malen. Eines, das auf ein normales und gl?ckliches Familienleben hindeutete. „Ich lebe alleine, seitdem ich zwanzig bin“, sagte sie und f?hlte, wie ihr Gesicht vor Scham rot wurde. „Und Sie arbeiten Teilzeit? Wie ich sehe, haben Sie ein Zeugnis von Primi. Ist das ein Restaurant?“ „Ja, ich habe die vergangenen zwei Jahre dort gekellnert.“ Das war gl?cklicherweise wahr. Zuvor hatte sie verschiedene andere T?tigkeiten ausgef?hrt und sogar kurz in einer Spelunke gearbeitet, als sie Probleme hatte, WG-Zimmer plus Fernstudium zu bezahlen. Primi, ihr letzter Job, hatte ihr am meisten Spa? gemacht. Das Restaurant-Team war wie die Familie gewesen, die sie nie hatte. Aber sie hatte dort keine Zukunft. Ihr Gehalt war niedrig und das Trinkgeld nicht viel besser. Die Gesch?fte in dem Teil der Stadt waren hart. Sie hatte sich darauf vorbereitet, nach etwas anderem Ausschau zu halten, wenn der richtige Moment gekommen war, doch die Umst?nde hatten sich zum Negativen ver?ndert und nun war es auf einmal dringend. „Erfahrung in der Kinderbetreuung?“, fragte Maureen und betrachtete Cassie ?ber ihre Brillenr?nder hinweg. Cassies Bauch zog sich zusammen. „Ich – ich habe drei Monate lang in einer Kindertagesst?tte ausgeholfen, bevor ich bei Primi eingestiegen bin. Das Zeugnis ist im Ordner. Ich habe ein Grundlagentraining in Sicherheit und Erster Hilfe absolviert und auch mein Background wurde ?berpr?ft“, stammelte sie und hoffte, dass es ausreichte. Es war nur eine tempor?re Anstellung gewesen, als sie f?r eine Frau im Mutterschutz kurzzeitig die Vertretung ?bernommen hatte. Sie h?tte nie gedacht, dass daraus ein Sprungbrett in ihre Zukunft werden k?nnte. „Ich habe auch Kinderpartys im Restaurant geleitet. Ich bin ein sehr freundlicher Mensch. Ich meine, ich komme gut mit anderen klar und bin geduldig …“ Maureens Mund wurde schmal. „Wie schade, dass Ihre Erfahrung nicht frischer ist. Au?erdem haben Sie keine offizielle Bescheinigung einer Ausbildung in der Kinderbetreuung. Die meisten Familien verlangen Qualifikationen oder zumindest etwas mehr Erfahrung in dem Bereich. Es wird schwer werden, Sie mit diesen Voraussetzungen in einer Familie zu platzieren.“ Cassie sah sie verzweifelt an. Es musste einfach klappen. Ihre Aussichten waren glasklar. Entweder schaffte sie es, von hier zu entkommen … oder sie w?rde sich in einem Kreislauf der Gewalt verfangen, dem sie mit ihrem Auszug damals schon hatte entkommen wollen. Die blauen Flecken auf ihrem Oberarm waren innerhalb der letzten Tage aufgebl?ht und zeigten nun klar definiert die Kn?chelabdr?cke, wo er sie geschlagen hatte. Ihr Freund, Zane, der ihr bei ihrem zweiten Date gesagt hatte, dass er sie liebte und dass er sie immer besch?tzen w?rde. Als die h?sslichen Flecken erschienen waren, hatte sie sich mit einer G?nsehaut auf dem R?cken daran erinnert, vor zehn Jahren fast identische Bluterg?sse gehabt zu haben. Zuerst an ihrem Arm. Dann ihrem Hals und schlie?lich in ihrem Gesicht. Ebenfalls von einem angeblichen Besch?tzer zugef?gt – ihrem Vater. Er hatte begonnen, sie zu schlagen, als sie zw?lf Jahre alt war, nachdem Jacqui, ihre ?ltere Schwester, von zu Hause weggerannt war. Zuvor war Jacqui die Zielscheibe seiner Wut gewesen. Ihre Anwesenheit hatte Cassie vor dem Schlimmsten bewahrt. Zanes H?matome waren noch immer da; es w?rde eine Weile dauern, bis auch diese verblassten. Sie trug ein lang?rmeliges T-Shirt, um sie bei dem Gespr?ch zu verstecken und schwitzte in dem stickigen B?ro. „Gibt es andere Stellen, wo ich mich bewerben kann?“, fragte sie Maureen. „Ich wei?, dass dies die beste Agentur im Ort ist, aber vielleicht sind Sie ja in der Lage, eine Webseite zu empfehlen?“ „Nein“, sagte Maureen bestimmt. „Zu viele Kandidaten haben damit schlechte Erfahrungen gemacht. Manche endeten in Familien, wo ihre Arbeitsstunden nicht eingehalten wurden. Von anderen wurde erwartet, neben der Kinderbetreuung auch niedere Putzaufgaben zu erf?llen. Das ist keinem gegen?ber fair. Ich habe auch von anderen Bel?stigungen Au-Pairs gegen?ber geh?rt. Also, nein.“ „Bitte – gibt es denn in Ihren Unterlagen irgendjemanden, der mich in Betracht ziehen k?nnte? Ich bin flei?ig, lerne schnell und kann mich gut anpassen. Bitte geben Sie mir eine Chance.“ Maureen schwieg f?r einen Moment, dann klopfte sie stirnrunzelnd gegen ihre Tastatur. „Ihre Familie, was h?lt sie davon, Sie f?r ein Jahr an das Reisen zu verlieren? Haben Sie einen Freund, jemanden, den Sie zur?cklassen m?ssten?“ „Ich habe k?rzlich mit meinem Freund Schluss gemacht. Und ich war schon immer sehr unabh?ngig, meine Familie wei? das.“ Zane hatte geweint und sich entschuldigt, nachdem er sie am Arm getroffen hatte. Aber sie hatte nicht nachgegeben und stattdessen an die Warnung ihrer Schwester gedacht, die sie ihr vor langer Zeit mit auf den Weg gegeben und die sich seither stets als richtig erwiesen hatte: „Kein Mann schl?gt eine Frau nur einmal.“ Sie hatte ihre Taschen gepackt und war bei einer Freundin eingezogen. Um ihm aus dem Weg zu gehen, hatte sie seine Anrufe blockiert und ihre Schicht im Restaurant ge?ndert. Sie hatte gehofft, dass er ihre Entscheidung akzeptieren und sie alleine lassen w?rde. Doch tief drinnen war ihr klar gewesen, dass dem nicht so sein w?rde. Schluss zu machen h?tte seine Idee sein sollen, nicht ihre. Sein Ego konnte mit der Zur?ckweisung nicht umgehen. Er hatte bereits im Restaurant nach ihr gesucht. Der Manager hatte ihm erz?hlt, sie habe sich zwei Wochen Urlaub genommen, um nach Florida zu gehen. Dadurch hatte sie etwas Zeit gewonnen. Aber sie wusste, dass er die Tage z?hlte. Noch eine Woche, dann beg?nne seine Jagd aufs Neue. Die USA f?hlte sich pl?tzlich zu klein an, um ihm zu entkommen. Sie brauchte einen Ozean - einen gro?en - zwischen ihnen. Denn am schlimmsten war ihre Angst, schwach zu werden, ihm zu verzeihen und eine zweite Chance zu geben. Maureen beendete die Durchsicht der Unterlagen und stellte Cassie dann einige Standardfragen, die leichter zu beantworten waren. Ihre Hobbies, regelm??ige Medikamenteneinnahme, ern?hrungsspezifische Einschr?nkungen oder Allergien. „Ich habe keine Einschr?nkungen oder Allergien. Und keine gesundheitlichen Probleme.“ Cassie hoffte, dass ihre Tabletten f?r Angstzust?nde nicht dazu z?hlten. Es war vermutlich besser, diese nicht zu erw?hnen. Sie war sich sicher, damit ein gro?es Fragezeichen hervorzurufen. Maureen kritzelte eine Notiz in den Ordner. „Was w?rden Sie tun, wenn die Kinder in Ihrer Obhut unfolgsam oder frech sind? Wie w?rden Sie die Situation kl?ren?“ Cassie atmete tief durch. „Nun, ich denke nicht, dass es eine Einheitsantwort auf diese Frage gibt. Wenn ein Kind unfolgsam ist, w?hrend es auf eine gef?hrliche Stra?e zurennt, ist ein anderer Ansatz angebracht, als wenn es um das Essen von Gem?se geht. Im ersten Beispiel w?rde ich das Kind so schnell wie m?glich au?er Gefahr bringen. Im zweiten w?rde ich argumentieren und verhandeln – warum magst du kein Gem?se? Liegt es am Aussehen oder am Geschmack? M?chtest du einen Bissen versuchen? Schlie?lich machen wir alle verschiedene Phasen beim Essen durch und wachsen fr?her oder sp?ter daraus hinaus.“ Maureen schien mit der Antwort zufrieden zu sein, doch die n?chsten Fragen waren komplizierter. „Was w?rden Sie tun, wenn die Kinder Sie anl?gen? Wenn Sie Ihnen zum Beispiel erz?hlen, dass sie die Erlaubnis haben, etwas zu tun, obwohl die Eltern es ihnen verboten haben?“ „Ich w?rde ihnen sagen, dass es nicht erlaubt ist und gleichzeitig auch den Grund nennen, woher ich das wei?. Ich w?rde vorschlagen, gemeinsam mit den Eltern zu sprechen und die Regel innerhalb der Familie zu diskutieren, um den Kindern klar zu machen, warum es wichtig ist, sich daran zu halten.“ Cassie hatte das Gef?hl, einen Drahtseilakt zu vollf?hren und hoffte, dass ihre Antworten akzeptabel waren. „Cassie, wie w?rden Sie reagieren, wenn Sie einen Streit mitansehen m?ssen? Innerhalb einer Familie gibt es Zeiten, in denen nicht alle miteinander klarkommen.“ Cassie schloss f?r einen Moment ihre Augen und schob die Erinnerungen beiseite, die Maureens Worte in ihr ausgel?st hatten. Schreie, zerbrechendes Glas, w?tende Nachbarn. Ein Stuhl, der unter den wackelnden T?rgriff ihrer Schlafzimmert?r gedr?ckt wurde. Der einzige, aber unsolide, Schutz, den sie finden konnte. Doch gerade, als sie erkl?ren wollte, wie sie sich und die Kinder in einem sicheren Raum einschlie?en und dann die Polizei rufen w?rde, fiel ihr ein, dass Maureen vermutlich nicht diese Art von Streit gemeint hatte. Warum sollte sie auch? Offensichtlich dachte sie an eine Diskussion, Worte, die aus ?rger und Wut gekeift, vielleicht auch mal geschrien wurden. Eine tempor?re Reibung, keine endg?ltige Zerst?rung. „Ich w?rde versuchen, die Kinder au?er H?rweite zu besch?ftigen“, sagte sie und w?hlte ihre Worte vorsichtig. „Und ich w?rde die Privatsph?re der Eltern respektieren und mich zur?ckziehen. Schlie?lich sind Streitereien ein Teil des Lebens und ein Au-Pair hat kein Recht, Stellung zu beziehen oder sich einzumischen.“ Endlich hatte sie sich ein kleines L?cheln verdient. „Eine gute Antwort“, sagte Maureen. Sie ?berpr?fte erneut ihren Computer und nickte, als wolle sie ihre Entscheidung best?tigen. „Es gibt nur eine M?glichkeit, die ich Ihnen anbieten kann. Eine Anstellung in einer franz?sischen Familie“, sagte sie und Cassies Herz machte einen Sprung. Es fiel schmetternd zu Boden, als Maureen weiterredete. „Das letzte Au-Pair ist unerwartet nach nur einem Monat zur?ckgetreten und die Familie hat Schwierigkeiten, einen Ersatz zu finden.“ Cassie biss sich auf die Lippe. Sie wusste nicht, ob das Au-Pair gek?ndigt hatte oder gefeuert worden war. Aber sie konnte es sich nicht leisten, denselben Weg zu gehen. Die Agenturgeb?hren und die Flugreise kosteten sie ihr ganzes Erspartes. Es war egal, wie sie es anstellte, aber es musste funktionieren. Maureen f?gte hinzu: „Es ist eine wohlhabende Familie mit einem wundersch?nen Zuhause etwas au?erhalb von Paris. Das Herrenhaus liegt im l?ndlichen Raum auf einem gro?en Grundbesitz. Es gibt einen Obstgarten und einen Weinberg – nicht kommerziell – und Pferde. Reiterliches Fachwissen ist allerdings keine Jobvoraussetzung. Sie haben jedoch die M?glichkeit, reiten zu lernen, wenn Sie das m?chten. „Sehr gerne“, sagte Cassie. Der Reiz der franz?sischen Provinz und die Aussicht auf Pferde machte das Risiko lohnenswert. Und eine wohlhabende Familie bedeutete doch sicher mehr Jobsicherheit. Vielleicht war das letzte Au-Pair einfach nicht willig gewesen, es zu versuchen. Maureen richtete ihre Brille gerade, bevor sie auf Cassies Unterlagen etwas notierte. „Ich muss betonen, dass nicht jede Familie einfach ist. Manche sind sehr herausfordernd und andere sogar richtig schwierig. Der Erfolg des Jobs liegt auf Ihren Schultern.“ „Ich werde mein Bestes geben.“ „Eine Anstellung zu verlassen bevor das Jahr vorbei ist, ist nicht akzeptabel. Eine substantielle K?ndigungsgeb?hr wird dann auf Sie zukommen, au?erdem werden Sie nie wieder f?r uns arbeiten k?nnen. Die Details stehen im Vertrag.“ Maureen klopfte mit ihrem Stift gegen die Seite. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, antwortete Cassie bestimmt. „Gut. Der letzte Punkt, den wir besprechen m?ssen, ist die Timeline.“ „Ja. Wie bald werde ich abreisen?“, fragte Cassie und wurde wieder unruhig bei dem Gedanken daran, Verstecken zu spielen. „F?r gew?hnlich dauert es etwa sechs Wochen, bis alles geregelt ist, aber diese Familie hat es sehr eilig, also werden wir den Prozess beschleunigen. Wenn alles nach Plan l?uft, werden Sie innerhalb der n?chsten Woche abfliegen. Ist das in Ordnung?“ „Das ist – es ist perfekt“, stotterte sie. „Bitte, ich nehme die Position an. Ich werde alles tun, um meinen Job gut zu machen und sie nicht entt?uschen.“ Die Frau starrte sie lange und intensiv an, als versuche sie, die Lage ein letztes Mal zu erfassen. „Das will ich auch hoffen“, sagte sie. KAPITEL ZWEI An Flugh?fen geht es nur um Abschiede, dachte Cassie. Hektische Verabschiedungen in einer unpers?nlichen Umgebung, die dir die Worte raubt, die du wirklich sagen willst. Und die Zeit, sie richtig zu sagen. Sie hatte darauf bestanden, von der Freundin, die sie zum Flughafen gebracht hatte, vor dem Geb?ude rausgelassen zu werden. Die Umarmung, bevor sie aus dem Wagen h?pfte, war schnell und einfach. Besser als teurer Kaffee und eine unbequeme Unterhaltung, die trockener wird, je n?her die Abflugzeit r?ckt. Schlie?lich reiste sie alleine und lie? alles Vertraute hinter sich zur?ck. Es machte Sinn, diesen Prozess so schnell wie m?glich zu beginnen. Als Cassie den Gep?ckwagen zum Terminal schob, f?hlte sie eine Welle der Erleichterung ?ber sich schwappen, als sie daran dachte, was sie schon erreicht hatte. Sie hatte den Job bekommen, was die wichtigste Errungenschaft ?berhaupt gewesen war. Dann hatte sie f?r den Flug und die Agenturgeb?hren bezahlt, im Schnelldurchlauf ein Visum bekommen und p?nktlich zum Einchecken den Flughafen erreicht. Ihre Sachen hatte sie mithilfe der bereitgestellten Liste gepackt und sie war froh, den hellblauen Rucksack mit dem ‚Maureens Au-Pairs‘-Logo bekommen zu haben. In ihren Koffer h?tten ihre Klamotten nicht alle gepasst. Sie war sich sicher, dass bis zu ihrer Landung in Paris alles gut gehen w?rde. Dann sah sie ihn und sie blieb stehen. Ihr Herz klopfte wie wild. Er stand am Terminaleingang mit dem R?cken zur Wand und den Daumen in den Taschen der Lederjacke, die sie ihm geschenkt hatte. Seine Gr??e, sein dunkles, stacheliges Haar und sein aggressiver Kiefer lie?en ihn aus der Menge herausstechen. Zane. Er musste herausgefunden haben, wann ihr Flug ging. Sie hatte von Freunden geh?rt, dass er sich nach ihr erkundigt, Telefongespr?che gef?hrt und die Florida-Geschichte ?berpr?ft hatte. Zane hatte eine manipulative Ader und nicht jeder kannte ihre Situation. Jemand musste ihm, ohne b?se Absicht, die Wahrheit erz?hlt haben. Bevor er sie erblicken konnte, drehte sie ihren Gep?ckwagen um und warf sich die Kapuze ihres Hoodies ?ber ihr welliges, kastanienbraunes Haar. Sie eilte in die entgegengesetzte Richtung, schob den Wagen hinter eine S?ule und damit au?erhalb seines Blickfelds. Der Air France Schalter befand sich am Ende des Terminals; es war also unm?glich, dorthin zu gelangen, ohne von ihm gesehen zu werden. Denk nach, Cassie. In der Vergangenheit hatte Zane sie f?r ihre F?higkeit, in schwierigen Situationen schnell einen Plan entwerfen zu k?nnen, gelobt. „Du reagierst schnell“, hatte er gesagt. Das war am Anfang ihrer Beziehung gewesen. Am Ende hatte er sie verbittert beschuldigt, hinterh?ltig, fies und zu gerissen zu sein. Ok, dann wollte sie ihre Gerissenheit mal auf die Probe stellen. Sie atmete tief durch und hoffte auf eine Idee. Zane stand in der N?he des Terminaleingangs. Warum? Es w?re einfacher gewesen, am Check-In-Schalter zu warten, wo er sie mit Sicherheit entdeckt h?tte. Das bedeutete, er wusste nicht, mit welcher Airline sie fliegen w?rde. Sein Informant hatte es also entweder selbst nicht gewusst oder es ihm nicht gesagt. Wenn sie einen anderen Weg zum Schalter finden konnte, w?re sie vielleicht in der Lage, einzuchecken, bevor er begann, nach ihr zu suchen. Cassie lud ihr Gep?ck ab, setzte sich den schweren Rucksack auf die Schultern und zog den Koffer hinter sich her. Am Eingang des Geb?udes hatte sie eine Rolltreppe gesehen. Wenn sie damit zum obersten Stockwerk fuhr, k?nnte sie vielleicht mit einer weiteren Rolltreppe oder einem Aufzug am anderen Ende der Halle wieder nach unten fahren. Sie lie? den Gep?ckwagen stehen und eilte in die Richtung, aus der sie gekommen war, um die Rolltreppe nach oben zu nehmen. Die Treppe am anderen Ende war au?er Betrieb, also kletterte sie die steilen Stufen samt schwerem Koffer nach unten. Der Air France Schalter war nun direkt vor ihrer Nase, aber zu ihrem Entsetzen befand sich davor bereits eine lange Schlange, die sich nur stockend vorw?rtsbewegte. Sie zog die graue Kapuze tiefer ins Gesicht, stellte sich in die Schlange, nahm ein Buch aus ihrer Handtasche und begann zu lesen. Sie verstand nicht, was sie las und unter der Kapuze war es dr?ckend hei?. Sie wollte sie runterziehen und den Schwei? auf ihrem Nacken k?hlen. Aber das konnte sie nicht riskieren. Ihr leuchtendes Haar w?re sofort sichtbar. Es war besser, versteckt zu bleiben. Dann klopfte ihr eine starke Hand auf die Schulter. Sie wirbelte keuchend herum und starrte in die ?berraschten Augen einer gro?en Blondine, die etwa in ihrem Alter war. „Tut mir leid, dich erschreckt zu haben“, sagte sie. „Ich bin Jess. Ich habe deinen Rucksack gesehen und wollte hallo sagen.“ „Oh. Ja. Maureens Au-Pairs.“ „Bist du auf dem Weg zu einem Job?“, fragte Jess. „Das bin ich.“ „Ich auch. Sollen wir fragen, ob die Airline uns zusammensetzt? Das k?nnen wir beim Einchecken kl?ren.“ W?hrend Jess ?ber das Wetter in Frankreich plapperte, sah Cassie sich nerv?s in der Terminalhalle um. Sie wusste, dass Zane nicht einfach so aufgeben w?rde – nicht, nachdem er sich die M?he gemacht hatte, herzufahren. Er w?rde etwas von ihr wollen, eine Entschuldigung vielleicht oder eine Zusage. Er w?rde sie dazu bringen, mit ihm einen ‚Abschiedsumtrunk‘ zu nehmen und dann einen Streit anfangen. Es w?rde ihn nicht interessieren, wenn sie mit frischen H?matomen in Frankreich ank?me … oder ihren Flug einfach verpasste. Und dann sah sie ihn. Er war auf dem Weg in ihre Richtung und nur noch ein paar Schalter entfernt, w?hrend er jede Schlange sorgf?ltig nach ihr absuchte. Sie drehte sich schnell weg, f?r den Fall, dass er ihren Blick sp?ren konnte. Mit einem Hoffnungsschimmer sah sie, dass sie das Ende der Schlange erreicht hatte. „Ma’am, die m?ssen Sie abnehmen“, sagte die Dame am Schalter und deutete auf Cassies Kapuze. Widerwillig schob sie sie nach hinten. „Hey, Cass!“, rief Zane. Cassie erstarrte und wusste, dass eine Antwort Desaster bedeuten w?rde. Tollpatschig vor Nervosit?t lie? sie ihren Reisepass fallen. Als sie sich danach b?ckte, rutschte ihr kopflastiger Rucksack nach vorne. Ein weiterer Ausruf. Und dieses Mal sah sie ihn an. Er hatte sie gesehen und schob sich mithilfe seiner Ellbogen durch die Schlange. Die Passagiere wurden w?tend; sie konnte ihre erhobenen Stimmen h?ren. Zane verursachte einen Tumult. „Wir w?rden gerne zusammensitzen“, erkl?rte Jess der Dame am Schalter. Cassie biss sich auf die Lippen, weil das eine zus?tzliche Verz?gerung bedeutete. Zane rief wieder und sie realisierte panisch, dass er sie in wenigen Momenten erreicht h?tte. Er w?rde sie mit viel Charme und Liebreiz anbetteln, ihm eine Chance zu geben. Nur um zu reden. Er w?rde ihr versichern, dass er lediglich eine Minute mit ihr alleine brauchte, um ihr zu sagen, was er sagen wollte. Sie wusste aus Erfahrung, dass es sein Ziel war, mit ihr alleine zu sein. Dann w?rde sein Charme verschwinden. „Wer ist der Kerl?“, fragte Jess neugierig. „Meint er dich?“ „Mein Ex-Freund“, murmelte Cassie. „Ich habe versucht, ihm aus dem Weg zu gehen. Ich will nicht, dass er vor meinem Abflug noch ?rger macht.“ „Aber das tut er doch bereits!“ Jess wirbelte zornig herum. „Security!“, rief sie. „Hilfe! Halten Sie diesen Mann auf!“ Von ihren Rufen aufger?ttelt, packte einer der anderen Passagiere Zane an der Jacke, als dieser sich vorbeidr?ngte. Er rutschte mit wild fuchtelnden Armen auf den Fliesen aus und zog einen der Pf?hle mit sich, als er fiel. „Haltet ihn fest“, meinte Jess. „Security, schnell!“ Erleichtert stellte Cassie fest, dass die Sicherheitsbeamten tats?chlich alarmiert worden waren. Zwei Flughafen-Polizisten eilten in ihre Richtung. Sie w?rden rechtzeitig da sein, bevor Zane sie erreichen oder wegrennen konnte. „Ich wollte nur meiner Freundin auf Wiedersehen sagen“, redete Zane los. Doch seine Charme-Versuche trafen bei dem Duo auf Granit. „Cassie“, rief er, w?hrend der gr??ere Beamte ihn am Arm packte. „Au revoir.“ Widerwillig sah sie ihn an. „Au revoir! Das ist kein Abschied“, rief er, w?hrend er von den Polizisten abgef?hrt wurde. „Wir werden uns wiedersehen. Eher als du denkst. Pass auf dich auf.“ Sie h?rte die Warnung in Zanes letzten Worten, aber f?rs erste waren es leere Drohungen. „Vielen, vielen Dank“, sagte sie voller Dankbarkeit f?r ihre mutige Aktion zu Jess. „Ich hatte auch mal eine ungesunde Beziehung“, meinte Jess mitf?hlend. „Ich wei?, wie besitzergreifend sie sein k?nnen. Sie kleben wie Klettverschluss. Es war mir ein Vergn?gen, ihn aufzuhalten.“ „Lass uns durch die Passkontrolle gehen, bevor er einen Weg zur?ckfindet. Ich schulde dir einen Drink. Was m?chtest du? Kaffee? Bier? Wein?“ „Wein nat?rlich“, sagte Jess, w?hrend sie durch die Absperrung zum Gate gingen. „Also, wohin verschl?gt es dich?“, fragte Cassie, nachdem sie ihren Wein bestellt hatten. „Dieses Mal geht es f?r mich zu einer Familie in Versailles. In die N?he des Palastes, wenn ich richtig liege. Ich hoffe, mir den an einem freien Tag ansehen zu k?nnen.“ „Dieses Mal? Warst du schonmal als Au-Pair angestellt?“ „Ja, aber es hat nicht funktioniert.“ Jess lie? einen Eisw?rfel in ihr Glas fallen. „Die Familie war furchtbar. Das hat mich auch davon abgehalten, mich jemals wieder ?ber Maureens Au-Pairs vermitteln zu lassen. Ich bin jetzt bei einer anderen Agentur. Aber keine Sorge“, f?gte sie hastig hinzu. „Ich bin mir sicher, du wirst keine Probleme haben. Maureen muss einige guten Kunden in ihrem Register haben.“ Cassies Mund war pl?tzlich ganz trocken, schnell nahm sie einen gro?en Schluck Wein. „Ich dachte, sie sei seri?s. Schlie?lich lautet ihr Slogan The Premier European Agency – Die F?hrende Agentur F?r Europa.“ Jess lachte. „Naja, das ist nur Marketing. Ich habe schon ganz andere Dinge geh?rt.“ „Was ist mit dir passiert?“, fragte Cassie. „Bitte erz?hle es mir.“ „Nun, die Stellenbeschreibung klang ganz gut, auch wenn einige Fragen, die Maureen mir gestellt hat, etwas besorgniserregend klangen. Sie waren so seltsam, dass ich begann, mich zu fragen, ob mit der Familie etwas nicht stimmte. Keiner meiner Au-Pair-Freunde musste bei den Gespr?chen je solche Fragen beantworten. Und als ich ankam – nun, die Situation war nicht so wie beschrieben.“ „Warum nicht?“ Cassie war inzwischen eiskalt. Sie hatte Maureens Fragen auch komisch gefunden. Zu dem Zeitpunkt hatte sie angenommen, dass jeder Bewerber dasselbe durchstehen musste, dass es ein Test ihrer F?higkeiten war. Und vielleicht war es das auch gewesen … aber nicht aus den Gr?nden, die sie sich vorgestellt hatte. „Die Familie war extremst ungesund“, sagte Jess. „Sie war respektlos und erniedrigend. Meine Aufgaben lagen weit au?erhalb der Grenzen meines Jobs, aber das interessierte sie nicht und sie weigerten sich, daran etwas zu ?ndern. Als ich ank?ndigte, zu gehen, begannen die richtigen Probleme.“ Cassie biss sich auf die Lippe. Sie hatte als Kind ?hnliche Erfahrungen gemacht, erinnerte sich an erhobene Stimmen hinter geschlossenen T?ren, leise Streitereien im Wagen und die allgegenw?rtige Spannung in der Luft. Sie hatte sich immer gefragt, warum ihre Mutter, die so still, unterw?rfig und geschlagen wirkte, mit ihrem aufgeblasenen, aggressiven Mann stritt. Erst nach dem Verkehrsunfalltod ihrer Mutter hatte Cassie realisiert, dass es bei den Diskussionen darum gegangen war, den Frieden zu wahren, der Situation Herr zu werden und Cassie und ihre Schwester von den unvorhersehbaren und unbegr?ndeten Aggressionen ihres Vaters zu sch?tzen. Ohne die Anwesenheit ihrer Mutter hatte sich der schmorende Konflikt in einen ausgewachsenen Krieg entwickelt. Sie hatte sich vorgestellt, als Au-Pair einer gl?cklichen Familie angeh?ren zu k?nnen, wie sie es sich immer gew?nscht hatte. Jetzt f?rchtete sie, das Gegenteil k?nnte der Fall werden. Sie war nie in der Lage gewesen, zu Hause den Frieden zu wahren. W?re sie f?hig dazu, eine unbest?ndige Situation zu managen, wie ihre Mutter es getan hatte? „Ich mache mir Sorgen um meine Familie“, gab Cassie zu. „Auch mir wurden bei dem Interview seltsame Fragen gestellt – und das letzte Au-Pair hat die Familie fr?hzeitig verlassen. Was passiert, wenn ich dasselbe tun muss? Ich will nicht dabei sein, wenn die Situation zu sehr aus dem Ruder ger?t.“ „Geh nur im Notfall“, warnte Jess sie. „Ein vorzeitiges Verlassen der Familie wird einen massiven Konflikt verursachen und einiges an Geld kosten. Denn du wirst f?r zus?tzliche Kosten verantwortlich gemacht. Das hat mich fast davon abgehalten, es erneut zu versuchen. Ich war sehr z?gerlich, diesen Auftrag anzunehmen. Wenn mein Dad dieses Mal nicht f?r alles gezahlt h?tte, w?re ich nicht dazu in der Lage gewesen.“ Sie stellte ihr Weinglas ab. „Sollen wir uns auf den Weg zum Gate machen? Wir sind ziemlich weit hinten im Flugzeug, also werden wir in der ersten Gruppe sein, die an Bord gehen darf.“ Die Aufregung des An-Bord-Gehens lenkte Cassie von dem Gespr?ch ab und sobald sie ihre Pl?tze eingenommen hatten, redeten sie ?ber andere Dinge. Als das Flugzeug abhob, sp?rte sie, wie ihre Stimmung sich ebenfalls hob – einfach, weil sie es getan hatte. Sie hatte das Land verlassen, war Zane entkommen und in der Luft auf dem Weg in ein fremdes Land. Ihr Neustart hatte begonnen. Erst nach dem Abendessen begann sie, intensiver ?ber die Details ihres Auftrags nachzudenken, ebenso wie ?ber die Warnungen, die Jess ausgesprochen hatte. Ihre Bedenken kamen zur?ck. Nicht jede Familie konnte schlecht sein, oder? Aber was, wenn diese Agentur den Ruf hatte, schwierige Familien zu akzeptieren? Dann w?ren die Chancen, selbst einen komplizierten Fall zu erwischen, um einiges h?her. Cassie versuchte, zu lesen, aber merkte schnell, dass sie sich nicht auf die Worte konzentrieren konnte. Ihre Gedanken rasten und sie machte sich Sorgen, was sie erwartete. Sie sah kurz zu Jess hin?ber. Nachdem sie sichergestellt hatte, dass diese mit ihrem Film besch?ftigt war, zog Cassie diskret ihre Pillenflasche aus der Tasche und schluckte eine mit dem letzten Schluck ihrer Cola Light. Wenn sie schon nicht lesen konnte, war es vermutlich am besten, zu schlafen. Sie schaltete ihr Licht aus und lehnte sich zur?ck. * Cassie fand sich in einem zugigen Dachgeschosszimmer wieder, wo sie sich mit dem R?cken gegen die kalte, raue Wand unter dem Bett verzogen hatte. Betrunkenes Gel?chter, dumpfe Schl?ge und Schreie kamen von unten. Eine Orgie, die sich jeden Moment in Gewalt verwandeln konnte. Ihre Ohren warteten angestrengt auf das Zerbrechen von Glas. Sie erkannte die Stimme ihres Vaters und der seiner neuesten Freundin, Deena. Sie waren mindestens zu viert da unten, vielleicht sogar mehr. Und dann, durch die Schreie hindurch, h?rte sie das Krachen der Dielenbretter, als schwere Schritte die Treppe hinaufstiegen. „Hey, kleiner Schatz“, fl?sterte eine tiefe Stimme und ihr zw?lfj?hriges Selbst zuckte vor Angst zusammen. „Bist du da, M?dchen?“ Sie dr?ckte ihre Augen fest zusammen und redete sich ein, dass es nur ein Albtraum war, dass sie sicher im Bett lag und die fremden Menschen unten dabei waren, zu gehen. Langsam und quietschend ?ffnete sich die T?r und im Mondschein sah sie einen gro?en Stiefel. Die Schritte kamen n?her. „Hey, M?dchen.“ Ein rauchiges Fl?stern. „Ich bin hier, um hallo zu sagen.“ Sie schloss die Augen und betete, dass er ihren schnellen Atem nicht h?ren konnte. Das Rascheln der Bettdecke, als er sie zur?ckzog … das ?berraschte Grunzen, als er lediglich Kissen und Mantel entdeckte, die sie darunter drapiert hatte. „Unterwegs“, murmelte er. Sie nahm an, dass er die schmierigen Vorh?nge betrachtete, die im Wind wehten. Das Regenrohr deutete auf eine heikle Fluchtroute hin. N?chstes Mal w?rde sie den Mut finden, hinunter zu klettern. Es konnte nicht schlimmer sein, als sich hier zu verstecken. Die Stiefel verschwanden aus ihrem Blickfeld. Musik dr?hnte von unten, gefolgt von einer lauten Diskussion. Im Raum war es still. Sie zitterte. Wenn sie vorhatte, die Nacht in ihrem Versteck zu verbringen, brauchte sie eine Decke. Vermutlich war es am besten, sich gleich darum zu k?mmern. Sie l?ste sich von der Wand. Doch als sie die Finger unter dem Bett herausschob, wurde sie von einer rauen Hand gepackt. „Hier bist du!“ Er zog sie heraus, w?hrend sie sich an dem Bettrahmen festklammerte. Das kalte, raue Eisengestell schmerzte in ihren H?nden und sie begann, zu schreien. Ihre angsterf?llten Schreie f?llten das Zimmer, das Haus … Schwitzend und schreiend wachte sie auf und h?rte die besorgte Stimme ihrer Nachbarin. „Hey, Cassie. Bist du okay?“ Der Albtraum wirkte noch immer nach und wartete darauf, sie zur?ck zu ziehen. Sie konnte die Sch?rfwunden an ihrem Arm sp?ren, wo das rostige Bettgestell sie verletzt hatte. Sie legte ihre Finger darauf und war erleichtert, ungebrochene Haut vorzufinden. Sie ?ffnete ihre Augen weiter und schaltete das Licht an, um die Dunkelheit zu verscheuchen. „Alles gut. Nur ein b?ser Traum, das ist alles.“ „M?chtest du etwas Wasser? Oder Tee? Ich kann die Stewardess rufen.“ Cassie wollte zuerst h?flich ablehnen, aber dann erinnerte sie sich daran, ihre Medikamente zu nehmen. Wenn eine Tablette nicht wirkte, waren zwei normalerweise ausreicehnd, um die Albtr?ume aufzuhalten. „Wasser w?re prima, danke“, sagte sie. Sie wartete, bis Jess nicht hinsah und schluckte schnell eine weitere Pille. Sie versuchte nicht, wieder einzuschlafen. W?hrend der Landung tauschte sie mit Jess Handynummern aus. Und nur f?r den Notfall schrieb sie sich auch den Namen und die Adresse der Familie, f?r die Jess arbeiten w?rde, auf. Cassie sagte sich selbst, dass es wie eine Versicherung war – wenn sie sie hatte, w?rde sie sie hoffentlich nicht brauchen. Sie versprachen einander, bei der ersten Gelegenheit zusammen das Schloss von Versailles zu besichtigen. Als sie auf dem Rollfeld des Charles de Gaulle Flughafen parkten, lachte Jess aufgeregt. Schnell zeigte sie Cassie ein Selfie ihrer Familie, das diese beim Warten aufgenommen hatte. Das attraktive Paar und die zwei Kinder l?chelten und hielten ein Schild mit dem Namen ‚Jess‘ hoch. Cassie hatte keine Nachricht erhalten. Maureen hatte ihr lediglich gesagt, dass man sie am Flughafen treffen w?rde. Der Gang zur Passkontrolle kam ihr ewig vor. Sie war von dem Geplapper der Gespr?che in verschiedenen Sprach umgeben und als sie versuchte, dem P?rchen zuzuh?ren, das neben ihr lief, realisierte sie, wie wenig gesprochenes Franz?sisch sie tats?chlich zu verstehen in der Lage schien. Die Realit?t war so anders wie Schulunterricht und Sprachaudiotapes. Sie hatte Angst, f?hlte sich einsam und unausgeschlafen. Als sie sich mit den elegant gekleideten, franz?sischen Reisenden verglich, wurde ihr pl?tzlich bewusst, wie verknittert und vollgeschwitzt ihre Kleidung war. Sobald sie ihre Koffer hatte, eilte sie auf die Toilette, zog sich ein frisches Oberteil an und machte ihre Haare zurecht. Sie f?hlte sich immer noch nicht bereit, ihre Familie zu treffen und hatte keine Ahnung, was sie erwartete. Maureen hatte ihr erz?hlt, dass das Haus ?ber eine Stunde Fahrzeit vom Flughafen entfernt lag. Vielleicht waren die Kinder also nicht mitgekommen. Sie w?rde nach keiner gro?en Familie Ausschau halten, irgendein freundliches Gesicht reichte ihr. Doch in dem Menschenmeer schien niemand auf sie zu warten, obwohl sie ihren ‚Maureens Au-Pairs‘-Rucksack gut sichtbar auf dem Gep?ckwagen platziert hatte. Langsam ging sie vom Gate in die Ankunftslounge und sah sich nerv?s nach jemandem um, der sie erkannte, ihr zuwinkte oder ihren Namen rief. Aber jeder schien auf jemand anderen zu warten. Mit kalten H?nden am Griff des Gep?ckwagens durchkreuzte Cassie die Ankunftshalle im Zickzack und durchsuchte die langsam kleiner werdende Menge. Maureen hatte sie nicht auf diese Situation vorbereitet. Sollte sie jemanden anrufen? W?rde ihr Handy in Frankreich ?berhaupt funktionieren? Und dann, als sie eine letzte, panische Runde durch die Halle drehte, sah sie es. „CASSANDRA VALE.“ Ein kleines Notizbrett, das von einem schlanken, dunkelhaarigen Mann in schwarzer Jacke und Jeans gehalten wurde. Er stand in der N?he der Wand, war auf sein Handy konzentriert und sah sich nicht einmal nach ihr um. Sie ging unsicher auf ihn zu. „Hi – ich bin Cassie. Sind Sie …?“. Ihre Worte verebbten, als sie realisierte, dass sie keine Ahnung hatte, wer er sein k?nnte. „Ja“, sagte er mit stark franz?sisch akzentuiertem Englisch. „Hier entlang.“ Sie wollte sich gerade anst?ndig vorstellen und das vortragen, was sie einstudiert hatte – wie aufgeregt sie war, ein Teil der Familie zu werden – als sie das laminierte Schild auf seiner Jacke sah. Er war lediglich ein Taxifahrer und die Karte sein offizieller Flughafenpass. Die Familie hatte sich nicht einmal bequemt, sie selbst von Flughafen abzuholen. KAPITEL DREI Vor Cassies Augen wurde die Stadtlandschaft von Paris sichtbar. Hohe Wohngeb?ude und d?stere Industriebl?cke verwandelten sich langsam in die baumreiche Vorstadt. Der Nachmittag war kalt und grau und stellenweise regnete und windete es. Sie reckte ihren Hals, um die vorbeiziehenden Schilder sehen zu k?nnen. Sie fuhren in Richtung Saint Maur und zeitweise glaubte sie, ihr Reiseziel k?nnte dort liegen. Doch der Fahrer fuhr an der Ausfahrt vorbei und folgte weiter der Stra?e aus der Stadt hinaus. „Wie weit ist es noch?“, fragte sie, um ein Gespr?ch zu beginnen. Doch er grunzte nur unbestimmt und drehte das Radio lauter. Der Regen klopfte gegen die Fenster und sie sp?rte das kalte Glas an ihrer Wange. Sie w?nschte sich ihre dicke Jacke aus dem Kofferraum herbei. Au?erdem hatte sie einen B?renhunger – sie hatte kein Fr?hst?ck gegessen und seither keine Gelegenheit gefunden, sich etwas zu essen zu kaufen. Nach ?ber einer halben Stunde erreichten sie das offene Land und fuhren am Ufer der Marne entlang. Bunt bemalte Binnenschiffe waren die einzigen Farbtupfer in der Tr?bheit. Nur wenige Menschen in Regenjacken liefen unter den B?umen. Einige der B?ume waren bereits kahl, andere trugen noch immer rostbraune und goldene Bl?tter. „Ziemlich kalt heute, nicht wahr?“, bemerkte sie und versuchte sich erneut an einer Unterhaltung mit dem Fahrer. Seine einzige Antwort bestand aus einem gemurmelten ‚oui‘, doch wenigstens schaltete er die Heizung an und ihr Zittern stoppte. In der W?rme des Wagens nickte sie unruhig ein, w?hrend sie Kilometer f?r Kilometer zur?cklegten. Eine scharfe Bremsung und ein schrilles Hupen lie?en sie aufschrecken. Der Fahrer schob sich an einem stehenden LKW vorbei, verlie? den Highway und bog auf eine schmale, mit B?umen ges?umte, Stra?e ab. Der Regen hatte sich verzogen und das fr?habendliche Licht malte den Herbst in wundersch?nen Farben. Cassie sah aus dem Fenster, bewunderte die h?gelige Landschaft und das Patchwork aus Feldern und riesigen, dunklen W?ldern. Sie fuhren an einem Weinbaugebiet vorbei, wo die ordentlichen Rebenreihen sich am H?gel entlangschl?ngelten. Mit verlangsamter Geschwindigkeit passierte der Fahrer ein Dorf. Helle Steinh?user mit gebogenen Fenstern und steilen Ziegeld?chern standen an der Stra?e. Dahinter sah sie offene Felder und als sie an einer Steinbr?cke vorbeikamen, erhaschte sie einen Blick auf den Kanal, der von Trauerweiden ges?umt war. Die hohe Kirchturmspitze zog sie in ihren Bann und sie fragte sich, wie alt das Geb?ude war. Sie mussten nun bald da sein, vielleicht befand sich das Anwesen ja sogar in dieser Nachbarschaft. Doch sie verabschiedete sich schnell von dieser Vermutung, als sie das Dorf verlie?en und sich immer weiter durch die h?gelige Landschaft bewegten. Schlie?lich hatte sie die Orientierung ganz verloren und auch die Spitze des Kirchturms war nun nicht mehr sichtbar. Das GPS wies darauf hin, kein Signal mehr zu haben und der Fahrer brummte ver?rgert. Schlie?lich nahm er sein Handy und betrachtete konzentriert die Karte, w?hrend er fuhr. Und dann bogen sie rechts ab und fuhren zwischen zwei hohen Torpfosten hindurch. Cassie setzte sich aufrechter hin und starrte auf die lange Kieseinfahrt. Vor ihnen lag m?chtig und elegant das Anwesen – die untergehende Sonne beleuchtete auf atemberaubende Weise die Steinw?nde. Die Reifen knirschten auf dem Kies, als der Wagen vor einem gro?en und einsch?chternden Eingang zum Stehen kam. Sie wurde nerv?s; das Geb?ude war viel gr??er, als sie es sich vorgestellt hatte. Es war wie ein Palast mit hohen Schornsteinen und kunstvoll verzierten T?rmchen. Sie z?hlte an der eindrucksvollen Front achtzehn Fenster mit aufw?ndiger Steinarbeit und vielen Details. Das Haus selbst ?berblickte einen gepflegten Garten mit sorgf?ltig getrimmten Hecken und befestigten Wegen. Wie konnte sie sich mit einer Familie identifizieren, die so prachtvoll wohnte, wo sie doch selbst mit Nichts aufgewachsen war? Sie realisierte, dass der Fahrer ungeduldig mit den Fingern gegen das Lenkrad klopfte. Offensichtlich w?rde er ihr nicht mit ihren Koffern helfen. Schnell kletterte sie aus dem Wagen. Im gnadenlosen Wind fror sie sofort und eilte zum Kofferraum, um ihren Koffer herauszuheben, ihn ?ber den Kies zu zerren und sich dann unter dem Vordach unterzustellen, um sich die Jacke zuzuziehen. Es gab keine Klingel an der gro?en Holzt?r, lediglich einen gro?en T?rklopfer aus Eisen, der kalt in ihrer Hand lag. Das Ger?usch war ?berraschend laut und nur wenige Augenblicke sp?ter h?rte Cassie Schritte. Die T?r ?ffnete sich und vor ihr stand eine Hausangestellte in dunkler Uniform mit eng zur?ckgebundenem Pferdeschwanz. Hinter ihr konnte Cassie die gro?e Eingangshalle mit opulenten Wandbeh?ngen und einer riesigen Holztreppe am anderen Ende sehen. Das Hausm?dchen sah sich um, als die T?r zufiel. Sofort sp?rte Cassie die Pr?senz von Streit. Sie konnte die Spannung in der Luft f?hlen wie einen n?herkommenden Sturm; sie war in der nerv?sen Haltung des M?dchens, dem Knallen der T?r und den weitentfernten, chaotischen Schreien, die in Stille ?bergingen, erkennbar. Ihr Inneres zog sich zusammen und sie ?berkam der ?berm?chtige Wunsch, wegzurennen, dem Fahrer nachzueilen und ihn zur?ck zu rufen. Stattdessen blieb sie stehen und zwang sich zu einem L?cheln. „Ich bin Cassie, das neue Au-Pair. Die Familie erwartet mich.“ „Heute?“ Das M?dchen wirkte besorgt. „Einen Moment.“ Als sie ins Haus eilte, h?rte Cassie sie rufen: „Monsieur Dubois, bitte kommen Sie schnell.“ Eine Minute sp?ter eilte ein kr?ftiger Mann mit dunklem Haar, das im Ansatz bereits grau wurde, ins Foyer. Sein Gesicht war verzerrt. Als er Cassie an der T?r warten sah, blieb er ruckartig stehen. „Du bist schon hier?“, sagte er. „Meine Verlobte meinte, du kommst erst morgen fr?h.“ Er drehte sich zu einer jungen Frau mit blond gebleichtem Haar, die ihm gefolgt war. Sie trug ein Abendkleid und ihr attraktives Gesicht war angespannt. „Ja, Pierre. Ich habe die E-Mail ausgedruckt, als ich in der Stadt war. Die Agentur meinte, der Flug lande um vier Uhr morgens.“ Sie drehte sich zu einem verzierten Holztisch, schob einen venezianischen Briefbeschwerer aus Glas beiseite und fuchtelte abwehrend mit einem Blatt. „Hier. Siehst du?“ Pierre schielte auf die Seite und seufzte. „Da steht vier Uhr nachmittags, nicht vormittags. Der Fahrer, den du gebucht hast, kannte offensichtlich den Unterschied.“ Er drehte sich zu Cassie und streckte seine Hand aus. „Ich bin Pierre Dubois. Das ist meine Verlobte, Margot.“ Das Dienstm?dchen stellte er nicht vor. Stattdessen keifte Margot sie an, das Zimmer gegen?ber den Kinderzimmern herzurichten und das M?dchen eilte davon. „Wo sind die Kinder? Schon im Bett? Sie sollten Cassie kennenlernen“, sagte Pierre. Margot sch?ttelte den Kopf. „Sie essen zu Abend.“ „So sp?t? Habe ich dir nicht gesagt, dass an Schultagen fr?her zu Abend gegessen werden soll? Sie haben zwar Ferien, sollten aber dennoch bereits im Bett sein, um ihre Routine nicht zu verlieren.“ Margot starrte ihn an und zuckte ?rgerlich mit den Schultern, bevor sie mit klackernden St?ckelschuhen in den Gang zu ihrer Rechten stiefelte. „Antoinette?“, rief sie. „Ella? Marc?“ Sie wurde von donnernden F??en und lauten Rufen belohnt. Ein dunkelhaariger Junger rannte in das Foyer und hielt eine Puppe an den Haaren. Er wurde dicht von einem j?ngeren, pummeligen M?dchen verfolgt, das laut weinte. „Gib mir meine Barbie zur?ck!“, schrie sie. Sie kamen rutschend ins Stehen, als sie die Erwachsenen sahen und der Junge rannte zur Treppe. Dabei verfing sich seine Schulter an der gebogenen Seite einer gro?en, blau-goldenen Vase. Cassie schlug die H?nde schockiert ?ber dem Mund zusammen, als die Vase auf ihrem Sockel taumelte und dann auf dem Boden zerbarst. Bunte Glassplitter verteilten sich auf dem dunklen Holzboden. Die Schockstille wurde von Pierres w?tendem Bellen gebrochen. „Marc! Gib Ella ihre Puppe zur?ck.“ Schlurfend und schmollend bewegte sich Marc an dem Tr?mmerhaufen vorbei. Widerwillig gab er Pierre die Puppe, der sie an Ella ?berreichte. Ihr Schluchzen verstummte und sie gl?ttete die Haare der Puppe. „Das war eine Durand Vase“, zischte Margot den Jungen an. „Antik. Unersetzlich. Hast du keinen Respekt f?r die Besitzt?mer deines Vaters?“ Er schwieg zur Antwort nur missmutig. „Wo ist Antoinette?“, fragte Pierre und klang frustriert. Margot sah nach oben und als Cassie ihrem Blick folgte, sah sie ein d?nnes, dunkelhaariges M?dchen am oberen Ende der Treppe. Sie schien einige Jahre ?lter als ihre Geschwister zu sein. Sie trug ein elegantes und perfekt geb?geltes Kleid und wartete mit einer Hand an der Br?stung, bis sie die volle Aufmerksamkeit ihrer Familie hatte. Dann kam sie mit erhobenem Kinn die Treppe hinunter. Erpicht darauf, einen guten Eindruck zu machen, r?usperte Cassie sich und versuchte sich an einer freundlichen Begr??ung. „Hallo Kinder. Mein Name ist Cassie. Es freut mich sehr, hier zu sein und nach euch sehen zu d?rfen.“ Ella l?chelte sch?chtern zur?ck, w?hrend Marc unerbittlich gen Boden starrte. Antoinette sah sie lange und herausfordernd an. Dann, ohne ein Wort, wandte sie ihr den R?cken zu. „Bitte entschuldige mich, Papa“, sagte sie zu Pierre. „Ich habe noch Haussaufgaben zu erledigen.“ „Nat?rlich“, sagte Pierre und Antoinette stolzierte wieder die Treppe hinauf. Cassie sp?rte, wie ihr Gesicht vor Scham gl?hte, so bewusst abgelehnt worden zu sein. Sie fragte sich, ob sie etwas sagen, die Situation bereinigen oder Antoinettes unh?fliches Verhalten irgendwie erkl?ren sollte. Aber sie war nicht in der Lage, die passenden Worte zu finden. Margot murmelte w?tend. „Ich hab’s dir doch gesagt, Pierre. Die Teenagerlaunen beginnen bereits.“ Cassie bemerkte, dass sie nicht als einzige von Antoinette ignoriert worden war. „Wenigstens macht sie ihre Hausaufgaben, obwohl ihr niemand dabei hilft“, konterte Pierre. „Ella, Marc, warum stellt ihr euch Cassie nicht anst?ndig vor?“ Kurze Stille. Offensichtlich w?rde sich hier niemand ohne Diskussion vorstellen. Aber vielleicht konnte sie die Spannung mit einigen Fragen aufl?sen. „Also, Marc, ich kenne zwar deinen Namen, aber ich w?sste nur zu gerne, wie alt du bist“, sagte sie. „Ich bin acht“, murmelte er. Es war leicht, eine ?hnlichkeit zwischen ihm und Pierre auszumachen. Das widerspenstige Haar, das starke Kinn, die hellblauen Augen. Sie runzelten sogar die Stirn auf ?hnliche Art und Weise. Die anderen Kinder hatten auch dunkles Haar, aber Ella und Antoinette hatten feinere Gesichtsz?ge. „Und Ella, wie alt bist du?“ „Ich bin fast sechs“, verk?ndete Ella stolz. „Ich habe am Tag nach Weihnachten Geburtstag.“ „Das ist ein prima Tag, um Geburtstag zu haben. Ich hoffe, das bedeutet, dass du extra viele Geschenke bekommst.“ Ella l?chelte ?berrascht, als h?tte sie diesen Vorteil bisher nicht bedacht. „Antoinette ist die ?lteste. Sie ist zw?lf“, sagte sie. Pierre klatschte in die H?nde. „Okay, jetzt ist Schlafenszeit. Margot, zeig Cassie das Haus, nachdem du die Kinder zu Bett gebracht hast. Sie muss wissen, wie sie sich hier zurechtfinden kann. Aber mach schnell. Wir m?ssen um sieben los.“ „Ich muss mich noch fertig machen“, antwortete Margot s?uerlich. „Du kannst die Kinder ins Bett bringen. Und ruf einen Butler f?r dieses Chaos. Ich werde Cassie das Haus zeigen.“ Pierre atmete scharf ein, sah zu Cassie und presste dann die Lippen zusammen. Sie nahm an, dass ihre Anwesenheit ihn dazu verleitet hatte, seine Worte hinunterzuschlucken. „Ab ins Bett“, sagte er und die zwei Kinder folgten ihm unwillig die Treppen hinauf. Sie freute sich, zu sehen, dass Ella sich umdrehte und ihr kurz zuwinkte. „Komm mit mir, Cassie“, befahl Margot. Cassie folgte Margot durch die T?r zu ihrer Linken und fand sich in einer formellen Lounge mit exquisiten, glanzvollen M?belst?cken und Wandteppichen wieder. Der Raum war gro? und k?hl, im riesigen Kamin brannte kein Feuer. „Diese Lounge wird selten benutzt und die Kinder sind hier nicht erlaubt. Der Hauptspeisesaal befindet sich dahinter, dort gelten dieselben Regeln.“ Cassie fragte sich, wie oft der massive Mahagonitisch benutzt wurde. Er wirkte makellos und sie z?hlte sechzehn St?hle mit hohen R?cken. Drei weitere Vasen, die der ?hnelten, die Marc zerbrochen hatte, standen auf dem dunkel polierten Sideboard. Sie konnte sich keine fr?hlichen Essensunterhaltungen an diesem n?chternen und stillen Ort vorstellen. Wie musste es sich anf?hlen, in einem solchen Haus aufzuwachsen? Mit dem Wissen, dass manche R?ume wegen M?beln, die besch?digt werden konnten, tabu waren? Sie nahm an, ein Kind k?nnte das Gef?hl haben, weniger wert zu sein als ein M?belst?ck. „Wir nennen dies den Blauen Raum.“ Es war eine kleinere Lounge mit marineblauen Tapeten und gro?en Glast?ren. Cassie vermutete, dass diese auf eine Veranda oder in einen Innenhof f?hrten, aber es war dunkel und sie konnte im Glas lediglich die Reflektion der ged?mmten Lichter des Zimmers erkennen. Sie w?nschte sich f?r das Haus Lampen mit einer h?heren Wattzahl – die R?ume waren allesamt tr?b beleuchtet und in jeder Ecke lauerten die Schatten. Ihr fiel eine Skulptur ins Auge. Der Sockel der Marmorstatue war zerbrochen worden, also lag sie mit dem Gesicht nach oben auf einem Tisch. Die Gesichtsz?ge wirkten leer und unbeweglich, als bedecke der Stein das Gesicht eines toten Menschen. Die Extremit?ten waren klobig und einfach geschnitzt. Cassie zitterte und mied den unheimlichen Anblick. „Das ist eines unserer wertvollsten St?cke“, informierte Margot sie. „Marc hat es letzte Woche umgeworfen. Wir werden es bald reparieren lassen.“ Cassie dachte an die zerst?rerische Energie den Jungen und die Art und Weise, wie seine Schulter zuvor an der Vase h?ngengeblieben war. War es ein reiner Unfall gewesen? Oder hatte er das unbewusste Bed?rfnis versp?rt, das Glas zu zerbrechen, um in einer Welt, wo Besitzt?mer Priorit?t haben zu schienen, bemerkt zu werden? Margot f?hrte sie auf gleichem Weg zur?ck. „Die Zimmer in diesem Flur bleiben verschlossen. Die K?che befindet sich in dieser Richtung zur Rechten, dahinter sind die Quartiere der Bediensteten. Zur Linken befindet sich au?erdem ein kleiner Salon und der Raum, wo wir als Familie essen.“ Auf dem Weg zur?ck passierten sie einen grau gekleideten Butler mit Besen, Kehrschaufel und B?rste. Er stellte sich zur Seite, als sie an ihm vorbeigingen, aber Margot beachtete ihn ?berhaupt nicht. Der Westfl?gel war wie das Spiegelbild zum Ostfl?gel. Gro?e, abgedunkelte R?ume mit exquisiten M?belst?cken und Kunstwerken. Leer und leise. Cassie zitterte und sehnte sich nach einem gem?tlichen, hellen Licht oder dem vertrauten Ger?usch eines Fernsehger?ts. Wenn so etwas in diesem Haus ?berhaupt existierte. Sie folgte Margot die riesige Treppe in den zweiten Stock hinauf. „Der G?stefl?gel.“ Drei makellose Schlafzimmer mit Himmelbetten, die von zwei ger?umigen Gesellschaftszimmern separiert wurden. Die Zimmer waren ordentlich und unpers?nlich wie Hotelzimmer und die Bettlaken sahen aus, als h?tte man sie glattgeb?gelt. „Und hier ist der Familienfl?gel.“ Cassies Stimmung hellte sich auf. Endlich ein Teil des Hauses, in dem Leute lebten. „Das Kinderzimmer.“ Zu ihrer Verwirrung warte ein weiterer leerer Raum auf sie, der lediglich eine hohe Krippe mit vergitterten Seiten beherbergte. „Und hier sind die Schlafzimmer der Kinder. Unsere Suite befindet sich am Ende des Ganges um die Ecke.“ Drei geschlossene T?ren. Margots Stimme verebbte und Cassie nahm an, dass sie nicht nach den Kindern sehen wollte – nicht einmal, um Gute Nacht zu sagen. „Das ist Antoinettes Zimmer, hier ist Marcs und Ellas ist unserem am n?chsten. Dein Zimmer liegt gegen?ber dem von Antoinette.“ Die T?r stand offen und zwei Dienstm?dchen beeilten sich, das Bett zu machen. Das Zimmer war riesig und eiskalt; die einzigen anderen M?belst?cke waren zwei Lehnsessel, ein Tisch und eine gro?e, h?lzerne Garderobe. Schwere, rote Vorh?nge verh?llten die Fenster. Ihr Koffer war am Fu? ihres Bettes abgestellt worden. „Du wirst die Kinder h?ren, wenn sie weinen oder rufen – bitte k?mmere dich dann um sie. Morgen fr?h m?ssen sie um acht Uhr angezogen und fertig sein. Sie werden nach drau?en gehen, also suche ihnen warme Kleidung heraus.“ „Das werde ich, aber …“ Cassie nahm allen Mut zusammen. „K?nnte ich etwas zu essen bekommen? Ich habe im Flugzeug zum letzten Mal etwas gegessen.“ Margot starrte sie perplex an und sch?ttelte dann den Kopf. „Die Kinder haben fr?h zu Abend gegessen, weil wir ausgehen. Die K?che ist jetzt geschlossen. Morgen um sieben wird Fr?hst?ck serviert. Kannst du bis dahin warten?“ „Ich – ich nehme an.“ Ihr war schlecht vor Hunger und die S??igkeiten in ihrer Tasche, die eigentlich f?r die Kinder gedacht waren, pl?tzlich eine unwiderstehliche Versuchung. „Und ich muss der Agentur mailen und sie wissen lassen, dass ich angekommen bin. W?re es m?glich, das W-Lan-Passwort zu erhalten? Mein Handy hat hier kein Netz.“ Nun wurde Margots Blick leer. „Wir haben kein W-Lan und es gibt hier kein Handynetz. Das Haustelefon befindet sich in Pierres Arbeitszimmer. Um eine E-Mail zu senden, musst du in die Stadt gehen.“ Ohne auf Cassies Antwort zu warten, drehte sie sich um und ging in Richtung ihres Schlafzimmers. Auch die Dienstm?dchen waren verschwunden; sie hatten Cassies Bett in k?hler Perfektion hinterlassen. Sie schloss die T?r. Niemals h?tte sie sich tr?umen lassen, Heimweh zu versp?ren. Aber in diesem Moment sehnte sie sich nach einer freundlichen Stimme, dem Geplapper des TV-Ger?ts und dem Chaos eines gef?llten K?hlschranks. Teller in der Sp?le, Spielzeug auf dem Boden, YouTube-Videos auf dem Handy. Das gl?ckliche Chaos einer normalen Familie. Ein Leben, von dem sie sich vorgestellt hatte, ein Teil werden zu d?rfen. Stattdessen befand sie sich bereits in einem bitteren und komplizierten Konflikt. Sie war nie in der Position gewesen, sofort mit den Kindern Freundschaft zu schlie?en – nicht mit den Familiendynamiken, die sich bereits abgespielt hatten. Dieser Ort war Schauplatz eines Krieges und w?hrend sie m?glicherweise in der jungen Ella eine Alliierte finden konnte, f?rchtete sie, dass Antoinette ihr gegen?ber bereits feindlich gestimmt war. Das Deckenlicht, das zuvor noch geflackert hatte, versagte pl?tzlich ganz. Cassie durchsuchte ihren Rucksack nach ihrem Handy, packte im Taschenlampenlicht so viel aus, wie sie konnte und schloss es schlie?lich an die einzige, sichtbare Steckdose am anderen Ende des Raumes an. Dann stolperte sie durch die Dunkelheit zur?ck in ihr Bett. Kalt, beklommen und hungrig kletterte sie zwischen die k?hlen Laken und zog sie bis zum Kinn nach oben. Sie hatte erwartet, sich nach dem Treffen mit der Familie hoffnungsvoller und optimistischer zu f?hlen. Doch stattdessen zweifelte sie an ihrer F?higkeit, mit ihnen klar zu kommen und f?rchtete sich vor dem kommenden Tag. KAPITEL VIER Die Statue stand in Cassies T?rrahmen und war von Dunkelheit umh?llt. Die leblosen Augen und auch der Mund waren ge?ffnet, als sie sich auf sie zubewegte. Die haarfeinen Risse um die Lippen weiteten sich, dann begann das ganze Gesicht, auseinanderzufallen. Marmorfragmente regneten nach unten und rasselten auf dem Boden. „Nein“, fl?sterte Cassie, aber bemerkte dann, dass sie sich nicht bewegen konnte. Sie war in ihrem Bett gefangen, ihre Arme und Beine erstarrt, obwohl ihr panischer Verstand sie anflehte, zu verschwinden. Die Statue kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu, w?hrend Steinsplitter von ihren Extremit?ten fielen. Die Skulptur begann, zu schreien; es war ein hohes und d?nnes Ger?usch. Dabei sah sie, was sich unter der Marmorh?lle verbogen hatte. Das Gesicht ihrer Schwester. Kalt, grau, tot. „Nein, nein, nein!“, rief Cassie und ihre eigenen Rufe weckten sie. Der Raum war kohlrabenschwarz und sie hatte sich zu einem zitternden Ball zusammengerollt. Sie setzte sich panisch auf und suchte nach einem Lichtschalter, den es nicht gab. Es war ihre schlimmste Angst … die, die sie tags?ber zu verdr?ngen versuchte, sich aber immer wieder in ihre Albtr?ume schlich. Die Angst, dass Jacqui verstorben war. Warum sonst h?tte ihre Schwester einfach damit aufgeh?rt, sich zu melden? Warum hatte sie seit Jahren weder Briefe noch Anrufe erhalten? Vor Angst und K?lte zitternd realisierte Cassie, dass das Ger?usch der klappernden Steine tats?chlich von den Regentropfen stammte, die im Wind wehten und gegen das Fensterglas trommelten. Und sie h?rte ein weiteres Ger?usch. Das Schreien eines Kindes. „Du wirst die Kinder h?ren, wenn sie weinen oder rufen – bitte k?mmere dich dann um sie.“ Cassie war verwirrt und orientierungslos. Sie w?nschte, ein Nachttischlicht anschalten und sich ein paar Minuten nehmen zu k?nnen, um sich zu beruhigen. Der Traum war so real gewesen, dass sie noch immer das Gef?hl hatte, darin gefangen zu sein. Doch das Schreien musste bereits begonnen haben, als sie noch schlief – vielleicht hatte es ihren Albtraum sogar ausgel?st. Sie wurde dringlich gebraucht und musste sich beeilen. Sie schob die Decke von sich und entdeckte, dass das Fenster nicht vollst?ndig verschlossen gewesen war. Regen war durch die ?ffnung gedrungen und der untere Bereich der Bettdecke war tropfnass. Sie stieg aus dem Bett und in die Dunkelheit und begab sich in die Richtung, wo sie ihr Handy vermutete. Eine Wasserpf?tze auf dem Boden hatte die Fliesen in Eis verwandelt. Sie rutschte aus, verlor den Halt und landete mit einem schmerzhaften Knall auf ihrem R?cken. Ihren Kopf stie? sie sich an dem Bettgestell an und dann sah sie nur noch Sterne. „Verdammt“, fl?sterte sie, setzte sich auf die Knie und wartete darauf, dass sich Kopfschmerz und Schwindel legten. Sie krabbelte ?ber den Boden und tastete nach ihrem Handy, mit der Hoffnung, dass es dem Wasser nicht zu nahe gekommenwar. Zu ihrer Erleichterung war diese Seite des Zimmers trocken geblieben. Sie schaltete die Taschenlampe an und stellte sich unter Schmerzen auf die F??e. Ihr Kopf h?mmerte und ihr Shirt war klatschnass. Sie zog es aus und ersetzte es mit den ersten Kleidungsst?cken, die sie finden konnte – Jogginghosen und ein graues Oberteil. Barfu? eilte sie aus dem Zimmer. Mit dem Handylicht suchte sie an den W?nden nach einem Lichtschalter, aber konnte keinen finden. Vorsichtig folgte sie dem Taschenlampenstrahl in Richtung des Schreiens und gelangte schlie?lich zu dem Zimmer, das der Suite der Dubois am n?chsten lag. Ellas Zimmer. Cassie klopfte schnell und ging hinein. Endlich, Licht. Im Gl?hen der Deckenbeleuchtung konnte sie das Einzelbett sehen, das in der N?he des Fensters stand. Ella hatte ihre Decken von sich getreten und schrie im Schlaf, wo sie die D?monen ihres Traums bek?mpfte. „Ella, wach auf!“ Cassie schloss die T?r und setzte sich auf die Bettkante. Sie nahm das M?dchen an den Schultern und f?hlte, dass sie zitterte. Ihr dunkles Haar war matt und ihr Pyjamaoberteil verdreht. Sie hatte ihre blaue Decke ans Bettende getreten und fror vermutlich furchtbar. „Wach auf, alles ist gut. Es ist nur ein Traum.“ „Sie kommen, um mich zu holen!“, schluchzte Ella und versuchte, sich aus ihrem Griff zu l?sen. „Sie kommen, sie warten an der T?r!“ Cassie hielt sie fest und schob sie in eine sitzende Position. Dann zog sie ein Kissen hinter ihren R?cken und gl?ttete ihr Oberteil. Ella zitterte vor Angst und Cassie fragte sich, ob ihr Albtraum ein wiederkehrender war. Was ging in Ellas Leben vor, das einen so realen Terror in ihren Tr?umen ausl?sen konnte? Das kleine M?dchen war total traumatisiert und Cassie hatte keine Ahnung, wie sie sie am besten beruhigen konnte. Sie erinnerte sich nur ungenau an Jacqui, ihre Schwester, die mit einem Besen imagin?re Monster aus einem Schrank gewischt hatte. Aber die Angst hatte ihre Wurzeln in der Realit?t gehabt. Die Albtr?ume hatten begonnen, nachdem Cassie sich w?hrend der betrunkenen Wut ihres Vaters in einem solchen Schrank versteckt hatte. Sie fragte sich, ob auch Ellas Angst in einem realen Ereignis begr?ndet war. Sie musste versuchen, das herauszufinden, aber f?rs erste war es wichtig, sie davon zu ?berzeugen, dass die D?monen verschwunden waren. „Niemand ist hinter dir her. Alles ist gut. Sieh selbst. Ich bin hier und das Licht ist an.“ Ella ?ffnete die Augen. Tr?nenerf?llt starrte sie Cassie f?r einen Moment an, dann drehte sie ihren Kopf und fokussierte ihren Blick auf etwas hinter ihr. Von ihrem eigenen Albtraum ver?ngstigt und Ellas Beharren, „sie“ sehen zu k?nnen, beunruhigt, sah sich Cassie schnell um. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als die T?r polternd aufging. Margot stand mit den H?nden in den H?ften im T?rrahmen. Sie trug ein t?rkisfarbenes Seidengewand und ihr blondes Haar war locker geflochten. Ihre perfekten Gesichtsz?ge wurden nur von Mascara-?berresten getr?bt. Sie tobte vor Wut und Cassie sp?rte, wie ihre Eingeweide sich zusammenzogen. „Warum hat das so lange gedauert?“, keifte Margot. „Ellas Schreien hat uns aufgeweckt, das ging stundenlang so! Wir waren lange aus – wir bezahlen dich nicht daf?r, unseren Schlaf zu st?ren!“ Cassie starrte sie an, von der Tatsache verwirrt, dass Ellas Wohlergehen vermutlich nicht von Wichtigkeit war. „Es tut mir leid“, sagte sie. Ella klammerte sich an sie und es war ihr unm?glich, aufzustehen und ihrer Arbeitgeberin gegen?berzutreten. „Ich kam sofort, als ich sie geh?rt habe. Aber das Licht in meinem Zimmer ist durchgebrannt, es war stockdunkel, also habe ich eine Weile gebraucht, um …“ „Ja, zu lange – und das ist deine erste Warnung! Pierre arbeitet lange und wird w?tend, wenn die Kinder ihn wecken.“ „Aber …“ Mit einer Welle der Entschlossenheit begann Cassie zu sprechen. „H?tten Sie nicht nach Ella sehen k?nnen, als Sie sie schreien h?rten? Es ist meine erste Nacht und ich kenne mich im Dunkeln nicht aus. Ich werde mich bessern, das verspreche ich, aber es ist Ihr Kind, das einen Albtraum hatte.“ Margot machte einen Schritt auf Cassie zu, ihr Gesicht war angespannt. Kurz dachte Cassie, sie w?rde ihr eine bissige Entschuldigung entgegenschleudern, sodass sie gemeinsam eine angestrengte Waffenruhe finden konnten. Aber das geschah nicht. Stattdessen zog Margot blitzschnell ihre Hand heraus und schlug Cassie hart ins Gesicht. Cassie biss einen Aufschrei zur?ck und blinzelte ihre Tr?nen weg, w?hrend Ellas Schreien eskalierte. Ihre Wange brannte, ihre Kopfbeule pochte und ihr Verstand drehte sich, als sie realisierte, dass ihr Arbeitgeber gewaltt?tig war. „Vor dir hat ein K?chenm?dchen deine Aufgaben erledigt. Wir haben viele Bedienstete, das wird auch in Zukunft kein Problem sein. Das ist deine zweite Warnung. Ich toleriere weder Faulheit noch Widerworte von Angestellten. Eine dritte Warnung wird eine sofortige K?ndigung mit sich ziehen. Und jetzt bring das Kind zum Schweigen, damit wir endlich etwas Schlaf bekommen.“ Sie marschierte aus dem Zimmer und schlug die T?r hinter sich zu. Verzweifelt nahm Cassie Ella in die Arme und war unglaublich erleichtert, als ihre lauten Schluchzer leiser wurden. „Es ist okay“, fl?sterte sie. „Alles ist gut, mach dir keine Sorgen. N?chstes Mal werde ich den Weg schneller finden und eher bei dir sein. M?chtest du, dass ich heute Nacht bei dir schlafe? Wir k?nnen das Nachttischlicht anlassen, um besonders sicher zu sein?“ „Ja, bitte bleib hier. Du kannst mir dabei helfen, sie aufzuhalten“, fl?sterte Ella. „Und lass das Licht an. Ich glaube nicht, dass sie es m?gen.“ Das Zimmer war in neutralen Blaut?nen eingerichtet, doch die Nachttischlampe mit ihrem pinken Schirm war hell und beruhigend. Selbst als sie Ella tr?stete, f?hlte Cassie den Drang, sich zu ?bergeben und realisierte, dass ihre H?nde furchtbar zitterten. Sie schob sich unter die Decken und war froh ?ber ihre W?rme, weil ihr eiskalt war. Wie konnte sie f?r jemanden arbeiten, der sie vor den Kindern verbal und k?rperlich angegriffen hatte? Es war undenkbar, unverzeihlich und brachte zu viele eigene Erinnerungen zur?ck, die sie verdr?ngt hatte. Am Morgen w?rde sie sofort packen und verschwinden. Aber … sie hatte noch keine Bezahlung erhalten. Sie w?rde bis zum Monatsende warten m?ssen, um ?berhaupt Geld zu haben. Sie konnte nicht einmal die Fahrt zum Flughafen, geschweige denn die Kosten einer Ticket?nderung, bezahlen. Au?erdem waren da die Kinder. Wie konnte sie sie in den H?nden dieser gewaltt?tigen, unvorhersehbaren Frau lassen? Sie brauchten jemand, der sich um sie k?mmerte – vor allem die kleine Ella. Sie konnte nicht hier sitzen, sie tr?sten, ihr versprechen, dass alles gut werden w?rde und dann am n?chsten Morgen einfach verschwinden. Mit einem Gef?hl der ?belkeit stellte Cassie fest, dass sie keine Wahl hatte. Sie konnte nicht gehen. Sie war finanziell und moralisch dazu verpflichtet, zu bleiben. Sie w?rde versuchen m?ssen, den Balanceakt, den Margots Temperament darstellte, zu bew?ltigen, um eine dritte und letzte Abmahnung zu vermeiden. KAPITEL F?NF Cassie ?ffnete die Augen und starrte verwirrt gegen die unvertraute Zimmerdecke. Sie brauchte einige Sekunden, um sich zu orientieren und zu realisieren, wo sie war – in Ellas Bett, wo das Morgenlicht durch eine L?cke im Vorhang schien. Ella schlief noch tief und fest und war halb unter der Decke vergraben. Cassies Hinterkopf h?mmerte, als sie sich bewegte und der Schmerz erinnerte sie an die Geschehnisse der vergangenen Nacht. Rasch setzte sie sich auf. Sie erinnerte sich an Margots Worte, die brennende Ohrfeige und die erhaltenen Warnungen. Ja, es war ihre Schuld gewesen, nicht sofort bei Ella gewesen zu sein. Aber was danach geschah, war nicht fair gewesen. Als sie versucht hatte, f?r sich einzustehen, war sie nur noch weiter bestraft worden. Vielleicht sollte sie die Hausregeln in Ruhe mit der Familie Dubois besprechen, um sicherzugehen, dass so etwas nicht noch einmal passierte. Warum hatte ihr Wecker noch nicht geklingelt? Sie hatte ihn f?r halb sieben gestellt, um p?nktlich um sieben beim Fr?hst?ck erscheinen zu k?nnen. Cassie checkte ihr Handy und sah schockiert, dass ihr Akku leer war. Die andauernde Netzsuche musste ihn ?berstrapaziert haben. Sie kletterte leise aus dem Bett, ging zur?ck in ihr Zimmer, verband ihr Handy mit dem Netzstecker und wartete nerv?s darauf, dass es sich anschalten lie?. Sie fluchte leise, als sie sah, dass es fast halb acht war. Sie hatte verschlafen und musste nun die Kinder so schnell wie m?glich aufwecken und f?r den Tag vorbereiten. In Ellas Zimmer zog Cassie hektisch den Vorhang auf. „Guten Morgen“, sagte sie. „Es ist ein wundersch?ner, sonniger Tag und Zeit f?rs Fr?hst?ck.“ Doch Ella wollte nicht aufstehen. Es musste sie einiges an Anstrengung gekostet haben, nach ihrem Albtraum wieder einzuschlafen und sie war nun miesmutig gelaunt. M?rrisch und m?de klammerte sie sich unter Tr?nen an ihre Bettdecke. Schlie?lich erinnerte sich Cassie an die S??igkeiten, die sie mitgebracht hatte und versuchte, Ella mit Bestechung aus dem Bett zu kriegen. „Wenn du in f?nf Minuten fertig bist, bekommst du eine Schokolade.“ Doch die Bem?hungen waren noch nicht zu Ende, denn Ella weigerte sich, anzuziehen, was Cassie ihr ausgesucht hatte. „Ich will heute ein Kleid anziehen“, sagte sie beharrlich. „Aber Ella, dir wird kalt werden, wenn wir nach drau?en gehen.“ „Mir egal. Ich will ein Kleid anziehen.“ Cassie schaffte es schlie?lich, einen Kompromiss zu finden: Sie w?hlte das w?rmste Kleid aus, das sie finden konnte – ein lang?rmeliges Kordkleid mit langen Str?mpfen und gef?tterten Stiefeln. Ella sa? mit schwingenden Beinen und bebender Unterlippe auf dem Bett. Ein Kind geschafft, zwei waren noch ?brig. Als sie Marcs Schlafzimmert?r ?ffnete, war sie erleichtert, zu sehen, dass er wach war und das Bett bereits verlassen hatte. In seinen roten Pyjamas spielte er mit einer Soldatenarmee, die auf dem Boden ausgebreitet war. Die gro?e Spielzeugkiste unter seinem Bett war ge?ffnet; Modellautos und eine ganze Herde Bauernhoftiere lagen darum verteilt. Cassie musste vorsichtig gehen, um nirgendwo draufzutreten. „Hallo, Marc. Sollen wir fr?hst?cken gehen? Was m?chtest du anziehen?“ „Ich m?chte ?berhaupt nichts anziehen. Ich will spielen“, antwortete Marc. „Du kannst danach weiterspielen, aber nicht jetzt. Wir sind sp?t dran und m?ssen uns beeilen.“ Zur Antwort brach Marc in lautes Weinen aus. „Bitte weine nicht“, bettelte Cassie und war sich den kostbaren Minuten bewusst, die unterdes verstrichen. Aber seine Tr?nen wurden immer dramatischer, als labe er sich an ihrer Panik. Er weigerte sich, den Pyjama auszuziehen und selbst das Versprechen auf Schokolade konnte seine Meinung nicht ?ndern. Als sie am Ende ihrer Weisheit war, st?lpte Cassie ihm Hausschuhe ?ber die F??e, nahm ihn an die Hand, steckte einen Soldaten in seine Pyjamatasche und ?berzeugte ihn davon, ihr zu folgen. Als sie an Antoinettes T?r klopfte, erhielt sie keine Antwort. Das Zimmer war leer und das Bett gemacht. Ein pinkes Nachthemd lag ordentlich gefaltet auf dem Kissen. Hoffentlich hatte Antoinette sich selbst zum Fr?hst?ck begeben. Pierre und Margot sa?en bereits im informellen Esszimmer. Pierre trug einen Anzug und Margot war ebenfalls elegant gekleidet. Ihr Makeup war makellos und ihr Haar lag in Locken auf ihren Schultern. Als Cassie den Raum betrat, blickte sie auf und Cassie sp?rte, wie ihr Gesicht rot wurde. Schnell half sie Ella auf einen Stuhl. „Entschuldigen Sie die Versp?tung“, erkl?rte sie besch?mt und defensiv. „Antoinette war nicht in ihrem Zimmer; ich bin mir nicht sicher, wo sie ist.“ „Sie hat bereits gefr?hst?ckt und ?bt nun Klavier.“ Pierre gestikulierte mit seinem Kopf in Richtung des Musikzimmers, bevor er sich einen weiteren Kaffee einschenkte. „H?r mal. Vielleicht erkennst du das St?ck – ‚The Blue Danube.‘“ Cassie h?rte tats?chlich eine akkurate Interpretation eines bekannt klingenden St?cks. „Sie ist sehr talentiert“, erwiderte Margot, aber ihr saurer Ton passte nicht zu ihren Worten. Cassie sah sie nerv?s an. W?rde sie die Ereignisse der vergangenen Nacht kommentieren? Doch als Margot sie k?hlschweigend ansah, fragte sich Cassie pl?tzlich, ob ihre Erinnerungen ihr einen Streich spielten. Ihr Hinterkopf war hart und geschwollen, wo sie auf den Boden gefallen war. Doch als sie ihre linke Wange ber?hrte, bezeugte nichts die brennende Ohrfeige. Oder war es die rechte Seite gewesen? Es machte ihr Angst, sich nicht daran erinnern zu k?nnen. Sie dr?ckte ihre Finger auf die rechte Gesichtsseite, konnte aber auch dort keine Druckempfindlichkeit feststellen. Cassie ?berzeugte sich davon, sich nicht mit den Einzelheiten aufzuhalten. Sie war nach dem harten Schlag auf den Kopf und einer m?glichen Gehirnersch?tterung unm?glich bei klarem Verstand gewesen. Margot hatte sie definitiv bedroht, aber Cassies Fantasie hatte m?glicherweise die Ohrfeige erfunden. Schlie?lich war sie nach ihrem eigenen Albtraum ersch?pft und desorientiert gewesen. Marc unterbrach ihre Gedanken, als er Fr?hst?ck verlangte. Sie schenkte den Kindern Orangensaft ein und servierte ihnen Essen von den Tabletts. Ella bestand darauf, die letzten Schinken- und K?sescheiben zu nehmen, also begn?gte sich Cassie mit einem Marmeladencroissant und geschnittenen Fr?chten. Margot trank schweigend ihren Kaffee und sah aus dem Fenster. Pierre bl?tterte durch die Zeitung, w?hrend er seinen Toast zu Ende a?. War das Fr?hst?ck hier immer so leise? Kein Elternteil machte Anstalten, sich mit ihr, den Kindern oder einander zu besch?ftigen. Lag es daran, dass sie in Schwierigkeiten war? Vielleicht sollte sie die Konversation beginnen und die Dinge wieder in Ordnung bringen. Sie musste sich offiziell daf?r entschuldigen, Ella erst so sp?t geh?rt zu haben. Aber sie w?rde auch klarstellen, dass ihre Bestrafung ihrer Meinung nach nicht fair gewesen war. Cassie ?berlegte sich genau, was sie sagen wollte. „Ich wei?, dass ich mich letzte Nacht zu sp?t um Ella gek?mmert habe. Ich habe ihr Weinen nicht geh?rt. N?chstes Mal werde ich meine Schlafzimmert?r offenstehen lassen. Allerdings habe ich das Gef?hl, nicht fair behandelt worden zu sein. Ich wurde bedroht und bel?stigt und erhielt innerhalb von wenigen Minuten zwei Verwarnungen. K?nnen wir also bitte die Hausregeln besprechen?“ Nein, das w?rde nicht funktionieren – viel zu direkt. Sie wollte nicht feindselig r?berkommen und brauchte deshalb einen sanfteren Ansatz. Einen, der Margot nicht noch feindlicher stimmen w?rde. „Ist der Morgen heute nicht wundersch?n?“ Ja, das war ein guter Anfang, mit dem sie der Unterhaltung eine positive Richtung geben konnte. Von dort w?rde sie langsam auf das eigentliche Thema ?bergehen. „Ich wei?, dass ich mich letzte Nacht zu sp?t um Ella gek?mmert habe. Ich habe ihr Weinen nicht geh?rt. N?chstes Mal werde ich meine Schlafzimmert?r offenstehen lassen. Allerdings w?rde ich gerne einige Hausregeln besprechen, die beinhalten, wie wir uns untereinander verhalten und wann Verwarnungen ausgeteilt werden. Ich m?chte sichergehen, gute Arbeit zu leisten.“ Cassie r?usperte sich nerv?s und legte die Gabel nieder. Doch gerade als sie den Mund aufmachen wollte, faltete Pierre seine Tageszeitung zusammen und stand gemeinsam mit Margot auf. „Habt einen angenehmen Tag, Kinder“, sagte Pierre, als sie den Raum verlie?en. Cassie starrte ihnen verwirrt hinterher. Sie hatte keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Man hatte ihr gesagt, dass die Kinder um acht Uhr bereit sein mussten – aber bereit f?r was? Es war vermutlich am besten, Pierre nachzugehen und ihn zu fragen. Sie begab sich zur T?r, doch als sie sie erreichte, stie? sie beinahe mit einer l?chelnden Frau zusammen, die Personaluniform trug und ein Essenstablett in der Hand hielt. „Ah – ups. Hier. Gerettet.“ Sie stabilisierte das Tablett und schob die Schinkenscheiben zur?ck an ihren Ort. „Du bist das neue Au-Pair, oder? Ich bin Marnie, die Hauswirtschafterin.“ „Sch?n, dich kennenzulernen“, sagte Cassie und realisierte, dass sie die erste l?chelnde Person war, der sie heute bereits begegnet war. Nachdem sie sich vorgestellt hatte, fragte sie: „Ich wollte gerade Pierre fragen, was die Kinder heute vorhaben.“ „Zu sp?t. Er ist bestimmt bereits weg, sie waren direkt auf dem Weg zum Wagen. Hat er keine Anweisungen hinterlassen?“ „Nein. Nichts.“ Nachdem Marnie das Tablett abgestellt hatte, gab Cassie Marc mehr K?se und nahm sich selbst Toast, Schinken und ein hartgekochtes Ei, um ihren Hunger zu stillen. Ella weigerte sich, den Essensberg auf ihrem Teller aufzuessen und schob ihn lediglich verdrie?lich mit der Gabel hin und her. „Vielleicht kannst du die Kinder selbst fragen“, schlug Marnie vor. „Antoinette wird wissen, ob etwas arrangiert wurde. Ich w?rde allerdings dazu raten, sie erst nach ihrer Klavier?bung zu fragen. Sie mag es nicht, wenn ihre Konzentration gest?rt wird.“ War es ihre Imagination oder hatte Marnie bei diesen Worten die Augen verdreht? Ermutigt fragte Cassie sich, ob sie wohl Freunde werden k?nnten. In diesem Haus brauchte sie eine Alliierte. Aber f?rs erste war keine Zeit, um Freundschaften zu schlie?en. Marnie war offensichtlich in Eile. Sie sammelte leere Teller und dreckige Tabletts ein, w?hrend sie Cassie fragte, ob mit ihrem Zimmer alles in Ordnung gewesen sei. Cassie erkl?rte schnell ihre Probleme und nachdem sie versprochen hatte, die Laken zu wechseln und die Gl?hbirne noch vor dem Mittagessen auszutauschen, verlie? die Hauswirtschafterin das Zimmer. Die Klaviermusik war verstummt, also begab sich Cassie zum Musikraum in der N?he des Flures. Antoinette packte gerade die Notenbl?tter zusammen. Sie drehte sich um und sah Cassie misstrauisch an, als sie das Zimmer betrat. Sie trug ein makelloses, k?nigsblaues Kleid. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz zur?ckgebunden und ihre Schuhe gl?nzten. „Du siehst wunderh?bsch aus, Antoinette. Die Farbe des Kleides steht dir ausgezeichnet“, sagte Cassie und hoffte, sich mit den Komplimenten bei dem ablehnenden M?dchen beliebt zu machen. „Hast du f?r heute irgendetwas geplant? Aktivit?ten oder etwas anderes?“ Antoinette dachte kurz nach und sch?ttelte dann den Kopf. „Heute nicht“, sagte sie entschieden. „Und Marc oder Ella? Haben die beiden etwas vor?“ „Nein. Morgen hat Marc Fu?balltraining.“ Antoinette schloss den Klavierdeckel. „Gibt es etwas, was du heute gerne machen w?rdest?“ Vielleicht w?rde es ihrer Beziehung helfen, Antoinette die Wahl zu ?berlassen. „Wir k?nnten im Wald spazieren gehen. Das machen wir alle gerne.“ „Wo ist der Wald?“ „Etwa zwei oder drei Kilometer an der Stra?e entlang.“ Das dunkelhaarige M?dchen machte einige vagen Handbewegungen. „Wir k?nnen sofort losgehen. Ich kann dir den Weg zeigen, ich muss mich nur kurz umziehen.“ Cassie hatte angenommen, dass sich der Wald auf dem Anwesen befand und war von Antoinettes Antwort ?berrascht. Aber ein Spaziergang im Wald – das klang nach einer netten und gesunden Outdooraktivit?t. Cassie war sich sicher, dass Pierre damit einverstanden w?re. * Zwanzig Minuten sp?ter waren sie bereit, loszugehen. Cassie sah auf dem Weg nach unten in jedes Zimmer hinein und hoffte, Marnie oder ein anderes Mitglied des Personals zu treffen, um ihnen zu sagen, wohin sie gingen. Sie entdeckte niemanden und hatte auch keine Ahnung, wo sie suchen sollte. Antoinette war ungeduldig und sprang vor Aufregung von einem Fu? auf den anderen. Cassie entschied sich, dass es wichtiger war, ihrer guten Laune zu folgen, vor allem, weil sie ja nicht vorhatten, lange wegzubleiben. Sie verlie?en die Kieseinfahrt und Antoinette ging voraus. Hinter einem gro?en Eichenbaum sah Cassie f?nf St?lle, die sie bereits am Vortag entdeckt hatte. Sie ging n?her, um sie sich genauer anzusehen und sah, dass sie leer und dunkel waren; die Stallt?ren standen offen. Die Koppel war ebenfalls nicht belegt und die Holzlatten teilweise zerbrochen. Das Tor hing aus den Angeln und das Gras wuchs lang und wild. „Habt ihr hier Pferde?“, fragte sie Antoinette. „Vor vielen Jahren hatten wir mal welche, aber die gibt es schon lange nicht mehr“, antwortete sie. „Keiner von uns reitet mehr.“ Cassie starrte die verlassenen St?lle an, w?hrend sie diese Nachricht verdaute. Maureen hatte ihr falsche und extremst veraltete Informationen gegeben. Die Pferde hatten in ihrer Entscheidung, herzukommen, eine gro?e Rolle gespielt. Sie waren ein Anreiz gewesen – der Ort war ihr aufgrund der Tiere besser, ansprechender und lebendiger erschienen. Aber es gab sie schon lange nicht mehr. W?hrend dem Bewerbungsgespr?ch hatte Maureen behauptet, sie k?nne hier reiten lernen. Warum hatte sie die Sachlage falsch dargestellt? Welche L?gen hatte sie ihr sonst noch erz?hlt? „Komm schon!“, Antoinette zupfte ungeduldig an ihrem ?rmel. „Wir m?ssen los!“ Als Cassie sich wegdrehte, fiel ihr ein, dass Maureen keinen Grund gehabt hatte, ihr falsche Informationen zu geben. Ihre ?brigen Beschreibungen bez?glich des Hauses und der Familie waren relativ zutreffend gewesen und als Agentin konnte sie lediglich die Fakten weitergeben, die ihr pr?sentiert worden waren. Dann muss es Pierre gewesen sein, der gelogen hatte. Und ihr wurde klar, dass das noch problematischer war. Sobald sie die Biegung hinter sich gelassen hatten und das Schloss au?er Sichtweite war, verlangsamte Antoinette ihren Schritt. Keine Sekunde zu fr?h f?r Ella, die sich beschwerte, dass ihre F??e wehtaten. „H?r auf zu jammern“, sagte Antoinette. „Papa sagt immer, du darfst nicht jammern.“ Cassie hob Ella hoch und trug sie, doch sie schien bei jedem Schritt schwerer zu werden. Sie trug bereits einen Rucksack mit den Jacken der Kinder und ihre letzten paar Euros in ihren Seitentaschen. Marc r?uberte vor ihnen, brach ?ste von Hecken und warf sie wie Speere auf die Stra?e. Cassie musste ihn andauernd daran erinnern, sich vom Asphalt fernzuhalten. Er war so unachtsam, dass er sich leicht vor einen entgegenkommenden Wagen werfen k?nnte. „Ich habe Hunger!“, beschwerte sich Ella. Verzweifelt dachte Cassie an ihr unber?hrtes Fr?hst?ck. „Hinter der n?chsten Kurve gibt es einen Kiosk“, sagte Antoinette. „Dort gibt es kalte Getr?nke und Snacks.“ Sie wirkte an diesem Morgen sonderlich gut gelaunt, auch wenn Cassie keine Ahnung hatte, woran das lag. Aber sie war froh, dass Antoinette den Anschein machte, sich f?r sie zu erw?rmen. Sie hoffte, in dem Kiosk eine billige Uhr erstehen zu k?nnen, da sie ohne Handy keine Ahnung hatte, wie sp?t es war. Doch der Laden entpuppte sich als G?rtnerei, die Setzlinge, Baby-B?ume und D?nger verkaufte. Der Kiosk an der Ladenkasse bot lediglich Erfrischungsgetr?nke und Snacks an. Der ?ltere Ladenbesitzer, der auf einem Barhocker neben dem Gasofen sa?, erkl?rte ihr, dass sie sonst nichts hatten. Die Preise waren unglaublich hoch und sie z?hlte gestresst ihren d?rftigen Geldscheinb?ndel, um jedem Kind Schokolade und einen Saft zu kaufen. W?hrend sie bezahlte, rannten die Kinder ?ber die Stra?e, um die Esel zu begutachten. Cassie rief ihnen nach, zur?ckzukommen, doch sie ignorierten sie. Der grauhaarige Mann zuckte mitf?hlend mit den Schultern. „Kinder eben. Sie kommen mir bekannt vor. Wohnen Sie in der N?he?“ „Ja. Das sind die Kinder der Dubois. Ich bin das neue Au-Pair und heute ist mein erster Arbeitstag“, erkl?rte Cassie. Sie hoffte auf nachbarschaftliche Best?tigung, doch stattdessen weiteten sich die Augen des Mannes alarmiert. „Die Dubois? Sie arbeiten f?r die?“ „Ja.“ Cassies ?ngste kamen zur?ck. „Warum? Kennen Sie sie?“ Er nickte. „Jeder kennt die Dubois. Und Diane, Pierres Frau, hat manchmal bei mir Pflanzen gekauft.“ Er sah ihr verwundertes Gesicht. „Die Mutter der Kinder“, erkl?rte er. „Sie ist letztes Jahr verstorben.“ Cassie starrte ihn mit dr?hnendem Kopf an. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade geh?rt hatte. Die Mutter der Kinder war verstorben und zwar erst im vergangenen Jahr. Warum hatte ihr niemand davon erz?hlt? Auch Maureen hatte nichts erw?hnt. Cassie hatte angenommen, dass Margot ihre Mutter war, bemerkte aber nun ihre Naivit?t. Margot war viel zu jung, um die Mutter einer Zw?lfj?hrigen zu sein. Diese Familie hatte erst k?rzlich einen Verlust erlitten, war von einer Trag?die auseinandergerissen worden. Maureen h?tte sie dar?ber aufkl?ren m?ssen. Aber Maureen hatte nichts von den Pferden gewusst, weil man es ihr vermutlich nicht erz?hlt hatte. Mit stechender Angst fragte sich Cassie, ob Maureen auch davon nichts gewusst hatte. Was war mit Diane geschehen? Wie ging Pierre mit dem Verlust um? Wie hatte dieser die Kinder und die gesamte Familiendynamik beeinflusst? Was hielten sie von Margots Ankunft im Haus? Sie wunderte sich nicht mehr ?ber das angespannte Gef?hl, das wie ein Drahtseil in jeder Interaktion innerhalb des Hauses pr?sent war. „Das ist – das ist wirklich traurig“, stotterte sie und realisierte, dass der Ladenbesitzer sie neugierig ansah. „Ich habe nicht gewusst, dass sie so k?rzlich verstorben ist. Ich nehme an, ihr Tod war f?r alle eine traumatische Erfahrung.“ Mit tiefem Stirnrunzeln h?ndigte der Mann ihr das Wechselgeld aus und sie steckte die M?nzen ein. „Ich bin mir sicher, Sie kennen den Hintergrund der Familie.“ „Ich wei? nicht viel, w?rde es also wirklich zu sch?tzen wissen, wenn Sie mir erz?hlen k?nnten, was geschehen ist.“ Cassie beugte sich nerv?s ?ber den Tresen. Er sch?ttelte den Kopf. „Es ist nicht meine Aufgabe, mehr zu sagen. Sie arbeiten f?r die Familie.“ Warum machte das einen Unterschied, fragte sich Cassie. Ihre Fingern?gel vergruben sich unter ihrer Nagelhaut und ihr wurde bewusst, dass sie ihre alte Stressgewohnheit wieder aufgenommen hatte. Was der ?ltere Mann ihr erz?hlt hatte, war besorgniserregend genug – was er sich weigerte, ihr zu sagen, war noch schlimmer. Vielleicht w?rde er ihr gegen?ber offener sein, wenn sie ehrlich mit ihm war. „Ich verstehe die Situation hier ?berhaupt nicht und habe Angst, mich ?bernommen zu haben. Um ehrlich zu sein, hat mir niemand davon erz?hlt, dass Diane gestorben ist. Ich wei? nicht, was geschehen ist oder wie die Situation davor aussah. Es w?rde mir wirklich helfen, die Familie besser zu verstehen.“ Er nickte mitf?hlend, doch dann klingelte das Telefon in seinem B?ro und sie wusste, dass die Gelegenheit vorbei war. Er ging, um zu antworten und schloss die T?r hinter sich. Entt?uscht drehte sich Cassie vom Tresen weg und schulterte ihren Rucksack, der sich nun zweimal so schwer anf?hlte. Vielleicht waren es die zerm?rbenden Informationen, die der Mann ihr gegeben hatte, die sie nun herunterdr?ckten. Als sie den Laden verlie?, fragte sie sich, ob sie die M?glichkeit haben w?rde, alleine zur?ckzukommen, um mit dem alten Mann zu sprechen. Er kannte die Geheimnisse der Familie Dubois und sie hoffte verzweifelt, diese herauszufinden. KAPITEL SECHS Ellas erschrockener Schrei brachte Cassie ruckartig zur?ck in die Gegenwart. Sie blickte ?ber die Stra?e und sah zu ihrem Entsetzen, dass Marc durch den Holzzaun geklettert war und nun einer immer gr??er werdenden Herde haariger, grauer und lehmverkrusteter Esel Gras hinstreckte. Sie legten ihre Ohren an und knabberten aneinander, w?hrend sie sich an ihn dr?ngten. Ella schrie erneut, als einer der Esel Marc anrempelte, sodass dass dieser r?cklings auf dem Boden landete. „Komm raus!“, rief Cassie und rannte ?ber die Stra?e. Sie beugte sich ?ber den Zaun, packte ihn an seinem T-Shirt und zog ihn zu sich, bevor er totgetrampelt wurde. Hatte das Kind Todessehns?chte? Sein Shirt war klatschnass und dreckig und sie hatte keinen Ersatz dabei. Zum Gl?ck schien die Sonne, aber sie sah bereits, wie sich im Westen die Wolken sammelten. Als sie Marc seine Schokolade gab, stopfte er sich den ganzen Riegel in den Mund. Mit vollen Backen lachte er los und spuckte Schokost?ckchen auf den Boden, dann rannte er mit Antoinette davon. Ella schob ihre Schokolade beiseite und begann, laut zu weinen. Cassie nahm das kleine M?dchen wieder auf den Arm. „Was ist los? Hast du keinen Hunger?“, fragte sie. „Nein. Ich vermisse meine Mama“, schluchzte sie. Cassie nahm sie fest in den Arm und sp?rte Ellas warme Wange an ihrer. „Es tut mir leid, Ella. Es tut mir so leid. Ich habe eben erst davon geh?rt. Du musst sie furchtbar vermissen.“ „Ich w?nschte, Papa w?rde mir sagen, wo sie hingegangen ist“, klagte Ella. „Aber …“ Cassie suchte nach Worten. Der Ladenbesitzer hatte klargemacht, dass Diane Dubois verstorben war. Warum war Ella anderer Ansicht? „Was hat dein Papa dir erz?hlt?“, fragte sie vorsichtig. „Er hat gesagt, dass sie weggegangen ist, wollte aber nicht sagen, wohin. Er hat nur gemeint, dass sie weg ist. Warum ist sie gegangen? Ich will, dass sie zur?ckkommt!“ Ella dr?ckte ihren Kopf an Cassies Schulter und weinte sich das Herz aus. Cassies Kopf drehte sich. Ella muss damals vier gewesen sein und h?tte sicherlich verstanden, was es bedeutete, zu sterben. Es muss eine Zeit der Trauer und eine Beerdigung gegeben haben. Oder vielleicht nicht? Sie scheute sich, an die Alternative zu denken. Hatte Pierre Ella bewusst angelogen und ihr den Tod seiner Frau verheimlicht? „Ella, sei nicht traurig“, sagte sie und rieb ihr z?rtlich die Schultern. „Manchmal gehen Leute eben und kommen nicht zur?ck.“ Sie dachte an Jacqui und fragte sich wieder einmal, ob sie je herausfinden w?rde, was wirklich mit ihr geschehen war. Das Unwissen war furchtbar. Auch wenn der Tod tragisch war, so war er doch wenigstens abschlie?end. Cassie konnte sich nur vorstellen, welche Qual Ella durchmachen musste, indem sie glaubte, dass ihre eigene Mutter sie ohne Abschied einfach verlassen hatte. Kein Wunder, dass sie an Albtr?umen litt. Sie musste herausfinden, was wirklich geschehen war, falls noch mehr dahintersteckte. Sie war zu sch?chtern, um Pierre direkt zu fragen. Solange er das Thema nicht selbst erw?hnte, w?rde sie nicht darauf zu sprechen kommen. Aber vielleicht konnten die anderen Kinder ihr ihre Version erz?hlen, wenn sie sie zur richtigen Zeit fragte. Vermutlich war das die beste Strategie. Antoinette und Marc warteten an der Weggabelung. Endlich sah Cassie den Wald. Antoinette musste die Entfernung untersch?tzt haben, denn sie waren bestimmt schon f?nf Kilometer gegangen. Die G?rtnerei war das letzte Geb?ude gewesen, das sie passiert hatten. Die Stra?e hatte sich in einen schmalen Weg verwandelt; der Asphalt war rissig und kaputt, die Hecken buschig und wild. „Du und Ella k?nnt diesen Weg hinuntergehen“, meinte Antoinette und zeigte auf einen ?berwachsenen Pfad. „Es ist eine Abk?rzung.“ Dankbar begab Cassie sich den schmalen Pfad hinunter und schob sich an zahlreichen blattreichen B?schen vorbei. Bald begann die Haut auf ihren Armen so sehr zu brennen, dass sie aufschrie, weil sie glaubte, von einem Wespenschwarm gestochen worden zu sein. Als sie nach unten sah, bemerkte sie einen geschwollenen Ausschlag auf ihrer Haut, der dort auftrat, wo sie die B?sche ber?hrt hatte. Und dann schrie auch Ella. „Mein Knie brennt!“ Auf ihrer Haut bildete sich nun ebenfalls ein Ausschlag; die tiefroten Quaddeln waren auf ihrem weichen, hellen Knie gut zu erkennen. Cassie duckte sich zu sp?t und ein Zweig schlug ihr gegen das Gesicht. Sofort begann ihr Gesicht, zu brennen und sie schrie alarmiert auf. Sie konnte Antoinettes schrilles, aufgeregtes Gel?chter h?ren. „Vergrab deinen Kopf in meiner Schulter“, kommandierte Cassie und legte ihre Arme fest um das kleine M?dchen. Tief ein- und ausatmend marschierte sie den Pfad entlang und schob sich wie blind durch die brennenden Bl?tter, bis sie endlich eine Lichtung erreichte. Antoinette schrie vor Schadenfreude und kr?mmte sich ?ber einen umgest?rzten Baumstamm. Marc, von ihrer Heiterkeit angesteckt, tat es ihr gleich. Keinen schienen Ellas aufgebrachte Tr?nen zu st?ren. „Du wusstest, dass der Weg voller Gift-Efeu ist“, beschuldigte Cassie sie, w?hrend sie Ella auf den Boden stellte. „Brennnesseln“, korrigierte Antoinette sie und lachte wieder los. Es war ein h?ssliches, grausames Ger?usch. Das Kind zeigte sein wahres Gesicht und kannte kein Erbarmen. Die pl?tzliche Welle der Wut ?berraschte Cassie. F?r einen Moment war ihr einziger Wunsch, Antoinettes arrogantes, kicherndes Gesicht so hart zu schlagen, wie sie konnte. Die Macht ihres ?rgers war furchteinfl??end. Sie ging tats?chlich einen Schritt nach vorne und hob ihre Hand, bevor die Vernunft ?berwog und sie sich, erschrocken von sich selbst, schnell wegdrehte. Sie ?ffnete ihren Rucksack und suchte nach ihrer einzigen Wasserflasche. Sie rieb etwas Wasser ?ber Ellas Knie und leerte den Rest ?ber ihre eigene Haut, um das Brennen zu mindern. Aber jedes Mal, wenn sie die geschwollenen Stellen ber?hrte, schien der Schmerz schlimmer zu werden. Sie sah sich nach einem Brunnen um, wo sie den Ausschlag mit kaltem Wasser k?hlen konnte. Aber da war nichts. Dieser Wald war nicht so familienfreundlich, wie sie es erwartet hatte. Es gab keine B?nke und keine Hinweisschilder, keine M?lleimer, Brunnen oder instandgehaltene Wege. Vor ihr lag der uralte, dunkle Wald mit riesigen Birken, Tannen und Fichten, die sich aus dem verwachsenen Dickicht gen Himmel reckten. „Wir m?ssen jetzt nach Hause gehen“, sagte sie. „Nein“, stritt Marc. „Ich will erst entdecken.“ „Das ist kein sicherer Ort f?r Entdeckungen. Es gibt nicht einmal einen richtigen Weg. Und es ist zu dunkel. Au?erdem solltest du jetzt deine Jacke anziehen, sonst bekommst du eine Erk?ltung.“ „Von wegen – fang mich doch!“ Mit schelmischem Gesichtsausdruck schoss der Junge davon und rannte geschickt zwischen den B?umen hindurch. „Verdammt!“ Cassie rannte ihm nach und biss die Z?hne zusammen, als sich kantige Zweige in ihre entz?ndete Haut bohrten. Er war kleiner und schneller als sie und verspottete sie lachend, w?hrend er durch das Dickicht rannte. „Marc, komm zur?ck!“, rief sie. Aber ihre Worte schienen ihn nur noch weiter anzutreiben. Sie folgte ihm entschlossen und hoffte, dass er entweder m?de werden oder das Spiel aufgeben w?rde. Als er stehenblieb, um zu Atem zu kommen und gegen ein paar Tannenzapfen zu treten, holte sie ihn endlich ein. Sie packte ihn fest am Arm, bevor er wieder wegrennen konnte. „Das ist kein Spiel. Schau, da vorne geht es ziemlich tief runter.“ Der Waldboden vor ihnen senkte sich steil ab und sie konnte flie?endes Wasser h?ren. „Lass uns jetzt zur?ckgehen. Es ist Zeit f?r den Nachhauseweg.“ „Ich will nicht nach Hause gehen“, murrte Marc und schlurfte ?ber den Waldboden, w?hrend er ihr folgte. Ich auch nicht, dachte Cassie und hatte pl?tzlich Mitgef?hl mit dem Jungen. Aber als sie die Lichtung erreichten, war Antoinette alleine. Sie sa? auf ihrer Jacke und flocht sich das Haar ?ber der Schulter. „Wo ist deine Schwester?“, fragte Cassie. Antoinette blickte uninteressiert auf. „Nachdem du gegangen bist, hat sie einen Vogel gesehen und wollte ihm nach. Ich wei? nicht, wo sie dann hingegangen ist.“ Entsetzt sah Cassie Antoinette an. „Warum bist du nicht mit ihr mitgegangen?“ „Weil du es nicht angeordnet hast“, sagte Antoinette mit k?hlem L?cheln. Cassie atmete tief ein, um eine weitere Welle der Wut unter Kontrolle zu bringen. Antoinette hatte Recht. Sie h?tte die Kinder nicht alleine lassen sollen, ohne sie anzuweisen, sich nicht vom Fleck zu bewegen. „Wo ist sie hin? Zeig mir, wo du sie zuletzt gesehen hast.“ Antoinette zeigte in eine Richtung. „Sie ist dort lang.“ „Ich werde nach ihr suchen.“ Cassie versuchte, so ruhig wie m?glich zu sprechen. „Du bleibst mit Marc hier. Verlasst unter keinen Umst?nden diese Lichtung und lass deinen Bruder nicht aus den Augen. Verstanden?“ Antoinette nickte abwesend und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Cassie konnte nur hoffen, dass sie ihren Anweisungen Folge leisten w?rde. Sie ging zu der Stelle, die Antoinette angedeutet hatte, und formte mit den H?nden einen Trichter um ihren Mund. „Ella?“, schrie sie, so laut sie konnte. „Ella?“ Sie wartete auf eine Antwort oder das Ger?usch n?herkommender Schritte. Aber nichts. Sie h?rte lediglich das stille Rascheln der Bl?tter im immer st?rker werdenden Wind. Hatte Ella es wirklich geschafft, in ihrer Zeit der Abwesenheit so weit zu laufen, dass sie bereits au?er H?rweite war? Oder war ihr etwas zugesto?en? Als sie in den Wald rannte, ?berkam sie Panik. KAPITEL SIEBEN Cassie rannte tiefer in den Wald hinein und im Slalom durch die Baumreihen. Sie rief Ellas Namen wieder und wieder und betete f?r eine Antwort. Ella k?nnte ?berall an, schlie?lich gab es keinen eindeutigen Weg, dem sie gefolgt sein k?nnte. Der Wald war dunkel und unheimlich, der Wind wurde immer st?rker und die B?ume schienen ihre Rufe zu d?mmen. War Ella in eine Schlucht gefallen, gestolpert oder mit dem Kopf gegen einen Stein gesto?en? Hatte ein Landstreicher sie mitgenommen? Die M?glichkeiten waren endlos. Cassie rutschte moosbewachsene Pisten hinunter und stolperte ?ber Wurzeln. Ihr Gesicht war ?berall zerkratzt und ihr Hals schmerzte vom Schreien. Schlie?lich blieb sie keuchend stehen. Ihr Schwei? f?hlte sich im Wind kalt und feucht an. Was sollte sie nun tun? Es wurde langsam dunkel. Sie konnte nicht weitersuchen, wenn sie sich und die Kinder nicht allesamt in Gefahr bringen wollte. Die G?rtnerei war ihre n?chste Anlaufstation, wenn sie denn ?berhaupt noch ge?ffnet war. Sie konnte dort anhalten, dem Ladenbesitzer erz?hlen, was geschehen war und ihn bitten, die Polizei zu rufen. Sie brauchte eine Ewigkeit und mehrere falsche Abbiegungen, um den Weg zur?ckzufinden, den sie gegangen war. Sie betete, dass die anderen in Sicherheit auf sie gewartet hatten. Und sie hoffte, wo es keine Hoffnung mehr gab, dass Ella vielleicht ihren Weg zur?ckgefunden hatte. Aber als sie die Lichtung erreichte, f?delte Antoinette gerade Bl?tter aneinander und Marc schlief tief und fest auf einem Bett aus Jacken. Keine Ella. Sie stellte sich vor, was sie bei ihrer R?ckkehr auf dem Gutshof erwartete. Pierre w?rde wutentbrannt sein – zu Recht. Margot vermutlich einfach nur grausam. Sie stellte sich die Taschenlampen vor, die durch die Nacht leuchteten, w?hrend die Gemeinde nach einem M?dchen suchte, das verloren, verletzt oder schlimmer war. Ein Ergebnis ihrer Fahrl?ssigkeit. Es war ihre Schuld und ihr Versagen. Das Entsetzen der Situation war zu viel f?r sie. Sie sank an einem Baum zu Boden, vergrub ihr Gesicht in ihren H?nden und versuchte verzweifelt, ihr Schluchzen zu kontrollieren. Und dann sagte Antoinette mit heller Stimme: „Ella? Du kannst jetzt rauskommen!“ Cassie blickte auf und beobachtete ungl?ubig, wie Ella hinter einem umgefallenen Baumstamm hervorkletterte und sich das Laub von ihrem Rock wischte. „Was …“ Cassies Stimme war rau und zitternd. „Wo warst du?“ Ella l?chelte gl?cklich. „Antoinette sagte, dass wir Verstecken spielen und dass ich nicht rauskommen darf, wenn du mich rufst – sonst habe ich verloren. Mir ist jetzt kalt, kann ich meine Jacke haben?“ Cassie f?hlte sich blind vor Schock. Sie hatte nicht geglaubt, dass sich jemand aus purer Bosheit solch ein Szenario ausdenken konnte. Es war nicht nur Antoinettes Grausamkeit, die Cassie am meisten erstaunte, sondern ihre Berechnung. Was brachte Antoinette dazu, sie so zu foltern? Und wie konnte sie das in Zukunft verhindern? Von den Eltern war keine Unterst?tzung zu erwarten. Nettigkeit hatte nicht funktioniert und Wut w?rde Antoinette nur in die Hand spielen. Antoinette hatte die Kontrolle und das wusste sie. Unverzeihlich sp?t machten sie sich auf den Nachhauseweg – und das, nachdem sie keiner Menschenseele gesagt hatte, wo sie waren. Die Kinder waren schmutzig, hungrig, durstig und ersch?pft. Cassie f?rchtete, dass Antoinette mit ihrem Tun f?r Cassies sofortige K?ndigung gesorgt hatte. Es war ein langer, kalter und unbequemer Weg zur?ck zum Schloss. Ella bestand darauf, den gesamten Weg ?ber getragen zu werden und Cassies Arme waren dabei, aufzugeben, als sie endlich das Anwesen erreichten. Marc bildete murrend das Schlusslicht, zu m?de, um etwas anderes zu tun, als hin und wieder einen Stein auf die V?gel in den Hecken zu werfen. Selbst Antoinette schien in ihrem Sieg keine Freude zu finden und trottete missmutig nebenher. Als Cassie an der einsch?chternden Haust?r klopfte, wurde diese sofort aufgezogen. Vor ihr stand Margot, rot vor Wut. „Pierre!“, schrie sie. „Sie sind endlich zuhause.“ Cassie begann zu zittern, als sie ?rgerliches Stampfen h?rte. „Wo zum Teufel seid ihr gewesen?“, bellte Pierre. „Wie konntest du nur so unverantwortlich sein?“ Cassie schluckte schwer. „Antoinette wollte in den Wald gehen. Also haben wir einen Spaziergang gemacht.“ „Antoinette – was? Den ganzen Tag? Warum hast du ihr das erlaubt und meine Anweisungen missachtet?“ „Welche Anweisungen?“ Cassie duckte sich unter seinem Zorn und wollte am liebsten wegrennen und sich verstecken, wie sie es als Kind immer getan hatte, wenn ihr Vater einen seiner Wutausbr?che an ihr ausgelassen hatte. Als sie hinter sich blickte, konnte sie sehen, dass die Kinder sich genauso f?hlten. Ihre gebeutelten, ?ngstlichen Gesichter gaben ihr den Mut, den sie brauchte, um Pierre ins Gesicht zu sehen. Und das obwohl ihre Beine zitterten. „Ich habe eine Notiz an deiner Schlafzimmert?r hinterlassen.“ Er gab sich M?he, mit normaler Stimme zu sprechen. Vielleicht hatte auch er die Reaktion der Kinder bemerkt. „Ich habe keine Notiz vorgefunden.“ Cassie sah Antoinette an, doch ihre Augen waren gen Boden gerichtet und ihre Schultern gebeugt. „Antoinette h?tte heute in Paris einige Klavierst?cke zum Besten geben sollen. Ihr Bus kam um acht Uhr drei?ig, aber sie war unauffindbar. Und Marc hatte um zw?lf Uhr Fu?balltraining in der Stadt.“ Ein kalter Knoten formte sich in Cassies Magengegend, als sie realisierte, wie ernst die Konsequenzen ihrer Handlungen waren. Sie hatte Pierre und auch andere auf schlimmste Weise entt?uscht. Dieser Tag h?tte ein Test ihrer F?higkeiten in der Organisation der Tagespl?ne der Kinder sein sollen. Stattdessen hatten sie einen ungeplanten Ausflug ins Nirgendwo unternommen und wichtige Aktivit?ten verpasst. An Pierres Stelle w?re sie auch w?tend gewesen. „Es tut mir so leid“, murmelte sie. Sie traute sich nicht, Pierre von den Tricksereien seiner Kinder zu erz?hlen, auch wenn sie sich sicher war, dass er seine eigenen Vermutungen anstellte. Sie wollte die Kinder davor bewahren, die volle Wucht seiner Wut abzubekommen. Ein Gong erschallte aus dem Esszimmer und Pierre sah auf seine Armbanduhr. „Wir werden sp?ter dar?ber sprechen. Bereite jetzt die Kinder f?rs Essen vor. Schnell, sonst wird es kalt.“ Schnell war leichter gesagt als getan. ?ber eine halbe Stunde und weitere Tr?nen waren notwendig, um Marc und Ella zu baden und in ihre Pyjamas zu stecken. Gl?cklicherweise zeigte sich Antoinette von ihrer besten Seite und Cassie fragte sich, ob die Konsequenzen ihrer Handlungen sie ?berforderten. Sie selbst hatte ein Gef?hl der Taubheit eingenommen, nachdem der Tag sich zu einer wahren Katastrophe entwickelt hatte. Sie war beim Baden der Kinder klatschnass geworden, hatte aber keine Zeit, selbst zu duschen. Stattdessen zog sie sich ein trockenes Oberteil ?ber und die Quaddeln auf ihren Armen leuchteten wieder auf. Niedergeschlagen marschierten sie nach unten. Pierre und Margot warteten in der kleinen Lounge neben dem Esszimmer. Margot nippte an einem Weinglas, w?hrend Pierre sich einen weiteren Brandy mit Soda einschenkte. „Endlich k?nnen wir essen“, bemerkte Margot knapp. Zum Essen gab es eine Fisch-Kasserolle und Pierre bestand darauf, dass die zwei ?lteren Kinder sich selbst bedienten, w?hrend Cassie Ella helfen durfte. „Sie m?ssen schon fr?h die richtige Netiquette lernen“, sagte er und fuhr w?hrend dem gesamten Essen fort, sie anzuweisen, wie das richtige Protokoll anzuwenden war. „Lege deine Serviette auf deinen Schoss, Marc. Nicht zerkn?llt auf den Boden. Und deine Ellbogen m?ssen nach innen gerichtet sein. Ella will nicht von dir in die Seite gesto?en werden, w?hrend du isst.“ Der Eintopf war reichhaltig und k?stlich und Cassie hatte einen B?renhunger. Doch Pierres Tiraden reichten, um jedem den Appetit zu verderben. Sie begn?gte sich mit kleinen, grazilen Bissen und beobachtete Margot, um zu ?berpr?fen, ob sie selbst auf korrekt franz?sische Art und Weise a?. Die Kinder waren ersch?pft und nicht in der Lage, zu verstehen, was ihr Vater ihnen einzutrichtern versuchte. Cassie w?nschte sich, Margot w?rde Pierre erkl?ren, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt f?r Pingeligkeit war. Sie fragte sich, ob Abendessen anders abgelaufen waren, als Diane noch am Leben war. Wie sehr war die Familiendynamik durch Margots Ankunft ver?ndert worden? Ihre eigene Mutter hatte auf stille Weise Konflikte unterbunden, aber mit ihrem Tod waren diese unkontrollierbar ausgebrochen. Vielleicht hatte Diane hier eine ?hnliche Rolle gespielt. „Wein?“ Zu ihrer ?berraschung f?llte Pierre ihr Glas mit Wei?wein, bevor sie ablehnen konnte. Vielleicht war auch das Teil des Protokolls. Der Wein war wohlriechend und fruchtig und nach nur wenigen Schlucken sp?rte sie, wie der Alkohol ihre Blutbahnen durchflutete und sie mit Wohlgef?hl und gef?hrlicher Entspannung erf?llte. Schnell stellte sie ihr Glas ab; sie wusste, dass sie sich keine Ausrutscher mehr erlauben konnte. „Ella, was tust du da?“, fragte Pierre entnervt. „Ich kratze mein Knie“, erkl?rte Ella. „Und warum benutzt du daf?r einen L?ffel?“ „Meine Fingern?gel sind zu kurz, um dranzukommen. Wir sind durch Brennnesseln gelaufen“, sagte Ella stolz. „Antoinette hat Cassie eine Abk?rzung gezeigt. Mich haben die Nesseln am Knie erwischt, Cassie in ihrem ganzen Gesicht und an den Armen. Sie hat geweint.“ Margot stellte abrupt ihr Weinglas ab. „Antoinette! Du hast es wieder getan?“ Cassie blinzelte ?berrascht, als sie erfuhr, dass dies nicht Antoinettes erste Aktion dieser Art gewesen war. „Ich …“, begann Antoinette trotzig, doch Margot war unaufhaltsam. „Du b?sartiges, kleines Biest. Du machst doch nur ?rger. Du h?ltst dich f?r unglaublich schlau, dabei bist du lediglich ein dummes, fieses, kindisches M?dchen.“ Antoinette biss sich auf die Lippe. Margots Worte hatten ihre k?hle Beherrschung aufgebrochen. „Es ist nicht ihre Schuld“, sagte Cassie pl?tzlich laut und fragte sich zu sp?t, ob der Wein m?glicherweise eine schlechte Idee gewesen war. „Es muss sehr schwer f?r sie sein, mit …“ Sie hielt inne. Sie war kurz davor gewesen, den Tod ihrer Mutter zu erw?hnen. Doch Ella glaubte an eine andere Version und sie hatte keine Ahnung, was dahintersteckte. Daf?r war nun nicht der richtige Zeitpunkt. „… so vielen Ver?nderungen umzugehen“, sagte sie. „Wie auch immer, Antoinette hat mich nicht angewiesen, den Weg zu nehmen. Das habe ich selbst entschieden. Ella und ich waren m?de und es sah nach einer guten Abk?rzung aus.“ Sie traute sich nicht, Antoinette anzusehen, w?hrend sie sprach, f?r den Fall, dass Margot ein geheimes Einverst?ndnis vermutete. Doch sie schaffte es, Ellas Blick zu erwischen. Sie sah sie verschw?rerisch an und hoffte, dass sie verstand, warum Cassie sich auf die Seite ihrer Schwester stellte. Sie wurde mit einem kleinen Nicken belohnt. Cassie f?rchtete, dass diese Verteidigung ihre eigene Situation erschwerte, aber sie hatte etwas sagen m?ssen. Schlie?lich wusste sie, wie es war, in einer kaputten Familie aufzuwachsen, wo jederzeit Krieg ausbrechen konnte. Sie verstand die Wichtigkeit eines ?lteren Vorbilds, das in solchen Situationen Schutz bieten konnte. Wie h?tte sie ohne Jacqui die schlimmen Zeiten ?berstehen k?nnen? Antoinette hatte niemanden, der ihr den R?cken st?rkte. „Du stellst dich also auf ihre Seite?“, zischte Margot. „Vertrau mir, das wirst du bereuen – genau wie ich es selbst getan habe. Du kennst sie nicht, wie ich sie kenne.“ Sie zeigte mit einem blutrot lackierten Fingernagel auf Antoinette, die zu schluchzen begonnen hatte. „Sie ist genau wie ihre …“ „Aufh?ren!“, br?llte Pierre. „Ich dulde keine Streitereien am Esstisch – Margot, halt nun die Klappe, du hast schon genug gesagt.“ Margot sprang so schnell auf, dass ihr Stuhl krachend nach hinten fiel. „Ich soll die Klappe halten? Dann werde ich gehen. Aber glaube nicht, dass ich nicht versucht habe, dich zu warnen. Du wirst bekommen, was du verdienst, Pierre.“ Sie marschierte zur T?r, drehte sich dann aber noch einmal um und starrte Cassie mit unverschleiertem Hass an. „Ihr werdet alle bekommen, was ihr verdient.“ KAPITEL ACHT Cassie hielt den Atem an, w?hrend Margots sich mit w?tenden Schritten zur?ckzog. Als sie die anderen betrachtete, erkannte sie, dass sie nicht die einzige war, die durch den boshaften Ausbruch der blonden Frau in schweigende Stockstarre verfallen war. Marcs Augen waren aufgerissen und seine Lippen eng zusammengepresst. Ella nuckelte an ihrem Daumen und Antoinette blickte mit wortloser Wut in die Leere. Leise fluchend schob Pierre seinen Stuhl zur?ck. „Ich k?mmere mich darum“, sagte er und marschierte zur T?r. „Bring die Kinder ins Bett.“ Cassie, erleichtert ?ber die Aufgabe, betrachtete die Teller und Gl?ser auf dem Tisch. Sollte sie den Tisch abr?umen oder die Kinder um Hilfe bitten? Die Spannung im Raum war so dick wie Rauch. Sie sehnte sich nach einer normalen, allt?glichen Familienaktivit?t wie dem Absp?len von Geschirr, um die Gereiztheit aufzul?sen. Antoinette sah die Richtung ihres Blicks. „Lass es stehen“, keifte sie. „Jemand wird nachher abr?umen.“ Mit gezwungener Heiterkeit sagte Cassie: „Nun, dann ist es Zeit f?rs Bett.“ „Ich will nicht ins Bett“, protestierte Marc und schaukelte mit seinem Stuhl nach hinten. Als der Stuhl das Gleichgewicht verlor, schrie er mit vorget?uschter Furcht auf und hielt sich an der Tischdecke fest. Cassie hechtete zu seiner Rettung. Sie war schnell genug, um den Stuhl vor dem Umkippen zu bewahren, aber zu sp?t, um Marc daran zu hindern, zwei Gl?ser umzuwerfen und einen Teller krachend zu Boden zu bef?rdern. „Nach oben“, befahl sie und versuchte, streng zu klingen. Aber ihre Stimme war durch die Anstrengung hoch und ungleichm??ig. „Ich will nach drau?en gehen“, k?ndigte Marc an und sprintete auf die Glast?r zu. Cassie, die sich daran erinnerte, wie er ihr im Wald ausgeb?xt war, sprintete ihm nach. Als sie ihn einholte, hatte er bereits die T?r aufgeschlossen, doch sie war in der Lage, ihn festzuhalten und daran zu hindern, sie zu ?ffnen. Sie sah ihr Spiegelbild im dunklen Glas. Ein Junge mit rebellischem Haar und einem eigensinnigen Gesichtsausdruck – und sich selbst. Ihre Finger hielten ihn an den Schultern gepackt, ihre Augen gro? und nerv?s, das Gesicht so wei? wie Schnee. Sich in diesem unerwarteten Moment selbst zu sehen, machte ihr klar, wie gewaltig sie in ihren Pflichten bisher versagt hatte. Seit ihrer Ankunft war ein voller Tag vergangen und sie war nicht eine einzige Minute in Kontrolle gewesen. Sie w?rde sich selbst etwas vormachen, wenn sie anders denken w?rde. Ihre Erwartungen, in die Familie hineinzupassen, von den Kindern geliebt oder zumindest gemocht zu werden, h?tte nicht unrealistischer sein k?nnen. Sie hatten keinen Funken Respekt vor ihr und sie hatte keine Ahnung, wie sie das ?ndern konnte. „Schlafenszeit“, wiederholte sie m?de. Mit der linken Hand fest auf Marcs Schulter entfernte sie den Schl?ssel aus dem Schloss. Sie befestigte ihn an einem Haken, den sie hoch oben an der Wand entdeckt hatte. Dann ging sie mit Marc nach oben, ohne ihn loszulassen. Ella trottete neben ihnen her und Antoinette folgte ihnen bedr?ckt. Ohne gute Nacht zu sagen knallte sie ihre Schlafzimmert?r hinter sich zu. „M?chtest du, dass ich dir eine Geschichte vorlese?“, fragte sie Marc, doch der sch?ttelte den Kopf. „Na sch?n. Dann ab ins Bett. Wenn du gleich schl?fst, kannst du morgen fr?her aufstehen und mit deinen Soldaten spielen.“ Es war die einzige Motivation, an die sie denken konnte, aber es schien zu funktionieren. Oder die M?digkeit hatte den Jungen doch endlich eingeholt. Jedenfalls tat er, zu ihrer Erleichterung, wie ihm gehei?en. Sie deckte ihn zu und bemerkte, dass ihre H?nde vor reiner Ersch?pfung zitterten. Wenn er einen weiteren Ausbruchsversuch unternahm, w?rde sie in Tr?nen ausbrechen, das wusste sie. Sie war nicht ?berzeugt, dass er im Bett bleiben w?rde, aber f?rs erste zumindest war ihr Job getan. „Ich will eine Geschichte.“ Ella zog an ihrem Arm. „Liest du mir eine vor?“ „Nat?rlich.“ Cassie ging mit in ihr Zimmer und suchte ein Buch aus dem m??ig best?ckten Regal aus. Ella sprang ins Bett und h?pfte aufgeregt auf der Matratze herum. Cassie fragte sich, wie oft ihr in der Vergangenheit vorgelesen wurde, da es kein normaler Teil ihrer Routine zu sein schien. Aber vermutlich war nichts ans Ellas Kindheit bisher normal verlaufen. Sie las die k?rzeste Geschichte, die sie finden konnte, doch nat?rlich Ella forderte eine zweite. Die Worte verschwammen vor ihren Augen, als sie das Ende erreichte und sie klappte das Buch zusammen. Zu ihrer Erleichterung sah Cassie, dass sich Ella durch das Vorlesen beruhigt hatte und eingeschlafen war. Sie schaltete das Licht aus und schloss die T?r. Als sie den Gang entlanglief, sah sie so leise sie konnte nach Marc. Zum Gl?ck war das Zimmer noch immer dunkel und sie h?rte weiches und gleichm??iges Atmen. Als sie Antoinettes T?r ?ffnete, war das Licht noch an. Antoinette sa? auf ihrem Bett und schrieb in ein pinkfarbenes Buch. „Du klopfst, bevor du reinkommst“, schalt sie Cassie. „Das ist eine Regel.“ „Es tut mir leid. Ich verspreche, mich in Zukunft daran zu halten“, entschuldigte sich Cassie. Sie f?rchtete, Antoinette w?rde die gebrochene Regel in eine Diskussion ausweiten, aber stattdessen wandte sie sich wieder ihrem Notizbuch zu und schrieb noch ein paar Worte, bevor sie es schloss. „Machst du noch Hausaufgaben?“, fragte Cassie ?berrascht, da ihr Antoinette nicht als jemand vorkam, der Dinge bis zur letzten Minute herausz?gerte. Ihr Zimmer war makellos. Die Kleidung, die sie zuvor ausgezogen hatte, lag gefaltet im W?schekorb und ihr ordentlich gepackter Schulranzen stand unter einem perfekt aufger?umten, wei?en Schreibtisch. Sie fragte sich, ob Antoinette das Gef?hl hatte, dass ihrem Leben Kontrolle fehlte und sie deshalb versuchte, diese in ihrer direkten Umgebung selbst auszu?ben. Oder vielleicht versuchte das dunkelhaarige M?dchen zu beweisen, dass sie niemanden brauchte, der sich um sie k?mmerte. Schlie?lich hatte sie klargemacht, die Anwesenheit eines Au-Pairs ganz furchtbar zu finden. „Meine Hausaufgaben sind fertig. Ich habe in mein pers?nliches Tagebuch geschrieben“, erkl?rte Antoinette. „Machst du das jeden Abend?“ „Nur, wenn ich w?tend bin.“ Sie setzte ihrem Stift den Deckel auf. „Tut mir leid, was heute Abend passiert ist“, meinte Cassie mitf?hlend. Sie hatte das Gef?hl, sich auf Eis zu bewegen. „Margot hasst mich und ich hasse sie“, sagte Antoinette und ihre Stimme bebte ein bisschen. „Ich glaube nicht, dass das stimmt“, protestierte Cassie, aber Antoinette sch?ttelte den Kopf. „Das tut es. Ich hasse sie. Ich w?nschte, sie w?re tot. Sie hat Dinge wie heute schon ?fter zu mir gesagt. Es macht mich so w?tend, ich k?nnte sie umbringen.“ Cassie starrte sie schockiert an. Es waren nicht nur Antoinettes Worte, sondern die Ruhe, mit der sie diese aussprach. Sie hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren sollte. War es normal f?r eine Zw?lfj?hrige, solch m?rderische Gedanken zu hegen? Sicherlich w?re es sinnvoll f?r Antoinette, jemanden zu haben, der ihr dabei helfen konnte, mit ihrem ?rger umzugehen. Eine qualifizierte Person wie einen Berater, einen Psychologen oder gar einen Gemeindepfarrer. Da aber keine kompetentere Person anwesend war, musste Antoinette eben mit ihr vorliebnehmen. Cassie durchsuchte ihre eigenen Erinnerungen und versuchte, sich daran zu erinnern, was sie in dem Alter gesagt oder getan hatte. Wie hatte sie reagiert, wenn sie das Gef?hl hatte, dass ihr Leben au?er Kontrolle geriet? Hatte sie je den Wunsch versp?rt, jemanden umzubringen? Pl?tzlich erinnerte sie sich an eine der Freundinnen ihres Vaters. Elaine, eine Blondine mit langen, roten Fingern?geln und einem hohen, kreischenden Lachen. Sie hassten einander auf den ersten Blick. W?hrend den sechs Monaten, die Elaine in ihrem Leben verbrachte, hatte Cassie sie mit ganzem Herzen verabscheut. Sie konnte sich nicht daran erinnern, sie totgew?nscht zu haben, aber sie wollte auf jeden Fall, dass sie aus ihrem Leben verschwand. Vermutlich war es das gleiche. Antoinette war lediglich direkter. „Was Margot gesagt hat, war absolut nicht fair“, stimmte Cassie ihr zu, denn das war die Wahrheit. „Aber Menschen sagen, wenn sie w?tend sind, Dinge, die sie nicht meinen.“ Nat?rlich waren Worte, die aus Wut gesprochen wurden, auch meistens wahr, aber in diese Richtung wollte sie jetzt nicht gehen. „Oh, sie hat es gemeint“, versicherte Antoinette ihr. Sie spielte mit ihrem Stift und drehte den Deckel gewaltsam von links nach rechts. „Und Papa ist nun immer auf ihrer Seite. Er denkt nur an sie und niemals an uns. Es war ganz anders, als meine Mutter noch am Leben war.“ Cassie nickte mitf?hlend. Sie hatte dieselbe Erfahrung gemacht. „Ich wei?“, sagte sie. „Woher?“ Antoinette sah sie neugierig an. „Meine Mutter ist gestorben, als ich noch klein war. Mein Vater hat ebenfalls neue Freundinnen – ?hm, ich meine Verlobte – mit nach Hause gebracht. Das hat f?r viel Streit und Abneigung gesorgt. Sie mochten mich nicht, ich mochte sie nicht. Zum Gl?ck hatte ich eine ?ltere Schwester.“ Hastig korrigierte Cassie sich. „Ich habe eine ?ltere Schwester. Ihr Name ist Jacqui. Sie hat meinem Dad Paroli geboten und mich besch?tzt, wenn es Streit gab.“ Antoinette nickte zustimmend. „Du hast heute Abend meine Seite ergriffen, das hat noch niemand vorher getan. Danke.“ Sie sah Cassie mit ihren gro?en, blauen Augen an und Cassie f?hlte, wie sie aufgrund dieser unerwarteten Dankbarkeit einen Klo? im Hals bekam. „Daf?r bin ich hier“, sagte sie, „Tut mir leid, dass ich dich durch die Brennnesseln geschickt habe.“ Sie schielte auf die Quaddeln an Cassies H?nden, die noch immer dick und entz?ndet waren. „Das ist in Ordnung. Ich verstehe, dass es nur ein Witz war.“ Ihre Augen f?llten sich nun mit Tr?nen, als sie von Verst?ndnis und Mitgef?hl ?berrollt wurde. Sie hatte von Antoinette nicht erwartet, ihre Schutzmauer zu ?ffnen und verstand genau, wie einsam und verletzlich sie sich f?hlen musste. Es war furchtbar, zu denken, dass Antoinette zuvor schon verbal von Margot misshandelt worden war und niemanden gehabt hatte, der ihr den R?cken st?rkte. Selbst ihr Vater hatte sich bewusst gegen sie gestellt. Aber jetzt hatte sie jemanden – Cassie stand hinter ihr und w?rde sie unterst?tzen, egal was es kostete. Der Tag war kein v?lliges Desaster gewesen, wenn es bedeutete, dass sie es geschafft hatte, diesem schwierigen und problembehafteten Kind n?herzukommen. „Versuche jetzt zu schlafen. Ich bin mir sicher, dass morgen fr?h alles besser aussieht.“ „Ich hoffe es. Gute Nacht, Cassie.“ Cassie schloss die T?re hinter sich, schniefte heftig und wischte sich dann die Nase am ?rmel ab. Sie war ?beranstrengt und merkte jetzt, wie die Gef?hle sie ?bermannten. Sie eilte den Gang entlang, nahm sich ihren Schlafanzug und begab sich dann zur Dusche. Als sie unter dem dampfenden Wasserstrahl stand, erlaubte sie sich endlich, die Tr?nen flie?en zu lassen. * Obwohl das hei?e Wasser ihre Emotionen beruhigt hatte, bemerkte Cassie bald, dass ihre Haut erneut in Flammen aufgegangen war. Die Nesselstiche begannen, unertr?glich zu jucken. Sie rieb sich hart mit dem Handtuch ab, um dem Jucken Herr zu werden, sorgte aber dadurch lediglich daf?r, dass der Ausschlag sich ausbreitete. Endlich im Bett, f?hlte sie sich so unwohl, dass sie nicht einschlafen konnte. Ihr Gesicht und ihre Arme klopften und brannten. Kratzen brachte nur tempor?re Besserung und verschlimmerte den Schmerz langfristig sogar. Nach einer gef?hlten Ewigkeit, in der sie ohne Erfolg versucht hatte, zu schlafen, gab sich Cassie schlie?lich geschlagen. Sie brauchte etwas, um ihre Haut zu beruhigen. Das Schr?nkchen im Duschraum hatte nur einige essentielle Dinge enthalten, aber im Badezimmer hinter Ellas Schlafzimmer hatte sie einen gr??eren Medizinschrank gesehen. Vielleicht fand sie dort etwas zur Linderung. Sie lief leise zum Badezimmer, ?ffnete den Holzschrank und war erleichtert, zu sehen, dass er mit Tuben und Fl?schchen gef?llt war. Es musste etwas f?r Ausschl?ge geben. Sie las die Labels und k?mpfte mit den komplizierten Fremdworten – sie war nerv?s, mit der falschen Arznei ihre Symptome nur noch zu verschlimmern. Galmei Lotion. Sie erkannte die Farbe und den Geruch, obwohl das Label anders aussah. Das w?rde ihre Haut beruhigen. Sie sch?ttete sich etwas Fl?ssigkeit in die offene Hand und rieb sich gro?z?gig damit ein. Sofort sp?rte sie die k?hlende Erleichterung. Sie stellte die Flasche zur?ck und schloss den Schrank. Als sie sich umdrehte, um zu ihrem Zimmer zur?ckzugehen, h?rte sie ein Ger?usch und blieb stehen. Ein derber Schrei, dann ein dumpfes Rufen. Das musste Marc sein. Er war aus dem Bett gestiegen und stiftete in Ellas Zimmer Unruhe. Êîíåö îçíàêîìèòåëüíîãî ôðàãìåíòà. Òåêñò ïðåäîñòàâëåí ÎÎÎ «ËèòÐåñ». Ïðî÷èòàéòå ýòó êíèãó öåëèêîì, êóïèâ ïîëíóþ ëåãàëüíóþ âåðñèþ (https://www.litres.ru/pages/biblio_book/?art=51923730&lfrom=688855901) íà ËèòÐåñ. Áåçîïàñíî îïëàòèòü êíèãó ìîæíî áàíêîâñêîé êàðòîé Visa, MasterCard, Maestro, ñî ñ÷åòà ìîáèëüíîãî òåëåôîíà, ñ ïëàòåæíîãî òåðìèíàëà, â ñàëîíå ÌÒÑ èëè Ñâÿçíîé, ÷åðåç PayPal, WebMoney, ßíäåêñ.Äåíüãè, QIWI Êîøåëåê, áîíóñíûìè êàðòàìè èëè äðóãèì óäîáíûì Âàì ñïîñîáîì.
Íàø ëèòåðàòóðíûé æóðíàë Ëó÷øåå ìåñòî äëÿ ðàçìåùåíèÿ ñâîèõ ïðîèçâåäåíèé ìîëîäûìè àâòîðàìè, ïîýòàìè; äëÿ ðåàëèçàöèè ñâîèõ òâîð÷åñêèõ èäåé è äëÿ òîãî, ÷òîáû âàøè ïðîèçâåäåíèÿ ñòàëè ïîïóëÿðíûìè è ÷èòàåìûìè. Åñëè âû, íåèçâåñòíûé ñîâðåìåííûé ïîýò èëè çàèíòåðåñîâàííûé ÷èòàòåëü - Âàñ æä¸ò íàø ëèòåðàòóðíûé æóðíàë.